Europarecht

Bedingte Ausweisung wegen Straftaten während des noch nicht abgeschlossenen Asylverfahrens

Aktenzeichen  Au 6 K 18.698

Datum:
7.11.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 33082
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 11 Abs. 3, § 53 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 4, § 54 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 8 lit. a, Nr. 9, § 55 Abs. 1, Abs. 2
StGB § 78, § 78c
BZRG § 46, § 51
EMRK Art. 8 Abs. 1, Abs. 2

 

Leitsatz

1. Vom Aufenthalt eines Ausländers, der Straftaten begangen hat, kann auch dann eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgehen, wenn von ihm selbst keine Wiederholungsgefahr mehr droht, im Fall des Unterbleibens einer ausländerrechtlichen Reaktion auf sein Fehlverhalten andere Ausländer aber nicht wirksam davon abgehalten werden, vergleichbare Delikte zu begehen. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
2. Das Aufenthaltsgesetz enthält keine festen Regeln, wie lange ein bestimmtes Ausweisungsinteresse verhaltenslenkende Wirkung entfaltet und einem Ausländer generalpräventiv entgegengehalten werden kann. Für die gefahrenabwehrrechtliche Beurteilung ist eine Orientierung an den Fristen der §§ 78 ff. StGB zur Strafverfolgungsverjährung angezeigt; bei abgeurteilten Straftaten bilden die Tilgungsfristen des § 46 BZRG eine absolute Obergrenze. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der angefochtene Bescheid vom 22. März 2018 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der Ausweisung und der Befristungsentscheidung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung sowohl für die Verpflichtungs- als auch für die Anfechtungsklage (vgl. BVerwG, U.v. 22.2.2017 – 1 C 3.16 – Rn. 18), weil dem Kläger der Schutz des Art. 8 EMRK zu Gute kommt.
I.
Die vom Kläger angefochtene Ausweisung ist rechtmäßig.
Die Rechtmäßigkeit der Ausweisung des Klägers beurteilt sich nach §§ 53 ff. AufenthG n.F. (Aufenthaltsgesetz vom 25.2.2008 i.d.F. vom 22.12.2015, BGBl. I S. 2557), nach denen die Ausweisung als gerichtlich voll überprüfbare Abwägungsentscheidung zu erfolgen hat (vgl. BR-Drs. 642/14 S. 31, 56).
1. Mangels erfolgreichen Abschlusses des Asylverfahrens findet der besondere Ausweisungsschutz nach § 53 Abs. 3 AufenthG keine Anwendung. Die Ausweisung des Klägers richtet sich vielmehr nach § 53 Abs. 1, Abs. 2 und Abs. 4 AufenthG.
Unter Anwendung dieses Maßstabes kann der Kläger nach § 53 Abs. 1 AufenthG nur ausgewiesen werden, wenn sein Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet und die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt. Dabei sind nach § 53 Abs. 2 AufenthG bei der Abwägung nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen. Bei dieser Beurteilung müssen die Behörden sowohl den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als auch die Grundrechte des Betroffenen, insbesondere das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, wahren (EuGH, U.v. 22.12.2010 – Bozkurt, C-303/08 – juris Rn. 57 bis 60 m.w.N.; EuGH, U.v. 8.12.2011 – Ziebell, C-371/08 – NVwZ 2012, 422 Rn. 82). Dabei sind auch nach der Ausweisungsverfügung eingetretene Tatsachen zu berücksichtigen, die den Wegfall oder eine nicht unerhebliche Verminderung der gegenwärtigen Gefährdung mit sich bringen können (EuGH, U.v. 11.11.2004 – Cetinkaya, C-467/02 – juris Rn. 47, EuGH, U.v. 8.12.2011 – a.a.O. Rn. 84).
2. Da das Asylverfahren des Klägers noch nicht abgeschlossen ist, steht die Ausweisung jedoch unter der Bedingung nach § 53 Abs. 4 Satz 1 AufenthG, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes abgeschlossen wird.
Nicht in die Gesamtwürdigung mit einzubeziehen ist daher die vom Kläger behauptete drohende Verfolgung in Nigeria wegen seiner behaupteten Homosexualität und wegen des angeblich von ihm verschuldeten Verkehrsunfalls, bei dem eine Person gestorben sei. Insoweit handelt es sich um allein vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und im diesbezüglichen asylrechtlichen Gerichtsverfahren zu prüfende Verfolgungs- und Gefahrengründe nach §§ 3 ff., 4 ff. AsylG. Sollte dem Kläger im noch offenen Asylverfahren Asyl oder internationaler Schutz zugesprochen werden, wird die Ausweisung gegenstandslos. Ebenfalls allein dem Asylverfahren vorbehalten ist die Prüfung eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbots (arg. ex. § 31 Abs. 3 AsylG, § 42 Satz 1 AsylG). In diesem Fall wäre der Kläger jedenfalls nicht vollziehbar ausreisepflichtig. Für das Ausweisungsverfahren bleibt der zielstaatsbezogene Vortrag mithin außer Betracht.
3. Der Aufenthalt des Klägers gefährdet die öffentliche Sicherheit und Ordnung der Bundesrepublik Deutschland, weil der Kläger Straftaten begangen hat und ein generalpräventives Interesse an der Ausweisung des Klägers besteht.
a) Ausweisungsanlass sind die dem Urteil des Amtsgerichts … vom 1. Februar 2017 zu Grunde liegenden Straftaten des Klägers. Der Kläger wurde zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen wegen unerlaubter Einreise in Tateinheit mit unerlaubtem Aufenthalt in Tateinheit mit unerlaubtem Aufenthalt ohne Pass in Tateinheit mit Urkundenfälschung in zwei tateinheitlichen Fällen verurteilt. Der Kläger reiste unerlaubt von Italien über Österreich in die Bundesrepublik ein und wies sich mit einem unechten italienischen Reiseausweis für Flüchtlinge und einem unechten italienischen Aufenthaltstitel aus. Darüber hinaus war er im Besitz einer unechten italienischen Identitätskarte. Die unechten Ausweispapiere nannten die Personalien, geb. am … 1987 in …. Der Kläger hat sich damit u.a. der Urkundenfälschung strafbar gemacht.
b) Eine Wiederholungsgefahr der Begehung vergleichbarer Delikte durch andere Ausländer liegt vor.
(1) Auch generalpräventive Gründe können ein Ausweisungsinteresse begründen.
Es ergibt sich schon aus dem Wortlaut des § 53 Abs. 1 AufenthG, dass eine Ausweisung auch aus generalpräventiven Gründen möglich ist. Diese grundlegende Norm des neuen Ausweisungsrechts verlangt nämlich nicht, dass von dem ordnungsrechtlich auffälligen Ausländer selbst eine Gefahr ausgehen muss. Vielmehr muss dessen weiterer „Aufenthalt“ eine Gefährdung bewirken. Vom Aufenthalt eines Ausländers, der Straftaten begangen hat, kann aber auch dann eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgehen, wenn von ihm selbst keine Wiederholungsgefahr mehr ausgeht, im Fall des Unterbleibens einer ausländerrechtlichen Reaktion auf sein Fehlverhalten andere Ausländer aber nicht wirksam davon abgehalten werden, vergleichbare Delikte zu begehen. Der Wortlaut des § 53 Abs. 1 AufenthG unterscheidet sich insoweit ausdrücklich von dem des § 53 Abs. 3 AufenthG, der für bestimmte ausländerrechtlich privilegierte Personengruppen verlangt, dass das „persönliche Verhalten des Betroffenen“ eine schwerwiegende Gefahr darstellt. Des Weiteren ergibt sich auch aus § 54 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a AufenthG, dass das Gesetz generalpräventive Ausweisungsinteressen berücksichtigt sehen will. Denn gerade das nach der Einstufung des Gesetzgebers schwer wiegende Ausweisungsinteresse wegen Falschangaben zur Verhinderung einer Abschiebung dient typischerweise generalpräventiven Interessen. Falschangaben bergen nach Entdeckung in aller Regel nicht mehr die Gefahr der Wiederholung durch den betreffenden Ausländer. Dessen Identität ist nach Aufdeckung der Täuschung in aller Regel geklärt. Dieses Ausweisungsinteresse dient daher nicht – jedenfalls nicht vorrangig – spezialpräventiven Zwecken, sondern zielt maßgeblich darauf ab, verhaltenslenkend auf andere Ausländer einzuwirken, indem ihnen aufenthaltsrechtliche Nachteile im Falle eines pflichtwidrigen Verhaltens aufgezeigt werden. Es entspricht ferner dem klaren gesetzgeberischen Willen, in den Fällen des § 53 Abs. 1 AufenthG – anders als in den Fällen des § 53 Abs. 3 AufenthG – generalpräventive Ausweisungen zu ermöglichen (BT-Drs. 18/4097 S. 49). Auch das neue Ausweisungsrecht lässt daher generalpräventive Ausweisungen zu (vgl. zum Ganzen BVerwG, U.v. 12.7.2018 – 1 C 16/17 – juris Rn. 15 ff., 20 m.w.N.; so auch BayVGH, B.v. 20.8.2018 – 10 C 18.1361 – juris Rn. 13).
Das generalpräventive Ausweisungsinteresse muss allerdings noch aktuell sein. Dabei ist zu berücksichtigten, dass jedes generalpräventive Ausweisungsinteresse mit zunehmendem Zeitabstand an Bedeutung verliert und ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr herangezogen werden kann. Das Aufenthaltsgesetz enthält allerdings keine feste Regeln, wie lange ein bestimmtes Ausweisungsinteresse, wie es etwa in den Tatbeständen des § 54 AufenthG normiert ist, verhaltenslenkende Wirkung entfaltet und einem Ausländer generalpräventiv entgegengehalten werden kann. Eine Heranziehung der in § 11 Abs. 3 AufenthG festgelegten Kriterien für die Befristung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots ist nicht möglich, da sie an die Ausreise des Ausländers anknüpfen. Für die zeitliche Begrenzung eines generalpräventiven Ausweisungsinteresses, das an strafrechtlich relevantes Handeln anknüpft, ist für die vorzunehmende gefahrenabwehrrechtliche Beurteilung allerdings eine Orientierung an den Fristen der §§ 78 ff. StGB zur Strafverfolgungsverjährung angezeigt. Diese verfolgen zwar einen anderen Zweck, geben dem mit zunehmendem Zeitabstand eintretenden Bedeutungsverlust staatlicher Reaktionen (die an Straftaten anknüpfen) aber einen zeitlichen Rahmen, der nicht nur bei repressiven Strafverfolgungsmaßnahmen, sondern auch bei der Bewertung des generalpräventiven Ausweisungsinteresses herangezogen werden kann. Dabei bildet die einfache Verjährungsfrist des § 78 Abs. 3 StGB, deren Dauer sich nach der verwirklichten Tat richtet und die mit Beendigung der Tat zu laufen beginnt, eine untere Grenze. Die obere Grenze orientiert sich hingegen regelmäßig an der absoluten Verjährungsfrist des § 78c Abs. 3 Satz 2 StGB, die regelmäßig das Doppelte der einfachen Verjährungsfrist beträgt. Innerhalb dieses Zeitrahmens ist der Fortbestand des Ausweisungsinteresses anhand generalpräventiver Erwägungen zu ermitteln. Bei abgeurteilten Straftaten bilden die Tilgungsfristen des § 46 BZRG zudem eine absolute Obergrenze, weil nach deren Ablauf die Tat und die Verurteilung dem Betroffenen im Rechtsverkehr nach § 51 BZRG nicht mehr vorgehalten werden dürfen (BVerwG, U.v. 12.7.2018 – 1 C 16/17 – juris Rn. 22 ff. m.w.N.).
(2) Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist das generalpräventiv auf die Urkundenfälschung des Klägers gestützte Ausweisungsinteresse noch aktuell.
Urkundenfälschung wird nach § 267 Abs. 1 StGB mit Freiheitsstrafen von bis zu fünf Jahren bestraft. Nach § 78 Abs. 3 Nr. 4, Abs. 4 StGB beträgt die Verjährungsfrist daher fünf Jahre, wobei die Verjährung am Tag der Tatbeendigung beginnt, § 78a Satz 1 StGB. In Bezug auf die Urkundenfälschung beginnt die Verjährung daher am 28. Januar 2017 und endet am 27. Januar 2022. Ob sich die Verjährung wegen etwaiger Unterbrechungen (vgl. § 78c Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 StGB) bis zum 1. Februar 2022 verlängert, kann mangels Entscheidungserheblichkeit offen bleiben. Zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt ist jedenfalls noch keine Verjährung eingetreten und damit noch nicht einmal die Untergrenze eines etwaigen Bedeutungsverlustes erreicht. Erst recht liegt die Obergrenze von zehn Jahren in weiter Ferne. Nach § 78c Abs. 3 Satz 2 StGB beträgt die absolute Verjährungsfrist zehn Jahre, hier (frühestens) der 27. Januar 2027. Die Straftat des Kläger ist auch noch nicht aus dem Bundeszentralregister getilgt bzw. zu tilgen nach § 51 Abs. 1 BZRG. Die zehnjährige Tilgungsfrist nach § 46 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a BZRG ist offensichtlich noch nicht abgelaufen. Nachdem die Straftat vom 28. Januar 2017 noch nicht einmal zwei Jahre her ist, wurde noch nicht einmal die untere Grenze erreicht, ab der der Fortbestand des Ausweisungsinteresses anhand generalpräventiver Erwägungen zu ermitteln wäre. Ein aktueller Ausweisungsanlass besteht daher noch.
(3) Die Ausweisung des Klägers ist auch geeignet, andere Ausländer von der Begehung vergleichbarer Straftaten, namentlich von Urkundenfälschungen durch Vorlage gefälschter behördlicher Schriftstücke, abzuhalten.
Die Ausweisung führt zum Verlust etwaiger Aufenthaltstitel (§ 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG), hindert in der Regel die Erteilung eines Aufenthaltstitels insbesondere auch für abgelehnte Asylbewerber (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG), beendet damit den erlaubten Aufenthalt in der Bundesrepublik und begründet demnach eine Ausreisepflicht des Ausländers. Des Weiteren wird bei einer fehlenden freiwilligen Ausreise besonders die Abschiebung von ausgewiesenen Straftätern forciert und fällt eine bestandskräftige Ausweisung bei etwaigen behördlichen Ermessensentscheidungen, beispielsweise bei der Prüfung einer Beschäftigungserlaubnis im Rahmen einer Duldung, regelmäßig als erheblicher, negativer Gesichtspunkt ins Gewicht. In Anbetracht dieser erheblichen Konsequenzen, die weit über eine strafrechtliche Verurteilung hinausgehen, erscheint eine drohende Ausweisung als geeignet, andere Ausländer von der Begehung von Urkundenfälschungen abzuhalten. Darüber hinaus entspricht die Ausweisung des Klägers der allgemeinen Verwaltungspraxis des Beklagten. Die Vertreter des Beklagten haben in der mündlichen Verhandlung glaubhaft vorgetragen, regelmäßig auch schon bei strafrechtlichen Verurteilungen zu Geldstrafen Ausländer aus generalpräventiven Gründen auszuweisen. Durch diese gleichförmige Verwaltungspraxis wird die Abschreckung anderer Ausländer in Anbetracht der Konsequenzen straffälligen Verhaltens verstärkt.
Demgegenüber überzeugt der Vortrag des Klägers, nach der Lebenserfahrung sei nicht damit zu rechnen, dass andere Asylsuchende von einer unerlaubten Einreise Abstand nähmen, wenn sie sich mit der unerlaubten Einreise vor Verfolgung und unmenschlicher Behandlung bewahren könnten, nicht. Zum einen steht der Effektivität von strafrechtlichen und ausländerrechtlichen Maßnahmen nicht entgegen, dass es trotz strafbewehrter Verbotsnormen und generalpräventiver aufenthaltsrechtlichen Maßnahmen gleichwohl zu Verstößen gegen das Straf- und Ausländerrecht kommt. Es genügt vielmehr, dass die entsprechenden Regelungen zumindest gegenüber einer nicht unerheblichen Anzahl von Personen eine abschreckende Wirkung entfalten; dass die entsprechenden Maßnahmen (hier: Ausweisung) alle Personen von der Begehung weiterer strafrechtlicher oder aufenthaltsrechtlicher Verstöße abhalten, kann freilich nicht erwartet werden. Zum anderen trifft es nicht zu, dass die Mehrzahl der Ausländer unmittelbar vorverfolgt in die Bundesrepublik einreisen und daher wegen der unmittelbaren Vorverfolgung etwaige straf- und ausländerrechtliche Maßnahmen in der Bundesrepublik -gleichsam als „kleineres Übel“ – in Kauf nehmen (müssen). Dagegen spricht schon die große Anzahl bestandskräftig abgelehnter und damit nicht verfolgter ehemaliger Asylbewerber sowie die Tatsache, dass die meisten Ausländer auf dem Landweg einreisen und ihnen in den Nachbarländern der Bundesrepublik keine Verfolgung droht. Im Hinblick auf diese beiden Personengruppen scheint eine Ausweisung (und damit insbesondere auch der regelmäßige Ausschluss einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG) geeignet, diese von der Begehung von Urkundenfälschungen im Zusammenhang mit der Einreise abzuhalten. Denn maßgeblich ist insofern, dass der Kläger nicht nur unerlaubt in die Bundesrepublik eingereist ist, sondern in diesem Zusammenhang auch eine Urkundenfälschung begangen und drei gefälschte italienische Dokumente in seinem Besitz hatte bzw. vorzeigte. Sein Vergehen ist daher als deutlich schwerwiegender zu beurteilen als allein die unerlaubte Einreise und der unerlaubte Aufenthalt.
4. Die Ausweisung ist unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalls nach § 53 Abs. 1 AufenthG gerechtfertigt, weil das öffentliche Ausweisungsinteresse nach § 54 AufenthG das Bleibeinteresse des Klägers nach § 55 AufenthG überwiegt.
a) Das Ausweisungsinteresse wiegt nach § 53 Abs. 1 i.V.m. § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG schwer, weil der Kläger einen zwar vereinzelten, aber nicht nur geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften begangen hat.
Dabei ist § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG so zu verstehen, dass ein Rechtsverstoß nur dann unbeachtlich ist, wenn er vereinzelt und geringfügig ist, er hingegen immer beachtlich ist, wenn er vereinzelt, aber nicht geringfügig, oder geringfügig, aber nicht vereinzelt ist. Eine vorsätzlich begangene Straftat ist grundsätzlich kein geringfügiger Verstoß gegen eine Rechtsvorschrift. Unter engen Voraussetzungen kann es auch bei vorsätzlich begangenen Straftaten Ausnahmefälle geben, in denen der Rechtsverstoß des Ausländers als geringfügig zu bewerten ist, was etwa dann in Betracht kommen kann, wenn ein strafrechtliches Verfahren wegen Geringfügigkeit eingestellt worden ist (BVerwG, U.v. 24.9.1996 – 1 C 9/94 – juris Rn. 20 f. zu § 46 Nr. 2 AuslG 1990; BayVGH, B.v. 19.09.2017 – 10 C 17.1434 – juris Rn. 6). Im vorliegenden Fall wurde der Kläger wegen Urkundenfälschung in zwei tateinheitlichen Fällen zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen verurteilt. Diese Verurteilung ist schon deshalb nicht geringfügig, weil es sich um eine vorsätzlich begangene Tat handelte. Von einer Verurteilung wurde auch nicht wegen Geringfügigkeit abgesehen. Zudem verwirklichte der Kläger die Urkundenfälschung in Form des Gebrauchens als besonders schwerwiegende Variante der Urkundenfälschung und in gleich zwei tateinheitlichen Fällen. Bei den unechten Urkunden handelte es sich darüber hinaus um Fälschungen behördlicher Dokumente eines EU-Mitgliedstaates. Der Gebrauch gefälschter behördlicher Dokumente wie eines unechten Aufenthaltstitels stellt auch im Vergleich zu anderen Urkundenfälschungen keine nur geringfügige Tat dar. Der Kläger hat somit ein typisiertes, schwerwiegendes Ausweisungsinteresse verwirklicht, aus dem eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung abgeleitet werden kann.
Zwar können die in § 54 Abs. 1 und Abs. 2 AufenthG typisierten Interessen im Einzelfall bei Vorliegen besonderer Umstände auch weniger oder mehr Gewicht entfalten, doch liegen hierfür unter umfassender Würdigung des Einzelfalles keine Anhaltspunkte vor. Tat, Täter und Nachtatverhalten weichen von vergleichbaren Delikten nicht derart ab, dass hier die Annahme eines atypischen Falles in Betracht käme. Gegenteiliges wurde weder geltend gemacht noch ist dies ersichtlich.
b) Demgegenüber liegt kein besonders schweres oder schweres Bleibeinteresse nach § 55 Abs. 1 und Abs. 2 AufenthG vor.
Weder ist der volljährige Kläger im Besitz eines Aufenthaltstitels noch ist er als subsidiär Schutzberechtigter anerkannt noch verfügt er in der Bundesrepublik über familiäre Anknüpfungspunkte. Sonstige, ungeschriebene besonders schwere oder schwere Bleibeinteressen sind ebenfalls nicht ersichtlich, insbesondere handelt es sich beim Kläger nicht um einen faktischen Inländer. Wesentliche Bindungen des Klägers in die Bundesrepublik sind nicht ersichtlich.
c) In der nach § 53 Abs. 1 und Abs. 2 AufenthG gebotenen Gesamtabwägung von Ausweisungs- und Bleibeinteresse unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles wie insbesondere der Dauer des Aufenthalts, der persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat sowie der Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner überwiegt vorliegend das öffentliche Ausweisungsinteresse das private Bleibeinteresse des Klägers deutlich.
(1) Der Kläger verfügt in der Bundesrepublik über keine persönlichen, wirtschaftlichen oder sonstigen Bindungen.
Insbesondere ist der Kläger ledig und kinderlos, so dass keine nach Art. 6 GG besonders geschützte Ehe und Familie besteht. Folgen für Familienangehörige und Lebenspartner fallen für den alleinstehenden Kläger nicht ins Gewicht. Auch gab er in der mündlichen Verhandlung an, weder Verwandte noch Freunde in der Bundesrepublik zu haben und hier bisher auch nicht erwerbstätig gewesen zu sein. Sonstige Bindungen in die Bundesrepublik sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Der Aufenthalt des Klägers in der Bundesrepublik von nicht einmal zwei Jahren ist im Vergleich zum Alter des Klägers nur von kurzer Dauer und konnte nicht zu einer Verwurzelung des Klägers in den hiesigen Lebensverhältnissen führen. Darüber hinaus hat sich der Kläger bisher nie erlaubt, sondern lediglich gestattet in der Bundesrepublik aufgehalten, so dass kein Vertrauen in den weiteren Verbleib hier in Deutschland entstehen konnte.
(2) Demgegenüber hat der Kläger die längste Zeit seines Lebens in Nigeria gelebt, wo er geboren und aufgewachsen ist. In Nigeria lebt darüber hinaus nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung noch ein Onkel; nach seinen Angaben bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt am 24. März 2017 leben sogar noch viele Tanten und Onkel über ganz Nigeria verteilt. Auch wenn der Kläger zu seinem Onkel und etwaigen weiteren Verwandten derzeit keinen Kontakt hat, verfügt er gleichwohl über einen oder mehrere familiäre Anknüpfungspunkte in Nigeria und kann im Falle einer Rückkehr wieder in Kontakt zu seinem bzw. seinen Angehörigen treten. In Nigeria war der Kläger zudem – anders als in der Bundesrepublik – nach einem Studium durch eine Erwerbstätigkeit bei … wirtschaftlich integriert.
(3) Unter Berücksichtigung auch des rechtsuntreuen und straffälligen Verhaltens des Klägers überwiegt in der gebotenen Gesamtabwägung daher das öffentliche Ausweisungsinteresse das private Bleibeinteresse des Klägers deutlich.
4. Die Ausweisung erweist sich im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung auch unter Berücksichtigung von Art. 8 Abs. 1 und Abs. 2 EMRK als verhältnismäßig.
Die bei Vorliegen einer tatbestandsmäßigen Gefährdungslage nach § 53 Abs. 1 AufenthG unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise des Klägers mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Klägers im Bundesgebiet ergibt, dass die Ausweisung auch verhältnismäßig ist. Bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit sind insbesondere die Anzahl, Art und Schwere der vom Ausländer begangenen Straftaten, das Alter des Ausländers bei Begehung dieser Taten, die Dauer des Aufenthalts in dem Land, das der Ausländer verlassen soll, die seit Begehen der Straftaten vergangene Zeit und das seitdem gezeigte Verhalten des Ausländers, die Staatsangehörigkeit aller Beteiligten, die familiäre Situation und gegebenenfalls die Dauer einer Ehe sowie andere Umstände, die auf ein tatsächliches Familienleben eines Paares hinweisen, Kinder des Ausländers und deren Alter, das Interesse und das Wohl der Kinder, insbesondere auch die Schwierigkeiten, auf die sie wahrscheinlich in dem Land treffen, in das der Betroffene ggfs. abgeschoben werden soll, die Intensität der sozialen, kulturellen und familiären Bindungen zum Gastland einerseits und zum Herkunftsland andererseits als Kriterien heranzuziehen (EGMR, U.v. 25.3.2010 – Mutlag/Deutschland, Nr. 40601/05 – InfAuslR 2010, 325; EGMR, U.v. 13.10.2011 – Trabelsi/Deutschland, Nr. 41548/06 – juris Rn. 55).
Die deshalb vorzunehmende Abwägung aller Umstände des Einzelfalles führt hier zu dem Ergebnis, dass der Eingriff in das Recht auf Achtung des Privatlebens gerechtfertigt im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK und als verhältnismäßig anzusehen ist. Sie ist geeignet, die vom Kläger ausgehende gegenwärtige Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu mindern, da sie den weiteren Aufenthalt des Klägers in der Bundesrepublik Deutschland beendet und damit generalpräventiv andere Ausländer von der Begehung gleichartiger Taten abhält (vgl. oben). Sie ist erforderlich, da ausländerrechtlich nur durch eine Aufenthaltsbeendigung der genannten Gefahrenlage wirksam begegnet werden kann. Sie ist auch verhältnismäßig im engeren Sinn, denn dem Kläger ist unter Würdigung seiner Bindungen im Inland und im Herkunftsland letztlich eine Rückkehr nach Nigeria zumutbar, wo er – anders als in der Bundesrepublik – verwurzelt ist. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird insoweit auf die obige Abwägung verwiesen (vgl. oben zur Gesamtabwägung). Ob dem Kläger in Nigeria Verfolgung oder Gefahren i.S.d. §§ 3 ff., 4 ff. AsylG drohen, bleibt der Prüfung im Asylverfahren vorbehalten (vgl. oben).
II.
Die in Ziffer 2 des angefochtenen Bescheids verfügte Befristung der Wirkungen der Ausweisung und Abschiebung auf ein Jahr, gerechnet ab dem Zeitpunkt der Abschiebung bzw. der nachgewiesenen Ausreise, ist ebenfalls rechtmäßig.
Die Befristungsdauer steht nach der Neufassung des § 11 Abs. 3 AufenthG im Ermessen der Ausländerbehörde (vgl. BVerwG, U.v. 22.2.2017 – 1 C 3.16 – Rn. 65 f. mit Verweis auf BR-Drs. 642/14 S. 39), so dass diese Ermessensentscheidung keiner uneingeschränkten gerichtlichen Überprüfung unterliegt, sondern – soweit wie hier keine Ermessensreduzierung auf Null vorliegt – eine zu lange Frist lediglich aufgehoben und die Ausländerbehörde zu einer neuen Ermessensentscheidung verpflichtet werden kann (vgl. BayVGH, U.v. 25.8.2015 – 10 B 13.715 – Rn. 54 ff.).
Bei der Bemessung der Frist sind in einem ersten Schritt das Gewicht des Ausweisungsgrundes und der mit der Ausweisung verfolgte Zweck zu berücksichtigen. Es bedarf der prognostischen Einschätzung im jeweiligen Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das der zu spezialpräventiven Zwecken verfügten Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag (vgl. BVerwG, U.v. 10.7.2012 – 1 C 19.11 – BVerwGE 143, 277/298 Rn. 42; BVerwG, U.v. 22.2.2017 – 1 C 3.16 – Rn. 65 f.). Die Dauer der Frist darf nach § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG fünf Jahre nur überschreiten, wenn der Ausländer aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht (vgl. BVerwG, U.v. 10.7.2012 – 1 C 19.11 – BVerwGE 143, 277/298 Rn. 42). Selbst wenn die Voraussetzungen für ein Überschreiten der zeitlichen Grenze von fünf Jahren gemäß § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG vorliegen, ist davon auszugehen, dass in der Regel ein Zeitraum von max. zehn Jahren den Zeithorizont darstellt, für den eine Prognose realistischer Weise noch gestellt werden kann, so dass sie nach § 11 Abs. 3 Satz 3 AufenthG zehn Jahre nicht überschreiten soll. Weiter in die Zukunft lässt sich die Persönlichkeitsentwicklung kaum abschätzen, ohne spekulativ zu werden. Die auf diese Weise ermittelte Frist muss sich aber an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG) sowie den Vorgaben aus Art. 7 GRCh und Art. 8 EMRK messen lassen und ist daher ggf. in einem zweiten Schritt zu relativieren (vgl. BVerwG, U.v. 10.7.2012 – 1 C 19.11 – BVerwGE 143, 277/298 Rn. 42; BVerwG, U.v. 22.2.2017 – 1 C 3.16 – Rn. 66). Dieses normative Korrektiv bietet der Ausländerbehörde und dem Verwaltungsgericht ein rechtsstaatliches Mittel, um die fortwirkenden einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen sowie ggf. seiner engeren Familienangehörigen zu begrenzen. Dabei sind insbesondere die in § 53 Abs. 2 AufenthG n.F. genannten schutzwürdigen Belange des Ausländers in den Blick zu nehmen.
Nach diesen Maßstäben und nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung ist die mit dem angefochtenen Bescheid des Beklagten festgesetzte Frist nicht zu lang und daher rechtmäßig. Der Beklagte konnte seine Ermessensentscheidung aufrechterhalten; durchgreifende Ermessensfehler sind weder ersichtlich noch vom Kläger geltend gemacht.
Der Beklagte stützt die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 AufenthG darauf, dass der Kläger in der Bundesrepublik über keine besonders schützenswerten familiären oder persönlichen Bindungen verfügt, andererseits seine Verurteilung auch nicht von solcher Schwere sei, die eine Einreisesperre von über einem Jahr rechtfertigen würde. Hiergegen ist nichts zu erinnern.
III.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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