Europarecht

Aufhebung der Einstellung des Verfahrens durch das Bundesamt wegen fehlerhafter Belehrung über die Mitwirkungspflichten

Aktenzeichen  M 21 K 16.35220

Datum:
29.6.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 84 Abs. 1, § 113 Abs. 1 S. 1
AsylG AsylG § 33 Abs. 1, 2 S. 1 Nr. 1,S. 2, Abs. 4, Abs. 5
AsylVfG AsylVfG § 10 Abs. 7, § 33
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

1 Macht das Bundesamt zu Unrecht von der Möglichkeit der Verfahrenseinstellung nach § 33 AsylG Gebrauch, darf das Gericht mit der Aufhebung dieser Entscheidung nicht zugleich über das Asylbegehren entscheiden. Denn die Sachentscheidung obliegt nach den Regelungen des Asylverfahrensgesetzes zunächst dem Bundesamt. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Verfahrenseinstellung nach § 33 AsylG erfolgt zu Unrecht, wenn die Belehrung über die Mitwirkungspflichten fehlerhaft ist, weil sie entgegen § 33 Abs. 2 AsylG ein Schriftformerfordernis für Entschuldigungsgründe aufstellt und den unzutreffenden Eindruck erweckt, Umstände, die nicht mehr vor der Anhörung mitgeteilt werden können, seien zur Widerlegung der Vermutungsregelung des § 33 Abs. 2 S. 1 AsylG nicht geeignet. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Bescheid vom 29. November 2016 (Az. 6910949-232) wird aufgehoben. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II.
Die Parteien tragen die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Über die Klage wird ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entschieden, da sie keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt – soweit entscheidungserheblich – geklärt ist (§ 84 Abs. 1 VwGO).
Soweit die Klage über die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung hinausgeht und auf eine Verpflichtung des Bundesamtes zu einer Sachentscheidung gerichtet ist, ist sie unzulässig. Macht das Bundesamt von der Möglichkeit der Verfahrenseinstellung nach § 33 AsylG Gebrauch, darf das Gericht mit der Aufhebung der getroffenen Entscheidung nicht zugleich über die Begründetheit des Begehrens auf Gewährung von Asyl und Zuerkennung der Flüchtlingsanerkennung entscheiden. Vielmehr ist die Sachentscheidung nach den Regelungen des Asylverfahrensgesetzes zunächst dem Bundesamt vorbehalten. Der Asylsuchende muss die Aufhebung dieses Bescheides erreichen, wenn er eine Entscheidung über seinen Asylantrag erhalten will (vgl. zu § 33 AsylVfG BVerwG, U.v. 5.9. 2013 – 10 C 1/13 – juris Rn. 14; BVerwG, U.v. 7.3.1995 – 9 C 264/94 – juris Rn. 12 ff.).
Die im Übrigen zulässige Klage (vgl. zum Rechtsschutzbedürfnis BVerfG, B.v. 20.7.2016 – 2 BvR 1385/16 – juris Rn. 8) ist begründet. Die Einstellung des Verfahrens durch das Bundesamt ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Nach § 33 Abs. 1 AsylG in der Fassung des Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11. März 2016 (BGBl I S. 390) gilt der Asylantrag als zurückgenommen, wenn der Ausländer das Verfahren nicht betreibt. Nach § 33 Abs. 2 Nr. 1 AsylG wird vermutet, dass der Ausländer das Verfahren nicht betreibt, wenn er einer Aufforderung zur Vorlage von für den Antrag wesentlichen Informationen gemäß § 15 oder einer Aufforderung zur Anhörung gemäß § 25 nicht nachgekommen ist.
Gemäß § 33 Abs. 4 AsylG ist der Ausländer jedoch auf die nach den Absätzen 1 und 3 eintretenden Rechtsfolgen schriftlich und gegen Empfangsbestätigung hinzuweisen.
Inhaltlich ist auf die nach den Absätzen 1 und 3 eintretenden Rechtsfolgen hinzuweisen. Unabhängig davon, ob insoweit eine Wiedergabe der gesetzlichen Regelungen genügt (so Heusch in Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, 14. Edition, AsylG, § 33 AsylG Rn. 7; a.A. unter Hinweis auf die Rechtsprechung zu Belehrungspflichten zu § 10 Abs. 7 AsylVfG und § 33 AsylVfG z.B. VG Aachen, B.v. 13.3.2017 – 2 K 538/17.A – BeckRS 2017, 104831 Rn. 13; VG Augsburg, B.v. 17.11.2016 – Au 3 S. 16.32189 – juris Rn. 28) und ob eine Übersetzung in eine dem Asylbewerber geläufige Sprache geboten ist, (so der Eilbeschluss vom 2.1.2017 – M 21 K 16.35223; ebenso ganz überwiegend auch die bisherigen verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen, z.B. VG München, B.v. 14.2.2017 – M 18 S. 17.31557 – juris; VG Stuttgart, B.v. 6.2.2017 – A 1 K 198/17 – juris; VG Gelsenkirchen, B.v. 21.11.2016 – 14a L 2519/16.A – juris; VG Augsburg, B.v. 17.11.2016 a.a.O. – juris Rn. 28; ähnlich die Kommentarmeinungen, z.B. Bergmann in Bergmann/Dienelt, AuslR, Nachtrag zur 11. Aufl., AsylG, § 33 AsylG Rn. N 7; Heusch in Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, 14. Edition, AsylG, § 33 AsylG Rn. 7 m.w.N.; vgl. zu § 33 AsylVfG auch BVerwG, U.v. 5.9.2013 a.a.O. – juris Rn. 31 unter Hinweis auf BVerfG, B.v. 10.3.1994 – 2 BvR 2371/93 – DVBl 1994, 631), oder ob die verfassungsrechtlich hergeleiteten strengen Maßstäbe angesichts der in § 33 Abs. 5 AsylG geregelten Wiederaufnahmemöglichkeit hier nicht gelten (so VG Augsburg, U.v. 13.3.2017 – Au 3 K 16.32293 – juris), darf eine über die Wiedergabe des Gesetzeswortlauts hinausgehende Belehrung nicht unrichtig oder missverständlich sein.
Die Belehrung des Ausländers ist gegen Empfangsbestätigung nachzuweisen. Der erforderliche Nachweis der Kenntnis über die Belehrung durch Empfangsbestätigung wird durch eine anderweitige Zustellung ohne Nachweis der tatsächlichen Kenntnis nicht ersetzt. Insbesondere aus dem Erfordernis der Empfangsbestätigung und ihrer Funktion als Beweismittel wird damit auch deutlich, dass der Gesetzgeber die Belehrung mit dem Eintritt der Rücknahmefiktion verknüpfen wollte (OVG SH, B.v. 12.5.2017 – 4 LA 45/17 – juris Rn. 16).
Entsprechend diesen Vorgaben ist eine ordnungsgemäße Belehrung nicht erfolgt bzw. nachgewiesen.
Die Belehrung für Erstantragsteller über Mitwirkungspflichten und Allgemeine Verfahrenshinweise war nicht ordnungsgemäß.
Nach § 33 Abs. 2 Satz 2 AsylG ist zur Widerlegung der Vermutung nach § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylG vom Ausländer unverzüglich nachzuweisen, dass das Versäumnis auf Umstände zurückzuführen sind, auf die er keinen Einfluss hatte. Die Belehrung für Erstantragsteller über Mitwirkungspflichten und Allgemeine Verfahrenshinweise enthielt dagegen den Hinweis, Hinderungsgründe seien vorher dem Bundesamt rechtzeitig schriftlich mitzuteilen. Damit wird entgegen § 33 Abs. 2 AsylG ein Schriftformerfordernis für Entschuldigungsgründe aufgestellt. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass für den Nachweis der maßgeblichen Umstände einzelfallabhängig schriftliche Nachweise verlangt werden können. Darüber hinaus entspricht die Anforderung, die Umstände seien vorher rechtzeitig mitzuteilen, nicht der Vorgabe, wonach diese Umstände unverzüglich nachzuweisen sind und erweckt den unzutreffenden Eindruck, Umstände, die in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der Anhörung stehen und nicht mehr vor der Anhörung mitgeteilt werden können, seien zur Widerlegung der Vermutungsregelung des § 33 Abs. 2 Satz 1 AsylG nicht geeignet. Die Belehrung stellt damit keine ordnungsgemäße Belehrung dar. Lediglich ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass der beigefügte Gesetzesauszug zu § 33 AsylG (entgegen dem Hinweis dazu, ein Auszug aus dem Asylgesetz mit u.a. § 33 Abs. 1, 2 und 3 sei abgedruckt – vgl. Asylakte Bl. 9 und 13) die Regelung in § 33 Abs. 2 AsylG nicht umfasste.
Die Belehrung in der Ladung zur Anhörung war der Klägerin nicht gegen Empfangsbestätigung übermittelt worden. Die Klägerin hat nicht widerlegbar mitgeteilt, sie habe die Ladung nicht rechtzeitig erhalten.
Die Einstellung des Verfahrens nach § 33 Abs. 2 AsylG ohne die zwingend vorgegebene Belehrung nach § 33 Abs. 4 AsylG führt zur Rechtswidrigkeit der Verfahrensentscheidung und verletzt den Asylbewerber in seinem Recht auf ein ordnungsgemäßes Verfahren. Die angefochtene Verfahrensentscheidung war daher aufzuheben. Entsprechendes gilt für die Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG und die erlassene Abschiebungsandrohung, die jedenfalls verfrüht ergangen sind (BVerwG, U.v. 7.3.1995 – 9 C 264/94 – juris Rn. 19; vgl. auch BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4/16 – juris Rn. 21).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).


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