Europarecht

Deckungsumfang für tschechischen Schwertransporter

Aktenzeichen  5 U 40/19

Datum:
22.10.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 54002
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
Bamberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
VVG § 78 Abs. 2
Rom II-VO Art. 4 Abs. 1, Art. 7 Abs. 2, Art. 19, Art. 20
AEUV Art. 267 Abs. 3
StVG § 7 Abs. 1

 

Leitsatz

Verfahrensgang

33 O 444/16 2019-01-18 Urt LGHOF LG Hof

Tenor

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Hof vom 18.01.2019, Az. 33 O 444/16, aufgehoben und abgeändert wie folgt: Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 5.870,49 € nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz hieraus seit 18.01.2017 zu bezahlen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens erster Instanz und des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen soweit über die Frage der Anwendbarkeit von § 78 VVG im Kontext des „internationalen Anhängerregresses“ entschieden wurde.

Gründe

A.
1. Die Parteien streiten um Regressansprüche der Klägerin gegen die Beklagte. Die Klägerin leistete als deutsche Haftpflichtversicherung einer Zugmaschine, welche einen Schwertransportanhänger zog, Zahlungen an Drittgeschädigte und verfolgt mit ihrer Klage den hälftigen Ersatz dieser Zahlungen sowie ihrer Aufwendungen zur Rechtsverteidigung. Bei der Beklagten handelt es sich um die in der tschechischen Republik geschäftsansässige Haftpflichtversicherung des in Tschechien zugelassenen Schwertransportanhängers des verunfallten Fahrzeuggespanns. Wegen der tatsächlichen Feststellungen wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Darüberhinausgehende ergänzende tatsächliche Feststellungen wurden durch den Senat nicht getroffen.
2. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, dass weder Ansprüche aus §§ 7 StVG, 249 ff. BGB, 86 VVG noch aus § 78 VVG bestünden.
[2.1.] Ein nach § 86 VVG auf die Klägerin im Wege der Legalzession übergegangener Anspruch der durch den Unfall Geschädigten bestehe nicht, da nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung der selbst haftpflichtige Schädiger seinen Regressanspruch gegen einen ihm zum Ausgleich verpflichteten Schädiger nicht im Wege des Direktanspruchs gegen dessen Haftpflichtversicherer gelten machen könne.
[2.2.] Ein Ausgleichsanspruch aufgrund eines Gesamtschuldnerausgleichs wegen einer Doppelversicherung nach § 78 VVG bestehe ebenfalls nicht. Nach deutschem Recht bestehe zwar eine Doppelversicherung i.S.d. § 78 VVG für das Gespann aus Zugmaschine und Anhänger innerhalb derer nach § 78 Abs. 2 VVG bei vollständigem Ersatz des Schadens eines Drittgeschädigten durch einen der Versicherer ein Ausgleichsanspruch in Höhe der Hälfte der geleisteten Zahlungen gegen den anderen Versicherer bestehe. Vorliegend sei allerdings nicht ausschließlich deutsches Recht anwendbar. Zwar finde nach Art. 4 ff. der Rom II-VO das Recht des Ortes des Schadenseintritts Anwendung, was nach Art. 15 lit. b der Rom II-VO auch für die Teilung unter mehreren Parteien gelte. Jedoch ergäbe sich die Verpflichtung eines Haftpflichtversicherers zur Ersatzleistung an einen Geschädigten primär aus einem Vertragsverhältnis, weshalb insoweit die Vorschriften der Rom I-VO anzuwenden seien. Danach sei nach dem jeweils auf den Versicherungsvertrag anzuwendenden Recht zu ermitteln, ob eine Leistungspflicht für die jeweilige Haftpflichtversicherung bestand, weshalb diese Frage vorliegend nach tschechischem Recht zu beurteilen sei. Zwar richte sich die Frage, ob der vorleistende Versicherer der Zugmaschine im Wege des Rechtsübergangs in die Rechte des Geschädigten eintreten kann gemäß Art. 19 der Rom II-VO nach dem Recht, das für die ursprüngliche Schadensersatzforderung maßgeblich gewesen ist, also nach deutschem Recht. Da sich die Deckungsverpflichtung eines Versicherers gegenüber dem Geschädigten jedoch aus dem mit einem Versicherten geschlossenen Versicherungsvertrag ergäbe, seien die Voraussetzungen des hier streitigen Regressanspruchs zwischen den Versicherern nach Art. 7 der Rom I-VO aus dem mit der Beklagten geschlossenen Versicherungsvertrag nach tschechischem Recht zu bestimmen. Nach tschechischem Recht bestehe kein Ausgleichsanspruch des Versicherers einer Zugmaschine gegen den Versicherer eines Anhängers, was sich aus dem durch das Landgericht erholten Rechtsgutachten ergebe. Die Klage sei demnach abzuweisen gewesen.
3. Die Klägerin hat mit Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 18.02.2019, eingegangen beim Oberlandesgericht am selben Tag, gegen das ihrem Prozessbevollmächtigten am 23.01.2019 zugestellte Urteil Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis 08.04.2019 mit Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 08.04.2019, eingegangen beim Oberlandesgericht am selben Tag, begründet.
Mit ihrer Berufung verfolgt die Klägerin ihre Ansprüche auf Ersatz der Hälfte der von ihr geleisteten Zahlungen weiter.
Zur Begründung führt die Klägerin aus, dass das Landgericht auf zutreffender und unstreitiger Tatsachengrundlage rechtsfehlerhaft die Frage der Ausgleichsverpflichtung der Beklagten nach tschechischem Recht beantwortet habe. Das Landgericht habe insbesondere die Vorschrift des Art. 7 Abs. 4 der Rom I-VO unberücksichtigt gelassen. Die sich hieraus ergebende Forderung, dass der Deckungsumfang für das tschechische Fahrzeug den formellen und materiellen Anforderungen des Rechts der Bundesrepublik Deutschland entsprechen müsse, werde durch die aktuelle Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gestützt, nach welcher eine Doppelversicherung bestehe und der Schaden im Innenverhältnis der Versicherer zu teilen sei. Dass nach tschechischem Recht derartige Ansprüche nicht gegeben seien, sei nicht erheblich. Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs stehe dieser Rechtsauffassung nicht entgegen. Eine bloß subsidiäre Haftung stehe im Widerspruch zu deutschem Recht und würde potentielle Unfallgegner einem erhöhten Risiko aussetzen, was nicht hinnehmbar sei. Aus dem Ein-Prämien-Prinzip der EU-KH-Richtlinie ergebe sich, dass der Schutz, den der ausländische Versicherer eines Anhängers bieten muss, basierend auf der Entscheidung des Bundesgerichtshofs IV ZR 279/08, identisch sein müsse und deshalb § 78 VVG anwendbar sei.
Die Klägerin beantragte,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin
€ 5.870,49 nebst Zinsen in Höhe von 5% Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil. Die Rechtsansicht der Klägerin, wonach sich im Ergebnis das auf einen Versicherungsvertrag anzuwendende Recht jeweils mit einem Grenzübertritt wandele, widerspreche der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Insoweit beantragte die Beklagte auch, das Verfahren auszusetzen und die Rechtsfrage dem Europäischen Gerichtshof als Vorfrage vorzulegen. Die durch die Klägerin zitierte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs betreffe nur den nationalen Regress. Die nationalen Vorschriften über den erforderlichen Deckungsumfang ausländischer Versicherer dienten in erster Linie dem Schutz der Unfallopfer, nicht jedoch dem Schutz etwaiger Ausgleichsrechte gegen weitere Versicherer. Nach den Anknüpfungsregeln der Rom I-VO komme auf den zwischen dem tschechischen Halter und der tschechischen Versicherung geschlossenen Versicherungsvertrag allein tschechisches Recht zur Anwendung. Art. 20 der Rom II-VO ändere hieran nichts, da diese Vorschrift nur den schadensersatzrechtlichen Gesamtschuldnerausgleich regele, dem § 78 VVG nicht zugehöre. Eine Anwendung von § 78 VVG komme deshalb nicht in Betracht.
4. Der Senat hat zur Sache verhandelt. Auf das Sitzungsprotokoll vom 13.08.2019 wird Bezug genommen. Desweiteren wird ergänzend auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.
B.
Die zulässige Berufung gegen das Endurteil des Landgerichts Hof vom 18.01.2019, Az. 33 O 444/16, hat in vollem Umfang Erfolg. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Bezahlung von 5.870,49 € auf der Grundlage von § 78 Abs. 2 VVG.
I.
Die Berufung der Klägerin ist statthaft, wurde form- und fristgerecht eingelegt und erweist sich damit als zulässig.
II.
Der Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte auf Bezahlung der Hälfte der von ihr aufgewendeten Beträge ergibt sich aus § 78 Abs. 2 VVG und begründet sich wie folgt.
1. Ausgangspunkt der Überlegungen zur Frage eines Regressanspruchs des deutschen Haftpflichtversicherers einer im Inland zugelassenen Zugmaschine gegen den ausländischen Haftpflichtversicherer des im Ausland zugelassenen Anhängers sind die Vorschriften der Rom IIVerordnung (Verordnung 864/2007/EG), die ein umfassendes Regelwerk über den Bereich der außervertraglichen Schuldverhältnisse darstellen. Für die vorliegende Problematik internationaler Unfallereignisse erklären Art. 20 und 19 der Rom II-VO sowohl hinsichtlich der Frage des Ausgleichsanspruchs unter mehreren für dieselbe Forderung haftenden Schuldnern, als auch für die Frage des gesetzlichen Forderungsübergangs nach Leistung eines Dritten an den Geschädigten, jeweils das Recht für anwendbar, das den Anspruch des Gläubigers gegen den an ihn zunächst leistenden Schuldner beherrscht. Dies wäre vorliegend das Recht der Bundesrepublik Deutschland. Diese Betrachtung rückt jedoch die rein deliktischen Beziehungen der Beteiligten in den Vordergrund. Nach den Darlegungen in der Entscheidung des EuGH vom 21.01.2016 (C-359/14 und 475/14, NVZ 2016, 217ff.) ist jedoch zu beachten, dass die Verpflichtung eines Versicherers, um die es vorliegend geht, ihre Grundlage in dem mit dem Versicherungsnehmer geschlossenen Versicherungsvertrag findet, weshalb eine differenzierte Betrachtung zwischen den vertraglichen und den außervertraglichen Beziehungen vorzunehmen ist. Der Artikel 14 der EU-KH-Richtlinie enthalte, so der Europäische Gerichtshof, keine Kollisionsregelungen zur Frage des anwendbaren Rechts hinsichtlich des Regresses zwischen den Haftpflichtversicherern des unfallbeteiligten Gespannes, weshalb diese Vorschrift vorliegend außer Betracht zu bleiben habe. Dem schließt sich der Senat an. Zu der Frage des anwendbaren Rechts gelte nach dem vorgenannten Urteil des Europäischen Gerichtshofs, dass für die Frage, welche Halter oder Fahrer zum Schadensersatz verpflichtet sind, im Regelfall nach der allgemeinen Kollisionsnorm des Art. 4 Abs. 1 der Rom II-VO das Recht des Orts des Schadenseintritts maßgeblich sei. Nach Art. 15 Buchstabe b) der Rom II-VO gelte dies auch für die Teilung des Schadens unter mehreren Parteien. Gleichzeitig sei aber zu beachten, dass die Verpflichtung eines Haftpflichtversicherers aus einem Vertragsverhältnis mit einem Versicherungsnehmer stamme. Deshalb sei nach den Vorschriften der Rom I-Verordnung (Verordnung 593/2008/EG) nach dem auf den jeweiligen Versicherungsvertrag anwendbaren Recht zu klären, ob eine Leistungspflicht für den jeweiligen Versicherer bestand. Vor diesem Hintergrund sei die Frage, ob der vorleistende Versicherer eine Regressforderung gegen den Versicherer des anderen Gespannteils haben kann, aus Art. 19 der Rom II-VO abzuleiten. Dieser bestimme, dass ein Übergang der ursprünglichen Forderung des Geschädigten an den leistenden Dritten nach dem Recht zu lösen sei, das auch für die ursprüngliche Schadensersatzforderung des Geschädigten maßgeblich gewesen sei. Dabei sei zu berücksichtigen, dass die Verpflichtung des Versicherers eine vertragliche sei und sich der Regressanspruch deshalb nach dem auf den Versicherungsvertrag nach Art. 7 der Rom I-VO anzuwendenden Recht ergebe.
2. Vorliegend bedeutet dies, dass die Frage, ob der Klägerin Regressansprüche gegen die Beklagte zustehen, nach den in Art. 19 der Rom II-VO statuierten Anforderungen und dem sich aus dieser Vorschrift zu bestimmenden Recht zu beantworten ist. Vorliegend führt diese Prüfung zur Anwendung des Rechts der Bundesrepublik Deutschland und zur Bejahung eines Ausgleichsanspruchs in ausgeurteilter Höhe.
[2.1.] Die Eingangsvoraussetzung des Art. 19 Halbsatz 1 der Rom II-VO ist gegeben. Die geschädigte G GbR hat gegen die J GmbH, die Halterin des Zugfahrzeugs des unfallbeteiligten Gespanns, Schadensersatzansprüche, was durch das Urteil des Landgerichts Hof vom 21.12.2015, Az. 32 O 191/14, festgestellt und zwischen den Parteien des vorliegenden Rechtsstreits unstreitig ist. Hierbei handelt es sich unzweifelhaft um eine Verpflichtung aufgrund eines außervertraglichen Schuldverhältnisses, welche sich aus dem gemäß Art. 4 der Rom IIVO anwendbaren § 7 Abs. 1 StVG ergab.
[2.2.] Die Verpflichtung eines Dritten, den Gläubiger zu befriedigen, oder die Befriedigung durch den Dritten aufgrund dieser Verpflichtung (Art. 19 Halbsatz 1 der Rom II-VO) sind vorliegend gegeben. Die K AG war als Haftpflichtversicherung der Zugmaschine des unfallbeteiligten Gespanns zum einen zum Schadensersatz verpflichtet, was ebenfalls durch das Urteil des Landgerichts Hof vom 21.12.2015, Az. 32 O 191/14, festgestellt und zwischen den Parteien des vorliegenden Rechtsstreits unstreitig ist. Diese Haftung ergab sich aus den nach Art. 4 der Rom II-VO anwendbaren §§ 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG i.V.m. § 1 PflVG. Unstreitig ist darüberhinaus, dass die Klägerin aufgrund dieser Verpflichtung die geschädigte G GbR entschädigt hat.
Als Zwischenergebnis bleibt daher festzuhalten, dass die Eingangsvoraussetzungen des Art. 19 der Rom II-VO gegeben sind.
[4.4.] Nach Art. 19 Halbsatz 2 der Rom II-VO und der vorzitierten hierzu ergangenen Rechtssprechung des Europäischen Gerichtshofs, welcher sich der Senat anschließt, ist unter der Voraussetzung, dass auch die Beklagte als tschechische Versicherung des in Tschechien zugelassenen Anhängers der geschädigten G GbR zum Schadensersatz verpflichtet war (2.4.1), dem für den Dritten (hier die K AG) gegenüber dem Gläubiger (hier der G GbR) maßgebenden Recht zu entnehmen, ob und in welchem Umfang Regressansprüche zwischen den Versicherern des Gespanns bestehen (2.4.2).
[4.4.1.] Die erstgenannte Voraussetzung der Schadensersatzpflicht der Beklagten gegenüber der G GbR ist gegeben. Dem Deliktsstatut des Art. 4 Abs. 1 der Rom II-VO nach ist für eine deliktische Haftung grundsätzlich das Recht der Bundesrepublik Deutschland maßgeblich. Da sich, so die zustimmungswürdige vorgenannte Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, die Verpflichtung eines Versicherers jedoch in erster Linie aus seinem Vertragsverhältnis mit dem Versicherten ergibt, ist das auf ein solches Schuldverhältnis anzuwendende Recht nicht nach dem Deliktsstatut der Rom II-VO, sondern nach den Vorschriften der Rom I-VO zu bestimmen. Demnach könnte für die Beklagte als tschechische Versicherung eines tschechischen Anhängers nach Art. 7 Abs. 2 der Rom I-VO tschechisches Recht auch für die Frage einer (direkten) Haftung der Versicherung zur Anwendung kommen. Nach tschechischem Recht besteht – laut dem im Verfahren erster Instanz erholten und zu folgenden Rechtsgutachten – ein Anspruch des Geschädigten gegen den Halter eines von einer Zugmaschine gezogenen Anhängers nicht, so dass folglich auch ein (Direkt-)Anspruch gegen einen Versicherer nach tschechischem Recht ausscheidet. Zu beachten ist jedoch, dass nach Art. 7 Abs. 4 der Rom I-VO Sonderregeln für die Bestimmung des anzuwendenden Statuts bestehen, wenn es sich wie vorliegend um einen Versicherungsvertrag handelt, für welchen ein Mitgliedsstaat eine Pflichtversicherung vorsieht. Vorliegend ist dies nach § 1 Abs. 1 des AusPflVG, der eine Haftpflichtversicherung für Kraftfahrzeuganhänger in der Bundesrepublik Deutschland vorsieht, der Fall. Die Anknüpfung der Sonderregel des Art. 7 Abs. 4 der Rom I-VO ist damit gegeben. Die in der Vorschrift vorausgesetzte Diskrepanz zwischen den Versicherungsverträgen besteht darin, dass nach tschechischem Recht, abweichend von deutschem Recht (vgl. §§ 7 Abs. 1 StVG, 6 Abs. 3 AuslPflVG, 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG) eine Halterhaftung des Anhängerhalters und ein Direktanspruch gegen dessen Versicherer nicht bestehen (so das vorzitierte Rechtsgutachten). Nach der Ansicht des Senats handelt es sich bei den vorgenannten Diskrepanzen zwar um Unterschiede in den Rechtsordnungen der Mitgliedsstaaten, nicht in den „Versicherungsverträgen“ selbst wie es unter Buchstabe a) der Verordnung formuliert wird. Aber auch diese unterfallen nach der Ansicht des Senats dem Begriff des „Versicherungsvertrags“ nach Art. 7 Abs. 4 Buchstabe a) der Rom I-VO. Aus dem Regelungskontext der Vorschrift ergibt sich, dass mit diesem Begriff nicht die vertragliche Gestaltung an sich, sondern die gesamte Haftungssituation wie sie sich auf vertraglicher und gesetzlicher Grundlage ergibt, gemeint sein muss. Durch die im Satz 2 des Buchstaben a) angeordnet Geltung des Rechts des anderen Mitgliedsstaats kann ein bloß vertragliches Defizit denknotwendig nicht aufgefangen werden, was für die dargelegte Sichtweise spricht. Der Sinn und Zweck sowie das Prinzip der praktischen Wirksamkeit sprechen ebenfalls klar für dieses Verständnis. Damit sind vorliegend die von dem die Versicherungspflicht auferlegenden Staat vorgeschriebenen besonderen Bestimmungen aufgrund der aufgezeigten Diskrepanzen nicht gewahrt. Diese Situation wird von Art. 7 Abs. 4 Buchstabe a Satz 2 der Rom I-VO dadurch aufgelöst, dass vorrangig das Recht des Mitgliedsstaates anzuwenden ist, der die Versicherungspflicht vorschreibt. Dies gilt aus Sicht des Senats auch, soweit das tschechische Recht nicht nur einen Direktanspruch nicht statuiert, sondern auch, soweit das tschechische Recht eine Haftung des Halters des Anhängers erst gar nicht vorsieht. Jede andere Betrachtung würde dem Sinn und Zweck der Regelung des Art. 7 Abs. 4 Buchstabe a Satz 2 der Rom I-VO zuwiderlaufen. Die Sicherstellung eines (vertraglichen) Direktanspruchs eines Geschädigten gegen einen Versicherer, der die unmittelbare Folge der Regelung des Art. 7 Abs. 4 Buchstabe a Satz 2 der Rom I-VO ist, liefe nämlich vollständig ins Leere, wenn nicht denknotwendig ein Anspruch gegen den Halter bestünde, hinsichtlich dessen die direkte Mithaftung der Versicherung durch die Sonderregelung begründet würde. Auch der Umstand, dass Art. 3 der RL 2009/103/EG vom 16. September 2009 über die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung den Mitgliedsstaaten die Pflicht auferlegt, für eine Versicherung (auch) von Anhängern für Unfälle im europäischen Ausland sorge zu tragen, wäre überflüssig und unverständlich, wenn es eine hierdurch abzusichernde Haftung des Anhängerhalters nicht gäbe oder sie durch die Mitgliedsstaaten, wenn auch von ihnen selbst in der eigenen Rechtsordnung nicht vorgesehen, nicht wenigstens dem Grunde nach bei Auslandsunfällen akzeptiert würde. In der Literatur (vgl. Luckhaupt, Anhängerregress und kein E…, NVZ 2016, 497 ff.) und der instanzgerichtlichen Rechtsprechung (vgl. die im Berufungsverfahren durch die Klägerseite vorgelegten landgerichtlichen Urteile) wird diese Wertung mit unterschiedlichen und zustimmungswürdigen Begründungsansätzen im Ergebnis breit geteilt.
Als Zwischenergebnis bleibt daher festzuhalten, dass in der vorliegenden Konstellation ein Anspruch des Geschädigten gegen den Versicherer des Anhängers als Direktanspruch zu bejahen ist, was sich aus der vorstehend dargelegten Anwendbarkeit von §§ 7 Abs. 1 StVG, 6 Abs. 3 AuslPflVG, 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG ergibt.
[4.4.2.] In der Folge richtet sich der Ausgleichsanspruch des leistenden Versicherers gemäß Art. 19 der Rom II-VO nach dem Recht, das für den Anspruch zwischen dem Geschädigten und dem leistendem Versicherer anwendbar ist. Das vorliegend anzuwendende Recht ist nach Art. 4 ff. der Rom II-VO und Art. 7 ff. der Rom I-VO unzweifelhaft das Recht der Bundesrepublik Deutschland, denn sowohl der Schadensort wie auch der Sitz der Klägerin sind in der Bundesrepublik Deutschland belegen. Demzufolge ergibt sich aus der in Art. 19 der Rom II-VO getroffenen Regelung, dass auch nach dem wie vorstehend bestimmten deutschen Recht zu beurteilen ist, ob und in welchem Umfang die Klägerin bei der Beklagten Regress nehmen kann. Dass der leistende Versicherer eines Gespannteils bei dem Versicherer des anderen Gespannteils auf Grundlage von § 78 Abs. 2 VVG (i.d.R. hälftigen) Regress nehmen kann, ist der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs folgend (Bundesgerichtshof, Urteil vom 27.10.2010, IV ZR 279/08) zu bejahen. Die Voraussetzungen einer Doppelversicherung sind vorliegend auch unstreitig gegeben.
Folglich ist auch die Beklagte als tschechische Versichererin des tschechischen Anhängers der Klägerin als leistender deutscher Versichererin des deutschen Zugfahrzeugs zum Ausgleich aufgrund des vorliegend anwendbaren § 78 Abs. 2 VVG verpflichtet.
[4.5.] Hinsichtlich der Höhe des Betrags, welcher der Ausgleichung zu Grunde zu legen war, ist von 12.102,98 € auszugehen. Die unfallbedingte Zahlung dieses Betrages, der sich aus dem der G GbR zu erstattenden Schaden sowie den Kosten der Rechtsverteidigung zusammensetzt, ist durch die Klägerin vorgetragen und durch die Beklagte nicht bestritten worden. Eine Quotierung von 50:50 war vorliegend geboten, weil sich aus dem unbestrittenen Klägervortrag hinreichend ergab, dass die Versicherungsverträge des Anhängers und der Zugmaschine, welche nicht vorgelegt wurden, eine die hälftige Schadensteilung rechtfertigende Deckungsgleichheit aufweisen. Hinsichtlich der jeweiligen originären vertraglichen Leistungspflichten unter Berücksichtigung von Deckungsbegrenzungen und Selbstbehalten, welche für die Bemessung der Ausgleichung ausschlaggebend sind (vgl. BeckOK VVG/Car, 5. Ed. 28.2.2019, VVG § 78 Rn. 19), haben die Parteien jedenfalls nichts Abweichendes vorgetragen. Von den sich rechnerisch ergebenden 6.051,49 € machte die Klägerin nur 5.870,49 € geltend, welche zuzusprechen waren.
[4.6.] Der Zinsausspruch beruht auf § 291 BGB. Die Klage wurde der Beklagten am 17.01.2017 zugestellt.
C.
Der Anregung der Beklagten, das Verfahren auszusetzen und die durch die Beklagte aufgeworfenen Fragen durch den Europäischen Gerichtshof im Vorabentscheidungsverfahren klären zu lassen war nicht nachzugehen. Zum einen besteht eine derartige Verpflichtung für den Senat nicht, da es sich vorliegend nicht um eine nicht mehr mit innerstaatlichen Rechtsmitteln anfechtbare Entscheidung handelt (Art. 267 Abs. 3 AEUV). Vielmehr stand es im pflichtgemäßen Ermessen des Senats, über die Notwendigkeit einer Vorlage an den Europäischen Gerichtshof zu entscheiden. Der Senat hat eine dahingehende Erforderlichkeit nicht erkannt, da die vorliegende Berufungsentscheidung nach Ansicht des Senats in vollständiger Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und dessen Auslegung des Europäischen Rechts steht. Mit der Entscheidung vom 21.01.2016, C-359/14 und C-475/14, hat der Europäische Gerichtshof auch die vorliegend maßgeblichen Auslegungsfragen beantwortet bzw. die bei der Beantwortung maßgeblichen Gesichtspunkte aufgezeigt.
D.
1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
2. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
3. Die Entscheidung über die (teilweise) Zulassung der Revision beruht auf § 543 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Die Zulassung der Revision im Hinblick auf die Frage der Anwendbarkeit von § 78 VVG im Kontext des „internationalen Anhängerregresses“ war geboten, da obergerichtliche Rechtsprechung hierzu nicht vorhanden ist und sich die Instanzrechtsprechung zu dieser Frage uneinheitlich darstellt. Die auf eine bestimmte Rechtsfrage beschränkte Zulassung der Revision ist zulässig und vorliegend geboten, da hinsichtlich der übrigen Rechtsfragen des vorliegenden Verfahrens die Zulassungsvoraussetzungen offensichtlich nicht gegeben sind.


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