Europarecht

Dublin-Verfahren: Keine systemischen Mängel des Asylverfahrens in Italien

Aktenzeichen  M 25 S 15.51018

Datum:
12.1.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 27a, § 34a Abs. 1 S. 1
Dublin III-VO Dublin III-VO Art. 3 Abs. 2, Art. 18 Abs. 1b, Art. 25 Abs. 2
GRCh GRCh Art. 4
EMRK EMRK Art. 3

 

Leitsatz

Es ist im entscheidungserheblichen Zeitpunkt in Übereinstimmung mit der obergerichtlichen Rechtsprechung davon auszugehen, dass keine systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in Italien vorliegen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung iSv Art. 4 GRCh der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber oder eine Rechtsverletzung iSV Art. 3 EMRK implizieren (vgl. ua VGH Mannheim BeckRS 2014, 51025; VGH München BeckRS 2014, 52068 sowie EGMR Urt. v. 13.1.2015 – 51428/10). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der nach eigenen Angaben 26-jährige malische Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen seine drohende Überstellung nach Italien im Rahmen des sog. Dublin-Verfahrens.
Im persönlichen Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats zur Durchführung des Asylverfahrens am 20. Juli 2015 gab der Antragsteller an, er habe Mali im August 2013 verlassen und am 20. Juli 2014 nach Italien eingereist. Am 6. Mai 2015 sei er von dort weiter gereist und am 7. Mai 2015 in Deutschland angekommen. In Italien habe er internationalen Schutz beantragt und zuerkannt bekommen. Mit Schreiben vom 3. August 2015 wurde der Antragsteller zur Zweitbefragung am 13. August 2015 eingeladen.
Am 19. August 2015 richtete die Antragsgegnerin ein Übernahmegesuch an Italien.
Mit Bescheid vom … Dezember 2015 lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Antragstellers als unzulässig ab (Nr. 1) und ordnete seine Abschiebung nach Italien an (Nr. 2). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf sechs Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 3). Der Bescheid wurde am 19. Dezember 2015 zugestellt.
Am 28. Dezember 2015 erhob der Antragsteller in der Rechtsantragstelle des Gerichts Klage mit dem Ziel der Aufhebung des Bescheids vom … Dezember 2015 erheben (M 25 K 15.51017) und beantragte,
hinsichtlich der Abschiebungsandrohung die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Zur Begründung trug er vor, es sei unrichtig, dass er am Asylverfahren kein Interesse zeige. Die im Bescheid genannte Einladung zum persönlichen Gespräch habe er nie erhalten. In Italien werde er im Camp nicht wieder aufgenommen, da er einen negativen Bescheid erhalten habe und nach Mali könne er erst recht nicht zurück, da sein Leben dort bedroht sei.
Mit Schreiben vom 29. Dezember 2015, bei Gericht eingegangen am 30. Dezember 2015, in der Geschäftssteller der Kammer eingegangen am 5. Januar 2016, legte die Antragsgegnerin die Behördenakte vor.
Wegen der weiteren Einzelheiten nimmt das Gericht Bezug auf die Gerichtsakte, auch das Klageverfahrens, sowie die vorgelegte Behördenakte.
II.
Der Antrag hat keinen Erfolg. Er ist unbegründet, weil die nach § 80 Abs. 5 VwGO vom Gericht vorzunehmende Interessenabwägung zulasten des Antragstellers ausfällt. An der Rechtsmäßigkeit der auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG gestützten Abschiebungsanordnung bestehen keine Zweifel.
1. Das Bundesamt hat den Asylantrag des Antragstellers zu Recht nach § 27a AsylG als unzulässig abgelehnt.
Nach § 27a AsylG ist ein Asylantrag als unzulässig abzulehnen, wenn ein anderer Staat aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrags für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ordnet das Bundesamt in einem solchen Fall die Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen sind erfüllt.
1.1. Italien ist für die Prüfung des am 20. Juli 2015 (erneut) in Deutschland gestellten Asylantrags zuständig (Art. 18 Abs. 1b VO (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und Rates vom 26. Juni 2013 – Dublin III-VO). Es ist davon auszugehen, dass dem Wiederaufnahmegesuch stattgegeben wird, da Italien auf das Übernahmeersuchen vom 19. August 2015 nicht fristgerecht geantwortet hat (Art. 25 Abs. 2 Dublin III-VO).
1.2. Die Antragsgegnerin ist nicht verpflichtet, den Asylantrag trotz der Zuständigkeit Italiens inhaltlich selbst zu prüfen.
1.2.1. Von Verfassungswegen kommt eine solche Prüfungspflicht nur in Betracht, soweit ein von vornherein außerhalb der Reichweite des Konzepts der normativen Vergewisserung liegender Sachverhalt gegeben ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist dies – bezogen auf die Verhältnisse im Abschiebezielstaat – etwa dann der Fall, wenn sich die für die Qualifizierung des Drittstaats als sicher maßgeblichen Verhältnisse schlagartig geändert haben und die gebotene Reaktion der Bundesregierung darauf noch aussteht oder wenn der Aufnahmestaat selbst gegen den Schutzsuchenden zu Maßnahmen politischer Verfolgung oder unmenschlicher Behandlung zu greifen droht und dadurch zum Verfolgerstaat wird (BVerfG, U. v. 14.5.1996 – 2 BvR 1983/93). An die Darlegung eines solchen Sonderfalls sind hohe Anforderungen zu stellen.
1.2.2. Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EU-Grundrechtscharta) ist nach Art. 3 Abs. 2 Satz 2 Dublin III-VO und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (U. v. 21.12.2011 – C-411/10 und C-493/10) dahin auszulegen, dass es den Mitgliedstaaten einschließlich der nationalen Gerichte obliegt, einen Asylbewerber dann nicht an den zuständigen Mitgliedstaat im Sinne der Dublin-Verordnung zu überstellen, wenn ihnen nicht unbekannt sein kann, dass die systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Asylbewerber tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne dieser Bestimmung ausgesetzt zu werden.
Das Gericht geht hierbei im zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt seiner Entscheidung in Übereinstimmung mit der obergerichtlichen Rechtsprechung davon aus, dass weder das eine (ein außerhalb des Konzepts der normativen Vergewisserung liegender Ausnahmefall) noch das andere (systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in Italien, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung i. S. v. Art. 4 EU-Grundrechtscharta der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber implizieren) vorliegt (OVG NRW, U. v. 24.4.2015 – 14 A 2356/12A; VGH BW, U. v. 16.4.2014 – A 11 S 1721/13; OVG Münster, U. v. 7.3.2014 – 1 A 21/12.A; OVG Koblenz, U. v. 21.2.2014 – 10 A 10656/13; OVG Lüneburg, B. v. 18.3.2014 – 13 LA 75/13; BayVGH, U. v. 28.2.2014 – 13a B 13.30295; OVG Magdeburg, B. v. 14.11.2013 – 4 L 44/13; OVG Berlin-Brandenburg, B. v. 17.10.2013 – OVG 3 S 40.13).
Dublin-Rückkehrer erhalten in der Regel ungehinderten Zugang zum Asylverfahren und in der ersten Zeit nach der Überstellung ein geordnetes Aufnahmeverfahren mit den zugehörigen Leistungen zur Sicherung der Grundbedürfnisse. Sie werden im Allgemeinen in den früheren Stand ihres Asylverfahrens eingesetzt (BayVGH, U. v. 28.2.2014 – 13a B 13.30295). Während des Asylverfahrens haben sie Anspruch auf freie medizinische Versorgung.
Diese Einschätzung wird auch durch Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, B. v. 17.9.2014 – 2 BvR 939/14) und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR v. 4.11.2011 – 2921/12 – Tarakhel gegen Schweiz) bestätigt. Der volljährige, alleinstehende Antragsteller gehört nicht zu den in diesen Entscheidungen angeführten besonders schützenswerten Personen.
Die Aufnahmebedingungen in Italien begründen für den alleinstehenden, jungen Antragsteller grundsätzlich keine Gefahr einer Verletzung von Art. 3 EMRK (EGMR, U. v. 13.1.2015 – 51428/10 – A.M.E. gegen Niederlande).
Dass sich die Situation des Antragstellers in Italien schlechter als im Bundesgebiet darstellt, begründet keinen systemischen Mangel des Asylverfahrens (vgl. EGMR, B. v. 2.4.2013 Mohamad Hussein u. a. gegen Niederlande und Italien).
1.3. Dass der Bescheid von mangelndem Interesse des Antragstellers an der Fortführung seines Asylverfahrens ausgeht, macht ihn – selbst für den Fall, dass dies unzutreffend sein sollte – nicht rechtswidrig und ändert nichts an der Zuständigkeit Italiens.
Auch der Vortrag des Antragstellers, dass er die Ladung zur Zweitbefragung nicht erhalten hat, führt – wenn man dies zu seinen Gunsten als zutreffend unterstellt – nicht zur formellen Rechtswidrigkeit wegen eines Verfahrensmangels (§ 46 VwVfG).
1.4. Das in Nr. 3 angeordnete Einreise- und Aufenthaltsverbot ist nicht streitgegenständlich.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist nach § 83b AsylG gerichtskostenfrei.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylG.


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