Europarecht

Cannabidiol (CBD), Novel food, Aroma, Aromaextrakt

Aktenzeichen  20 CS 22.307

Datum:
7.3.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 5025
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 146
VwGO § 80 Abs. 3 S. 1
VO (EU) 2015/2283 Art. 6
VO (EG) 1334/2008

 

Leitsatz

Verfahrensgang

RN 5 S 21.2172 2022-01-21 Bes VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 21. Januar 2022 erweist sich bei summarischer Prüfung der Erfolgsaussichten einer Anfechtungsklage in der Hauptsache im Ergebnis als richtig. Das Beschwerdevorbringen, an das der Senat nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO grundsätzlich gebunden ist, rechtfertigt keine andere Entscheidung.
1. Soweit die Beschwerde rügt, die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit im Bescheid des Antragsgegners vom 20. Oktober 2021 genüge nicht den formellen Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO, ist dieses Vorbringen nicht geeignet, der Beschwerde zum Erfolg zu verhelfen. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend festgestellt, dass die Anordnung der sofortigen Vollziehung den formellen Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO genügt.
In den Fällen des § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO hat die Behörde die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO besonders zu begründen. Dabei rechtfertigt allein das öffentliche Interesse an der Vollziehung des Verwaltungsaktes – hier der Anordnungen in Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheides – regelmäßig nicht die Anordnung des Sofortvollzugs nach § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO. Der Eintritt der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage nach § 80 Abs. 1 VwGO ist der gesetzliche Regelfall, auch wenn stets ein öffentliches Interesse an der Vollziehung eines (rechtmäßigen) Verwaltungsaktes besteht. Da es sich bei der behördlichen Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit nach der Wertung des Gesetzgebers um einen Ausnahmefall handelt, muss neben das ohnehin bestehende öffentliche Interesse an der Vollziehung des Verwaltungsaktes (Erlassinteresse) ein besonderes Vollzugsinteresse treten, das das Absehen vom Regelfall der aufschiebenden Wirkung und die Befugnis der Behörde, einen Verwaltungsakt auch schon vor Eintritt der Bestandskraft zwangsweise durchzusetzen (Art. 19 Abs. 1 Nr. 2 und 3 VwZVG, § 6 Abs. 1 VwVG) zu rechtfertigen vermag (zu den materiellen Anforderungen an das Dringlichkeitsinteresse vgl. BayVGH, B.v. 28.8.2020 – 12 CS 20.1750 – juris Rn. 42 ff.). Diesem Erfordernis trägt § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO Rechnung. Die Behörde muss sich der besonderen Ausnahmesituation bewusst werden und deshalb das besondere Vollzugsinteresse begründen, wenn sie vom Regelfall abweicht und die sofortige Vollziehung anordnet. Die Norm dient darüber hinaus dem Rechtsschutz des Betroffenen, der ausgehend von der Begründung die Erfolgsaussichten eines Rechtsbehelfs besser einschätzen können soll (Hoppe in Eyermann, VwGO, 15. Auflage 2019, § 80 Rn. 54). Zwar kommt es zur Erfüllung der Voraussetzungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO nicht darauf an, ob die gegebene Begründung inhaltlich richtig und geeignet ist, das besondere dringliche Interesse an der sofortigen Vollziehung zu rechtfertigen. Dies ist eine Frage des materiellen Rechts. Nicht ausreichend für das Begründungserfordernis ist aber eine formelhafte, nicht auf den konkreten Einzelfall bezogene Begründung, da daran nicht erkenntlich wird, ob und aus welchen Gründen die Behörde vom Vorliegen eines Ausnahmefalls ausgegangen ist, der ein Abweichen vom Grundsatz des § 80 Abs. 1 VwGO rechtfertigen kann (Hoppe in Eyermann, a.a.O., § 80 Rn. 55).
Diesen Erfordernissen entspricht die Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit in Ziffer 2. des Bescheids. Die Begründung führt bezogen auf den Einzelfall aus, dass ein Zuwarten mit dem Vollzug der streitgegenständlichen Verbotsverfügungen in Ziffern 1 und 2 des Bescheides bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens angesichts der diskutierten unerwünschten gesundheitlichen Wirkungen der Substanz CBD und angesichts der Unklarheiten ihrer Wirkung in Abhängigkeit von ihrer Dosierung aus Gründen des Schutzes der menschlichen Gesundheit und der Verbraucherinteressen (vgl. Erwägungsgründe 1 und 2 als auch Art. 1 Abs. 2 der VO (EU) Nr. 2015/2283) auch unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Interessen des Antragstellers nicht vertretbar sei. Damit wird deutlich, dass sich die anordnende Behörde der Ausnahmesituation ihres Handelns bewusst war. Entgegen der Annahme der Beschwerde ist für die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit in formeller Hinsicht nicht erforderlich, dass Gefahren für Leben und Gesundheit der Verbraucher bestehen.
2. Die Beschwerde vermag die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass die in Ziffern 1 und 2 des Bescheides getroffenen Verfügungen sich als voraussichtlich rechtmäßig erweisen, nicht zu erschüttern.
a. Hinsichtlich Ziffer 1 des Bescheides, mit der das Inverkehrbringen des Produkts „…“ untersagt wird, hat das Verwaltungsgericht umfassend erörtert, dass das Produkt nach seiner Rechtsauffassung einem Verkehrsverbot nach Art. 6 Abs. 2 VO (EU) Nr. 2015/2283 unterliege, weil es sich um ein neuartiges Lebensmittel i.S.v. Art. 3 Abs. 2 Buchst. a) VO (EU) 2015/2283 handele, dem eine die Verkehrsfähigkeit begründende Zulassung fehle. Die Beschwerde zieht nicht in Zweifel, dass das Produkt einen Extrakt der Hanfpflanze (Cannabis sativa L.) enthält. Nach ständiger obergerichtlicher Rechtsprechung handelt es sich bei Lebensmitteln, denen CBD, das durch Extraktion aus der Hanfpflanze oder auch synthetisch gewonnen worden ist, zugegeben wurde, um neuartige Lebensmittel nach § 3 Abs. 2 Buchst. a VO (EU) 2015/2283 (vgl. BayVGH, B.v. 12.8.2021 – 20 CS 21.688 – juris; OVG NW, B.v. 2.3.2021 – 9 B 1574/20 – juris; B.v. 23.1.2020 – 13 B 1423/19 – juris; HessVGH, B.v. 11.5.2020 – 8 B 2915/19 – juris; NdsOVG, B.v. 12.12.2019 – juris; OVG Hamburg, B.v. 4.5.2021 – 5 Bs 29/21 – juris; BayVGH, B.v. 3.2.2022 – 20 CE 21.2982, dem Antragstellervertreter bekannt, jeweils m.w.N.). Die Beschwerde zeigt keine Erwägungen auf, die diese Annahme vorliegend in Zweifel ziehen könnten. Im Rahmen des vorliegenden Beschwerdeverfahrens ist nicht klärungsbedürftig, ob für Produkte, die zum Verzehr bestimmt und mit CBD angereichert sind, möglicherweise eine Einordnung als Arzneimittel in Betracht kommt (Art. 2 Satz 2 Buchst. d) VO (EG) Nr. 178/2002; vgl. hierzu auch BVL: Hanf, THC, Cannabidiol (CBD) & Co).
Soweit schließlich geltend gemacht wird, die Änderung des Eintrags zu Cannabidiol im (rechtlich nicht verbindlichen) Novel Food Katalog (Durchführungsverordnung (EU) Nr. 2017/2470 vom 20. Dezember 2017 zur VO (EU) Nr. 2015/2283) im Jahr 2019 habe zu einer Schlechterstellung der Lebensmittelunternehmer geführt, wird mit der Beschwerde nicht dargelegt, dass die vom Antragsteller vertriebenen Produkte (nur) die natürlich vorkommende Menge an Gesamt-CBD aufweisen, was vor der genannten Änderung des Eintrags zu Cannabidiol dazu führte, dass es sich bei dem Produkt nicht um ein neuartiges Lebensmittel i.S.d VO (EU) Nr. 2015/2283 handelte. Die natürliche Gesamtmenge dürfte Angaben der European Industrial Hemp Association (EIHA) zufolge in der – aus dem Gemeinsamen Sortenkatalog für landwirtschaftliche Pflanzenarten der Europäischen Union stammenden – Pflanze Cannabis sativa L. in Anhängigkeit von der Sorte und den klimatischen Bedingungen zwischen einem und fünf Prozent liegen (Deutscher Bundestag – Wissenschaftliche Dienste: Ausarbeitung Verkehrsfähigkeit von Cannabidiol(CBD)-haltigen Lebensmitteln, 22. Juli 2019, S. 9. Das streitgegenständliche von Ziffer 1. der Anordnung erfasste Produkt hat nach den Feststellungen des Bayerischen Landesamtes für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (Befund/Gutachten vom 28. Mai 2021) einen Gehalt von 7,30 g/kg (mithin 7%) CBD und liegt damit deutlich über dem höchstens natürlich vorkommenden Gesamt-CBD.
b. Soweit die Beschwerde geltend macht, Ziffer 2 der streitgegenständlichen Anordnung untersage durch die Verwendung des Begriffs im Tenor „CBD als Zutat“ (Art. 2 Abs. 2 Buchst. f) VO (EU) Nr. 1169/2011) entgegen Art. 2 Abs. 2 Buchst. b) iii) VO (EU) Nr. 2015/2283 auch das Inverkehrbringen von „CBD-Aromen“, so führt auch dieser Einwand nicht zum Erfolg. Mit der Beschwerde wird schon nicht dargelegt, dass der Antragsteller beabsichtigt, Produkte in den Verkehr zu bringen, die als „Aroma“ i.S.d. Art. 3 Abs. 2 Buchst. a der VO (EG) Nr. 1334/2008 oder als „Aromaextrakte“ i.S.d. Art. 3 Abs. 2 Buchst. d der VO (EG) Nr. 1334/2008 bezeichnet werden können. Um von einem Aroma oder Aromaextrakt i.S.d. Begriffsbestimmungen der VO (EG) Nr. 1334/2008 ausgehen zu können, ist jedenfalls erforderlich, dass der Stoff einem Lebensmittel zugesetzt wird, um ihm einen besonderen Geruch und/oder Geschmack zu verleihen oder diesen zu verändern (vgl. Art. 3 Abs. 2 Buchst. a) i) VO (EG) Nr. 1334/2008), mithin muss mit dem Stoff eine aromatisierende Wirkung auf das Lebensmittel bezweckt werden (so auch OVG Lüneburg, B.v. 4.2.2021 – 13 ME 545/20 – NJOZ 2021, 477 Rn. 9ff.; Rathke in Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, VO (EG) Nr. 1334/2008, Stand März 2021, Art. 3 Rn. 12). Werden mit dem zugesetzten Stoff hingegen hauptsächlich ernährungsphysiologische Zwecke verfolgt – wovon hier wegen der vom Antragsteller behaupteten vielfältigen positiven Wirkungen der Substanz Cannabidiol auf den menschlichen Körper auszugehen sein dürfte (vgl. Internetauftritt von CCK CBD Cosmetics König, Blatt 1 der Behördenakte: „entkrampfende, entzündungshemmende, angstlösende und gegen Übelkeit gerichtete Wirkungen“) -, handelt es sich bereits begrifflich nicht um ein „Aroma“ oder einen „Aromaextrakt“ i.S.d. Art. 2 der Verordnung VO (EG) Nr. 1334/2008, so dass der Anwendungsbereich des Art. 2 Abs. 1 VO (EU) Nr. 2015/2283 grundsätzlich wohl auch dann eröffnet ist, wenn das Produkt seitens des Lebensmittelunternehmers – unzutreffend und abweichend von der tatsächlichen Zweckbestimmung – als „Aroma“ oder „Aromaextrakt“ bezeichnet in den Verkehr gebracht wird (vgl. Ballke in Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, VO (EU) 2015/2283, Stand März 2021, Art. 2 Rn. 28).
Darüber hinaus gelten für das Inverkehrbringen von Aromen und Aromaextrakten jedenfalls die Vorgaben des Art. 10 i.V.m. Art. 9 und der Gemeinschaftsliste nach Art. 1 Buchst. a) VO (EG) Nr. 1334/2008 (Anhang der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 872/2012), wobei ein Eintrag in die Gemeinschaftsliste für Cannabidiol von der Beschwerde unter der CAS-Nr. 3956-29-1 nicht behauptet und auch sonst nicht ersichtlich ist. Im Übrigen dürfen Aromen und Lebensmittelzutaten mit Aromaeigenschaften nach Art. 4 VO (EG) Nr. 1334/2008 nur verwendet und in den Verkehr gebracht werden, wenn diese keine Gefahr für die Gesundheit des Verbrauchers darstellen und ihre Verwendung diesen nicht irreführt. Hinsichtlich der Substanz Cannabidiol sind diese Voraussetzungen als derzeit nicht geklärt anzusehen. Ein Verstoß des nach Art. 3 Nr. 3 VO (EG) Nr. 178/2002 für die Einhaltung der Anforderungen des Lebensmittelrechts verantwortlichen Lebensmittelunternehmers gegen diese Vorschrift führt nach Art. 5 VO (EG) Nr. 1334/2008 zu einem Verkehrsverbot.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Da die Beteiligten trotz gerichtlicher Anfrage keine Angaben zu den wirtschaftlichen Auswirkungen der streitgegenständlichen Verfügung gemacht haben, war der Streitwertfestsetzung der Auffangstreitwert gemäß § 47 Abs. 1, 2 i.V.m. § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 GKG zugrunde zu legen und nach Ziffer 1.5 Satz 2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 zu reduzieren.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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