Europarecht

Annahmeverzug, Fahrzeug, Kommission, Auskunft, Verschulden, Hinweisbeschluss, Zinsen, Amtsermittlungsgrundsatz, Verpflichtung, Feststellung, Annahme, Schriftsatz, Betriebserlaubnis, Vorlage, schuldhaftes Verhalten, ohne Verschulden, billigend in Kauf

Aktenzeichen  3 U 51/22

Datum:
20.6.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 18690
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
Bamberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

14 O 218/21 2022-02-02 Endurteil LGHOF LG Hof

Tenor

1. Die Berufung der Klagepartei gegen das Endurteil des Landgerichts Hof vom 02.02.2022, Aktenzeichen 14 O 218/21, wird zurückgewiesen.
2. Die Klagepartei hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Hof ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 25.600,00 € festgesetzt.

Gründe

Hinsichtlich der Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand im angefochtenen Urteil des Landgerichts Hof vom 02.02.2022 sowie auf den Hinweisbeschluss des Senats vom 09.05.2022 Bezug genommen.
Die Klagepartei beantragt im Berufungsverfahren:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagerpartei 25.269,54 EUR nebst Zinsen aus 25.269,54 EUR hieraus in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 03.03.2021, zu zahlen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des PKW Typs VW Tiguan, FIN .
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme des in Antrag I genannten Fahrzeugs seit dem 04.02.2021 in Annahmeverzug befindet.
3. Die Beklagte wird verurteilt, die Klagepartei von den Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 1.728,48 EUR vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten freizustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
II.
Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Hof vom 02.02.2022, Aktenzeichen 14 O 218/21, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
Zur Begründung nimmt der Senat zunächst Bezug auf den vorausgegangenen Hinweisbeschluss. Im Hinblick auf das Vorbringen im Schriftsatz vom 10.06.2022 ist auszuführen:
1. Der Senat hat zur Kenntnis genommen, dass der Generalanwalt beim EuGH die Auf fassung vertritt, dass die Vorschriften der Art. 5 Abs. 1, Abs. 2 der VO 715/2007, Art. 18 Abs. 1, 26 Abs. 1, 46 der RL 2007/46 i.V.m. § 823 Abs. 2 BGB dem Käufer eines Fahrzeugs einen Anspruch auf Schadensersatz gegen den Fahrzeughersteller gewähren, wenn das Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgerüstet ist und der Fahrzeughersteller dies hätte erkennen können. Die Voraussetzungen für einen solchen Anspruch liegen hier jedoch nicht vor.
a) Das „Thermofenster“ funktioniert im Grundsatz auf dem Prüfstand in gleicher Weise wie im realen Fahrbetrieb. Deshalb kann die Frage der Zulässigkeit nicht eindeutig und unzweifelhaft beantwortet werden, so dass bei Fehlen sonstiger Anhaltspunkte auch nicht ohne Weiteres unterstellt werden, dass die für die Beklagte handelnden Personen einen Gesetzesverstoß billigend in Kauf genommen und damit bedingt vorsätzlich gehandelt haben (BGH, Urteil vom 24.03.2022, Az. III ZR 263/20 Rn. 22; BGH NJW 2021, 3721, Rn. 30). Die vorliegenden Umstände rechtfertigen jedoch noch nicht einmal ein fahrlässiges Handeln der Beklagten.
b) Die Beklagte hat erstinstanzlich den Bericht der vom Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur eingesetzten Untersuchungskommission „Volkswagen“ vom April 2016 vorgelegt. Hieraus ist zu entnehmen, dass in dem hier fraglichen Zeitraum Thermofenster von allen Autoherstellern verwendet und mit dem Erfordernis des Motorschutzes begründet wurden. Nach Einschätzung der Untersuchungskommission handelt es sich bei der Verwendung eines Thermofensters angesichts der Unschärfe der Ausnahmevorschrift des Art. 5 Abs. 2 Satz 2 Buchst. a VO (EG) Nr. 715/2007, wonach zum Schutz des Motors vor Beschädigungen und zur Gewährleistung eines sicheren Fahrzeugbetriebs notwendige Abschalteinrichtungen zulässig sind, um keine eindeutigen Gesetzesverstöße, sofern ohne die Verwendung des Thermofensters dem Motor Schaden drohe und „sei dieser auch noch so klein“ (vgl. BMVI, Bericht der Untersuchungskommission Volkswagen, Stand April 2016, S. 123). Daneben zeigt auch der in der Literatur (vgl. Führ, NVwZ 2017, 265) betriebene erhebliche Begründungsaufwand, um das „Thermofenster“ als unzulässige Abschalteinrichtung einzustufen, dass keine klare und eindeutige Rechtslage gegeben ist (BGH Urteil vom 24.03.2022, Az. III ZR 263/20 Rn. 22; OLG Koblenz, Urteil vom 14.09.2020, AZ.: 12 U 1464/19, Rn. 23).
c) Daneben hat die Beklagte durch die Vorlage der amtlichen Auskunft des KBA vom 11.09.2020 an das OLG Stuttgart belegt, dass dem KBA die Problematik von umgebungstemperaturgeführten Regelungen prinzipiell bekannt gewesen ist. Insbesondere ging aus einer Mitteilung der Europäischen Kommission aus dem Jahr 2008 die erhöhten NOx-Emissionen bei niedrigen Temperaturen hervor, weshalb in diesem Temperaturbereich keine Messungen durchzuführen seien. Zudem ist der Auskunft zu entnehmen, dass auch im Rahmen des Typgenehmigungsverfahrens die Beklagte das Vorhandensein eines Thermofensters offenbart hat, wenngleich sie auch die exakte Wirkungsweise mangels entsprechender Verpflichtung nicht beschrieben hat. Nachdem die Beklagte also den gesetzlichen Anforderungen entsprechend ihren Mitteilungspflichten bezüglich des Thermofensters nachgekommen ist, durfte sie sich grundsätzlich darauf verlassen, dass das KBA im Rahmen des Typgenehmigungsverfahrens entsprechend dem Amtsermittlungsgrundsatz gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 und 2 VwVfG eine Ergänzung verlangen würde, um sich in die Lage zu versetzen, die Zulässigkeit des Thermofensters in dem betreffenden Fahrzeug zu prüfen. Anderenfalls durfte sich die Beklagte auf die Prüfungskompetenz des KBA als Genehmigungsbehörde verlassen und ohne Verschulden von der Zulässigkeit ihres Vorgehens ausgehen.
c) Letztendlich ergibt sich aus einer weiteren Auskunft des KBA an das Landgericht Aschaffenburg vom 09.03.2021, dass bei einer „außenlufttemperaturgeführten Korrektur der Abgasrückführungsrate“ zwar zu erhöhten NOx-Emissionen führe, dies aber durch Gründe des Motorschutzes gerechtfertigt sein könne. Eine Unzulässigkeit einer solchen Funktion sei bei dem Motor EA 288 jedoch nicht festgestellt worden.
Wenn also das KBA als zuständige Typgenehmigungsbehörde nach eigener Prüfung selbst von der Zulässigkeit des „Thermofensters“ ausgeht, kann der Beklagten keine andere Einschätzung abverlangt werden. Selbst wenn also entgegen der Ansicht der Beklagten und des KBA eine unzulässige Abschalteinrichtung vorliegen sollte, liegt ein schuldhaftes Verhalten der Beklagten nicht vor.
2. Im Hinblick auf eine von der Klagepartei behauptete Prüfstandserkennung wiederholt und vertieft die Klagepartei ihren Vortrag, dass die Messungen im Realbetrieb diese belegen würden. Der Senat hat jedoch bereits ausgesprochen, dass diese als Vergleichsmaßstab ungeeignet sind. Ebenso ist der weitere Vortrag zu dem Gutachten Heitz unbeachtlich. Der Senat hat darauf hingewiesen, dass dieser gem. § 531 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen ist; Gründe für eine Zulassung führt der ohnehin nur schablonenhafte und ohne konkreten Verfahrensbezug vorgelegte Schriftsatz nicht an.
Letztendlich setzt sich die Klagepartei weiterhin nicht damit auseinander, dass das KBA für die streitgegenständliche Motorspezifikation trotz durchgeführter eigener Untersuchungen keine unzulässige Abschalteinrichtung festgestellt hat. Nachdem die Überprüfung des Motors EA 288 im Jahr 2016 begonnen und damit mittlerweile sechs Jahre andauert, ohne dass die Gefahr des Entzugs der Betriebserlaubnis für das streitgegenständliche Fahrzeug substantiell im Raum stehen würde, kann der Senat nicht erkennen, aus welchen Gründen das Fahrzeug der Klagepartei für den bestimmungsgemäßen Gebrauch untauglich sein und auf dieser Grundlage ein Schaden vorhanden sein soll.
Die Berufung der Klagepartei ist daher als unbegründet zurückzuweisen.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils erfolgt gemäß § 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Festsetzung des Streitwerts für das Berufungsverfahren folgt aus §§ 63 Abs. 2, 47 Abs. 1 S. 1 GKG, § 3 ZPO.


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