Europarecht

Ausgleichsleistungsanspruch eines Fluggastes wegen Flugverspätung: Internationale Zuständigkeit für den vertraglichen Anspruch des Fluggastes

Aktenzeichen  X ZR 92/15

Datum:
11.9.2018
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BGH
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2018:110918UXZR92.15.0
Normen:
Art 7 Abs 1 S 1 Buchst b EGV 261/2004
Art 5 Nr 1 Buchst b Ss 2 EGV 44/2001
Spruchkörper:
10. Zivilsenat

Verfahrensgang

vorgehend EuGH, 7. März 2018, Az: C-274/16, C-447/16 und C-448/16, Urteilvorgehend BGH, 14. Juni 2016, Az: X ZR 92/15, EuGH-Vorlagevorgehend LG Frankfurt, 20. August 2015, Az: 2-24 S 31/15, Urteilvorgehend AG Frankfurt, 28. Januar 2015, Az: 29 C 258/14 (40)

Tenor

Auf die Revision der Kläger wird das Urteil der 24. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main vom 20. August 2015 aufgehoben.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 28. Januar 2015 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die Kosten beider Rechtsmittelzüge zu tragen.
Von Rechts wegen

Tatbestand

1
Die Parteien streiten darum, ob die Beklagte zur Leistung von Ausgleichszahlungen nach Art. 7 Abs. 1 Satz 1 Buchst. b und Erstattung von Auslagen für Betreuungsleistungen nach Art. 9 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 296/91 (im Folgenden: FluggastrechteVO) verpflichtet ist.
2
Der Kläger schloss über ein Reisebüro mit der IBERIA Lineas Aéreas de España (im Folgenden: IBERIA) für sich, seine Frau und seine drei Kinder einen Beförderungsvertrag, der Flüge von Frankfurt am Main nach Madrid und von Madrid nach Melilla am 3. Juli 2010 sowie Rückflüge von Melilla nach Madrid und von Madrid nach Frankfurt am Main am 7. August 2010 umfasste. Sämtliche Flüge führten eine Flugnummer der IBERIA; die Flüge von Madrid nach Melilla und von Melilla nach Madrid wurden jedoch, wie in den Buchungsunterlagen vorgesehen, von der Beklagten ausgeführt. Der Abflug des Fluges von Melilla nach Madrid verzögerte sich um 20 Minuten mit der Folge, dass die Kläger den Anschlussflug nach Frankfurt nicht mehr erreichten und an ihrem Endziel mit vierstündiger Verspätung eintrafen.
3
Die Kläger haben vor dem für den Flughafen Frankfurt am Main zuständigen Amtsgericht, soweit im Revisionsverfahren noch von Interesse, Klage auf Ausgleichszahlungen von jeweils 250 € sowie auf Erstattung weiterer 100 € für Mahlzeiten, Erfrischungen und Telefonate erhoben. Das Amtsgericht hat die Beklagte insoweit antragsgemäß verurteilt. Das Landgericht hat die Klage auf die Berufung der Beklagten mit der Begründung als unzulässig abgewiesen, die deutschen Gerichte seien international nicht zuständig; im Inland liege kein Erfüllungsort im Sinne von Art. 5 Nr. 1 Buchst. b der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. EG 2001 Nr. L 12 S. 1), weil die Klageforderungen an die Verspätung auf der Teilstrecke von Melilla nach Madrid anknüpften und insoweit nur diese beiden Orte als Erfüllungsort infrage kämen.
4
Der Bundesgerichtshof hat das Verfahren mit Beschluss vom 14. Juni 2016 (RRa 2016, 229) ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Union zwei Fragen zur Auslegung der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 vorgelegt. Der Gerichtshof hat das Verfahren mit zwei anderen Verfahren verbunden und mit Urteil vom 7. März 2018 (C-274/16, C-447/16 und C-448/16, NJW 2018, 2105-2108) wie folgt entschieden:
1. Art. 5 Nr. 1 Buchst. b zweiter Gedankenstrich der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ist dahin auszulegen, dass er auf einen Beklagten mit (Wohn-)Sitz in einem Drittstaat wie die Beklagte des Ausgangsverfahrens keine Anwendung findet.
2. Art. 5 Nr. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 44/2001 ist dahin auszulegen, dass der Begriff „Ansprüche aus einem Vertrag“ im Sinne dieser Bestimmung auch eine von Fluggästen auf der Grundlage der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 erhobene Klage auf Ausgleichszahlung wegen einer großen Verspätung bei einer aus mehreren Teilstrecken bestehenden Flugreise umfasst, die sich gegen ein ausführendes Luftfahrtunternehmen richtet, das nicht Vertragspartner des betroffenen Fluggasts ist.
3. Art. 5 Nr. 1 Buchst. b zweiter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 44/2001 und Art. 7 Nr. 1 Buchst. b zweiter Gedankenstrich der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen sind dahin auszulegen, dass bei einer aus zwei Teilstrecken bestehenden Flugreise „Erfüllungsort“ im Sinne dieser Bestimmungen der Ankunftsort der zweiten Teilstrecke ist, wenn die Beförderungen auf den beiden Teilstrecken von verschiedenen Luftfahrtunternehmen durchgeführt werden und die Klage gemäß der Verordnung Nr. 261/2004 auf Ausgleichszahlung wegen einer großen Verspätung bei dieser aus zwei Teilstrecken bestehenden Flugreise auf eine Störung gestützt wird, die auf dem ersten Flug eingetreten ist, der von dem Luftfahrtunternehmen durchgeführt wurde, das nicht Vertragspartner der betreffenden Fluggäste ist.


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