Europarecht

Berufung, Marke, Schadensersatzanspruch, Annahmeverzug, Fahrzeug, Bescheid, PKW, Rechtsmittel, Widerspruch, Leistung, Berufungsverfahren, Hinweisbeschluss, Rechtsverfolgung, Grenzwerte, Zug um Zug, Fortbildung des Rechts, Aussicht auf Erfolg

Aktenzeichen  5 U 6845/20

Datum:
28.6.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 18804
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

82 O 634/20 2020-10-29 Urt LGINGOLSTADT LG Ingolstadt

Tenor

1. Der Antrag des Klägers auf Aussetzung des Verfahrens gemäß § 148 ZPO wird zurückgewiesen.
2. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 29.10.2020, Aktenzeichen 82 O 634/20, wird zurückgewiesen.
3. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Ingolstadt ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung abwenden durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrags, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags leistet.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 60.241,03 € festgesetzt.

Gründe

I.
Der Kläger macht gegen die Beklagte Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit dem Kauf eines Diesel-Pkws geltend. Er erwarb am 05.02.2016 beim einen Neuwagen Q7 3.0 TDI (Euro 6), Typ 4MB0E1, 200 kW, Motorkennbuchstaben CRTC zu einem Kaufpreis in Höhe von EUR 74.110,65. Die Motorsteuerungssoftware des Fahrzeugs weist ein sog. Thermofenster auf. Außerdem kommt ein SCR-Katalysator zum Einsatz, der mit AdBlue betrieben wird. Die Beklagte ist die Herstellerin des Wagens und des Motors. Für das Fahrzeug existiert ein verpflichtender Rückruf des KBA, worüber der Kläger mit Schreiben des KBA vom 10.12.2020 informiert wurde. In diesem Zusammenhang wurde er auch aufgefordert, sich zur Durchführung der Rückrufaktion in eine autorisierte Vertragswerkstätte des Herstellers zu begeben. Dem kam der Kläger nicht nach. Er erhielt daraufhin einen Bescheid der Kreisverwaltung Heinsberg mit u.a. folgendem Wortlaut:
„(..) Durch eine Konformitätsabweichung von den Vorschriften des Anhangs XVI, Abschnitt 4 der Verordnung (EG) Nr. 692/2008 zur Verordnung (EG) Nr. 715/2007 ist eine Überschreitung der geltenden Grenzwerte für den Ausstoß von Stickoxiden in bestimmten Situationen möglich. Die Erkennung eines fehlerhaften Reagens in den betroffenen Fahrzeugen ist nicht wie vorgesehen ausgeführt. Für den Fall, dass missbräuchlich wirkungsloses Reagens in den Reagensbehälter eingefüllt wird, führt dies zu höheren Stickoxidemissionen, ohne dass dem Fahrzeugnutzer dies wie vorgeschrieben angezeigt wird und ohne dass das vorgeschriebene Warn- und Aufforderungssystem den Betrieb des Fahrzeugs gemäß Anhang XVI der Verordnung (EG) Nr. 692/2008 unterbindet. (Rückruf des Herstellers, Code 23X6).
Ich gebe Ihnen hiermit Gelegenheit, den Nachweis der Mängelbeseitigung innerhalb von vierzehn Tagen bei mir zu erbringen. Sollen Sie diese Frist ungenutzt verstreichen lassen, komme ich nicht umhin, ordnungsbehördliche Maßnahmen zur Untersagung des Betriebes Ihres Fahrzeuges einzuleiten…(..)“.
Ergänzend wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen.
Der Kläger begehrt in der Hauptsache Schadensersatz in Höhe des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Übereignung und Übergabe des streitgegenständlichen PKW. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein erstinstanzliches Klageziel weiter.
Der Kläger beantragt,
1.Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerpartei EUR 74.110,65 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 29.11.2019 abzüglich einer Nutzungsentschädigung in Höhe von EUR 13.869,62 Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeuges der Marke Audi Q7 3.0 TDI quattro mit der Fahrgestellnummer zu zahlen.
2.Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte seit dem 29.11.2019 mit der Rücknahme des im Klageantrag zu 1 bezeichneten Gegenstands in Annahmeverzug befindet.
3.Die Beklagte wird verurteilt, die Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von EUR 3.196,34 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 29.11.2019 zu zahlen.
Hilfsweise,
das erstinstanzliche Urteil des Landgerichts Ingolstadt 82 O 634/20, verkündet am 29.10.2020, aufzuheben und zur erneuten Verhandlung zurückzuverweisen,
hilfsweise,
die Revision zuzulassen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Ergänzung wird auf die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze der Parteien sowie auf den Hinweisbeschluss des Senats vom 31.05.2022 Bezug genommen.
II.
Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 29.10.2020, Aktenzeichen 82 O 634/20, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
Zur Begründung wird auf den vorausgegangenen Hinweis des Senats Bezug genommen.
Auch die Ausführungen in der Gegenerklärung geben zu einer Änderung keinen Anlass.
Im Einzelnen gilt Folgendes:
1. Die klägerische Behauptung, das streitgegenständliche Fahrzeug unterfalle einem verpflichtenden Rückruf des KBA, „da in dessen Motor vier unterschiedliche Strategien entdeckt worden seien, die ausschließlich dem Zweck dienten, die NoxGrenzwerte von 80 mg/km auf dem Prüfstand sicher einzuhalten und darüber hinaus eine ordnungsgemäß funktionierende Abgasnachbehandlung im normalen Straßenbetrieb zu unterbinden“ ist unzutreffend. Dies lässt sich zum einen dem vom Kläger vorgelegten Rückrufbescheid des KBA vom 10.12.2020 (Anlage BB1) nicht entnehmen und darüberhinaus auch nicht der vom Senat als offenkundig bewerteten Rückrufdatenbank des KBA (vgl. Hinweisbeschluss Ziffer 1 c).cc)). Selbst wenn die Typenbezeichnung für das streitgegenständliche Fahrzeug „4L“ ist, was der Kläger erstmals in seiner Gegenerklärung vorträgt, und was im Widerspruch zu den unstreitigen Feststellungen des Landgerichts steht („Typ 4MB0E1“), existiert für den streitgegenständlichen PKW ausweislich der Datenbank des KBA (vgl. Ziffer 1c.cc) des Hinweisbeschlusses) kein verpflichtender Rückruf aufgrund Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung, weil diese lediglich für PKW Q7 EU6 Typbezeichnung „4L“ mit einer Leistung von 176 kW oder 180 kW gelten. Der klägerische Motor weist dagegen eine Leistung von 200kW auf. Zum anderen ist unstreitig, dass der streitgegenständliche PKW einem verpflichtenden Rückruf mit der entsprechenden Folge einer möglichen Stilllegung, falls der Fahrzeughalte diesem nicht nachkommt, unterliegt. Dies ist aber gerade kein Indiz für den Verbau unzulässiger Abschalteinrichtungen, auf deren Behauptung der Kläger seine Klage stützt. Auf die entsprechenden Ausführungen im Hinweisbeschluss vom 31.05.2022 Ziffer 1c) aa) wird zur Vermeidung von Wiederholungen ausdrücklich Bezug genommen. Eine Auseinandersetzung mit diesen Ausführungen lässt die Gegenerklärung vermissen. Allgemeine Überlegungen zur Rechtsnatur und Konsequenzen von „Konformitätsabweichungen“ sind unbehelflich, da sich der Rückrufgrund auch aus dem vom Kläger für sein Fahrzeug ergangenen Bescheid der Stadt Heinsberg vom 04.05.2021 (Anlage BB2) eindeutig ergibt und der Rückruf nicht auf den Verbau unzulässiger Abschalteinrichtungen sondern auf die „Erkennung eines fehlerhaften Reagens.. für den Fall, dass missbräuchlich fehlerhaftes Reagens in den Reagensbehälter eingefüllt wird“ gestützt wird.
Soweit der Kläger sich erneut auf die Überschreitung der Emissionsmesswerte im realen Fahrbetrieb bezieht, wird auf die Ausführungen unter Ziffer 1c) dd) des Hinweisbeschlusses vom 31.05.2022 verwiesen.
2. Ein Schadensersatzanspruch des Klägers aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV bzw. des Art. 5 Abs. 1 und 2 VO 715/2007 besteht nicht. Es kann dahinstehen, ob es sich bei den genannten europarechtlichen Vorschriften um drittschützende Normen handelt, was der BGH in gefestigter Rechtsprechung verneint (vgl. u.a. BGH, Urteil vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19 – Rn. 72 ff, juris; kürzlich BGH, Beschluss vom 10. 02.2022 – III ZR 87/21 – Rn. 8ff, juris; BGH, Beschluss vom 04.05.2022 – VII ZR 656/21 – Rn. 3, juris). Soweit sich der Kläger demgegenüber auf das Votum des Generalanwalts Rantos in seinen Schlussanträgen vom 02.06.2022 in der Rechtssache EuGH C 100/21 bezieht, wonach die bezeichneten Normen auch die Interessen eines individuellen Erwerbers eines Kraftfahrzeugs schützen, insbesondere das Interesse, kein Fahrzeug zu erwerben, das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist (Rn. 50), kommt diesem Votum keine Außenwirkung zu. Der EuGH ist an dieses Votum nicht gebunden, und es ändert auch unmittelbar nichts an der bestehenden Rechtsprechung des BGH, an der sich der Senat orientiert. Das KBA hat in einer Reihe von amtlichen Auskünften (vgl. Anlagen BE1-BE4) für den streitgegenständlichen Motortyp mitgeteilt, dass unzulässige Abschalteinrichtungen auch nach umfangreichen Untersuchungen nicht festgestellt worden seien. Gerade vor diesem Hintergrund ist ein fahrlässiges Handeln der Verantwortlichen der Beklagten in Bezug auf die Einhaltung der bezeichneten europarechtlichen Vorschriften im Zeitpunkt der Beantragung und Erlangung der Typengehmigung nicht ersichtlich.
Darüberhinaus ist die Frage des Drittschutzes getrennt von der Frage zu beurteilen, ob im Fall eines gegebenen Drittschutzes und des Verbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung dem Käufer (auch) ein gegen den Hersteller gerichteter Anspruch auf (Rück-)Abwicklung eines mit einem Dritten geschlossenen Kaufvertrags zustehen sollte (vgl. BGH, Beschluss vom 04.05.20211, a.a.O., Rn.4). Dies deckt sich mit der in den Schlussanträgen des Generalanwalts Rantos formulierten Rechtsauffassung, wonach in diesem Fall im Rahmen des nationalen Haftungsrechts zu entscheiden sei, wie ein ggfs. entstandener Schaden zu ersetzen sei und die Regeln hierfür zu bestimmen (Rn. 61). Allein entscheidend sei, dass der Ersatz angemessen sei. Daraus folgt gerade nicht, dass dem Kläger der geltend gemachte Anspruch auf Rückabwicklung des mit einem dritten Autohaus geschlossenen Kaufvertrags auch im Fall des zu bejahenden Drittschutzes der die EG-Typengenehmigung und Übereinstimmungsbescheinigung betreffenden Normen zusteht.
Zudem stellt das deutsche Recht sicher, dass notwendige technische Anpassungen des Fahrzeugs an die gebotenen (europa-)rechtlichen Standards auch über verwaltungsrechtliche Maßnahmen (z.B. im Form von verbindlich angeordneten Nachrüstungen und Änderungen) erfolgen können, die auf Kosten der Hersteller durchgeführt werden. Damit ist gewährleistet, dass der jeweils aktuelle Eigentümer des Fahrzeugs wegen dieser Maßnahmen keine spürbare wirtschaftliche Belastung erfährt, anderseits den Zielen des europäischen Rechts insgesamt genügt ist.
Der beantragten Aussetzung des Verfahrens gemäß § 148 ZPO war daher nicht nachzukommen.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils erfolgte gemäß §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der §§ 47, 48 GKG bestimmt.


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