Europarecht

Auskunftsanspruch über die voraussichtliche Entscheidung über den Asylantrag

Aktenzeichen  M 24 K 16.30033

Datum:
19.5.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 132836
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 24 Abs. 4
VwGO § 44a, § 75 S. 2
RL 2005/85/EG Art. 23 Abs. 2 S. 2

 

Leitsatz

1 Bei der Informationsmitteilung nach § 24 Abs. 4 AsylG handelt es sich nicht um einen Verwaltungsakt. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
2 Eine auf Verpflichtung zur bloßen Mitteilung, bis wann voraussichtlich über den Asylantrag des Asylbewerbers entschieden werden wird, gerichtete allgemeine Leistungsklage nach vorausgegangener Behördenuntätigkeit (unterlassener Mitteilung) ist zulässig. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
3 Bei dem selbständigen subjektiven Auskunftsanspruch des Asylbewerbers handelt es sich nicht um eine unselbständige Verfahrenshandlung im Rahmen des Verwaltungsverfahrens (Asylverfahrens), das auf die Sachentscheidung im Asylverfahren gerichtet ist. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Beklagte wird verpflichtet, binnen 1 Monat ab Rechtskraft des Urteils dem Kläger mitzuteilen, bis wann voraussichtlich über seinen Asylantrag entschieden wird.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleitung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist begründet.
1. Das Gericht konnte gemäß § 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil alle Beteiligten klar, eindeutig und vorbehaltlos (vgl. BVerwG, B.v. 24.4.2013 – 8 B 91/12 – juris Rn. 3) auf mündliche Verhandlung verzichtet haben.
Die Klagepartei hat mit Erklärung vom 14. Januar 2016 und die Beklagte hat bereits mit allgemeiner (auch den vorliegenden Rechtsstreit umfassender) Prozesserklärung vom 25. Februar 2016 auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet. Die Regierung von Oberbayern ist gemäß § 63 Nr. 4 VwGO als Vertreter des öffentlichen Interesses (VöI) Verfahrensbeteiligter aufgrund der generellen Beteiligungserklärungen vom 11. Mai 2015 und vom 18. Mai 2015 (vgl. zur Zulässigkeit sog. Generalbeteiligungserklärungen BVerwG, U.v. 27.6.1995 – 9 C 7 /95 – BVerwGE 99, 38 – juris Rn. 11). Hierin wurde die Beteiligung auf die Übersendung der jeweiligen End- bzw. Letztentscheidung beschränkt, so dass damit unter anderem auch ein Verzicht auf Beteiligung bei vorgehenden Prozesserklärungen vorliegt.
Die gerichtliche Entscheidung über die vorliegende Untätigkeitsklage ergeht ohne vorausgehende Aussetzung des Verfahrens unter Bestimmung einer Nachfrist, wie sie in der allgemeinen Prozesserklärung des BAMF vom 25. Februar 2016 „zu allen auf der Grundlage des § 75 VwGO erhobenen Klagen“ beantragt wurde, denn auf die vorliegende allgemeine Leistungsklage, vorliegend auf einen Realakt der Behörde abzielend, sind die besonderen Vorschriften für Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen nach Teil II., 8. Abschnitt der VwGO, hierunter auch § 75 VwGO, nicht anzuwenden. Für die Annahme, bei der Informationsmitteilung nach § 24 Abs. 4 AsylG handle es sich um einen Verwaltungsakt gemäß § 35 Abs. 1 Satz 1 VwVfG, fehlt dieser Informationsmitteilung der Charakter einer Entscheidung zur Regelung eines Einzelfalls; sie ist auch nicht auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet (vgl. BVerwG, B.v. 16.3.2016 – 1 B 19/16 – juris Rn. 10; ebenso VGHBW, B.v. 1.12.2015 – A 11 S 490/15 – juris Rn. 22).
Das Verwaltungsgericht … ist örtlich zuständig nach § 52 Nr. 2 Satz 3 VwGO zuständig, der alle Streitigkeiten betrifft, die sich aus der Anwendung des Asylgesetzes ergeben und mithin auch Leistungseinschließlich der Unterlassungsklagen und Feststellungsklagen einschließt (BVerwG, B.v. 27.6.1984 – 9 A 1/84 – juris Ls. 2, Rn. 4 – DVBl. 1984, 1015). Aufgrund des Kammerbeschlusses vom 17. Mai 2016 ist der Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung berufen (§ 76 Abs. 1 AsylG).
Gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 AsylG wie gleichermaßen auch aus dem Anspruchscharakter der Norm folgend, die hier auf einen Realakt der Behörde abzielt (vgl. VGHBW, U.v.1.12.2015 – A 11 S 490/15 – juris Rn. 29; Seeger in BeckOK AuslR, Stand 1.2.2016, AsylG § 77 Rn. 1, 3; Bergmann in Bergmann / Dienelt, AuslR, 11. Aufl. 2016, § 77 AsylG, Rn. 6), ist für das Urteil die Sach- und Rechtslage in dem Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung maßgebend. Rechtsgrundlage der vorliegenden Entscheidung ist mithin zuletzt (1) die durch Art. 1 und Art. 15 Abs. 1 des Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes vom 20. Oktober 2015 (BGBl. I S. 1722) vorgenommenen und zum 24. Oktober 2015 in Kraft getretene Änderung des früheren Asylverfahrensgesetzes (AsylVfG), unter anderem dessen Umbenennung in „Asylgesetz“ (AsylG), sowie (2) die durch Art. 1 und Art. 14 Abs. 1 des Datenaustauschverbesserungsgesetzes vom 2. Februar 2016 (BGBl. I S. 130) vorgenommenen und zum 5. Februar 2016 in Kraft getretene Änderung des Asylgesetzes und die (3) durch Art. 1 und Art. 4 des Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren (BGBl. I S. 390) und Art. 2 und Art. 3 des Gesetzes zur erleichterten Ausweisung von straffälligen Ausländern und zum erweiterten Ausschluss der Flüchtlingsanerkennung bei straffälligen Asylbewerbern (BGBl. I S. 394) jeweils vom 11. März 2016 vorgenommenen und jeweils am 17. März 2016 in Kraft getretenen Änderungen des Asylgesetzes.
Der Klageantrag enthält keinen benannten Zeitpunkt, bis zu dem die Klagepartei spätestens die Entscheidung der Beklagten begehrt, auf deren Erlass das Verpflichtungsbegehren gerichtet ist. Das insoweit auslegungsbedürftige Klagebegehren (§ 88 VwGO) wird dahin ausgelegt, dass beantragt ist, die Beklagte zu verpflichten, über den klägerischen Asylantrag binnen 1 Monat ab Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung über die Klage zu entscheiden. Die Fristlänge von einem Monat ist ausreichend und angemessen lang zur Mitteilung der Information unter Berücksichtigung, dass andererseits die Klagepartei ein Interesse daran hat, die Information so schnell wie möglich zu erhalten.
2. Die auf Verpflichtung zur bloßen Mitteilung, bis wann voraussichtlich über den Asylantrag des Klägers entschieden werden wird, gerichtete (Untätigkeits) klage i.S. einer allgemeinen Leistungsklage nach vorausgegangener Behördenuntätigkeit (unterlassener Mitteilung) ist zulässig und begründet.
2.1. Die prozessrechtliche Vorschriften des § 44a VwGO steht der Zulässigkeit des vorliegenden Klagebegehrens, gerichtet auf Erteilung einer Mitteilung nach § 24 Abs. 4 AsylG, nicht entgegen.
Entscheidend ist, dass sowohl Art. 23 Abs. 2 Satz 2 lit. b) der Richtlinie 2005/85/EG (Asylverfahrensrichtlinie alte Fassung – AsylVf-RL a.F.) als auch Art. 31 Abs. 6 lit. b) der Richtlinie 2013/32/EU (Asylverfahrensrichtlinie neue Fassung – AsylVf-RL n.F.), die auf erst nach dem 20. Juli 2015 gestellte Asylanträge anzuwenden ist (vgl. Art. 52 AsylVf-RL n.F.), also vorliegend nicht, als unionsrechtliche Vorgabe für § 24 Abs. 4 AsylG nach Wortlaut und Zweck einen selbständigen, unionsrechtlich fundierten und subjektiven Auskunftsanspruch des Asylbewerbers gegenüber der Behörde normiert. Spiegelbildlich zum Auskunftsanspruch des Asylbewerbers hat die Behörde die Verpflichtung, – eingebettet in das Asylverfahren – die Auskunft zu erteilen. Hierbei handelt es sich aber nicht um eine unselbständige Verfahrenshandlung im Rahmen des Verwaltungsverfahrens (Asylverfahrens), das auf die Sachentscheidung im Asylverfahren gerichtet ist. Einer solchen Einordnung der Auskunftserteilung als unselbständiger Verfahrenshandlung steht bereits entgegen, dass ihr ein selbständiger subjektiver Auskunftsanspruch zugrunde liegt und zudem der Auskunftsanspruch offensichtlich nicht der Vorbereitung der beabsichtigten Sachentscheidung im Asylverfahren dient (VGHBW, U.v.1.12.2015 – A 11 S 490/15 – juris Rn. 16ff.). Die begrenzte Funktion des Auskunftsanspruchs zeitigt keine weiteren Rechtsfolgen für das Asylverfahren und dessen Entscheidung. Die in der Auskunft zu anzugebende voraussichtliche Erledigungsfrist geriert für die Behörde keine Verbindlichkeit (BT-Drs. 16/5065 S. 216; Art. 23 Abs. 2 Satz 3 AsylVf-RL a.F.; BVerwG, B.v. 16.3.2016 – 1 B 19/16 – juris Rn. 7,8; so gleichermaßen auf der Grundlage des Art. 31 Abs. 6 lit. b) AsylVf-RL n.F zu entscheidende Fälle VGHBW, B.v. 1.12.2015 – A 11 S 490/15 – juris Rn. 24). Eine Missachtung des Auskunftsanspruchs durch die Behörde kann im Rahmen des Angriffs auf die Sachentscheidung im Asylverfahren nicht mitangegriffen werden. Es fehlt an einem entscheidungsrelevanten Bezug zur Sachentscheidung über das Asylbegehren; das Ergebnis der Sachentscheidung ist unabhängig von einer gegebenen oder unterlassenen Auskunft nach § 24 Abs. 4 AsylG. Art. 19 Abs. 4 GG gebietet es daher, dem Asylbewerber die Möglichkeit einer eigenständigen Durchsetzung dieses gesetzlichen Anspruchs zu geben, dessen Erfüllung ansonsten im Belieben der Behörde stünde, was Art. 23 Abs. 2 Satz 2 lit. b) AsylVf-RL a.F bzw. Art. 31 Abs. 6 lit. b) AsylVf-RL n.F. ersichtlich nicht gerecht werden würde (VGHBW, U.v.1.12.2015 – A 11 S 490/15 – juris Rn. 25).
2.2. Die Klage auf Erteilung einer Mitteilung nach § 24 Abs. 4 AsylG ist an keine weiteren Zulässigkeitsvoraussetzungen geknüpft.
Insbesondere ist die Zulässigkeit der Klage nicht an die auch im Bereich des Asylrechts geltende Wahrung der dreimonatigen Frist des § 75 Satz 2 VwGO geknüpft, da die Klage auf Erteilung einer Mitteilung nach § 24 Abs. 4 AsylG dem Streitgegenstand nach keine Untätigkeitsklage gemäß § 75 VwGO ist (s.o.; BVerwG, B.v. 16.3.2016 – 1 B 19/16 – juris Rn. 10).
3. Die zulässige Klage ist begründet. Die Klagepartei hat gegen die Beklagte einen Anspruch, binnen derjenigen Frist, die dem auszulegenden Klagebegehren (s. unten im Detail) entspricht, mitzuteilen, bis wann voraussichtlich über ihren Asylantrag entschieden wird.
3.1. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 24 Abs. 4 AsylG liegen unzweifelhaft vor. Die Asylantragstellung des Klägers am 11. Dezember 2013 liegt mehr als sechs Monate zurück. Ein Antrag auf Mitteilung nach § 24 Abs. 4 AsylG wurde am 28. September 2015 gestellt und blieb – auch nach Erinnerung vom 23. November 2015 – unbeantwortet.
3.2. Die fehlende Mitteilung des BAMF, bis wann voraussichtlich über den Asylantrag der Klagepartei entschieden wird, verletzt das subjektive Recht aus Art. 23 Abs. 2 Satz 2 lit. b) AsylVf-RL a.F (bzw. Art. 31 Abs. 6 lit. b) AsylVf-RL n.F.).
Dabei beträgt die dem BAMF vorliegend zur Verfügung stehende angemessene Frist für die Entscheidung 1 Monat ab Rechtskraft des vorliegenden Urteils.
Im Ausgangspunkt ist dabei als Hintergrund und Parallele die generelle Vorgabe in Art. 23 Abs. 2 Unterabs. 1 AsylVf-RL a.F. (bzw. Art. 31 Abs. 2 AsylVf-RL n.F.).zu sehen, wonach die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass Asylverfahren unbeschadet einer angemessenen und vollständigen Prüfung der Anträge „so rasch wie möglich“ zum Abschluss gebracht werden. Auch unter Berücksichtigung der unterschiedlichen möglichen Gründe für Verfahrensverzögerungen und des den Mitgliedstaaten eingeräumten Spielraums bei der Ausgestaltung des Verwaltungsverfahrens ist deshalb stets auch das Interesse des Asylbewerbers daran zu sehen, eine Verwaltungsentscheidung (mit welchem Ergebnis auch immer) zu erhalten. Nachdem der Vollzug des unionsrechtlich geprägten Asylrechts durch die Mitgliedstaaten dem Anwendungsbereich der Unionsgrundrechte unterfällt (Art. 51 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 der Grundrechte-Charta der Europäischen Union – GRCh), ist Art. 23 Abs. 2 Satz 2 lit. b) AsylVf-RL a.F (bzw. Art. 31 Abs. 6 lit. b) AsylVf-RL n.F.) dabei auch als Ausprägung des Art. 41 Abs. 1 GRCh und des dort unter anderem angesprochenen Grundsatzes zu sehen, Angelegenheiten jeder Person „innerhalb einer angemessenen Frist“ zu behandeln.
Vor diesem Hintergrund und den inhaltlichen Anforderungsvoraussetzungen an die Mitteilung nach § 24 Abs. 4 AsylG (hierzu BVerwG, B.v. 16.3.2016 – 1 B 19/16 – juris Rn. 8f.) ist eine Frist von einem Monat ab Rechtskraft für die Klagepartei wie auch für die Beklagte angemessen.
Der Fristlauf nach Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung trägt dem Umstand Rechnung, dass Gegenstand der vorliegenden allgemeinen Leistungsklage eine Auskunft (Sachleistung, keine Geldleistung) ist und insoweit eine vergleichbare Situation wie bei einer Verpflichtungsklage nach § 167 Abs. 2 VwGO vorliegt (vgl. insoweit überzeugend VG Osnabrück, U.v. 14.10.2015 – 5 A 390/15 – juris Rn. 42), so dass eine analoge Anwendung des § 167 Abs. 2 VwGO geboten ist mit der Folge, dass die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils nur hinsichtlich der Kostenentscheidung möglich ist.
4. Nachdem die Klagepartei mit ihrer Klage in der vom Gericht vorgenommenen Auslegung (s.o.) vollständig obsiegt, hat die vollständig unterlegene Beklagte die Kosten des gemäß § 83b AsylG gerichtskostenfreien Verfahrens zu tragen (§ 154 Abs. 1 VwGO).
5. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 Abs. 2 entsprechend und Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. Zivilprozessordnung (ZPO).


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