Europarecht

Asylantrag, Abschiebung, Asylverfahren, Beamte, Fluchtgefahr, Mitgliedstaat, BAMF, Sicherungshaft, Haftgrund, Bundespolizei, Auslegung, Pass, Anordnung, Feststellung, einstweiligen Anordnung, Bundesrepublik Deutschland, Richter am Amtsgericht

Aktenzeichen  9 XIV 2/21 (B)

Datum:
11.1.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 45109
Gerichtsart:
AG
Gerichtsort:
Erding
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

1. Gegen den Betroffenen wird Haft zur Sicherung der Zurückschiebung angeordnet, § 57 Abs. 2 AufenthG i.V.m. Art. 28 der VO (EU) Nr. 604/2013.
2. Die Haft endet spätestens mit Ablauf des 25.01.2021.
3. Die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung wird angeordnet.

Gründe

I.
Der Betroffene ist syrischer Staatsbürger.
Der Betroffene reiste am 01.12.2020 mittels eines LKWs im Rahmen einer Schleusung unerlaubt in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am 01.12.2020 wurde der Betroffene sodann durch Beamte der Bundespolizeiinspektion Waidhaus einer Kontrolle unterzogen und konnte keine legitimierenden Dokumente vorweisen.
Im Anschluss wurde der Betroffene in Gewahrsam genommen und zur BPOLI Waidhaus mitgenommen. Dort wurden dem Betroffenen im Rahmen der erkennungsdienstlichen Behandlung die Fingerabdrücke abgenommen, welche im Anschluss mit der europäischen Daktyloskopiedatei (EURODAC-Datenbank) abgeglichen wurden. Hierbei wurde festgestellt, dass der Betroffene bereits am 04.11.2020 in Timisoara (Rumänien) einen Antrag auf Asyl stellte. In der polizeilichen Vernehmung verweigerte der Betroffene eine Aussage.
Am 02.12.2020 wurde gegen den Betroffenen beim AG Weiden im Wege der einstweiligen Anordnung Zurückschiebehaft bis zum 12.01.2021 erwirkt.
Der Betroffene wurde am 02.12.2020 in die Abschiebehaftanstalt Erding eingeliefert. Seitens der haftantragstellenden Behörde wurde am 03.12.2020 die Treffermeldung Aufgriffsfall mit allen erforderlichen Unterlagen zur Einleitung eines Dublin-Verfahrens an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), Referat DU-6, übersandt. Am 16.12.2020 wurde die BPOLI Waidhaus durch das BAMF schriftlich darüber informiert, dass mit dem Mitgliedsstaat Rumänien ein Wiederaufnahmeverfahren nach Art. 18 I b i.V.m. Art. 23 Dublin-III-VO eingeleitet worden ist. Rumänien stimmte der Übernahme des Betroffenen bereits am 15.12.2020 zu.
In einem Telefongespräch mit dem BAMF, wurde der BPOLI Waidhaus bestätigt, dass der Betroffene am 04.11.2020 einen Asylantrag gestellt hat, der innerhalb der nächsten 4 Wochen zu bescheiden ist.
Durch den dafür zuständigen Sachbearbeiter wurde der Abschiebebescheid des BAMF am 23.12.2020 nach einer asylrechtlichen Anhörung in der Abschiebehaftanstalt Erding erstellt und dem Betroffenen postalisch dorthin zugestellt. Der Asylantrag wurde als unzulässig abgelehnt. Die Abschiebung nach Rumänien wird angeordnet. Der Bescheid wurde dem Betroffenen am 28.12.2020 zugestellt. Weiter verfügte die Bundespolizeiinspektion die Zurückschiebung des Betroffenen.
Am 28.12.2020 beantragte die Bundespolizeiinspektion Haft gegen den Betroffenen zur Sicherung der Zurückschiebung bis 25.01.2021. Auf den Antrag der Bundespolizei und den Beschluss des Amtsgerichts Weiden i. d. OPf. wird Bezug genommen.
II.
Im Rahmen der heutigen Vorführung wurde d. Betroff. gemäß § 420 I 1 FamFG in der gebotenen Weise vor der Entscheidung rechtliches Gehör gewährt.
Es wird auf die Niederschrift vom heutigen Tag Bezug genommen.
III.
Die zuständige Ausländerbehörde hat den Haftantrag zulässig und ausreichend begründet. Der vorliegende Haftantrag genügt den Darlegungsanforderungen der obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. BGH vom 15.09.2011, Az V ZB 123/11; vom 10.05.2012, Az V ZB 246/11). Insbesondere werden verlangt – wie hier erfolgt – Darlegungen zu der zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungsvoraussetzungen, zu der Erforderlichkeit der Haft, zu der Durchführbarkeit der Abschiebung und zu der notwendigen Haftdauer, §§ 425 III, 417 II 2 Nr. 3-5 FamFG.
Das Gericht erachtet diese Voraussetzungen unter Bezugnahme auf I. für erfüllt.
1. Mit dem unter I. geschilderten Sachverhalt liegen die Voraussetzungen einer unerlaubten Einreise gemäß § 14 Abs. 1 AufenthG vor. D. Betroff. ist damit auch vollziehbar ausreisepflichtig (§ 50 Abs. 1, 58 Abs. 2 AufenthG).
Der Betroffene ist Ausländer im Sinne des § 2 Abs. 1 AufenthG und unterliegt nach §§ 3 und 4 AufenthG der Pass- und Aufenthaltstitelpflicht. Etwaige Befreiungen davon nach der Aufenthaltsverordnung oder nach dem Recht der Europäischen Union liegen nicht vor.
Der Betroffene verfügt über keinen gültigen Pass und Aufenthaltstitel, somit ist er gem. § 50 Abs. 1 AufenthG ausreisepflichtig. Die Ausreisepflicht ist gem. § 58 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 AufenthG vollziehbar, da er unerlaubt i.S.d. § 14 Abs. 1 Nr. 1 und 2 AufenthG eingereist ist.
Damit lagen die Voraussetzungen für die Zurückschiebung nach Rumänien gem. §§ 50 Abs. 1 i.V.m. 58 Abs. 2 Nr. 1, 57 Abs. 2 (2. Alt.) i.V.m. 14 Abs. 1 Nr. 1,2 AufenthG vor.
Der Betroffene wird deshalb gemäß § 57 Abs. 2 (2. Alt.) AufenthG zurückgeschoben.
Die Zurückschiebung wurde mit der Verfügung über die Zurückschiebung vom 02.12.2020 bekannt gegeben und dem Betroffen durch den anwesenden Dolmetscher übersetzt und ausgehändigt.
Im Rahmen einer EURODACRecherche wurde aber auch festgestellt, dass der Betroffene in Rumänien ein Asylverfahren betreibt.
Nach § 2 AsylZBV (Asylzuständigkeitsbestimmungs-VO) i.V.m. der DÜ-III-VO ist dann das BAMF zuständig, den Betroffenen im Wiederaufnahmeverfahren nach Art. 18 I b bis d i.V.m. Art. 23 Dublin-III-VO nach Rumänien zurückzuschieben.
Es hat am 23.12.2020 einen Abschiebebescheid aufgrund der Zustimmung des zuständigen Mitgliedstaates Rumänien zur Rückübernahme erlassen.
2. Es liegt der Haftgrund der erheblichen Fluchtgefahr iSv Art. 28 II, 2 n) der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 iVm § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1; 2 Abs. 14 Satz 2 Nr. 1 AufenthG Bei einer EURODAC-Recherche wurde festgestellt, dass der Betroffene in Rumänien seit dem 04.11.2020 ein Asylverfahren betreibt. Er hat diesen Mitgliedsstaat vor Abschluss seines dort betriebenen Asylverfahrens auf illegalem Wege im Rahmen einer durchorganisierten Schleusung vorzeitig verlassen und ist unerlaubt über Tschechien nach Deutschland eingereist. Somit hat er Rumänien vor Abschluss seines dort laufenden Verfahrens zur Zuständigkeitsbestimmung unmittelbar nach Stellung eines Asylantrages verlassen und die Umstände der Feststellung im Bundesgebiet (Schleusung) deuten auch darauf hin, dass er in absehbarer Zeit nicht mehr dorthin zurückkehren will.
Die Fluchtgefahr ist auch als erheblich zu qualifizieren.
Hierbei ist zu berücksichtigen, dass der Begriff der Erheblichkeit als Begriff des Europarechts autonom auszulegen ist (amtliche Begründung, BT-Drucksache 18/4097, S. 32). Im Rahmen der Auslegung ist der Erwägungsgrund 20 der Dublin III-VO zu berücksichtigen, wonach die Inhaftierung lediglich als letztes Mittel – weniger einschneidende Maßnahmen sind nicht wirksam anwendbar – nach durchgeführter Verhältnismäßigkeitsprüfung anzuordnen ist. Aufgrund der oben genannten Gesamtumstände erachtet das Gericht diese Erheblichkeit für gegeben. Der Betroffene reiste unmittelbar nach Stellung seines Antrages in Rumänien illegal nach Deutschland weiter und tauchte für die rumänischen Behörden unter.
3. Gründe, die ein Absehen von der Sicherungshaft rechtfertigen können, sind nicht ersichtlich bzw. nicht glaubhaft gemacht. Im übrigen liegen Zurückschiebungshindernisse nicht vor.
Umstände, die einer Durchführung der Abschiebung innerhalb der nächsten 3 Monate aus Gründen, die d. Betroff. nicht zu vertreten hat, entgegenstehen, sind nicht erkennbar (§ 62 Abs. 3 S. 3 AufenthG).
Das Einvernehmen der Staatsanwaltschaft ist nicht erforderlich, § 72 Abs. 4; Satz 3 ff. AufenthG.
4. Die Ausländerbehörde hat auch schlüssig und nachvollziehbar dargelegt, warum die Sicherungshaft in der beantragten Länge erforderlich und unverzichtbar ist.
Sie trägt hierzu plausibel vor: Der Zeitansatz bis zum 25.01.2021 gliedert sich folgendermaßen auf:
1 Woche Bearbeitungszeit bei der Bundespolizei und beim BAMF zwischen Aufgriff und Eingang des Wiederaufnahmegesuches beim voraussichtlich zuständigen Mitgliedstaat Rumänien.
Am 03.12.2020 wurde die Meldung Aufgriffsfall an das BAMF versandt.
Durch das BAMF wurde daraufhin am 03.12.2020 ein Dringlichkeitsersuchen an den zuständigen Mitgliedstaat Rumänien gestellt zur Durchführung eines Wiederaufnahmeverfahrens nach Art. 18 I b bis d i.V.m. Art. 23 Dublin-III-VO.
Der Mitgliedstaat Rumänien hatte danach 2 Wochen, bis zum 17.12.2020, Zeit das Wiederaufnahmegesuch zu beantworten. Die Zustimmung zur Rückübernahme erfolgte bereits am 15.12.2020.
Eine durchzuführende Anhörung durch das BAMF im Rahmen der förmlichen Asylantragstellung in der Abschiebehafteinrichtung Erding wurde am 15.12.2020 durchgeführt.
Weiterhin wird die Bearbeitung und der Erlass eines Abschiebebescheides des BAMF nach § 34a AsylG mit Zustellung, Postlauf und Rückläufer der Postzustellungsurkunde an das BAMF einen Zeitraum von 1- 2 Wochen in Anspruch nehmen.
Es folgt eine zu wahrende Rechtsmittelfrist nach § 34 a II AsylG von 1 Woche.
Die Gesamtdauer der Haft ist insgesamt abhängig von freien Flugkapazitäten, insbesondere von der eingeschränkten Bereitschaft der Lufthansa, aus Sicherheitsgründen nur 1 bis 2 Deportees pro Flug zu transportieren. Die rumänische Fluggesellschaft Tarom erklärt sich bereit 4 Deportees mitzunehmen.
Die Überstellung des Herrn SALUM erfolgt dann sobald dies gem. Art. 28 UA III Dublin-VO praktisch und rechtlich durchführbar ist, i.d.R. ist es dann möglich innerhalb einer weiteren Woche die Zurückschiebung der Person zu organisieren und durchzuführen.
Die Bundespolizei hat bereits mit der organisatorischen Planung der Zurückschiebung begonnen. Es konnte dazu bereits ein Flug am 20.01.2021 ab Frankfurt nach Rumänien gebucht werden. Eine frühere Flugverbindung war nicht verfügbar.
Weiterhin sollten 3 Werktage zusätzlich mit eingeplant werden, für den Fall des Scheiterns der Rückführung und der dadurch erneut erforderlichen Richtervorführung. Für den Zeitraum der Weihnachtsfeiertage musste zusätzlich eine weitere Woche Haft mit eingeplant werden.
Die Dauer der angeordneten Haft wird somit von der Behörde glaubhaft mit den für die Organisation und Durchführung der Zurückschiebung nach Rumänien notwendigen Erfordernissen begründet. Die im Antrag angegebenen einzelnen Zeitspannen sind für die organisatorische Realisierung der Zurückweisung einerseits erforderlich, andererseits aber auch ausreichend. Eine frühere Rückführung nach Rumänien ist nach den Angaben der antragstellenden Behörde nicht möglich, da Rumänien erst ab 11.01.2021 wieder Zurückzuführende aufnimmt. Ein früherer Flug ist für den Betroffenen nicht zu organisieren, da die Fluggesellschaften jeweils nur 1 – 4 unbegleitete Zurückzuführende mitnehmen und die Kapazitäten daher begrenzt sind. Die Frist von 6 Wochen für die Haftdauer ab der Zustimmung Rumäniens zur Rücknahme des Betroffenen am 15.12.2020 wird nicht überschritten.
5. Die Haft ist auch verhältnismäßig. Ein milderes Mittel als die Inhaftierung der Betroffenen im Sinne von § 62 Abs. 1 AufenthG ist nicht ersichtlich. Insbesondere ist – angesichts der unter Ziffer 2 dargelegten Gegebenheiten – die Hinterlegung von Ausweispapieren bzw. eine Meldeauflage bzw. die Auflage, sich an einem bestimmten Ort aufzuhalten, vorliegend nicht ausreichend.
IV.
Das Verfahren beruht auf den §§ 416, 418, 419, 420, 421, 425 III FamFG. Die Anordnung der sofortigen Wirksamkeit der Entscheidung beruht auf § 422 Abs. 2 FamFG.


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