Europarecht

Ausforschungsbeweis, Annahmeverzug, Abschalteinrichtung, unerlaubte Handlung

Aktenzeichen  042 O 1378/19

Datum:
25.10.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 58249
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
ZPO § 293

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 21.816,69 € festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet. Dem Kläger stehen deliktische Ansprüche gegen die Beklagte nicht zu.
Es mangelt bereits daran, dass die Klagepartei nicht schlüssig und substantiiert dargetan hat, dass die Beklagte Hersteller des im streitgegenständlichen Fahrzeug eingebauten Motors ist. Hi-Zudem sind weder für den eingebauten konkreten Motor noch für die Herstellereigenschaft der Beklagten geeignete Beweismittel angeboten worden.
Im Übrigen ist auch das Vorliegen einer Abschalteinrichtung nicht substantiiert dargelegt. Die Beklagte trifft insoweit auch keine sekundäre Darlegungslast.
So ist für das streitgegenständliche Fahrzeug kein Rückruf erfolgt und auch das Kraftfahrzeugbundesamt führt dieses Fahrzeug nicht in der veröffentlichten Liste der betroffenen Fahrzeugvarianten (https://www.kba.de/DE/Marktueberwachung/Abgasthematik/abgasthematik_node.html; ohne EA189-Motor) auf. Mithin trifft den Kläger die volle Darlegungs- und Substantiierungslast für deliktische Schädigungshandlungen der Beklagten (vgl. z.B. BGH, Urteil vom 19.07.2004 – II ZR 218/03) in Gestalt der Täuschung über den Einbau einer gem. VO (EG) Nr. 715/2007 (künftig: EG-VO) unzulässigen Abschalteinrichtung im streitgegenständlichen Fahrzeugmotor durch Einsatz von sog. „Manipulationssoftware“ (entsprechend den bekannten VW-Fällen zum Motor EA 189) bzw. durch Einsatz eines sog. „Thermofensters“.
Nach ständiger Rechtsprechung des BGH genügt eine Partei ihrer Darlegungslast, wenn sie Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet sind, das geltend gemachte Recht als in ihrer Person entstanden erscheinen zu lassen, mithin schlüssig vorträgt. Die Angabe von Einzelheiten zu dem Ablauf bestimmter Ereignisse ist grundsätzlich nicht erforderlich, wenn diese für die Rechtsfolgen ohne Bedeutung sind (z.B. BGH vom 19.05.2011, Az. VII ZR 24/08, Rz. 14; BGH Urteil v. 4.10.2018 – III ZR 213/17). Unerheblich ist, wie wahrscheinlich die Darstellung ist, und ob sie auf eigenem Wissen oder auf einer Schlussfolgerung von Indizien beruht.
Die Annahme der Unschlüssigkeit (und infolge dessen die zulässige Ablehnung einer etwaigen Beweiserhebung) kommt grundsätzlich in zwei Fallgruppen in Betracht:
-Wenn die unter Beweis gestellten Tatsachen so ungenau bezeichnet sind, dass das Gericht auf Grund ihrer Darstellung nicht beurteilen kann, ob die Behauptung überhaupt erheblich ist, also die gesetzlichen Voraussetzungen der daran geknüpften Rechtsfolge erfüllt sind, oder
-wenn nicht Tatsachen, sondern Rechtsansichten dargetan werden (über die, außer in den Ausnahmefällen des § 293 ZPO, nie Beweis zu erheben ist denn die rechtliche Beurteilung der vorzutragenden Tatsachen ist Sache des Gerichts). Ausnahmsweise können auch juristisch eingekleidete Tatsachen (sog. Rechtstatsachen) Gegenstand von Sachvortrag werden, etwa das Vorliegen von Kauf, Miete oder Eigentum. Rechtstatsachen können jedoch nur einfache Begriffe des täglichen Lebens sein, die von den Parteien übereinstimmend verstanden werden. Sobald die in ihrer juristischen Einkleidung behauptete Tatsache von der Gegenseite bestritten wird, bedarf es auch hier der Darlegung tatsächlicher Umstände, die den Rechtsbegriff ausfüllen (vgl. im Einzelnen Dölling, Die Voraussetzungen der Beweiserhebung im Zivilprozess, NJW 2013, 3121 [3123], m.w.N. aus der Rspr. des BGH).
An diesen Grundsätzen gemessen stellt jedenfalls die bloße Behauptung einer „unzulässigen Abschalteinrichtung“, ohne die erforderliche Behauptung unter die EG-VO subsumtionsfähiger Tatsachen, eine reine Rechtsbehauptung dar. Schlüssiger Vortrag zu einer angeblich „unzulässigen Abschalteinrichtung“ setzt nach Auffassung des Gerichts vielmehr grundsätzlich voraus, dass vom Anspruchsteller konkret dargelegt wird, dass
(1) ein „Konstruktionsteil“ im Motor des streitgegenständlichen Fahrzeug vorhanden ist (dabei kann es sich selbstverständlich auch um eine Software handeln),
(2) das in bestimmten, konkret darzulegenden Umwelt- oder Fahrsituationen etc. i.S.v. Art. 3 Nr. 10 EG-VO die Abgasreinigung abschaltet, und dass
(3) dies nicht notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten.
Trotz der Formulierung von Art. 5 II lit. a) EG-VO („Dies ist nicht der Fall, wenn …“) trägt dabei der Anspruchsteller nach Auffassung des Gerichts jedenfalls im Rahmen einer unerlaubten Handlung grundsätzlich auch für das Nichteingreifen dieser Ausnahme als weitere Anspruchsvoraussetzung die volle Darlegungs- und Beweislast. Anderes ergibt sich hier weder aus der Gesetzesformulierung noch aus ihrer Begründung (vgl. zu diesem Erfordernis z.B. BGH, Urteil vom 12.2.1963 – VI ZR 70/62; a.A. LG Stuttgart, Urteil vom 17.01.2019 – 23 O 178/18, betreffend einen PKW …), sondern allenfalls aus den Grundsätzen der sekundären Darlegungslast:
Die deutsche Zivilprozessordnung kennt keine – über die anerkannten Fälle der Pflicht zum substantiierten Bestreiten hinausgehende – allgemeine Aufklärungspflicht der nicht darlegungs- und beweispflichtigen Partei (BGH, Urteil vom 11.06.1990 – II ZR 159/89).
(1) Eine sekundäre Darlegungslast trifft den Bestreitenden nach der ständigen Rechtsprechung des BGH dann, wenn die beweisbelastete Partei außerhalb des von ihr darzulegenden Geschehensablaufs steht und keine nähere Kenntnis der maßgebenden Tatsachen hat, während der Gegner alle wesentlichen Tatsachen kennt und ihm nähere Angaben zuzumuten sind. Für die Frage der Zumutbarkeit ist zu berücksichtigen, dass der Beibringungsgrundsatz nicht ausgehöhlt werden darf, nach dem es zunächst dem Beweisbelasteten obliegt, die ihm günstigen Umstände in der erforderlichen Tiefe darzulegen. Den Beweisbelasteten trifft damit grundsätzlich das Risiko nicht nur der Unerweislichkeit, sondern auch bereits der Unkenntnis der für ihn sprechenden Tatsachen; der Gegner ist nicht gehalten, ihm für seinen Prozesssieg das Material zu verschaffen, über das er nicht schon von sich aus verfügt (Dölling, NJW 2013, 3121 [3126]; BGH, Urteil vom 11.06.1990 – II ZR 159/89).
Hierbei ist auch zu berücksichtigen, welche Angaben einer Partei zumutbar und möglich sind. Falls sie keinen Einblick in die Geschehensabläufe hat (und ihr die Beweisführung deshalb erschwert ist), darf sie auch vermutete Tatsachen unter Beweis stellen. Sie ist grundsätzlich nicht gehindert, Tatsachen zu behaupten, über die sie keine genauen Kenntnisse hat, die sie aber nach Lage der Dinge für wahrscheinlich hält (BGH, Urteil vom 4. Oktober 2018, III ZR 213/17, Rz. 25 m.w.N.). Zu einem unzulässigen Ausforschungsbeweis wird ein Beweisantrag unter solchen Umständen erst dann, wenn die beweispflichtige Partei Behauptungen „aufs Geratewohl“ oder „ins Blaue hinein“ aufstellt, ohne wenigstens greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts aufzuzeigen (BAG, 12.9.2013 – 6 AZR 980/11, BeckRS 2013, 74786 Rn. 82; ähnlich BGH, Beschluss vom 26. März 2019 – VI ZR 163/17; OLG Koblenz, Urteil v. 18.06.2019, Az.: 3 U 416/19, Rz. 32).
(2) Zweifelhaft erscheint dagegen, ob die Grundsätze der sekundären Darlegungslast auch bereits die allgemeinen Anforderungen an die Substantiierung der primären Darlegungen des Anspruchstellers auf die allgemeine Behauptung der maßgebenden Tatbestandsmerkmale reduzieren (so z.B. OLG Karlsruhe, Hinweisbeschluss vom 5.3.2019 – 13 U 142/18, Rz. 60 ff., zu „Dieselfällen“). Wenn man einer Partei in diesen Fällen schon zugesteht, Tatsachen zu behaupten, über die sie keine genauen Kenntnisse hat, die sie aber nach Lage der Dinge für wahrscheinlich hält (BGH, Urteil vom 4. Oktober 2018, III ZR 213/17, Rz. 25 m.w.N.), müssen diese vermuteten Tatsachen dem Gericht auch eine Überprüfung ihrer Entscheidungserheblichkeit ermöglichen, m.a.W. also schlüssig im oben genannten Sinne sein, um überhaupt eine sekundäre Darlegungslast des Bestreitenden auslösen zu können. Denn schon begrifflich ist eine sekundäre Darlegungslast ohne primäre schlüssige Behauptung eines konkreten Lebenssachverhalts ausgeschlossen (so auch OLG Stuttgart, Urteil vom 30.07.2019, Az.: 10 U 134/19, Rz. 36 und 90). Wollte man dies anders sehen, würde man eine Klagepartei in mit den Grundsätzen der deutschen Zivilprozessordnung schwerlich vereinbarer Weise von dem Erfordernis jeglichen schlüssigen Sachvortrages entbinden (so auch OLG Köln, Beschluss vom 04.07.2019, Az.: 3 U 148/18, Rz. 6).
Daraus ergibt sich nach Auffassung des Gerichts für Fälle der vorliegenden Art folgendes:
Zwar steht ein Autokäufer wie der Kläger hier fraglos außerhalb des maßgeblichen Geschehensablaufs, während dem beklagten Fahrzeughersteller, den gem. Art. 3 Nr. 9 der Durchführungs-Verordnung Nr. 692/2008 EG eine entsprechende Dokumentationspflicht obliegt (vgl. Führ, NVwZ 2017, 265 [268]), die tatsächliche Aufklärung somit ohne weiteres möglich sein muss. Nach Auffassung des Gerichts ist es einem Autohersteller jedoch nicht zumutbar, auf die bloße pauschale Behauptung einer „unzulässigen Abschalteinrichtung“ hin im Einzelnen darlegen zu müssen, welche konkreten Abschalteinrichtungen ein bestimmter Motor enthält, und warum diese ggf. für notwendig gehalten werden, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten (so im Ergebnis auch OLG Stuttgart, a.a.O., Rz. 55). Eine solche Sichtweise würde den Beibringungsgrundsatz aushöhlen und dem beklagten Autohersteller eine der deutschen Zivilprozessordnung fremde allgemeine Aufklärungspflicht auferlegen. Es ist auch nicht so, dass ein Kläger den maßgeblichen Sachverhalt nicht von sich aus ermitteln könnte. Soweit es bisher keine öffentlich zugänglichen Erkenntnisse zum konkreten Motor gibt, müsste er ggf. zu seinem bloßen Verdacht zunächst ein Privatgutachten erholen.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Enscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 709 S. 1 und 2 ZPO.


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