Europarecht

Anspruch auf Einbürgerung, Behördenzuständigkeit aufgrund des gewöhnlichen Aufenthalts des Antragstellers, Wechsel der örtlichen Behördenzuständigkeit während des Gerichtsverfahrens, fehlender Verpflichtungsanspruch gegenüber örtlich unzuständiger Behörde

Aktenzeichen  5 ZB 20.1376

Datum:
18.2.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 4461
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 78 Abs. 1 Abs. 1 Nr. 1
VwVfG § 3 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a
StAG § 8
StAG § 10

 

Leitsatz

Verfahrensgang

M 25 K 19.573 2020-05-13 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Antragsverfahrens.
III. Der Streitwert wird für das Antragsverfahren auf 10.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Kläger ist ägyptischer und österreichischer Staatsangehöriger und begehrt seine Einbürgerung durch die Beklagte.
Am 12. November 2013 beantragte er bei der Beklagten die Einbürgerung.
Am 27. September 2016 erhob der Kläger Untätigkeitsklage. Im Hinblick auf eine Aussetzung des Einbürgerungsverfahrens durch die Beklagte gemäß § 12a Abs. 3 Satz 1 StAG ordnete das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 25. Januar 2017 das Ruhen des Verfahrens an. Mit Schriftsatz vom 4. Februar 2019 bat der Klägerbevollmächtigte sinngemäß um Fortsetzung des Verfahrens.
Mit Schreiben vom 26. März 2019 teilte die Beklagte mit, dass der Kläger zum 1. September 2017 nach Berlin verzogen, dort mit Hauptwohnsitz gemeldet und in München abgemeldet worden sei; die Beklagte sei daher für die Einbürgerung nicht mehr zuständig.
Im Klageverfahren beantragte der Kläger zuletzt, die Beklagte zu verpflichten, ihn einzubürgern, hilfsweise festzustellen, dass er einen Anspruch auf Einbürgerung gehabt hätte.
Mit Urteil vom 13. Mai 2020 wies das Verwaltungsgericht die Klage ab.
Gegen dieses Urteil richtet sich der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung.
Die Beklagte und der Vertreter des öffentlichen Interesses treten dem Antrag entgegen.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten verwiesen.
II.
1. Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg, da die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht vorliegen.
a) Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) bestehen nicht. Der Kläger hat keinen einzelnen tragenden Rechtssatz und keine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt (vgl. zu diesem Maßstab BVerfG, B.v. 18.6.2019 – 1 BvR 587/17 – DVBl 2019, 1400 Rn. 32 m.w.N.).
aa) Der Kläger macht geltend, entgegen der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts sei die Beklagte weiterhin gemäß § 78 VwGO passivlegitimiert.
Er trägt im Kern vor, die Entscheidungsbefugnis der Beklagten für seinen Einbürgerungsantrag bleibe wegen der Rechtshängigkeit der Streitsache durch seinen Umzug unberührt. Unstrittig sei zudem, dass er seinen gewöhnlichen Aufenthalt in München jedenfalls gehabt habe, sodass die Beklagte gemäß Art. 3 Abs. 1 Nr. 3a, Abs. 2 Satz 1 BayVwVfG weiterhin zu ständig sei. Auch eine von der Beklagten abgegebene Zusicherung betreffend die Einbürgerung begründe deren Zuständigkeit. Da der Kläger über eine nicht nur vorübergehende Unterkunft in München verfüge und ein Großteil seiner Familie hier lebe, habe er dort weiterhin seinen gewöhnlichen Aufenthalt, neben dem gewöhnlichen Aufenthalt am Hauptwohnsitz in Berlin.
Dieser Argumentation ist nicht zu folgen. Die Rechtshängigkeit des geltend gemachten Einbürgerungsanspruchs durch die Erhebung der Untätigkeitsklage hat zwar bewirkt, dass der Umzug des Klägers die örtliche Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts nicht berührt (§ 83 Satz 1 VwGO i.V.m. § 17 Abs. 1 Satz 1 GVG). Unabhängig davon waren jedoch zum maßgeblichen Zeitpunkt der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung im schriftlichen Verfahren die Beklagte nicht mehr richtiger Beklagter (§ 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) und die Klage damit im Hauptantrag unbegründet.
Die Bewertung des Verwaltungsgerichts, wonach die Beklagte infolge des Umzugs des Klägers nach Berlin die örtliche Zuständigkeit für dessen Einbürgerungsbegehren verlor, wird durch die Darlegungen in der Antragsbegründung nicht in Frage gestellt. Die Zuständigkeit liegt nunmehr gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a Alt. 1 VwVfG analog (vgl. BVerwG, U.v. 22.3.2012 – 1 C 5.11 – BVerwGE 142, 195 Rn. 18 f.) beim örtlich zuständigen Bezirk des Landes Berlin (§ 4 Abs. 1 Sätze 1 und 2 AZG i.V.m. Nr. 3 Abs. 2 ZustKat AZG), da der Kläger dort seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat; die zweite Alternative dieser Vorschrift käme nur dann zur Anwendung, wenn der Kläger keinerlei gewöhnlichen Aufenthalt hätte.
Der Kläger behauptet, er habe seinen gewöhnlichen Aufenthalt sowohl in Berlin wie auch in München. Zwar könnte einiges dafürsprechen, dass eine natürliche Person mehrere Orte haben kann, an denen sie sich im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a VwVfG gewöhnlich aufhält, mit der Folge der Anwendbarkeit des § 3 Abs. 2 Satz 1 VwVfG (vgl. dazu Schmitz in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 3 Rn. 24; Schuler-Harms in Schoch/Schneider, VwVfG, Stand August 2021, § 3 Rn. 32). Jedenfalls liegen jedoch beim Kläger die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a VwVfG analog im Zuständigkeitsbereich der Beklagten nicht vor. Im angefochtenen Urteil (UA S. 7) wird zutreffend ausgeführt, dass die bloße Verfügbarkeit einer Mietwohnung allein keinen gewöhnlichen Aufenthalt begründen kann. Auch der Umstand, dass möglicherweise die meisten seiner Verwandten in München leben, sagt nichts darüber aus, an welchem Ort sich der Kläger für gewöhnlich aufhält. Weitere konkrete Anhaltspunkte dafür, die für seinen gewöhnlichen Aufenthalt in München sprechen könnten, hat der Kläger nicht vorgetragen und sind auch sonst nicht ersichtlich. Ferner kann eine örtliche Zuständigkeit nach § 3 VwVfG analog auch nicht durch eine etwaige Zusicherung der Beklagten begründet werden, wie der Kläger ohne Begründung behauptet.
Eine Zuständigkeitsregelung nach § 3 Abs. 3 VwVfG analog (wortgleich mit Art. 3 Abs. 3 BayVwVfG bzw. anwendbar gemäß § 1 Abs. 1 VwVfG BE), an die aufgrund der Umstände des vorliegenden Falls möglicherweise zu denken gewesen wäre (vgl. zur Anwendbarkeit bei einem Wechsel der sog. Verbandskompetenz BayVGH, B.v. 18.1.2021 – 10 C 20.2800 – juris Rn. 7 m.w.N.), wurde offenkundig nicht getroffen. Ändern sich im Lauf des Verwaltungsverfahrens die die Zuständigkeit begründenden Umstände, so kann nach dieser Vorschrift die bisher zuständige Behörde das Verwaltungsverfahren fortführen, wenn dies unter Wahrung der Interessen der Beteiligten der einfachen und zweckmäßigen Durchführung des Verfahrens dient und die nunmehr zuständige Behörde zustimmt. Für eine diesbezügliche Vereinbarung gibt es hier keinen Anhaltspunkt.
Die Klage war zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung im Hauptantrag bereits wegen der (mittlerweile) fehlenden Passivlegitimation der Beklagten unbegründet und abzuweisen; jedenfalls aus diesem Grund besteht gegenüber der Beklagten kein Einbürgerungsanspruch (mehr). Der weitere Vortrag des Klägers zu den materiellen Voraussetzungen des Einbürgerungsanspruchs ist demnach nicht entscheidungserheblich.
bb) Der Kläger rügt, die Beklagte sei nicht wegen der gegen ihn eingeleiteten Strafverfahren gemäß § 12a Abs. 3 Satz 1 StAG berechtigt gewesen, das Einbürgerungsverfahren auszusetzen.
Daraus ergeben sich keine Zweifel an der Ergebnisrichtigkeit des angefochtenen Urteils. Das Verwaltungsgericht (UA S. 8 Rn. 32 bis 34) hat den hilfsweise gestellten Fortsetzungsfeststellungsantrag bereits als unzulässig abgewiesen, weil der Kläger kein berechtigtes Feststellungsinteresse habe. Er habe insbesondere im Zusammenhang mit seinem Vortrag, einen Amtshaftungsprozess vorbereiten zu wollen, keine substantiierten Angaben zu einem (zu erwartenden) Schaden gemacht. Aus den Darlegungen des Klägers ergibt sich nicht konkret, weshalb diese Bewertung rechtlich fehlerhaft sein sollte. Soweit das Verwaltungsgericht ergänzend ausgeführt hat, die Klage sei im Übrigen im Hinblick auf eine zu Recht erfolgte Aussetzung des Einbürgerungsverfahrens unbegründet gewesen, beruht die angefochtene Entscheidung nicht auf dieser Bewertung.
b) Soweit der Kläger sinngemäß rügt, das Verwaltungsgericht hätte seinen Vortrag als Klageänderung auslegen (§ 88 VwGO) oder von Amts wegen auf einen Parteiwechsel auf Seiten der Beklagten hinwirken müssen, macht er der Sache nach einen Verfahrensfehler (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) geltend. Ein solcher Verfahrensfehler liegt jedoch nicht vor. Ein solcher Parteiwechsel hätte hier zunächst eine Klageänderung gemäß § 91 VwGO erfordert, die der Kläger nicht erklärt hat. Die vom Kläger vermisste Auslegung nach § 88 VwGO setzt eine zumindest auslegungsfähige Erklärung voraus. Eine eventuell für die Erreichung eines Rechtsschutzziels hilfreiche, jedoch nicht abgegebene Erklärung kann vom Gericht nicht fingiert werden.
Das Verwaltungsgericht war im Übrigen auch nicht verpflichtet, dem anwaltlich vertretenen Kläger insoweit weitergehende Hinweise zu erteilen (§ 86 Abs. 3 VwGO). Mit Schreiben des Gerichts vom 18. April 2019 war bereits darauf hingewiesen worden, dass infolge Wohnortwechsel des Klägers die Beklagte örtlich unzuständig geworden sei und die Beklagte nicht mehr zur Einbürgerung verpflichtet werden könne. Es liegt unabhängig davon keineswegs auf der Hand, dass ein Parteiwechsel auf Beklagtenseite sachdienlich gewesen wäre, wie der Kläger meint. Dagegen spricht bereits, dass zum Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung der vom Kläger geltend gemachte Einbürgerungsanspruch gegenüber dem Land Berlin wegen der Klage vor dem Verwaltungsgericht Berlin (Az. VG 2 K 12/20) bereits im Sinne von § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 17 Abs. 1 Satz 2 GVG anderweitig rechtshängig war.
Ferner hatte das Verwaltungsgericht entgegen der Rechtsauffassung keinerlei Veranlassung, zu einer bereits wegen fehlender Passivlegitimation unbegründeten Klage den Sachverhalt von Amts wegen weiter aufzuklären (§ 86 Abs. 1 VwGO), wie der Kläger meint.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung aus §§ 47, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Ziffer 42.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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