Europarecht

Anhörungsrüge wegen Nichterwähnung des Parteivorbringens in den gerichtlichen Entscheidungsgründen

Aktenzeichen  4 ZB 17.1734

Datum:
26.9.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG GG Art. 103 Abs. 1
VwGO VwGO § 152a Abs. 1 S. 1 Nr. 2
AO AO § 233a, § 238

 

Leitsatz

Aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs. 1 GG) ergibt sich nicht die Verpflichtung, auf jedes Vorbringen eines Beteiligten in den Gründen einer gerichtlichen Entscheidung ausdrücklich einzugehen. Das Gericht darf sich vielmehr auf die Gründe beschränken, die für seine Entscheidung leitend gewesen sind (ebenso BVerwG BeckRS 2016, 48841). Die Nichterwähnung einzelner Begründungsteile eines Vorbringens in den Entscheidungsgründen bedeutet daher nicht, dass sich das Gericht mit den Argumenten des Beteiligten nicht befasst hat. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

4 ZB 17.279 2017-08-10 Bes VGHMUENCHEN VG Regensburg

Tenor

I. Die Anhörungsrüge wird zurückgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Anhörungsrügeverfahrens.

Gründe

I.
Die zulässige Anhörungsrüge ist unbegründet. Der Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG wird durch den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom 10. August 2017 (Az. 4 ZB 17.279) nicht in entscheidungserheblicher Weise verletzt (§ 152a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VwGO).
Art. 103 Abs. 1 GG gewährleistet den Verfahrensbeteiligten das Recht‚ sich zu dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt und zur Rechtslage zu äußern (BVerfG‚ B.v. 19.5.1992 – 1 BvR 986/91 – BVerfGE 86, 133 Rn. 35). Der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht‚ die Ausführungen der Parteien zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (BVerfG a.a.O. Rn. 39), nicht aber dazu, den Vorstellungen eines Beteiligten zu folgen (BVerwG, B.v. 1.8.2011 – 6 C 15/11 – juris Rn. 1; BayVGH‚ B.v. 13.11.2013 – 10 C 13.2207 – juris Rn. 2). Voraussetzung für einen Erfolg der Anhörungsrüge ist weiter, dass der Anspruch des Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt worden ist (vgl. § 152a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VwGO).
Zur Begründung der Anhörungsrüge trägt die Klägerin vor, der Senat habe sich mit bestimmten Ausführungen in der Begründung ihres Zulassungsantrags nicht auseinandergesetzt bzw. diese bei seiner Entscheidung nicht in Erwägung gezogen. Sie habe die geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils damit begründet, dass die Typisierungsregelung des § 233a AO i. V. m. § 238 AO ihren Zweck der Abschöpfung von Liquiditätsvorteilen allenfalls noch in atypischen Ausnahmefällen erfülle und dass das Verwaltungsgericht zur Urteilsbegründung auf Zinssätze in der Nähe von 6% ohne nähere Untersuchung und Gewichtung verwiesen, den gesetzlichen Verzugszinssatz fälschlicherweise zum Vergleich herangezogen und sich nicht damit auseinandergesetzt habe, dass das Leitbild der Vollverzinsung von einem nicht mehr der wirtschaftlichen Realität entsprechenden Auf und Ab der Marktzinsen ausgehe. Hierauf und auf den von der Klägerin als einschlägiges Präjudiz angeführten Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 28. November 1984 sei der Senat nicht in der gebotenen Weise eingegangen. Zum Zulassungsgrund der besonderen rechtlichen Schwierigkeiten habe die Klägerin den umfangreichen rechtswissenschaftlichen Diskurs überwiegend aus dem Jahr 2016 vorgetragen; dies habe der Senat mit dem Hinweis auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2009 und daran anknüpfende Entscheidungen des Bundesfinanzhofs abgetan, ohne in Erwägung zu ziehen, dass die bisherigen höchstrichterlichen Entscheidungen den geänderten wirtschaftlichen Realitäten nicht mehr gerecht würden.
Mit diesen Ausführungen wird ein Gehörsverstoß nicht dargetan. Entgegen der Vorstellung der Klägerin ergibt sich aus dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs keine Verpflichtung, auf jedes Vorbringen eines Beteiligten in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich einzugehen. Das Gericht darf sich vielmehr auf die Gründe beschränken, die für seine Entscheidung leitend gewesen sind (BVerwG, B.v. 5.7.2016 – 4 BN 15/16 – juris Rn. 5). Es ist daher verfehlt, aus der Nichterwähnung einzelner Begründungsteile eines Vorbringens in den gerichtlichen Entscheidungsgründen zu schließen, das Gericht habe sich mit den Argumenten des Beteiligten nicht befasst (BVerfG, B.v. 15.4.1980 – 1 BvR 1365/78 – BVerfGE 54, 43/46 m.w.N.).
Die Annahme, der Senat habe sich mit den im Zulassungsverfahren angeführten Argumenten für die Verfassungswidrigkeit des § 233a AO i. V. m. § 238 AO nicht inhaltlich auseinandergesetzt, wird im Übrigen durch die Gründe des Beschlusses vom 10. August 2017 widerlegt. Die Einwände der Klägerin gegen das erstinstanzliche Urteil wurden in Randnummer 10 der Entscheidung ausführlich dargestellt. In den nachfolgenden Absätzen wurde die gegenteilige Rechtsauffassung des Senats jeweils mit Blick auf das klägerische Vorbringen unter Bezugnahme auf die jüngere höchstrichterliche Rechtsprechung eingehend erläutert. Dass dabei der von der Klägerin angeführte ältere Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungsmäßigkeit des Rechnungszinsfußes bei Pensionsrückstellungen (BVerfG, B.v. 28.11.1984 – 1 BvR 1157/82 – BVerfGE 68, 287) nicht ausdrücklich erwähnt wurde, ergab sich aus dem Umstand, dass diese Leitentscheidung schon in dem vom Senat in Randnummer 15 zitierten aktuellen Urteil des Bundesfinanzhofs vom 1. Juli 2014 (Az. IX R 31/13, BFHE 246, 193 Rn. 21) als Beleg für die unter bestimmten Voraussetzungen bestehende Anpassungspflicht des Steuergesetzgebers genannt war.
Der Senat ist im angegriffenen Beschluss (Rn. 19 f.) auch auf das Vorbringen der Klägerin eingegangen, die besondere rechtliche Schwierigkeit des Falles ergebe sich daraus, dass das steuerrechtliche Literatur nahezu einhellig die derzeitige gesetzliche Regelung der Nachzahlungszinsen für verfassungswidrig halte. Er hat darauf hingewiesen, dass die Frage der Vereinbarkeit des § 233a i. V. m. § 238 AO mit höherrangigem Recht für den hier streitgegenständlichen Zeitraum von Januar 2012 bis Juni 2014 durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesfinanzhofs bereits so weit geklärt ist, dass sich daraus ohne weiteres die Lösung des Falles ergibt. Auf das von der Klägerin zitierte jüngere Schrifttum, das überwiegend aus dem Jahr 2016 datiert und damit auch die Verzinsungszeiträume ab Juli 2014 umfasst, musste der Senat hiernach nicht mehr näher eingehen.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht‚ weil für das Verfahren über die Anhörungsrüge nach Nr. 5400 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz (Anlage zu § 3 Abs. 2 GKG) eine Festgebühr von 60‚- Euro anfällt.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152a Abs. 4 Satz 3 VwGO).


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