Europarecht

Asylrechtliche Zuständigkeit bei Minderjährigen in Griechenland

Aktenzeichen  AN 17 E 20.50201

Datum:
1.7.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 16128
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VO (EU) Nr. 604/2013 Art. 9, Art. 21 Abs. 1, Art. 22 Abs. 3, Abs. 4, Abs. 5
VwGO § 52 Nr. 2 S. 3, § 52 Nr. 3 S. 3, § 52 Nr. 5, § 123
AsylG § 3
VO (EG) Nr. 1560/2003 Art. 5 Abs. 2

 

Leitsatz

1. Bei im Ausland aufhältigen Antragsteller greift nicht die für asylrechtliche Streitigkeiten regelmäßige Zuständigkeitsvorschrift des § 52 Nr. 2 Satz 3 Halbs. 1 VwGO und auch nicht § 52 Nr. 2 Satz 3 Halbs. 2, Nr. 3 Satz 2 VwGO ein, sondern richtet sich die gerichtliche Zuständigkeit nach dem Sitz der Antragsgegnerin, § 52 Nr. 3 Satz 3, Nr. 5 VwGO (Anschluss an BVerwG BeckRS 2019, 17740 Rn. 6). (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine verspätete Remonstration im Sinne des Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 1560/2003 führt mangels diesbezüglicher expliziter Regelung nicht zu einem Zuständigkeitsübergang auf den ersuchenden Staat. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Das Verfahren wird eingestellt.
2. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Die Antragsteller begehrten von Griechenland aus die Verpflichtung der Antragsgegnerin, sich gegenüber Griechenland auf Grund der Verordnung (EU) 604/2013 (Dublin III-VO) für die Prüfung ihrer Asylanträge für zuständig zu erklären.
Nach eigenen Angaben sind der Antragsteller zu 1) … 2007 und der Antragsteller zu 2) … 2004 in Syrien geboren und beide syrische Staatsangehörige. Der Vater der Antragsteller, …, geboren … 1967 in Syrien, verließ Syrien am 27. September 2015 und reiste am 24. Oktober 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Er ist in Deutschland durch Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 26. Januar 2016 als Flüchtling gemäß § 3 AsylG anerkannt, verfügt über einen zunächst bis 2. März 2022 gültigen Aufenthaltstitel und wohnt derzeit in … Die Mutter ist eigener Aussage nach bereits 2013 bei einem Bombenangriff in Syrien verstorben.
Im August 2019 reisten die Antragsteller zusammen mit ihrer Schwester …, deren Eilrechtsschutzverfahren gesondert beim Bayerischen Verwaltungsgericht Ansbach anhängig war und deren Antrag mit Beschluss vom 16. Juni 2020 abgelehnt wurde (AN 17 E 20.50200), über die Türkei nach Griechenland ein. Nach der Ankunft auf der Insel Lesbos stellten die Antragsteller dort am 31. Januar 2020 einen Asylantrag. Mit Schreiben vom 16. Februar 2020 der Anwaltsvereinigung „European Lawyers in Lesvos“ per E-Mail an das „Regional Asylum Office of Lesvos“ und die „Dublin Unit of the Greek Asylum Service“ forderte diese im Namen der Antragsteller die griechischen Behörden auf, Deutschland um ihre Aufnahme gemäß Art. 8 Dublin III-VO zu bitten. Am 18. Februar 2020 ersuchte Griechenland die Bundesrepublik Deutschland, die Antragsteller und ihre Schwester zur Prüfung von deren Asylantrag aufzunehmen. Dem Gesuch war u.a. eine Erklärung der Antragsteller vom 6. Februar 2020 und vom 12. Februar 2020 und eine Erklärung ihres Vaters vom 7. Februar 2020 und vom 10. Februar 2020 beigefügt, in der sie sich mit einer Prüfung ihres Asylbegehrens durch Deutschland sowie einer Familienzusammenführung und ihr Vater mit einer Familienzusammenführung in Deutschland einverstanden erklärten respektive diese wünschten. Die Bundesrepublik lehnte dieses Aufnahmegesuch mit Schreiben vom 2. März 2020 mit der Begründung ab, dass die Dreimonats-Frist des Art. 21 Abs. 1 Dublin III-VO abgelaufen sei. Mit weiterem Schreiben der Anwaltsvereinigung „European Lawyers in Lesvos“ vom 16. März 2020 forderte diese im Namen jedenfalls des Antragstellers zu 2) die griechischen Behörden auf, Deutschland um eine erneute Überprüfung des Aufnahmegesuchs der Antragstellerin zu bitten. Am 24. März 2020 remonstrierten die griechischen Behörden gegen diese Entscheidung unter Beifügung des genannten Schreibens und des Anhörungsprotokolls des Antragstellers zu 2), was seitens Deutschland am 6. April 2020 mit der Begründung abgelehnt wurde, dass im vorliegenden Fall keine außergewöhnlichen humanitären Gründe ersichtlich seien.
Mit am 26. Mai 2020 beim Verwaltungsgericht Ansbach eingegangenem Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten stellten die Antragsteller einen Antrag nach § 123 VwGO und beantragten zunächst,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO zu verpflichten, sich gegenüber dem griechischen Migrationsministerium, Nationales Dublin-Referat, unter Aufhebung der ergangenen Ablehnungen zum Übernahmegesuch vom 18. Februar 2019 und zur Wiedervorlage vom 24. März 2019 durch das griechische Migrationsministerium, Nationales Dublin-Referat, für die Prüfung des Asylantrages der Antragsteller für zuständig zu erklären.
Die Antragsgegnerin beantragte zunächst,
den Antrag abzulehnen.
Nachdem die Antragsgegnerin mit Schriftsatz vom 8. Juni 2020 abweichend von ihrem ursprünglichen Ablehnungsantrag ihre Zuständigkeit für die Prüfung des Asylantrages der Antragsteller anerkannt und eine Zustimmungserklärung zur Übernahme der Antragsteller an Griechenland mit demselben Datum versandt hat, beantragen die Antragsteller mit Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 16. Juni 2020 nunmehr,
das Verfahren für erledigt zu erklären und der Antragsgegnerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
Die Antragsgegnerin erklärt mit Schriftsatz vom 17. Juni 2020,
der Erledigungserklärung zuzustimmen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die beigezogenen Behördenakten der Antragsteller, ihres Vaters und ihrer Schwester und die Gerichtsakte mit den Schriftsätzen und deren Anlagen verwiesen.
II.
1. Nachdem die Antragsteller mit Schriftsatz vom 16. Juni 2020 das Verfahren nach § 123 VwGO für erledigt erklärt haben und sich die Antragsgegnerin der Erledigungserklärung mit Schriftsatz vom 17. Juni 2020 angeschlossen hat, ist das Verfahren in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen und über die Kosten des Verfahrens gemäß § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO nach billigem Ermessen und unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands zu entscheiden.
Dem billigen Ermessen entspricht es in der Regel, demjenigen Beteiligten die Kosten aufzuerlegen, der ohne die Erledigung voraussichtlich, nach summarischer Prüfung, unterlegen wäre oder der das erledigende Ereignis aus eigenem Willensentschluss herbeigeführt hat (BVerwG, B.v. 2.2.2006 – 1 C 4/05 – BeckRS 2006, 21285 Rn. 2; BeckOK VwGO/Zimmermann-Kreher, 51. Edition 2019, § 161 Rn. 13 f.). Eine eingehende Prüfung der Erfolgsaussichten der Klage ist hingegen nicht mehr vorzunehmen (Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 161 Rn. 16).
Das erledigende Ereignis liegt in der Erklärung der Zuständigkeitsübernahme für das Asylverfahren der Antragsteller durch die Antragsgegnerin gegenüber Griechenland am 8. Juni 2020. Somit besteht für einen hierauf gerichteten Antrag nach § 123 VwGO kein Rechtsschutzbedürfnis mehr.
Ohne den Eintritt des erledigenden Ereignisses hätten nach summarischer Prüfung die Antragsteller obsiegt, weil deren Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO zulässig (2.) und begründet (3.) gewesen wären:
2. a) Da sich die Antragsteller in Griechenland aufhalten, greift nicht die für asylrechtliche Streitigkeiten (vgl. für Streitigkeiten nach der Dublin III-VO BVerwG, B.v. 2.7.2019 -1 AV 2/19 – juris Rn. 4) regelmäßige Zuständigkeitsvorschrift des § 52 Nr. 2 Satz 3 Halbs. 1 VwGO und auch nicht § 52 Nr. 2 Satz 3 Halbs. 2, Nr. 3 Satz 2 VwGO ein, sondern richtet sich die gerichtliche Zuständigkeit nach dem Sitz der Antragsgegnerin, § 52 Nr. 3 Satz 3, Nr. 5 VwGO (BVerwG, B.v. 2.7.2019 – 1 AV 2/19 – juris Rn. 6). Da das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge seinen Sitz in Nürnberg hat, ist das Bayerische Verwaltungsgericht Ansbach zur Entscheidung berufen. Einer Zuständigkeitsbestimmung durch das Bundesverwaltungsgericht nach § 53 Abs. 1 Nr. 3 VwGO bedarf es vorliegend nicht, da die Person, zu der zugezogen werden soll, nicht als Antragsteller auftritt und damit keine Kollision von Zuständigkeiten besteht.
b) Der Antrag nach § 123 VwGO ist zulässig. Die Antragssteller sind entsprechend § 42 Abs. 2 VwGO antragsbefugt. Erforderlich ist hierfür die Geltendmachung einer möglichen Verletzung eines subjektiven Rechts. In Frage kommt ein Anspruch nach Art. 8 und 9 Dublin III-VO und nach Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO. Ein Berufen vom Ausland aus auf die Regelungen der Dublin III-VO ist dabei anzuerkennen. Die Regelungen der Dublin III-VO schließen dies nicht aus, die Erwägungsgründe 13, 14 und 15 der Dublin III-VO sprechen vielmehr dafür. Auch Art. 47 GR-Charta sowie Art. 6 GG streiten für dieses Ergebnis (vgl. auch VG Saarlouis, B.v. 9.3.2020 – 5 L 177/20 – BeckRS 2020, 7819 Rn. 18; VG Ansbach, B.v. 19.7.2019 – AN 18 E 19.50355; VG Berlin, B.v. 15.3.2019 – 23 L 706.18 A – juris Rn. 20; VG Münster, B.v. 20.12.2018 – 2 L 989/18.A – juris Rn. 21).
Dem Antrag fehlt auch nicht das allgemeine Rechtschutzbedürfnis aufgrund einer teilweisen allgemeinen Aussetzung von Abschiebungen und Überführungen von Personen durch die Nationalstaaten wegen der aktuellen Gefahrenlage bzw. zur Eindämmung der pandemischen Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2. Ebenso wenig stehen die aktuellen tatsächlichen Einschränkungen im Flug- und im sonstigen Reiseverkehr und nationale Einreisebestimmungen, die eine Zusammenführung der Personen in der Bundesrepublik derzeit möglicherweise verhindern, dem Antrag entgegen. Der Antrag ist nicht auf die tatsächliche Überführung des Antragstellers in die Bundesrepublik Deutschland gerichtet, so dass es auf die derzeitige eventuelle Unmöglichkeit der Durchführung nicht ankommt, sondern auf die Schaffung der rechtlichen Voraussetzungen für eine Überführung, nämlich auf die Zustimmung der Antragsgegnerin zur einer – auch später noch möglichen, und nicht auf Dauer unmöglichen – Durchführung des Asylverfahrens in der Bundesrepublik Deutschland.
3. Der Antrag ist auch begründet. Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht schon vor Klageerhebung eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts der Antragsteller vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (sog. Sicherungsanordnung). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden (§ 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO; sog. Regelungsanordnung). Der streitige Anspruch (Anordnungsanspruch) und die Dringlichkeit einer vorläufigen Regelung (Anordnungsgrund) sind jeweils glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).
Dem Wesen und Zweck der einstweiligen Anordnung entsprechend kann das Gericht grundsätzlich nur vorläufige Regelungen treffen und dem Antragsteller nicht schon in vollem Umfang, das gewähren, was er nur in einem Hauptsacheprozess erreichen könnte. Im Hinblick auf das Gebot eines wirksamen Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) gilt dieses Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache aber dann nicht, wenn die sonst zu erwartenden Nachteile des Antragstellers unzumutbar sowie in einem Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären und ein hoher Wahrscheinlichkeitsgrad für einen Erfolg in der Hauptsache spricht (vgl. BVerwG, B.v. 26.11.2013 – 6 VR 3/13 – juris Rn. 5, 7).
Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Den Antragstellern haben sowohl einen entsprechenden Anordnungsanspruch (b)) als auch die besondere Eilbedürftigkeit (a)) glaubhaft gemacht. Auch ist hier ausnahmsweise die Vorwegnahme der Hauptsache möglich und geboten (c)).
a) Der Anordnungsgrund besteht in der Gefahr des unmittelbar drohenden Rechtsverlustes. Durch den Fortgang des Asylverfahrens in Griechenland ist für die Antragsteller ein zeitnaher und dauerhafter Verlust des geltend gemachten Nachzugsrechts zu ihrem Vater ernsthaft zu befürchten. Wenn das Asylverfahren in Griechenland durchgeführt und abgeschlossen ist, greifen in der Folge die Regelungen der Dublin III-VO nicht mehr ein (vgl. Art. 1 Dublin III-VO) und die Familienzusammenführung nach Art. 8, 9 oder 17 Abs. 2 Dublin III-VO wird auf Dauer ausgeschlossen (vgl. auch VG Münster, B. v. 20.12.2018 – 2 L 989/18.A – juris Rn. 69; VG Berlin, B. v. 15.3.2019 – 23 L 706.18 A – juris Rn. 36; VG Wiesbaden, B. v. 25.4.2019 – 4 L 478/19.WI.A). Die Antragstellerseite hat – von der Antragsgegnerin unwidersprochen – dargelegt, dass zumindest der Antragsteller zu 1) am 19. Juni 2020 durch die griechische Asylbehörde angehört werden soll. Dann liegt es hinsichtlich des Antragstellers zu 2) jedenfalls in einem für die Glaubhaftmachung ausreichenden Maße nahe, dass seine Anhörung auch in Bälde stattfinden wird.
Im Anschluss an eine Anhörung ist mit einer kurzfristigen Entscheidung der Asylbehörde regelmäßig zu rechnen, sodass der Rechtsverlust in der unmittelbaren Zukunft droht. Eine ausreichende Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes liegt somit vor.
b) Auch ein Anordnungsanspruch ist glaubhaft gemacht. Der Anspruch auf Zuständigkeitserklärung ergibt sich jedenfalls aus Art. 9 Dublin III-VO, dessen Voraussetzungen bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage erfüllt sind und der keinen Ermessensspielraum vorsieht.
Nach Art. 9 Dublin III-VO, ist, wenn der Antragsteller einen Familienangehörigen hat – ungeachtet der Frage, ob die Familie bereits im Herkunftsland bestanden hat – der in seiner Eigenschaft als Begünstigter internationalen Schutzes in einem Mitgliedstaat aufenthaltsberechtigt ist, dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig, sofern die betreffenden Personen diesen Wunsch schriftlich kundtun.
Der Vater der Antragsteller, …, geboren … 1967, ist durch die Bundesrepublik Deutschland durch Bescheid des Bundesamts vom 26. Januar 2016 als Flüchtling im Sinne des § 3 AsylG anerkannt worden und damit Begünstigter internationalen Schutzes nach Art. 9 Dublin III-VO. Er lebt in Deutschland. Als Vater der noch minderjährigen Antragsteller ist er gemäß Art. 2 Buchst. g, dritter Spiegelstrich, Dublin III-VO deren Familienangehöriger im Sinne des Art. 9 Dublin III-VO. Die familiäre Beziehung ist hinreichend glaubhaft gemacht und aus der Akte der Antragsteller beim Bundesamt ersichtlich. Die Antragsteller haben Kopien ihrer Reisepässe, der syrischen Geburtsurkunden sowie der Aufenthaltserlaubnis des Vaters vorgelegt, in der Akte des Bundesamts befindet sich zusätzlich ein Auszug aus dem Familienbuch sowie dem syrischen Personenstandsregister. Die angegebenen Namen und Geburtsdaten auf den Dokumenten stimmen, soweit es zwischen ihnen Querverbindungen gibt, und auch sonst mit dem Vortrag der Antragsteller überein. Fälschungshinweise ergeben sich nicht und sind von der Antragsgegnerin auch nicht vorgetragen. Dieses Ergebnis stimmt auch mit den Regeln der Art. 22 Abs. 3 bis Abs. 5 Dublin III-VO und dem Verzeichnis A I Nr. 2 des Anhangs II der VO (EG) Nr. 1560/2003 (EU-Asylantragzuständigkeits-DVO) überein. Nach Art. 22 Abs. 3 Satz 2 Buchst. a i) Dublin III-VO können förmliche Beweismittel nur durch Gegenbeweis widerlegt werden und im Übrigen darf der Maßstab an die Beweisanforderungen gemäß Art. 22 Abs. 4 Dublin III-VO nicht überdehnt werden.
Sowohl die Antragsteller als auch deren Vater haben mit Erklärungen vom 6. Februar 2020 und vom 12. Februar 2020 (Antragsteller) sowie vom 7. Februar 2020 und vom 10. Februar 2020 (Vater) bekundet, mit einer Prüfung des Asylbegehrens durch Deutschland sowie einer Familienzusammenführung einverstanden zu sein, respektive dies zu wünschen. Damit sind die Voraussetzungen des Art. 9 Dublin III-VO erfüllt, ein Ermessensspielraum steht dem Mitgliedstaat, hier Deutschland, nicht zu. Insofern kann dahinstehen, ob auch Art. 8 Abs. 1 Dublin III-VO zugunsten der Antragsteller eingreift und damit, ob die Tatsache, dass die volljährige Schwester der Antragsteller durch die griechischen Behörden zu deren Vormund bestellt wurde, die Einordnung als unbegleitete Minderjährige im Sinne des Art. 8 Abs. 1 Dublin III-VO hindert.
Die Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland für die Bearbeitung des Asylverfahrens der Antragsteller ist auch nicht wegen des Ablaufs von Zuständigkeitsfristen nach der Dublin III-VO entfallen. Griechenland hat zunächst die in Art. 21 Abs. 1, 20 Abs. 2 Dublin III-VO enthaltene Frist von drei Monaten nach Antragstellung zur Stellung des Aufnahmegesuchs eingehalten. Der Asylantrag wurde durch die Antragsteller am 31. Januar 2020 in Griechenland gestellt, das griechische Aufnahmegesuch an Deutschland erfolgte am 18. Februar 2020. Ein Zuständigkeitsübergang auf Griechenland gemäß Art.21 Abs. 1 UAbs. 3 Dublin III-VO ist daher nicht eingetreten.
Auch die verspätete Remonstration Griechenlands vom 24. März 2020 gegen die ablehnende Entscheidung des Bundesamts vom 2. März 2020 auf das Aufnahmegesuch vom 18. Februar 2020, vermag keinen Zuständigkeitsübergang auf Griechenland zu begründen. Gemäß des insoweit maßgeblichen Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 1560/2003 (EU-Asylantragzuständigkeits-DVO) ist der ersuchende Mitgliedstaat, wenn er der Auffassung ist, dass die Ablehnung des ersuchten Staates auf einem Irrtum beruht oder wenn er sich auf weitere Unterlagen berufen kann, berechtigt, eine neuerliche Prüfung seines Gesuchs zu verlangen. Diese Möglichkeit muss binnen drei Wochen nach Erhalt der ablehnenden Antwort in Anspruch genommen werden. Die Remonstration Griechenlands war somit um einen Tag verspätet, weil Fristende der 23. März 2020 gewesen ist. Eine verspätete Remonstration im Sinne des Art. 5 Abs. 2 EU-Asylantragzuständigkeits-DVO kann aber mangels diesbezüglicher expliziter Regelung nicht zu einem Zuständigkeitsübergang auf den ersuchenden Staat führen. Dies folgt aus einem Umkehrschluss zu Art. 21 Abs. 1 UAbs. 3 Dublin III-VO, in dem der Zuständigkeitsübergang auf den ersuchenden Staat bei Fristablauf explizit niedergelegt ist. Zudem liegt in den Fällen einer Remonstration schon eine ablehnende Entscheidung des ersuchten Mitgliedstaates vor. Wird die Remonstration unterlassen oder eben zu spät eingereicht, beraubt sich der ersuchende Staat nur einer weiteren Überprüfungsmöglichkeit, am Status quo der Ablehnung durch den ersuchten Mitgliedstaat ändert sich nichts, weswegen auch ein fingierter Zuständigkeitsübergang ins Leere liefe. Dem steht auch nicht die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 13. November 2018 entgegen (C-47/17, C-48/17 – BeckRS 2018, 28173 Rn. 90), nach der, wenn der ersuchte Mitgliedstaat nicht binnen der Zweiwochenfrist des Art. 5 Abs. 2 Satz 3 EU-Asylantragzuständigkeits-DVO auf eine Remonstration antwortet, der ersuchende Mitgliedstaat als zuständig anzusehen ist. Zum einen betrifft diese Entscheidung eine andere Konstellation, nämlich die verspätete Antwort auf eine Remonstration, nicht aber die hier vorliegende verspätete Remonstration. Zum anderen hat der Europäische Gerichtshof in der genannten Entscheidung hinsichtlich der Rechtsfolge des Verstreichenlassens der Dreiwochenfrist zur Einlegung der Remonstration bloß notiert, dass dann der ersuchende Mitgliedstaat die Möglichkeit zur Remonstration verliere (EuGH, a.a.O. Rn. 76). Schließlich wird aus dem Urteil des Gerichtshofs deutlich, dass es ihm bei den Fristen des Art. 5 Abs. 2 EU-Asylantragzuständigkeits-DVO gerade nicht um einen Zuständigkeitswechsel geht, wie die folgenden Ausführungen zur zweiwöchigen Antwortfrist des Art. 5 Abs. 2 Satz 3 EU-Asylantragzuständigkeits-DVO zeigen: „Mit dieser Vorschrift soll der ersuchte Mitgliedstaat dazu bewegt werden, mit dem ersuchenden Mitgliedstaat loyal zusammenzuarbeiten, indem er innerhalb der nach dieser Vorschrift vorgesehenen Frist das Gesuch des letztgenannten Mitgliedstaats um Aufnahme oder Wiederaufnahme des Betroffenen neuerlich prüft; jedoch bezweckt diese Vorschrift nicht, eine Rechtspflicht zur Beantwortung eines Ersuchens um neuerliche Prüfung mit der Folge zu begründen, dass im Fall der Nichtbeantwortung die Zuständigkeit für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz auf ihn überginge“ (EuGH, a.a.O. Rn. 77). Rechtsfolge des Verstreichenlassens der Fristen aus § 5 Abs. 2 Satz 3 EU-Asylantragzuständigkeits-DVO ist damit schlicht, dass das Verfahren der neuerlichen Überprüfung abgeschlossen ist und die bisherige ablehnende Entscheidung des ersuchten Mitgliedstaates bestehen bleibt (EuGH, a.a.O. Rn. 77). Dieser Gedanke lässt sich ebenso auf die dreiwöchige Frist zur Remonstration aus Art. 5 Abs. 2 Satz 2 EU-Asylantragzuständigkeits-DVO übertragen.
c) Die mit dieser Anordnung verbundene Vorwegnahme der Hauptsache ist hier vor dem Hintergrund des Art. 19 Abs. 4 GG ausnahmsweise zulässig, da ansonsten ein nicht umkehrbarer Übergang der Zuständigkeit auf Griechenland zu befürchten ist und die Familieneinheit der Antragsteller mit ihrem in Deutschland lebenden und als Flüchtling anerkannten Vater – jedenfalls basierend auf der Dublin III-VO – nicht mehr herbeigeführt werden könnte. Dies ist unzumutbar und auch nicht mehr rückgängig zu machen. Zudem besteht, wie bereits ausgeführt, eine hohe Wahrscheinlichkeit für ein Obsiegen in der Hauptsache.
4. Da die Antragsgegnerin ohne das erledigende Ereignis, wie aus 2. und 3. ersichtlich, unterlegen wäre, folgt die Kostenentscheidung aus § 161 Abs. 2 Satz 1, § 154 Abs. 1 VwGO.
Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 83 b AsylG.
Die Entscheidung ist nach § 80 AsylG unanfechtbar.

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