Europarecht

Berufung, Sittenwidrigkeit, Fahrzeug, Feststellung, Software, Kenntnis, Ablehnung, Haftung, Beweislast, Revision, Zeitpunkt, betrug, Laufleistung, Berufungsverfahren, Darlegungs und Beweislast, erste Instanz, kein Anspruch

Aktenzeichen  21 U 560/20

Datum:
20.6.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 18973
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

71 O 2613/18 2019-12-17 Urt LGINGOLSTADT LG Ingolstadt

Tenor

1. Auf die Berufungen der Klägerin und der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 17.12.2019, Az. 71 O 2613/18, teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1.1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei einen Betrag in Höhe von 20.729,89 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 26.958,97 € vom 01.02.2019 bis 11.11.2019 und aus 23.431,53 € vom 12.11.2019 bis 15.05.2022 sowie aus 20.729,89 € seit dem 16.05.2022 Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs mit der Fahrgestellnummer …777 zu zahlen.
1.2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
1.3. Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz haben die Klagepartei 61% und die Beklagte 39% zu tragen.
2. Die weitergehenden Berufungen der Parteien werden zurückgewiesen.
3. Von den Kosten des Berufungsverfahrens haben die Klagepartei 65% und die Beklagte 35% zu tragen.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch die Klagepartei gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Klagepartei vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

I.
Gegenstand des Rechtsstreits sind Ansprüche, die die Klagepartei gegen die Beklagte wegen des Erwerbs eines Diesel-Pkws geltend macht.
Die vorsteuerabzugsberechtigte Klagepartei erwarb am 28.09.2011 zu einem Preis von 51.625,70 € brutto (43.387,03 € netto, Anlage K 1) von einem Dritten einen neuen Audi Q5 2.0 TDI quattro, 125 kw (170 PS). Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor EA189 ausgestattet. Für den Fahrzeugtyp wurde die Typgenehmigung nach der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 mit der Schadstoffklasse Euro 5 erteilt. Die Beklagte ist die Herstellerin des Pkws. Der Kilometerstand zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung erster Instanz am 12.11.2019 betrug 119.302 km und zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 16.05.2022 156.663 km.
Zur Abgasreinigung wird im streitgegenständlichen Fahrzeug die Abgasrückführung eingesetzt. Das Fahrzeug ist betroffen von einem Rückruf des Kraftfahrtbundesamtes. Die im Zusammenhang mit dem Motor verwendete Software erkennt, ob das Fahrzeug auf einem Prüfstand dem Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) unterzogen wird und schaltet in diesem Fall in den Abgasrückführungsmodus 1, einen Stickoxid (NOx)-optimierten Modus. In diesem Modus findet eine Abgasrückführung mit niedrigem Stickoxidausstoß statt. Im normalen Fahrbetrieb außerhalb des Prüfstands schaltet der Motor dagegen in den Abgasrückführungsmodus 0, bei dem die Abgasrückführungsrate geringer und der Stickoxidausstoß höher ist. Für die Erteilung der Typgenehmigung der Emissionsklasse Euro 5 maßgeblich war der Stickoxidausstoß auf dem Prüfstand. Die Stickoxidgrenzwerte der Euro 5-Norm wurden nur im Abgasrückführungsmodus 1 eingehalten.
Die Klagepartei ließ das vom Kraftfahrtbundesamt freigegebene und zur weiteren Nutzbarkeit des Fahrzeugs erforderliche Softwareupdate am 09.03.2017 aufspielen.
Mit Klage vom 28.12.2018, bei Gericht eingegangen am selben Tag und der Beklagten zugestellt am 31.01.2019, forderte die Klagepartei zuletzt die Erstattung des vollständigen Kaufpreises – die Nutzungsentschädigung bezifferte sie mit 0 – nebst Delikts- bzw. Rechtshängigkeitszinsen Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs, die Feststellung von Annahmeverzug der Beklagten mit der Rücknahme des Fahrzeugs und die Verurteilung zur Zahlung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten.
Ergänzend wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen, § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO.
Das Landgericht hat die Klage mit Urteil vom 17.12.2019 teilweise zugesprochen, nämlich verurteilt zur Zahlung in Höhe von 26.133,17 € nebst Rechtshängigkeitszinsen Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs. Die Beklagte hafte nach § 826 BGB. Der Ersatzanspruch errechne sich aus dem Nettokaufpreis abzüglich Nutzungsentschädigung.
Hiergegen richten sich die von beiden Parteien eingelegten Berufungen.
Die Beklagte beantragt (Schriftsatz vom 24.02.2020, Bl. 311 ff. d.A.),
das am 17.12.2019 verkündete Urteil des Landgerichts Ingolstadt, AZ: 71 O 2613/18 im Umfang der Beschwer der Beklagten abzuändern und die Klage vollumfänglich abzuweisen.
Die Klagepartei beantragt zuletzt nach teilweiser Klagerücknahme in Bezug auf deliktische Zinsen (Schriftsatz vom 16.11.2020, Bl. 381 ff. d.A.),
unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Ingolstadt vom 17.12.2019, Az. 71 O 2613/19 [richtig: 2613/18], die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin weitere 17.253,86 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.02.2019 zu zahlen;
Beide Parteien beantragen
jeweils wechselseitig die Zurückweisung der Berufung.
Der Senat hat über den Rechtsstreit am 16.05.2022 mündlich verhandelt und den Geschäftsführer der Klägerin angehört. Auf das Sitzungsprotokoll wird Bezug genommen. Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird weiter Bezug genommen auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen.
II.
Die zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache teilweise Erfolg. Die Beklagte haftet allerdings nach §§ 826, 31 BGB wegen des Erwerbs des hier streitgegenständlichen Diesel-Pkws, jedoch in geringerem Umfang als erstinstanzlich tenoriert im Hinblick auf die durch die Klagepartei gezogenen Nutzungen. Die Aktivlegitimation der Klägerin war in zweiter Instanz nicht mehr im Streit.
Die zulässige Berufung der Klagepartei ist in der Hauptsache unbegründet, jedoch war die Kostenquote geringfügig zugunsten der Klägerin zu korrigieren. Es besteht keine weitergehende Haftung der Beklagten in Bezug auf die Nutzungen. Die Ablehnung der Feststellung des Annahmeverzugs und der außergerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren wurden mit der Berufung nicht angegriffen und sind daher nicht Gegenstand des Berufungsverfahren. Hinsichtlich der Deliktszinsen wurde die Klage zurückgenommen. Im Einzelnen:
1. Die Beklagte haftet gem. §§ 826, 31 BGB aufgrund eigenen deliktischen Handelns. Dabei kann zugunsten der Beklagten unterstellt werden, dass sie die – u.a. im streitgegenständlichen Fahrzeug eingesetzten – Motoren EA189 samt Motorsteuerungssoftware nicht entwickelt bzw. nicht mitentwickelt hat. Sie handelte durch die ihr zuzurechnenden Repräsentanten i.S.v. § 31 BGB sittenwidrig i.S.v. § 826 BGB, indem sie entschied, Motoren EA189 in Kenntnis der dazu programmierten Umschaltlogik als Software zur Erschleichung der Typgenehmigung in die von ihr hergestellten Fahrzeuge serienweise einzubauen, um diese anschließend in den Verkehr zu bringen. Mindestens ein Repräsentant der Beklagten im Sinne von § 31 BGB hat die objektiven und subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen des § 826 BGB verwirklicht.
Sittenwidrig ist nach der nunmehr auch speziell in Bezug auf Dieselfälle seitens des BGH gefestigten Rechtsprechung ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann. Schon zur Feststellung der objektiven Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben. Insbesondere bei mittelbaren Schädigungen kommt es ferner darauf an, dass den Schädiger das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade auch in Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht (BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az.: VI ZR 252/19, Rdnr. 14 f.).
Ein Automobilhersteller handelt gegenüber dem Fahrzeugkäufer sittenwidrig, wenn er entsprechend seiner grundlegenden strategischen Entscheidung im eigenen Kosten- und Gewinninteresse unter bewusster Ausnutzung der Arglosigkeit der Erwerber, die die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben und die ordnungsgemäße Durchführung des Typgenehmigungsverfahrens als selbstverständlich voraussetzen, Fahrzeuge mit einer Motorsteuerung in Verkehr bringt, deren Software bewusst und gewollt so programmiert ist, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte nur auf dem Prüfstand beachtet, im normalen Fahrbetrieb hingegen überschritten werden, und damit unmittelbar auf die arglistige Täuschung der Typgenehmigungsbehörde abzielt. Ein solches Verhalten steht einer unmittelbaren arglistigen Täuschung der Fahrzeugerwerber in der Bewertung gleich (BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az.: VI ZR 252/19, Rdnr. 16 ff.).
Bereits die objektive Sittenwidrigkeit des Herstellens und des Inverkehrbringens von Kraftfahrzeugen mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Verhältnis zum Fahrzeugerwerber setzt voraus, dass es in Kenntnis der Abschalteinrichtung und im Bewusstsein ihrer – billigend in Kauf genommenen – Unrechtmäßigkeit geschieht (vgl. BGH, Urteil vom 08.03.2021, Az.: VI ZR 505/19, Rdnr. 21, Beschluss vom 19.01.2021, Az.: VI ZR 433/19, Rdnr. 19, vom 09.03.2021, Az.: VI ZR 889/20, Rdnr. 28).
a) Ein derartiges Vorstellungsbild steht zur Überzeugung des Senats fest im Hinblick auf Personen, für deren Verhalten die Beklagte einzustehen hat. Der Senat ist überzeugt i.S.v. § 286 Abs. 1 S. 1 ZPO, dass wenigstens ein Repräsentant der Beklagten i.S.v. § 31 BGB von der – evident unzulässigen – Umschaltlogik gewusst hat bei der Entscheidung über den Einsatz von Motoren EA189 in Fahrzeugen der Beklagten.
Soweit die Beklagte einwendet, eine Überzeugungsbildung i.S.v. § 286 ZPO verstoße gegen BGH, Urteil vom 26.04.1989, Az.: IVb ZR 52/88, ist festzuhalten, dass sich der BGH in seiner Urteilsserie vom 25.11.2021 u.a. explizit mit der Prüfung der Feststellungen auf der Grundlage einer Überzeugungsbildung nach § 286 ZPO in den Ausgangsentscheidungen befasst und seine Beurteilung ausführlich begründet hat (Az.: VII ZR 238/20, Rdnr. 29 ff., VII ZR 243/20, Rdnr. 28 ff., VII ZR 257/20, Rdnr. 30 ff. und VII ZR 38/21, Rdnr. 28 ff.; deutlich dazu: BGH, Beschluss vom 12.01.2022, Az.: VII ZR 256/20, Rdnr. 18, und vom 09.02.2022, Az.: VII ZR 255/20, Rdnr. 18, sowie Az.: VII ZR 26/21, Rdnr. 23). Der BGH hat insbesondere auch klargestellt, dass die Tatsachenfeststellung in Dieselfällen nicht beschränkt ist auf Feststellungen nach den Grundsätzen der sekundären Darlegungs- und Beweislast (BGH, Urteil vom 25.11.2021, Az.: VII ZR 243/20, Rdnr. 35, zuletzt bestätigt mit Beschluss vom 09.02.2022, Az. VII ZR 26/21).
Die Beklagte führt aus, im Rahmen der grundsätzlichen Entscheidung über die Verwendung des Motors EA189 in Fahrzeugen ihrer Herstellung durch das Produkt-Strategie-Komitee im Jahr 2005/2006, das sich aus einzelnen Mitgliedern des Vorstands sowie einzelnen Mitgliedern aus den Fachabteilungen zusammensetzte, und der fortlaufenden nochmaligen Entscheidung zum Einsatz des Motors EA189 jeweils in Bezug auf das konkret entwickelte Modell (Bl. 415 ff. d.A.), habe man lediglich den serienmäßigen Einsatz des Motors EA189 beschlossen, sich dabei aber nicht mit der konkreten technischen Ausstattung einschließlich der Umschaltlogik befasst, man habe insbesondere im Produkt-Strategie-Komitee nur über den Einsatz des Motorentyps entschieden und dabei nur finanzielle und zeitliche Planungsaspekte einbezogen, nicht jedoch technische Details der streitgegenständlichen Software (Bl. 516. d.A.). Der Senat ist aber davon überzeugt, dass wenigstens ein Repräsentant der Beklagten i.S.v. § 31 BGB bei der Entscheidung über den Einsatz von Motoren EA189 in Fahrzeugen der Beklagten von der – evident unzulässigen – Umschaltlogik gewusst hat, unabhängig von der Frage der ausdrücklichen Besprechung der Umschaltlogik innerhalb der Erörterungen des Produkt-Strategie-Komitees.
Beim Motor eines Fahrzeugs handelt es sich um dessen „Kernstück“, nicht bloß um ein untergeordnetes Zuliefererteil. Dies bestätigen auch die Ausführungen der Beklagten, wonach die Entscheidung über den in einen neuen Fahrzeugtyp einzusetzenden Motor im Rahmen des 60-monatigen Zeitraums zur Entwicklung eines neuen Fahrzeugmodells einen „Meilenstein“ darstellt (Bl. 415 f. d.A.). Bei den Emissionswerten eines Fahrzeugs handelt es sich wiederum nicht um bloße technische Details und damit Fragen von vollkommen untergeordneter Bedeutung, im Gegenteil. Gleichzeitig handelt es sich um eine Entscheidung von großer Tragweite mit erheblichen, auch persönlichen, Haftungsrisiken für die Entscheider. Dies gilt umso mehr, als die Beklagte einräumt, im Sinne der europarechtlichen Vorgaben „Letztverantwortlicher“ zu sein, und zwar auch für zugekaufte Teile (Bl. 563 d.A.).
Hinzu kommt, dass das Spannungsverhältnis zwischen kostengünstiger Produktion und den durch die nach den gesetzgeberischen Vorgaben zu den Euro-Schadstoffklassen stets strengeren Anforderungen an die Begrenzung der Stickoxidemissionen seinerzeit bei Automobilherstellern allgemein bekannt war. Die Einhaltung der relevanten Stickoxidgrenzwerte für den Motor EA189 stellte unter Berücksichtigung des grundsätzlichen Verbots von Abschalteinrichtungen eine Herausforderung dar, die jedem Kraftfahrzeughersteller, der sich wie die Beklagte selbst mit der Entwicklung von Dieselmotoren befasste, bekannt war. Die Beklagte selbst räumt auch ein, dass bei der Entscheidung über den Einsatz des Motors EA189 finanzielle Aspekte einbezogen wurden.
In diesem Zusammenhang nicht zu überzeugen vermag der Einwand der Beklagten, bei den von ihr entwickelten und hergestellten Dieselmotoren handele es sich um ganz andere Motoren (Bl. 512 ff). Zwar mögen diese Motoren leistungsstärker und die Zylinder anders angeordnet sein. Das grundlegende Problem der Entstehung von Stickoxiden aufgrund hoher Verbrennungstemperaturen – auf die Ausführungen der Beklagten Bl. 87 ff. d.A., dort S. 7, wird Bezug genommen – stellt sich aber bei jedem Dieselverbrennungsmotor. Auch gelten für alle diese Motoren die gleichen gesetzlichen Stickoxidgrenzwerte. Nach dem Beklagtenvortrag arbeitet die Automobilindustrie bereits seit den 1970er Jahren an Strategien zur Optimierung des Ausstoßes von Stickoxiden, und zwar zunächst im Wesentlichen durch eine Herabsenkung der Verbrennungstemperaturen durch Abgasrückrückführung; dem sind jedoch nach dem Vortrag der Beklagten Grenzen gesetzt, denen durch die Verwendung von sog. Thermofenstern – nach dem Beklagtenvortrag auch noch in sämtlichen in den letzten Jahren produzierten Dieselfahrzeugen – begegnet wird (Bl. 87 ff. d.A., dort S. 7, 12 ff.).
Ferner sind der Beklagten ausweislich ihres Vortrags durchaus Aspekte der Abgasreinigung im Zusammenhang mit dem Motor EA189 bekannt: sie weiß, dass bei den für den deutschen Markt bestimmten Fahrzeugen mit Motor EA189 der Euroschadstoffnorm 4 bis 6 die Abgasreinigung durch Hochdruck-Abgasrückführung, durch einen Dieseloxidationskatalysator und Dieselpartikelfilter („Hardwarekomponenten“) stattfindet, aber eine Abgasnachbehandlung durch Stickstoffspeicherkatalysator wie bei den für den USamerikanischen Markt bestimmten Fahrzeugen nicht zum Einsatz kommt (Bl. 514 f. d.A.). Die Beklagte führt außerdem aus, vor der Verwendung der Motoren EA189 habe sie von der V. AG Motoren EA188 erworben – die beiden Motoren unterschieden sich, da die V.AG den Motortyp EA188 weiterentwickelt und die Technik von der Pumpe-Düse-Einspritzung auf die innovative Common-Rail-Einspritzung mit dem Ergebnis des Motortyps EA189 umgestellt habe (Bl. 416 d.A.). Die Einspritzcharakteristik ist aber wesentlich für die Optimierung des Verbrennungsprozesses und steht damit im Zusammenhang mit der Abgasreinigung durch Abgasrückführung, auf die Ausführungen der Beklagten zur Funktionsweise des Softwareupdates wird Bezug genommen (Bl. 87 ff. d.A., dort S. 10 f.).
Auch angesichts des von der Beklagten beschriebenen ausgeklügelten Systems von Kontroll- und Berichtspflichten (Bl. 439 ff. d.A.) erscheint es nicht plausibel, dass diese sämtlich gerade bei der hier inmitten stehenden Kenntnis von der Umschaltlogik – einer Software, die die Zulassungsfähigkeit hinsichtlich einer maßgeblichen Eigenschaft des Motors, nämlich seiner Abgasemissionen zumal bei Kenntnis der Schwierigkeit zur Lösung des Problems, überhaupt erst ermöglichte – versagt haben sollen.
Zwar hat die Beklagte ihren Vortrag zur von ihr behaupteten Unkenntnis in Bezug auf die Umschaltlogik von Personen, deren Handeln sie sich nach § 31 BGB zurechnen lassen muss, mittlerweile vertieft. Sie trägt vor, mittlerweile seien die internen Untersuchungen abgeschlossen (Bl. 506 d.A.). Danach hätten sich keine Anhaltspunkte ergeben, dass Vorstände im aktienrechtlichen Sinn bzw. andere Repräsentanten die für eine Haftung nach § 826 BGB maßgeblichen Kenntnisse gehabt hätten, und führt dies auch konkret aus in Bezug auf von der Klagepartei benannte Personen.
Dies überzeugt den Senat jedoch nicht. Denn die Beklagte räumt ein, dass zu der Ebene der Bereichsleiter im Zeitraum von 2006 bis 2015 jeweils ca. 70 Personen gehört hätten. Befragungen sämtlicher dieser Einzelpersonen seien aber weder erforderlich noch praktisch umsetzbar (Bl. 434 d.A.). Das teilt der Senat nicht, der nicht erkennen kann, dass die Anhörung dieser gleichwohl noch überschaubaren Anzahl von Personen zur Aufklärung dieses für die Beklagte aus dem Tagesgeschäft herausragend bedeutsamen Sachverhalts nicht praktisch umsetzbar sein soll, zumal es nach dem Vortrag der Beklagten auch der zur Untersuchung im V.-Konzern eingesetzten Kanzlei J. D. möglich war, mehr als 700 Befragungen durchzuführen einschließlich einer Sicherung von über 21.000 elektronischen Datenträgern bei weltweit über 3.500 Mitarbeitern (Bl. 427 d.A.). Dies gilt umso mehr, als die Beklagte nach ihren eigenen Ausführungen im Zeitraum von 2006 bis 2015 streng hierarchisch organisiert war mit Berichts- und Kontrollpflichten. Danach sei die Beklagte von sieben Vorständen geleitet worden und sei in sieben Vorstandsbereiche gegliedert gewesen, welche die erste Berichtsebene darstellten. Der Vorstandsebene nachgelagert gewesen seien Untergliederungen, die als Bereiche bezeichnet worden seien und welche die zweite Berichtsebene darstellten. An ihrer Spitze standen bereits die Bereichsleiter (Bl. 439 ff., 443 d.A.). Die Notwendigkeit ihrer Befragung drängt sich indes auf, zumal der BGH bereits in der Entscheidung vom 25.05.2020 (Az.: VI ZR 252/19, Rdnr. 33) dem restriktiven Begriffsverständnis des Repräsentanten i.S.v. § 31 BGB der dortigen Beklagten (und der hiesigen Beklagten explizit in Bezug auf Bereichsleiter, Bl. 432 d.A., denen aber selbst die Beklagte gleichwohl „eine dem Tätigkeitsprofil der Vorstandsmitglieder angenäherte Funktion innerhalb der Organisationsstruktur der Beklagten“ zubilligt, Bl. 431 d.A.) nicht gefolgt ist. Ob überhaupt wenigstens einzelne und ggfls. welche Bereichsleiter befragt wurden, bleibt aber unklar.
Eine Indizwirkung im Sinne der Beklagten vermag der Senat schließlich nicht in dem Umstand zu sehen, dass die internen Ermittlungen nicht zu Schadensersatzansprüchen der Beklagten gegen ihre Verantwortlichen bzw. zu weiteren staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahren geführt hätten. Nach den Ausführungen der Beklagten bezogen sich die nach Darstellung der Beklagten umfangreichen internen Ermittlungen der Kanzlei J. D. in Zusammenarbeit mit Deloitte zur Beklagten im Schwerpunkt ohnehin nicht auf den hier inmitten stehenden Sachverhalt der Verwendung der Motoren EA189, sondern auf Manipulationen bei den von der Beklagten selbst entwickelten 3-l-V6-Motoren (Bl. 426 ff. d.A., Anlagen BB5 u. BB6) und eine Befragung der Bereichsleiter bleibt offen. Der Umstand, dass die Staatsanwaltschaft Braunschweig kein Ermittlungsverfahren eingeleitet hat, lässt keinen Rückschluss zu auf die dort jeweils bestehenden Kenntnisse und Entscheidungsmotive – erst recht nicht allein im Sinne des Beklagtenvortrags. Die Beklagte selbst legt überdies als Anlage BB7 das „Statement of Facts“ vor, aus dem sich ergibt, dass es im Hinblick auf die Vorgänge in den USA u.a. durch Angestellte der Beklagten zur Vernichtung von Unterlagen gekommen ist mit dem Ziel der Vermeidung rechtlicher Konsequenzen (ebenda, Nr. 73).
Die umfänglichen Ausführungen – teilweise einschließlich von Beweisangeboten – der Beklagten zur fehlenden Kenntnis ihrer Vorstände im aktienrechtlichen Sinne und sonstiger Repräsentanten mit der Begründung, sie habe den Motor nicht entwickelt bzw. nicht mitentwickelt, sei am Homologationsprozess nicht beteiligt gewesen und habe aufgrund des bestehenden Baukastenprinzips mit automatisierten Produktionsprozessen ohne Einwirkungs- oder Überprüfungsmöglichkeit beim Aufspielen der Motorsteuerungssoftware bzw. später bei der Überwachung der Produktion keine Kenntnisse erlangen können, verfangen nicht, da der Senat – bei Wahrunterstellung des Vortrags der Beklagten insoweit – in der Entscheidung über die Verwendung des Motors EA189 in Kenntnis der Umschaltlogik das deliktische Handeln sieht.
Diese Wertung liegt bereits den Entscheidungen des Senats zugrunde, zu denen durch den BGH unter dem 25.11.2021 bestätigende Entscheidungen (Az.: VII ZR 238/20, VII ZR 243/20, VII ZR 257/20 und VII ZR 38/21) ergangen sind. Der Senat hat hierauf ferner mit Verfügung vom 13.12.2021 (Bl. 478 d.A.) und unter Berücksichtigung des weiteren Vorbringens der Beklagten erneut, nochmals ausführlicher, mit Beschluss vom 20.04.2022 (Bl. 530 ff. d.A.), hingewiesen. Auch die ergänzenden Ausführungen der Beklagten in den Schriftsätzen vom 27.04.2022 (Bl. 534 ff d.A.) und 09.05.2022 (Bl. 561 ff d.A.) bleiben pauschal und damit prozessual unzureichend. Denn die Beklagte beschränkt sich darauf, die Rechtsauffassung des Senats anzugreifen und zum Herstellerbegriff vorzutragen. Es verbleibt insgesamt bei dem bisherigen Vortrag, mit dem eine Kenntnis der „Mitglieder des Produkt-Strategie-Komitees“ (zumal allein in Bezug auf den Februar 2006) von der Umschaltlogik in Abrede gestellt wird, ohne dass – in Bezug auf das streitgegenständliche Fahrzeug – konkret Beteiligten zu benennen und konkret zu ihrem Kenntnisstand – ggfls. nach Befragung im Rahmen der internen Ermittlungen – vorgetragen wird. Der Senat nimmt insoweit Bezug auf den Hinweisbeschluss vom 20.04.2022, dort Ziffer 1 (Bl. 530 ff d.A.).
b) Letztlich ist damit das Bestreiten der Beklagten auch unzureichend im Sinne von § 138 Abs. 3 ZPO.
Wer einen Anspruch aus § 826 BGB geltend macht, trägt im Grundsatz die volle Darlegungs- und Beweislast für die anspruchsbegründenden Tatsachen. Bei der Inanspruchnahme einer juristischen Person hat der Anspruchsteller dementsprechend auch darzulegen und zu beweisen, dass ein verfassungsmäßig berufener Vertreter (§ 31 BGB) die objektiven und subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen des § 826 BGB verwirklicht hat. In bestimmten Fällen ist es Sache der Gegenpartei, sich im Rahmen der ihr nach § 138 Abs. 2 ZPO obliegenden Erklärungslast zu den Behauptungen der beweisbelasteten Partei substantiiert zu äußern. Dabei hängen die Anforderungen an die Substantiierung des Bestreitens zunächst davon ab, wie substantiiert der darlegungspflichtige Gegner – hier die Klagepartei – vorgetragen hat. In der Regel genügt ein einfaches Bestreiten. Eine sekundäre Darlegungslast kann den Prozessgegner der primär darlegungsbelasteten Partei treffen, wenn diese keine nähere Kenntnis der maßgeblichen Umstände und auch keine Möglichkeit zur weiteren Sachaufklärung hat, während der Gegner alle wesentlichen Tatsachen kennt und es ihm unschwer möglich und zumutbar ist, nähere Angaben zu machen. Genügt der Anspruchsgegner seiner sekundären Darlegungslast nicht, gilt die Behauptung des Anspruchstellers nach § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden (z.B. BGH, Urteil 08.03.2021, Az.: VI ZR 505/19, Rdnr. 25 ff.). Nach diesen Grundsätzen setzt eine sekundäre Darlegungslast der Beklagten zu Vorgängen innerhalb ihres Unternehmens, die auf eine Kenntnis ihrer Repräsentanten von der Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung schließen lassen sollen, jedenfalls voraus, dass das Parteivorbringen hinreichende Anhaltspunkte enthält, die einen solchen Schluss nahelegen (BGH, Urteil vom 08.03.2021, Az.: VI ZR 505/19, Rdnr. 28).
Anders als die Beklagte einwendet, sind die möglichen Anhaltspunkte nicht beschränkt auf die im Urteil des BGH vom 08.03.2021, Az.: VI ZR 505/19, Rdnr. 30, genannten Umstände. Maßgeblich bleibt der Vortrag im Einzelfall, was bestätigt wird durch BGH, Beschluss vom 15.09.2021, Az.: VII ZR 52/21, Rdnr. 24 ff.
Nach diesen Grundsätzen traf die Beklagte die sekundäre Darlegungslast hinsichtlich der Frage, wer die Entscheidung über den serienmäßigen Einsatz der Motoren EA189 in Kenntnis der Umschaltlogik getroffen hat. Die Umstände, nach denen vorliegend eine Kenntnis der für die Beklagte handelnden und dieser zuzurechnenden Personen naheliegt, ergeben sich bereits aus den vorstehenden Ausführungen. Das Spannungsverhältnis zwischen der Herstellung kostengünstiger Motoren bei gleichzeitiger Einhaltung der gesetzlich weiter verschärften Stickoxidgrenzwerte sowie grundsätzlichem Verbot des Einsatzes von Abschalteinrichtungen war bei Automobilherstellern bekannt. Die Beklagte selbst entwickelt Dieselmotoren. Gleichzeitig waren der Beklagten die Hardwarekomponenten wie auch Aspekte der Funktion der Abgasreinigung im Zusammenhang mit dem Einsatz der Motoren EA189 (im Vergleich zu dem bis dahin verwendeten Volkswagenmotor EA188) bekannt. Die Entscheidung über den serienweisen Einsatz der Motoren EA189 in Fahrzeugen der Beklagten betraf eben nicht bloß ein untergeordnetes Zuliefererteil, sondern den Motor als „Kernstück“ des Fahrzeugs; die Emissionseigenschaften des Fahrzeugs sind für dieses wesentlich und nicht bloß ein technisches Detail. Die Entscheidung über den serienweisen Einsatz der Motoren EA189 in Fahrzeugen der Beklagten war mit erheblichen, auch persönlichen, Haftungsrisiken der entscheidenden Personen verbunden. Eine Unkenntnis des Einsatzes der Umschaltlogik auf Ebene von Personen, die der Beklagten zuzurechnen sind nach § 31 BGB, erscheint ausgeschlossenen, zumal in Anbetracht des ausgeklügelten und streng hierarchischen Kontroll- und Berichtswesen innerhalb der Beklagten. Dem ist die Beklagte, wie sich ebenfalls aus den vorstehenden Ausführungen ergibt, nicht hinreichend entgegengetreten; insbesondere blieben ihre Angaben zu ihren internen Ermittlungen, auf deren negatives Ergebnis die Beklagte sich beruft, unzureichend, jedenfalls im Hinblick auf die Befragung der Bereichsleiter. Der Vortrag zum Kenntnisstand der Beteiligten im Rahmen des Produkt-Strategie-Komitees blieb pauschal.
2. Vor diesem Hintergrund ist auch der Schädigungsvorsatz zu bejahen. Dieser enthält ein Wissens- und Wollenselement. Der Handelnde muss die Schädigung des Anspruchsstellers gekannt bzw. vorausgesehen und in seinen Willen aufgenommen haben und mindestens mit bedingtem Vorsatz gehandelt haben; Vorstandsmitglieder oder Repräsentanten, die in Kenntnis der Umschaltlogik den serienmäßigen Einsatz der Motoren in ihren Fahrzeugen anordnen oder nicht unterbinden, billigen ihn auch und sind sich der Schädigung der späteren Fahrzeugerwerber bewusst.
3. Die Einwände der Beklagten gegen das Bestehen der haftungsbegründenden Kausalität greifen nicht durch.
Schon nach der allgemeinen Lebenserfahrung ist davon auszugehen, dass die Klagepartei den streitgegenständlichen Pkw nicht gekauft hätte, wenn sie um die unzulässige Software und die davon ausgehende Gefahr der Betriebsuntersagung gewusst hätte; der Schaden liegt in der Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit (BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az.: VI ZR 252/19, Rdnr. 47 ff.). Kein vernünftiger Käufer hätte in Kenntnis dieses Sachverhalts, insbesondere der Gefahr der Betriebsuntersagung, den Pkw erworben, zumal zu diesem Zeitpunkt auch noch nicht die Möglichkeit bestanden hätte, mittels des erst später entwickelten Softwareupdates die Manipulation am Motor zu beseitigen. Der Rückruf durch das Kraftfahrtbundesamt erfolgte erst später. Auf die Frage der Umweltfreundlichkeit des Fahrzeugs als Kaufmotiv kommt es damit – anders als die Beklagte einwendet – nicht an.
Auch aufgrund der Angaben des Geschäftsführers der Klagepartei persönlich im Rahmen ihrer Anhörung im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat und des hierbei von ihm gewonnenen Eindrucks ist der Senat vom Bestehen der Kausalität überzeugt. Die Beklagte hat auf die förmliche Parteieinvernahme verzichtet.
4. Der Geschäftsführer der Klägerin hat in seiner Anhörung angegeben, ein verbrieftes Rückgaberecht sei nicht vereinbart gewesen (Bl. 568 d.A.). Selbst wenn ein solches vereinbart gewesen wäre, wäre der Schaden dadurch nicht von vornherein entfallen. Auf das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 16.12.2021, Az. VII ZR 389/21, wird verwiesen.
5. Im Wege der Vorteilsanrechnung ist das streitgegenständliche Fahrzeug herauszugeben und das Eigentum zu übertragen sowie ein Ersatz der gezogenen Nutzungen vorzunehmen (BGH, Urteil vom 25. Mai 2020, Az.: VI ZR 252/19, Rdnr. 65 ff.). Die Berufung der Klagepartei bleibt insoweit erfolglos.
Die Bemessung der Höhe des Schadensersatzanspruchs ist in erster Linie Sache des nach § 287 ZPO besonders freigestellten Tatrichters. Auszugehen ist für die Schadenshöhe vom Nettokaufpreis, da die Klägerin vorsteuerabzugsberechtigt ist. Der Senat schätzt in Anbetracht des festgestellten Fahrzeugtyps, des Datums seiner Erstzulassung sowie der konkreten Nutzung die mögliche Gesamtlaufleistung auf 300.000 km. Mit dieser Schätzung bewegt sich der Senat innerhalb der Bandbreite der von anderen Gerichten jeweils vorgenommenen Schätzung der gesamten Laufleistung (u.a. BGH, Urteil vom 27.07.2021, Az.: VI ZR 480/19, Rdnr. 26). Die Schätzung liegt dabei im oberen Bereich der Bandbreite, da das Fahrzeug innerhalb von über 10 Jahren eine Laufleistung von 156.663 km erreicht hat. Damit würde es nach etwa 20 Jahren eine Lebenslaufleistung von rund 300.000 km erreichen; der Senat ist überzeugt, dass Fahrzeuge spätestens nach 20 Jahren in der Regel verbraucht sind. Weitere aussagekräftige Umstände, welche die zu erwartende Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs beeinflussen, hat die Klagepartei nicht dargetan. Solchen Vortrag zeigt auch die Berufung nicht auf.
Der Senat stellt in ständiger Rechtsprechung auf die nach der Rechtsprechung des BGH gebilligte lineare Berechnung des Nutzungsersatzes ab. Aus der grundsätzlichen Billigung einer linearen Berechnungsmethode folgt zwar nicht zwingend, dass andere Berechnungsmethoden unzulässig wären, da dem Tatrichter nach § 287 ZPO ein weiter Ermessensspielraum eingeräumt wird. Da der Schaden aber in dem ungewollten Vertragsschluss liegt, ist der vom Bundesgerichtshof erfolgte Rückgriff auf die Wertung des Nutzungsersatzes nach § 346 Abs. 2 Nr. 2 BGB aber folgerichtig. Der Senat folgt ausdrücklich nicht dem Ansatz, den Wert der Nutzung eines Neuwagens höher anzusetzen als den eines älteren Fahrzeugs. Die lineare Berechnung ist dem Geschädigten zumutbar und entlastet die Schädigerin nicht unangemessen. Sie entspricht schon vom Wortlaut den „gezogenen Nutzungen“. Entgegen dem Einwand der Beklagten ist eine Ausweitung der Vorteilsanrechnung – etwa wegen des Wertverlusts des Fahrzeugs – nicht angezeigt (BGH, Urteil vom 30.07.2020, Az.: VI ZR 397/19, Rdnr. 36, vom 30.07.2020, Az.: VI ZR 354/19, Rdnr. 15, vom 20.07.2021, Az.: VI ZR 533/20, Rdnr. 33, vom 16.09.2021, Az.: VII ZR 192/20, Rdnr. 46, vom 21.04.2022, Az.: VI ZR 285/21).
Danach errechnet sich bei Berücksichtigung der Nutzung des Fahrzeugs bis zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat mit einer Kilometerleistung von insgesamt 156.663 km ein Erstattungsanspruch i.H.v. 20.729,89 €.
6. Der Anspruch ist, wie das Landgericht zutreffend festgestellt hat, ab Rechtshängigkeit zu verzinsen, mithin ab 01.02.2019, §§ 291, 288 Abs. 1 S. 2, 187 Abs. 1 BGB.
Die vom Senat vorgenommene Zinsstaffel trägt dem Umstand Rechnung, dass die Klagepartei die auf den Kaufpreiserstattungsanspruch anzurechnenden Nutzungsvorteile zum Teil erst zwischen dem Eintritt der Rechtshängigkeit und dem Schluss der mündlichen Verhandlung erlangt hat (vgl. BGH, Urteil vom 30.07.2020, Az.: VI ZR 397/19, Rdnr. 38). Maßgeblich ist danach, in welcher Höhe unter Berücksichtigung der anzurechnenden Nutzungsvorteile bei Eintritt der Rechtshängigkeit eine verzinsliche Hauptforderung bestand und wie sich diese im Laufe des Verfahrens angesichts der fortlaufenden Nutzung des Fahrzeugs entwickelte (BGH, Urteil vom 30.07.2020, Az.: VI ZR 354/19, Rdnr. 23).
Bei Eintritt der Rechtshängigkeit (01.02.2019) bestand eine Hauptforderung von rund 27.784,76 € – dabei wurde die Laufleistung des Fahrzeugs zu diesem Zeitpunkt unter Annahme einer gleichmäßigen Nutzung bis zur mündlichen Verhandlung 1. Instanz bestimmt -, zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung erster Instanz (12.11.2019) von 26.133,17 € und zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung zweiter Instanz (16.05.2022) von 20.729,89 €.
Weil die Fahrleistung des Autos während des Zinszeitraums nicht taggenau nachvollzogen werden kann, ist der Senat im Wege der Schätzung gemäß § 287 ZPO von einer gleichmäßigen Nutzung ausgegangen, also von einer linearen Entwicklung des Kilometerstandes innerhalb der Zinszeiträume. Diese lineare Entwicklung berücksichtigt der Senat in der Weise, dass für die dazwischen liegenden Zinszeiträume ein Mittelwert zugrunde gelegt wird.
III.
Die Kostenentscheidung erster Instanz beruht auf § 92 Abs. 1 S. 1 ZPO, die Kostenentscheidung zweiter Instanz auf §§ 97, 92 Abs. 1 S. 1, 269 Abs. 3 ZPO. Die Beklagte hat der teilweisen Klagerücknahme trotz Hinweis nicht widersprochen. Die (zunächst) erhobene Forderung von Deliktszinsen ist jeweils zu Lasten der Klagepartei zu berücksichtigen (BGH, Urteil vom 24.03.2022, Az.: VII ZR 266/20, Rdnr. 32). Es besteht kein Anspruch auf Deliktszinsen; auf die ständige Rechtsprechung des BGH wird Bezug genommen (BGH, Urteil vom 30.07.2020, Az.: VI ZR 354/19, Rdnr. 17 ff., vom 30.07.2020, Az.: VI ZR 397/19, Rdnr. 21 ff.). In Bezug auf die vom Kläger geltend gemachten deliktischen Zinsen i.H.v. 4% aus 51.625,70 € für den Zeitraum war von 29.09.2011 bis 31.01.2019 ein fiktiver Streitwert von 15.162,40 € anzusetzen, um der Zuvielforderung Rechnung zu tragen. Der fiktive Streitwert erster Instanz beläuft sich damit auf insgesamt 66.788,81 € und für die zweite Instanz in Höhe von 58.549,43 €. Die geringfügig divergierende Kostenquote zum erstinstanzlichen Urteil ergibt sich aus einer leicht unterschiedlichen Ermittlung des fiktiven Streitwerts für die erste Instanz, da der Senat die außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten nicht mit einbezogen hat.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt für die Berufung der Beklagten aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO und für die klägerische Berufung aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 ZPO nicht erfüllt sind. Die maßgeblichen Rechtsfragen zur Haftung in Dieselfällen, insbesondere im Hinblick auf das Tatbestandsmerkmal der Sittenwidrigkeit i.S.v. § 826 BGB wie auch die Anforderungen an den Vortrag der Parteien sind mittlerweile höchstrichterlich geklärt (deutlich u.a.: BGH, Beschluss vom 29.09.2021, Az.: VII ZR 223/20, Rdnr. 8, vom 15.09.2021, VII ZR 2/21, Rdnr. 4, 24). Dies gilt auch in Bezug auf eine Haftung der Beklagten bei Fahrzeugen ihrer Herstellung mit Motoren EA189 (BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az.: VI ZR 252/19, vom 08.03.2021, Az.: VI ZR 505/19, Beschluss vom 15.09.2021, Az.: VII ZR 52/21, Urteil vom 16.09.2021, Az.: VII ZR 192/20, Urteilsserie vom 25.11.2021: Az.: VII ZR 238/20, VII ZR 243/20, VII ZR 257/20 und VII ZR 38/21, Urteil vom 21.12.2021, Az.: VI ZR 875/20, Beschluss vom 12.01.2022, Az.: VII ZR 256/20, vom 27.01.2022, Az.: III ZR 195/20, vom 09.02.2022, Az.: VII ZR 255/20 und Az.: VII ZR 26/21, Urteil vom 24.03.2022, Az.: VII ZR 266/20). Es ist Aufgabe der Instanzgerichte, diese Rechtsgrundsätze auf den jeweils vorliegenden Sachverhalt anzuwenden. Divergierende Ergebnisse aufgrund der Würdigung des jeweils vorgetragenen Sachverhalts in tatsächlicher Hinsicht begründen indes keine Divergenz i.S. des § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 ZPO. Von einer Divergenz in diesem Sinne ist vielmehr nur dann auszugehen, wenn den Entscheidungen sich widersprechende abstrakte Rechtssätze zugrunde liegen (BGH, Beschluss vom 09.07.2007, Az.: II ZR 95/06, Rdnr. 2).


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