Europarecht

Diesel-Abgasskandal

Aktenzeichen  18 U 7091/19

Datum:
27.4.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 32434
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 31, § 242, § 311 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3, § 241 Abs. 2, § 826

 

Leitsatz

1. Die Kausalität der konkludenten Täuschung für den Vertragsschluss ist  nicht erst dann zu verneinen, wenn dem Käufer die Betroffenheit des konkret erworbenen Pkws von den Abgasmanipulationen bei Vertragsschluss positiv bekannt war. Vielmehr reicht aus, dass der Käufer es jedenfalls für möglich gehalten hat, dass der von ihm erworbene Pkw betroffen sein könnte, aber keine ihm möglichen und zumutbaren Schritte unternommen hat, diese Frage vor Vertragsschluss zu klären. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
2. Für die Kenntnis vom VW-Abgasskandal kann nicht allein auf die Adhoc-Mitteilung von VW vom 22.09.2015 und deren Funktion abgestellt werden. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

1 O 3758/18 2019-11-05 Endurteil LGTRAUNSTEIN LG Traunstein

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Endurteil des Landgerichts Traunstein vom 05.11.2019, Az. 1 O 3758/18, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen 3 Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.

Gründe

I.
Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Klagepartei gegen das Endurteil des Landgerichts Traunstein vom 05.11.2019 gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
Gemäß § 513 Abs. 1 ZPO kann die Berufung nur darauf gestützt werden, dass das angefochtene Urteil auf einer Rechtsverletzung im Sinne von § 546 ZPO beruht oder nach § 529 ZPO zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen. Dies zeigt die Berufungsbegründung nicht auf. Das Landgericht hat Schadensersatzansprüche der Klagepartei wegen des Erwerbs eines vom sogenannten Dieselskandal betroffenen Pkw im Ergebnis zu Recht verneint und die Klage als unbegründet abgewiesen.
1. Ein grundsätzlich in Betracht kommender deliktischer Schadensersatzanspruch, insbesondere aus § 826, § 31 BGB, scheitert im vorliegenden Fall jedenfalls daran, dass die Klagepartei weder hinreichend dargelegt noch nachgewiesen hat, dass eine Täuschung seitens der Beklagten für ihre Entscheidung zum Erwerb des streitgegenständlichen Pkw kausal geworden ist und sie diesen nicht erworben hätte, wenn sie von einer Betroffenheit des Fahrzeugs vom sogenannten Diesel-Abgasskandal gewusst hätte.
1) Die Schädigungshandlung der Beklagten kann allein darin gesehen werden, dass sie einen Dieselmotor des Typs EA 189 entwickelt und in Verkehr gebracht hat, der von der sog. „VW-Abgasthematik“ betroffen ist, also mit einer – nicht offen gelegten – Motorsteuerungssoftware ausgestattet ist, die den Stickoxidausstoß auf dem Prüfstand gegenüber dem Ausstoß im normalen Fahrbetrieb reduziert. Dieser Motor sollte bestimmungsgemäß in ein Kraftfahrzeug eingebaut und sodann an einen Endkunden, dem gegenüber die Funktionsweise der Software nicht offengelegt wird, verkauft werden. In Übereinstimmung mit dem Oberlandesgericht Karlsruhe (Hinweisbeschluss vom 05.03.2019 – 13 U 142/18, BeckRS 2019, 3395) wertet der Senat das Inverkehrbringen eines mit einer solchen nicht offengelegten Abschalteinrichtung ausgestatteten Motors als konkludente Täuschung des Endkunden, der das Fahrzeug, in das der Motor eingebaut worden ist, erwirbt.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs besteht der Schaden im Fall einer durch arglistige Täuschung verübten sittenwidrigen Schädigung (§ 826 BGB) regelmäßig in der eingegangenen Verpflichtung, die der Getäuschte bei Kenntnis der Umstände nicht eingegangen wäre (vgl. BGH, Urteil vom 21.12.2004 – VI ZR 306/03, BGHZ 161, 361, juris Rn. 14 ff.).
Die Darlegungs- und Beweislast für den Kausalzusammenhang zwischen Täuschung und eingegangener Verpflichtung trifft den Geschädigten; auf den Nachweis der konkreten Kausalität der Täuschung für den Willensentschluss des Getäuschten kann nicht verzichtet werden (vgl. Palandt/Sprau, BGB, 79. Aufl., § 826 Rn. 18; BGH, Urteil vom 04.06.2013 – VI ZR 288/12, NJW-RR 2013, 1448, juris Rn. 25). Dabei kann es genügen, dass der Getäuschte Umstände darlegt, die für seinen Entschluss von Bedeutung sein konnten, und dass die arglistige Täuschung nach der Lebenserfahrung bei der Art des zu beurteilenden Rechtsgeschäfts Einfluss auf die Entschließung hat (vgl. BGH, Urteil vom 12.05.1995 – V ZR 34/94, NJW 1995, 2361, juris Rn. 17).
Das Oberlandesgericht Karlsruhe stellt in seinem vorerwähnten Hinweisbeschluss unter anderem darauf ab, dass nach der Lebenserfahrung niemand ein Kraftfahrzeug in Kenntnis einer nicht bestehenden Genehmigung oder Genehmigungsfähigkeit käuflich erwerben würde (a.a.O., Rn. 23). Dieser Gedanke erscheint allerdings nur uneingeschränkt tragfähig, wenn der Käufer – wie in dem vom Oberlandesgericht Karlsruhe beurteilten Fall – den Pkw vor Bekanntwerden des Abgasskandals erworben hat. Hatte der Käufer dagegen im Zeitpunkt des Vertragsschlusses Kenntnis von den Abgasmanipulationen, was angesichts der Offenlegung und breiten Erörterung dieses Themas in den Medien ab Herbst 2015 regelmäßig anzunehmen ist, muss er nachvollziehbar darlegen, aus welchen Gründen er davon ausgegangen ist, dass das von ihm erworbene Fahrzeug von der Problematik nicht betroffen ist. Ein Anscheinsbeweis greift zu seinen Gunsten nicht ein.
Die Kausalität der konkludenten Täuschung für den Vertragsschluss ist dabei nicht erst dann zu verneinen, wenn dem Käufer die Betroffenheit des konkret erworbenen Pkws von den Abgasmanipulationen bei Vertragsschluss positiv bekannt war. Vielmehr reicht aus, dass der Käufer es jedenfalls für möglich gehalten hat, dass der von ihm erworbene Pkw betroffen sein könnte, aber keine ihm möglichen und zumutbaren Schritte unternommen hat, diese Frage vor Vertragsschluss zu klären. Denn ein solches Verhalten des Käufers lässt im Allgemeinen den Rückschluss darauf zu, dass die als möglich erkannte Betroffenheit des Fahrzeugs von den Abgasmanipulationen für seine Kaufentscheidung nicht von wesentlicher Bedeutung war. Verbleibende Zweifel gehen jedenfalls zu Lasten des darlegungs- und beweisbelasteten Käufers.
1) Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe fehlt es im vorliegenden Fall an einer für den Erwerb des streitgegenständlichen Pkw durch die Klägerin am 25.11.2016 kausalen Täuschungshandlung der Beklagten.
Der Geschäftsführer der Klägerin hat bei seiner Anhörung im Termin vom 01.10.2019 im Wesentlichen angegeben, dass er sich für dieses Fahrzeug entschieden habe, weil es sich um einen Allrad handele, der auch etwas höher sei. In Reit im Winkel sei bekanntermaßen im Winter viel Schnee, insofern habe er sich auch unter dem Aspekt der Sicherheit für dieses Fahrzeug entschieden. Die Firma R. L. habe ihm dann das Fahrzeug angeboten, weil es aus erster Hand in einem Top-Zustand zurückgekommen sei. Deswegen habe er sich für dieses Fahrzeug entschieden. Die Sache sei die, dass es bei Allrad auch nicht so viel Fahrzeuge gebe, die eine gute Technik hätten. Für einen Diesel hätten sie sich in erster Linie aufgrund des günstigen Verbrauchs entschieden. Der Aspekt Umwelt sei zum damaligen Zeitpunkt noch nicht so diskutiert worden wie heute. Diesel habe als super Auto gegolten, warum habe man es nicht kaufen sollen. Von dieser Abschaltproblematik habe er damals nichts mitbekommen, sonst hätte er das Fahrzeug nicht gekauft. Zeitung lese er nicht, er sehe aber fern und schaue sich in diesem Zusammenhang auch durchaus die Nachrichtensendungen an. Weiterhin schaue er auch gelegentlich in seinem Handy und auf c. 24.de. Wenn er ehrlich sei, habe er auch Ende 2015 nicht mitbekommen, dass etwas in Amerika mit VW sei. Er hätte doch ansonsten dieses Auto nicht gekauft. Es würden ständig irgendwelche Sachen hochkochen und dann wieder verschwinden. Er habe viel gearbeitet und viel zu tun und für solche Sachen keine Zeit. Dass es in diesem Zusammenhang Probleme gebe, habe er erst festgestellt, als sie ca. 1 Jahr nach dem Kauf das Fahrzeug wieder verkaufen wollten und es absolut keine Resonanz gegeben habe. Erst da habe er sich schlau gemacht und es gemerkt.
Bereits die eigenen Angaben des Geschäftsführers der Klägerin zu den Gründen für die getroffene Kaufentscheidung geben Anlass zu Zweifeln, ob die Abgas-Problematik bei der Kaufentscheidung überhaupt eine Rolle gespielt hat. Im Übrigen hat das Landgericht zu Recht darauf verwiesen, dass zum Zeitpunkt des Kaufvertrags vom 25.11.2016 der Dieselskandal bereits längst bekannt gewesen sei. Entgegen der Auffassung der Klagepartei kann dabei nicht allein auf die Adhoc-Mitteilung der Beklagten vom 22.09.2015 und deren Funktion abgestellt werden. Bei dem Dieselskandal handelt es sich um einen der größten Wirtschaftsskandale der letzten zehn Jahre in Deutschland, der von Anfang an breiteste Erörterung in sämtlichen Medien gefunden hat. Es ist gerichtsbekannt, dass das Kraftfahrtbundesamt (KBA) Mitte Oktober 2015 den Rückruf der mit dem Motor vom Typ EA 189 ausgestatteten Dieselfahrzeuge angeordnet und per Pressemitteilung bekannt gegeben hat. In diesem Zusammenhang hatte die Behörde mitgeteilt, dass allein in Deutschland rund 2,4 Mio. Fahrzeuge betroffen seien. Darüber hinaus erfolgten weitere Pressemitteilungen der Beklagten sowie eine fortdauernde intensive Berichterstattung über die Thematik in sämtlichen Medien. Insbesondere im Zusammenhang mit dem vom Kraftfahrtbundesamt angeordneten Rückruf ist auch die Pressemitteilung der Beklagten vom 15. Oktober 2015 zu nennen, in der ebenfalls über den Rückruf von rund 2,4 Mio. Fahrzeugen im gesamten Volkswagen Konzern berichtet sowie auf die Einrichtung von Websites auch für die Marken Audi, SEAT und SKODA verwiesen wurde. Dies wurde ebenfalls von den Medien aufgegriffen und intensiv darüber berichtet, dass die mit der Abschaltsoftware ausgestatteten Motoren auch in den Fahrzeugen anderer zum VW-Konzern gehörender Hersteller eingebaut waren.
Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass dies auch dem Geschäftsführer der Klägerin – zumal er nach eigenen Angaben die Nachrichten im Fernsehen und Internet verfolgt hat – nicht entgangen ist und die Klagepartei zum Zeitpunkt des Kaufvertragsschlusses ernsthaft damit rechnen musste bzw. es jedenfalls für möglich gehalten hat, dass auch das von ihr erworbene Fahrzeug betroffen ist. Dies gilt umso mehr, als es sich bei dem Fahrzeug um ein Gebraucht- und kein Neufahrzeug handelte, das zum Kaufzeitpunkt bereits eine Laufleistung von 83.000 km aufwies. Die Klagepartei trägt auch nicht vor, dass sie irgendwelche Schritte unternommen hätte, um vor Vertragsschluss die Betroffenheit des Fahrzeugs abzuklären. Dies lässt erkennen, dass es ihr zum maßgeblichen Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrags letztlich gleichgültig war, ob das von ihr erworbene Fahrzeug vom Diesel-Abgasskandal betroffen war oder nicht. Eine konkludente Täuschung seitens der Beklagten hat sich deshalb auf die Entscheidung der Klagepartei für den Erwerb des Pkw zur Überzeugung des Senats nicht nachweislich ausgewirkt.
1) Die Beklagte war auch nicht nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) verpflichtet, die Klagepartei vor Kaufvertragsschluss über die am Abgasrückführungssystem des streitgegenständlichen Pkw vorgenommenen Manipulationen zu informieren. Informationspflichten könnten sich nur aus einem Schuldverhältnis zwischen den Parteien ergeben. Die Beklagte ist aber weder Vertragspartnerin der Klägerin geworden noch haftet sie dieser aus Verschulden bei Vertragsverhandlungen gemäß § 311 Abs. 2 Nr. 1 und Abs. 3, § 241 Abs. 2 BGB.
2. Die vorstehenden Ausführungen gelten in gleicher Weise für alle übrigen von der Klagepartei ins Feld geführten deliktischen Anspruchsgrundlagen. Die Darlegungs- und Beweislast für den erforderlichen Kausalzusammenhang zwischen Schädigungshandlung und Schaden trifft bei allen in Betracht kommenden Haftungstatbeständen den Geschädigten (vgl. Palandt/Sprau, BGB, 79. Aufl., § 823 Rn. 80 ff.).
3. Da Schadensersatzansprüche der Klagepartei bereits dem Grunde nach nicht bestehen, ist auch der weitere Berufungsantrag (Feststellung des Annahmeverzugs) unbegründet, ohne dass es darauf ankäme, ob die weiteren tatbestandlichen Voraussetzungen im vorliegenden Fall erfüllt wären.
III.
Zur Vermeidung weiterer Kosten regt der Senat die Zurücknahme der offensichtlich unbegründeten Berufung an. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich die Gerichtskosten des Berufungsverfahrens von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz).


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