Europarecht

Bestandssperre für Rinder wegen Verstoßes gegen die Registrierungs- und Kennzeichnungspflicht

Aktenzeichen  M 18 S 16.2749

Datum:
28.7.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 80 Abs. 5
VO (EG) Nr. 1760/2000 Art. 3, Art. 4 Abs. 1
VO (EG) Nr. 494/98 Art. 2 Abs. 1
ViehverkehrsVO § 27, § 29

 

Leitsatz

Bei Verstößen gegen die Kennzeichnungs- und Registrierungspflicht von Rindern, die eine Identifizierung der Tiere erschweren oder unmöglich machen, ist ein Verbot der Verbringung (Bestandssperre) für die betroffenen Tiere des Bestandes ermessensfehlerfrei (Art. 2 Abs. 1 VO (EG) Nr. 494/98). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Der Streitwert wird auf EUR 2.500,- festgesetzt.

Gründe

I.
Die Beteiligten streiten über eine Bestandssperre für 16 Rinder des Antragstellers.
Der Antragsteller betreibt eine Rinderhaltung mit nach eigenen Angaben über 200 Tieren. Bei Kontrollen des Betriebes durch das Veterinäramt des Antragsgegners im Zeitraum vom 24. September 2015 bis 11. Februar 2016 wurden verschiedene Verstöße gegen die Kennzeichnungs- und Meldevorschriften für Rinder festgestellt.
Das Veterinäramt wandte sich daher mit einem am 5. Mai 2016 dort eingegangenen Schreiben an den Antragsgegner und bat, zur Klärung der Identitäten verschiedener Rinder entsprechende Maßnahmen anzuordnen. Die Zweifel an der Identität ergäben sich daraus, dass bei den Tieren das Alter des Kalbes nicht mit dem Kalbedatum der Mutter übereinstimme, widersprüchliche Arzneimittelaufzeichnungen im Bestandsbuch enthalten seien und Ohrmarken fehlen würden.
Darüber hinaus wurde gebeten, wegen weiterer Verstöße ein Ordnungswidrigkeitenverfahren gegen den Antragsteller einzuleiten.
Mit Bescheid vom 12. Mai 2016 ordnete der Antragsgegner für 16 im Bescheid anhand der Ohrmarken-Nummern einzeln aufgeführte Rinder eine Bestandssperre an und verbot das Verbringen dieser Tiere mit sofortiger Wirkung bis zur Beseitigung aller damit zusammenhängender Mängel, was durch eine Kontrolle durch das Veterinäramt festgestellt werden sollte (Ziffer I). Für den Fall der Nichteinhaltung der Verpflichtung aus Ziffer I wurde ein Zwangsgeld in Höhe von 500,- € je Verstoß angedroht (Ziffer II), die sofortige Vollziehung der Ziffer I wurde angeordnet (Ziffer III).
Zur Begründung wurde ausgeführt, der Antragsteller habe gegen seine Kennzeichnungspflichten für Rinder nach der VO (EG) Nr. 1760/2000 verstoßen, so dass bis zur Erfüllung der Anforderungen eine Bestandssperre anzuordnen sei. Die angeordnete Maßnahme sei zur Sicherstellung eines ordnungsgemäßen Viehverkehrs und im Interesse einer tierseuchenrechtlich einwandfreien Haltung geeignet, angemessen und erforderlich. Die Anordnung des Sofortvollzugs sei erforderlich, um ohne zeitliche Verzögerung die Defizite, die bezüglich grundlegender Anforderungen der Tierseuchensicherheit im Viehverkehr bestünden, zu beseitigen. Das Zwangsgeld entspreche dem wirtschaftlichen Wert der Anordnung.
Der Bescheid wurde dem Bevollmächtigten des Antragstellers gegen Empfangsbekenntnis am 20. Mai 2016 zugestellt.
Mit Telefax vom 20. Juni 2016 erhob der Antragsteller durch seinen Bevollmächtigen Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München (M 18 K 16.2745) und beantragte ferner,
„die sofortige Vollziehbarkeit des Bescheids vom 20. Mai 2016 aufzuheben.“
Eine Begründung wurde angekündigt, erfolgte aber nur für das Klageverfahren.
Der Antragsgegner beantragte mit Schriftsatz vom 6. Juli 2016
den Antrag abzulehnen.
Der Antragsteller habe in der Tierdatenbank offensichtlich zu 12 Rindern falsche Angaben gemacht. Vier Rinder seien nicht mit Ohrmarken gekennzeichnet gewesen. Dies sei von zwei Amtstierärztinnen übereinstimmend festgestellt worden. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei notwendig gewesen, damit den Anforderungen des Tierseuchenrechts und der Rückverfolgbarkeit des Ursprungs von Tieren im Viehverkehr ausreichend Rechnung getragen werde. Ein Zuwarten bis zu einer Entscheidung der Hauptsache sei daher nicht vertretbar. Dem Antragsteller sei angeboten worden, ihn bei der Aufklärung der Identitäten und Bestimmung der Geburtsdaten zu unterstützen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte aus diesem Verfahren und dem Klageverfahren sowie auf die beigezogene Behördenakte, bezüglich der von der Bestandssperre betroffenen Rinder auf den angefochtenen Bescheid Bezug genommen.
II.
Das Antragsbegehren ist dahin auszulegen, dass der Antragsteller gemäß § 80 Abs. 5 VwGO die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 12. Mai 2016 begehrt.
Der Antrag ist zulässig, aber nicht begründet.
Grundsätzlich haben Widerspruch und Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung. Diese entfällt u. a. dann, wenn eine Behörde, wie hier, im öffentlichen Interesse die sofortige Vollziehung eines Verwaltungsakts angeordnet hat. In diesem Fall kann das Gericht auf Antrag die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise wiederherstellen, § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO.
Das Gericht trifft seine Entscheidung aufgrund einer eigenen Interessenabwägung, bei der es prüft, ob das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung das private Interesse des Antragstellers, vom Vollzug der erlassenen Anordnung zunächst verschont zu bleiben, überwiegt.
Wenngleich im Vordergrund der Entscheidung gemäß § 80 Abs. 5 VwGO nicht die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts, sondern die Dringlichkeit seiner Durchsetzung steht, spielt die Rechtmäßigkeit insofern eine Rolle, als bei einem Verwaltungsakt, der sich nach der in diesem Verfahren nur möglichen und gebotenen summarischen Überprüfung als rechtmäßig erweist, ein überwiegendes öffentliches Interesse am Vollzug des Verwaltungsakts in der Regel zu bejahen sein wird, während im Fall eines voraussichtlich rechtswidrigen Verwaltungsakts das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs überwiegt, da kein öffentliches Interesse an der Vollziehung eines rechtswidrigen Verwaltungsakts besteht.
Sind die Erfolgsaussichten des Klageverfahrens völlig offen, verbleibt es bei einer reinen Interessenabwägung.
Formal ist die Vollziehungsanordnung nicht zu beanstanden. Der Antragsgegner hat die Anordnung mit einer den Erfordernissen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO genügenden Begründung versehen, wobei an die Begründung keine allzu hohen Anforderungen gestellt werden dürfen (Eyermann, VwGO, § 80, Rn. 43). Sind die Gründe für den Erlass des Bescheids wie hier im Wesentlichen mit denen für die Anordnung des Sofortvollzugs identisch, reicht eine kurze Begründung, wie sie der Antragsgegner mit dem Verweis auf die Sicherheit und Nachverfolgbarkeit des Viehverkehrs gegeben hat, aus.
Gemessen an den oben genannten Grundsätzen ist der Bescheid nach vorläufiger Überprüfung auch materiell rechtmäßig.
Gemäß Art. 3 der VO (EG) Nr. 1760/2000 zur Einführung eines Systems zur Kennzeichnung und Registrierung von Rindern und über die Etikettierung von Rindfleisch und Rindfleischerzeugnissen sowie zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 820/97 des Rates beruht das System zur Kennzeichnung und Registrierung von Rindern auf vier Elementen, nämlich a) Ohrmarken zur Einzelkennzeichnung von Tieren, b) elektronischen Datenbanken, c) Tierpässen und d) Einzelregistern in jedem Betrieb.
Sinn und Zweck dieses umfangreichen Kennzeichnungs- und Registrierungssystems sind neben der Erhaltung und Stärkung des Verbrauchervertrauens in die Qualität von Rindfleisch und der Vermeidung der Irreführung der Verbraucher der Schutz der öffentlichen Gesundheit und der Tiergesundheit (vgl. Erwägungsgründe 4 – 6 der Verordnung). Das gesetzgeberische Ziel soll durch eine umfassende Kennzeichnung und Registrierung der Tiere zur Feststellung ihrer Identität, die die Nachverfolgung von der Geburt bis zum Verbraucher ermöglicht, erreicht werden. Aus diesem Grund sind auch die Fristen für die Kennzeichnung von Rindern, die Neukennzeichnung bei Verlust einer Ohrmarke sowie Veränderungen des Rinderbestands mit jeweils sieben Tagen kurz gehalten, § 27 Abs. 1 Nr. 1, § 29 Abs. 1 ViehverkehrsVO.
Für den Fall, dass ein Rinderhalter seinen Verpflichtungen zur Kennzeichnung oder Registrierung von Tieren seines Bestandes nicht oder unzureichend nachkommt, sieht die VO (EG) Nr. 494/98 mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung (EG) Nr. 820/97 des Rates im Hinblick auf die Anwendung von verwaltungsrechtlichen Mindestsanktionen im Rahmen des Systems zur Kennzeichnung und Registrierung von Rindern je nach Schwere und Umfang des Pflichtverstoßes Sanktionen gegen den Betreffenden vor. Der Antragsgegner hat gemäß Art. 2 Abs. 1 VO (EG) Nr. 494/98 für einzelne Tiere des Bestandes des Antragstellers ein Verbot der Verbringung verhängt entsprechend den Pflichtverstößen des Antragstellers, die noch nicht ein solches Ausmaß erreicht haben, dass sie eine Sperrung seines gesamten Rinderbestandes nach sich ziehen würden. Dies wäre gemäß Art. 2 Abs. 2 VO (EG) Nr. 494/98 der Fall, wenn bei mehr als 20% der Tiere die Anforderungen an die Kennzeichnung und Registrierung nicht (vollständig) erfüllt wären.
Im Bestand des Antragstellers wurden von zwei Amtstierärzten zu den von der Bestandsperre umfassten Rindern unterschiedliche Pflichtverstöße festgestellt. Bei sechs Rindern stimmte das Alter der Kälber nicht mit dem Kalbedatum der jeweiligen Mutterkuh überein, bei weiteren Rindern ergaben sich Zweifel aus den Tierarzneimittelaufzeichnungen, da beispielsweise Nachgeburtsbehandlungen von Kühen aufgrund eines Kaiserschnitts vor dem gemeldeten Geburtsdatum des entsprechenden Kalbes lagen, ferner fehlte bei vier Rindern zumindest eine Ohrmarke und wurde nicht rechtzeitig nachbestellt. Die Verpflichtung zur Kennzeichnung der Tiere mit zwei Ohrmarken ergibt sich aus Art. 4 Abs. 1 VO (EG) Nr. 1760/2000 sowie aus § 27 Abs. 5 ViehverkehrsVO, wonach im Fall des Verlusts einer Ohrmarke die Neue unverzüglich nachzubestellen und wiederanzubringen ist. Der Antragsteller räumt in der im Klageverfahren vorgetragenen Begründung selbst Verstöße bzw. unrichtige Angaben in einzelnen Fällen ein, die er mit Zahlendrehern, Verwechslungen oder Versehen begründet. Ebenso bestätigt er, dass einige Tiere (beispielsweise ……. 307 und 317) nicht mit zwei Ohrmarken gekennzeichnet waren. Diese Ausführungen belegen die Richtigkeit der Feststellungen der Amtstierärztinnen. Der Antragsgegner hat damit entsprechend den gesetzlichen Vorgaben zu Recht eine Bestandssperre für die betroffenen Tiere angeordnet, da durch die Verstöße des Antragstellers eine eindeutige Identifizierung der genannten Tiere nicht oder nur erschwert möglich ist. Art. 2 Abs. 1 VO (EG) Nr. 494/98 räumt der zuständigen Behörde insoweit bezüglich der Sanktionen keinen Ermessensspielraum ein. Er hat die notwendigen, geeigneten und angemessenen Maßnahmen ergriffen, um zu verhindern, dass Tiere mit ungeklärter Identität in Verkehr kommen. Weniger einschneidende, ebenso geeignete Maßnahmen zur Erreichung des gesetzlichen Zwecks sind nicht ersichtlich.
Darüber hinaus hat der Antragsgegner dem Antragsteller seine Hilfe angeboten zur Feststellung der Geburtsdaten und einer schnellen Freigabe der Tiere.
Die Anordnung in Ziffer I wird sich daher voraussichtlich als rechtmäßig erweisen.
Auch die Zwangsgeldandrohung erweist sich nach summarischer Prüfung als rechtmäßig, vgl. Art. 29, 31, 36 VwZVG.
Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG.


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