Europarecht

Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in Frankreich

Aktenzeichen  21 ZB 18.50020

Datum:
20.3.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 7783
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 60 Abs. 5
GrCh Art. 4
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 1, Abs. 4 S. 4

 

Leitsatz

Die besondere Situation von Asylbewerbern, die in Calais in behelfsmäßigen Camps leben und darauf hoffen, nach Großbritannien zu gelangen, lässt keine Rückschlüsse auf das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in Frankreich zu. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 8 K 17.50662 2018-02-16 GeB VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Der allein geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache wurde entgegen § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG nicht ausreichend dargelegt.
1. Um eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dem Darlegungsgebot genügend zu begründen, hat der Rechtsmittelführer eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage zu formulieren und unter anderem darzulegen, weshalb die Frage klärungsbedürftig ist (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124a Rn. 72). Dem genügt der Zulassungsantrag nicht.
Der Klägerbevollmächtigte misst der Frage grundsätzliche Bedeutung bei, „ob die schlechte Situation für Gambianer in Frankreich ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) nach sich ziehen kann.“ Dazu trägt der Klägerbevollmächtigte vor, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gehe im angefochtenen Bescheid nicht davon aus, dass das französische Asylsystem systemische Mängel aufweise. Demgegenüber sähen Pro Asyl, Human Rights Watch und ein Beitrag im „Handelsblatt vom 8. März 2018“ diese Mängel als teilweise gegeben an. Dazu sind im Zulassungsantrag die „Fachnewsletter“ von Pro Asyl vom 1. Februar 2015 („Frankreich: Polizeigewalt gegen Flüchtlinge in Calais“) und vom 1. März 2013 („Frankreich: Bericht über die Bedingungen der Flüchtlingsaufnahme in Frankreich“) vollständig und ein Beitrag des Handelsblatts auszugsweise wiedergegeben.
Daraus ergibt sich nicht, dass die aufgeworfene Grundsatzfrage einer Klärung bedarf. Die zitierten Fachnewsletter von Pro Asyl sowie der im Auszug wiedergegebene Beitrag des Handelsblatts rechtfertigen nicht die Einschätzung, dass die Bewertung des Verwaltungsgerichts möglicherweise unzutreffend ist, die Behandlung der Asylbewerber in Frankreich stehe insbesondere mit den Erfordernissen des Art. 4 EU-GR-Charta im Einklang.
Das Gemeinsame Europäische Asylsystem gründet sich auf das Prinzip gegenseitigen Vertrauens, dass alle daran beteiligten Staaten die Grundrechte sowie die Rechte beachten, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention und dem Protokoll von 1967 sowie in der EMRK finden. Daraus leitet sich die Vermutung ab, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Charta der Grundrechte der Europäischen Union sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) steht. Die Widerlegung dieser Vermutung aufgrund systemischer Mängel setzt deshalb voraus, dass das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen im zuständigen Mitgliedstaat aufgrund größerer Funktionsstörungen regelhaft so defizitär sind, dass anzunehmen ist, dass dort auch dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (BVerwG, B.v. 6.6.2014 – 10 B 35/14 – juris Rn. 5 m.w.N.).
Die im Zulassungsantrag wiedergegebenen Fachnewsletter von Pro Asyl geben keinen konkreten Anhalt dafür, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen entgegen der für das Gegenteil sprechenden Vermutung möglicherweise solche Funktionsstörungen aufweist. Der Fachnewsletter vom 1. Februar 2015 („Fachpolitischer Newsletter No 212“) befasst sich unter Verweis auf eine Stellungnahme von Human Rights Watch im Wesentlichen nur mit der „Not von Asylsuchenden und Migrantinnen in der französischen Hafenstadt Calais“. Er bezieht sich nach seinem Inhalt auf die besondere Situation von Asylbewerbern, die in Calais in behelfsmäßigen Camps leben und darauf hoffen, nach Großbritannien zu gelangen und erlaubt schon deshalb keine Rückschlüsse auf das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in Frankreich. Der Fachnewsletter vom 1. März 2013 behandelt einen Bericht der „Coordination Francaise Pour le Droit d´Asile“ zu den „Aufnahmebedingungen für Asylsuchende in Frankreich im Jahr 2012“. Er ist unabhängig von der fehlenden Aktualität schon zu allgemein gehalten, um einen konkreten Anhalt für die Annahme zu geben, das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in Frankreich könnten regelhaft defizitär im oben genannten Sinn sein. Nichts anderes gilt für den im Zulassungsantrag auszugsweise wiedergegebenen Bericht im Handelsblatt, der entgegen dem Inhalt des Zulassungsantrags nicht am 8. März 2018, sondern am 18. August 2015 unter dem Titel „Wieviel Geld bekommt ein Flüchtling in Europa“ erschienen ist (vgl. (http://www.handelsblatt.com/politik/international/fluechtlinge-in-europa-wie-viel-geld-bekommt-ein-fluechtling-in-europa/12199754-all.html).
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, § 83 b AsylG
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 16. Februar 2018 rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


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