Europarecht

Dublin-Verfahren, Abschiebungsanordnung (Österreich), Keine systemischen Mängel des Asylverfahrens

Aktenzeichen  M 5 S 22.50144

Datum:
23.3.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 18676
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1 lit. a)
AsylG § 34a

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der Antragsteller stammt aus palästinensischen Gebieten. Er reiste am … Dezember 2021 in das Bundesgebiet ein und stellte am … Januar 2022 in Deutschland einen Asylantrag. Eine EURODAC-Recherche ergab. einen Treffer für Österreich.
Die zuständigen österreichischen Behörden erklärten mit Schreiben vom … Januar 2022 die Bereitschaft zur Rückübernahme des Antragstellers auf Grund einer Zuständigkeit nach Art. 18 Abs. 1 Buchst. d) Dublin III-VO.
Mit Bescheid vom *. März 2022 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) den Asylantrag als unzulässig ab (Nr. 1 des Bescheids), stellte fest, dass Abschiebungsverbote gem. § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 2) und ordnete die Abschiebung des Antragstellers nach Österreich an (Nr. 3). In Nr. 4 des Bescheids wurde ein zeitlich befristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG ab dem Tag der Abschiebung verfügt. Auf die Begründung des Bescheids wird Bezug genommen.
Der Antragsteller hat am 15. März 2022 Klage erhoben und zugleich im vorliegenden Verfahren beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage gemäß § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) anzuordnen.
Die jetzt vorgetragenen Asylgründe hätten mit den Gründen, die im Verfahren in Österreich, wo sich der Antragsteller von 2013 bis 2016 aufgehalten habe, nichts zu tun.
Das Bundesamt hat die Behördenakten in elektronischer Form vorgelegt und keinen Antrag gestellt.
Zum weiteren Vorbringen und zu den übrigen Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der nach § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO zulässige Antrag ist unbegründet
1. Die vom Antragsteller erhobene Klage entfaltet von Gesetzes wegen keine aufschiebende Wirkung, § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, § 75 Abs. 1 AsylG. Das Gericht der Hauptsache kann nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO auf Antrag die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Grundlage der Entscheidung ist eine eigene Interessenabwägung zwischen dem Aussetzungsinteresse des Antragstellers und dem Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin. Ein gewichtiges Indiz sind dabei die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens. Vorliegend überwiegt das Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin das Aussetzungsinteresse der Antragsteller, da die Abschiebungsanordnung gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG rechtmäßig ist. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist der Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz. 2 AsylG).
Nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ordnet das Bundesamt die Abschiebung des Ausländers in einen sicheren Drittstaat (§ 26a AsylG) oder einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) an, sobald feststeht, dass diese durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen liegen hier vor
2. Nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat nach der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. L 180 v. 29.6.2013, S. 31) – im Folgenden: Dublin III-VO – für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist.
Art. 3 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-VO sieht vor, dass der Asylantrag von dem Mitgliedstaat geprüft wird, der nach den Kriterien des Kapitels III der Dublin III-VO als zuständiger Staat bestimmt wird. Ausgehend von den EURODAC-Daten und dem Vortrag des Antragstellers ist vorliegend Österreich für die Prüfung des Asylantrags i.S.v. § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AsylG zuständig.
Die österreichischen Behörden haben ihre Zuständigkeit mit Schreiben vom 28. Januar 2022 aufgrund Art. 18 Abs. 1 Buchstabe d) Dublin III-VO anerkannt. Denn der Asylantrag des Antragstellers war in Österreich bereits am 3. Mai 2013 abgelehnt worden.
Soweit die Antragstellerpartei auf die Entscheidungen des EuGH vom 20. Mai 2021 (C 8/20) sowie des OVG Nordrhein-Westfalen vom 9. Dezember 2021 (17 B 1728/21.A) verweist, betreffen diese Entscheidungen nicht die Frage, welcher Mitgliedstaat für die Prüfung eines (weiteren) Asylantrags nach der Dublin III-VO zuständig ist, sondern unter welchen Voraussetzungen die Unzulässigkeit eines (weiteren) Asylantrags im Sinn der RL 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (Asylverfahrens-RL) angenommen werden kann.
3. Besondere Umstände, die die ausnahmsweise Zuständigkeit der Antragsgegnerin nach Art. 3 Abs. 2 Unterabsatz 2 und 3 der Dublin III-VO begründen oder nach Art. 17 Abs. 1 der Dublin III-VO rechtfertigen bzw. bedingen würden, sind nicht ersichtlich. Insbesondere kann der Antragsteller seine Überstellung nach Österreich nicht mit dem Einwand entgegentreten, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in Österreich systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung i.S.d. Art. 4 der Grundrechtecharta (GRCh) mit sich bringen, sodass eine Überstellung nach Österreich unmöglich wäre (Art. 3 Abs. 2 Unterabsatz 2 und 3 der Dublin III-VO).
Nach dem Prinzip der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93 und 2 BvR 2315.93 – juris) bzw. dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10 und C-493/10 – juris) gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedsstaat der Europäischen Union den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention, der Europäischen Konvention für Menschenrechte und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union entspricht. Allerdings ist diese Vermutung nicht unwiderleglich. Vielmehr obliegt den nationalen Gerichten die Prüfung, ob es im jeweiligen Mitgliedsstaat Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber gibt, welche zu einer Gefahr für die Antragsteller führen, bei Rückführung in den zuständigen Mitgliedsstaat einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 GRCh ausgesetzt zu werden (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 a.a.O.). Die Vermutung ist aber nicht schon bei einzelnen einschlägigen Regelverstößen der zuständigen Mitgliedsstaaten widerlegt. An die Feststellung systemischer Mängel sind vielmehr hohe Anforderungen zu stellen. Von systemischen Mängeln ist daher nur dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. zur Dublin-II-VO BVerwG, B.v. 19.3.2014 – 10 B 6.14 – juris Rn. 9).
Derartige Verhältnisse sieht das Gericht zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt für Österreich als nicht gegeben. Dem Gericht liegen keine Hinweise darauf vor, dass ein Asylantragsteller in Österreich Gefahr liefe, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung unterworfen zu werden, und es demzufolge geboten sein könnte, vom Selbsteintrittsrecht Gebrauch zu machen. Es ist nichts dafür ersichtlich oder konkret vorgetragen worden, dass Österreich die Mindeststandards bei der Behandlung der Asylbewerber im Allgemeinen oder im konkreten Einzelfall nicht einhalten würde. Einzelne Missstände begründen keine systemischen Mängel im oben genannten Sinn. Der Antragsteller selbst hat keinerlei Argumente dazu vorgetragen, die auf systemische Mängel bzw. Schwachstellen im Asylverfahren in Österreich schließen lassen, von denen er individuell betroffen sein könnte (vgl. VG München, U.v. 15.3.2017 – M 9 K 17.50031 – juris Rn. 41; B.v. 23.8.2018 – M 23 S 18.52483; VG Greifswald, B.v. 9.11.2017 – 4 B 2196.17 As HGW – juris Rn. 14; vgl. zum Ganzen auch: VG München, B.v. 14.10.2021 – M 5 S 21.50641 – juris Rn. 15 ff.; B.v. 12.8.2019 – M 5 S 17.52517 – juris Rn. 14 ff.).
4. Die Abschiebung nach Österreich kann gemäß § 34a Abs. 1 AsylG auch durchgeführt werden. Ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis, § 60 Abs. 5, Abs. 7 AufenthG, oder ein inlandsbezogenes Vollzugshindernis (vgl. BayVGH, B.v. 12.3.2014 – 10 CE 14.427 – juris) sind nicht dargetan. Der Umstand, dass sich der Kläger in ärztlicher Behandlung befindet und Medikamente zur Behandlung seiner psychischen Beschwerden einnimmt, führt zu keinem anderen Ergebnis. Denn die erforderliche ärztliche Behandlung wird der Antragsteller auch in Österreich erhalten.
5. Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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