Europarecht

Einstellung des Asylverfahrens wegen Untertauchens

Aktenzeichen  Au 4 K 17.30601

Datum:
10.3.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 101 Abs. 2
AsylG AsylG § 33 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 Nr. 2, Abs. 5 S. 1

 

Leitsatz

1 Statthafte Klageart gegen einen Einstellungsbescheid des Bundesamtes ist die Anfechtungsklage. (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Auslegung des Begriffs „Untertauchen“ lässt auch keinen Schluss dahingehend zu, dass Mitteilungen von anderen Behörden zu einem etwaigen Wohnortwechsel des Asylantragstellers komplett ignoriert werden können. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 30. Januar 2017 (Gesch.-Z.: …) wird aufgehoben.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Das Gericht entscheidet nach § 76 Abs. 1 AsylG nach Übertragung des Rechtsstreits durch den Berichterstatter als Einzelrichter. Die Entscheidung konnte nach § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung ergehen, weil der Bevollmächtigte der Klägerin mit Schriftsatz vom 24. Februar 2017 auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtete. Für das Bundesamt liegt eine generelle Erklärung des Verzichts auf eine mündliche Verhandlung vom 24. März 2016 vor.
Die Klage ist bereits im Hauptantrag zulässig und begründet.
Statthafte Klageart bezüglich eines – hier vorliegenden – Einstellungsbescheids gem. § 32 i.V.m. § 33 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 AsylG ist die Anfechtungsklage (vgl. BVerfG, B.v. 20.7.2016 – 2 BvR 1385/16 – InfAuslR 2016, 390 – juris Rn. 8; VG München, B.v. 28.11.2016 – M 16 S. 16.34334 – juris Rn. 10; VG Augsburg, U.v. 2.11.2016 – Au 5 K 16.32019 – juris Rn. 23; VG Dresden, U.v. 24.10.2016 – 4 K 733/16.A – juris Rn. 14).
Zwar hat der Bevollmächtigte der Klägerin beantragt, die Beklagte zu verpflichten, das Asylverfahren fortzuführen. Nach Auslegung des Klagebegehrens ist damit jedoch zunächst die Aufhebung des streitgegenständlichen Bescheids gewünscht. Mit Blick auf die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes wird dem Begehren der Klägerin durch die Aufhebung des Einstellungsbescheides, die die Fortführung des nunmehr weiter anhängigen Asylverfahrens durch das Bundesamt zur Folge hat, umfassend Rechnung getragen (vgl. VG München, U.v. 30.11.2016 – M 12 K 16.34018 – juris Rn. 16; VG Düsseldorf, GB.v. 2.5.1994 – 25 K 4061/93.A – juris).
Der Anfechtungsklage fehlt auch nicht das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis. Die Klägerin hat keine einfachere und effektivere Möglichkeit zur Realisierung seines Rechtsschutzes. Der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens beim Bundesamt gemäß § 33 Abs. 5 Satz 2 AsylG in der seit dem 17. März 2016 geltenden Fassung stellt keine solche Möglichkeit dar (VG Augsburg, B.v. 27.6.2016 – Au 6 S. 16.30700 – juris; VG Chemnitz, U.v. 22.9.2016 – 4 K 780/16.A – juris; VG Berlin, B.v. 19.8.2016 – 6 L 417.16 A – juris; a.A. VG Ansbach, B.v. 29.04.2016 – AN 4 S. 1630410 – juris, Rn. 13 ff.; VG Regensburg, B.v. 18.04.2016 – RO 9 S. 16.30620 – juris, Rn. 11 ff; vgl. zu allem VG München, U.v. 30.11.2016 – M 12 K 16.34018 – juris Rn. 17 f.). Nach einer Klarstellung durch das Bundesverfassungsgericht kann ein Interesse an gerichtlichem Rechtsschutz nicht verneint werden, weil die erste Wiederaufnahmeentscheidung ein späteres erneutes Wiederaufnahmebegehren selbst dann sperrt, wenn die erste Verfahrenseinstellung nach § 33 Abs. 5 Satz 1 AsylG rechtswidrig gewesen ist (vgl. BVerfG, B.v. 20. Juli 2016 – 2 BvR 1385/16 -, juris Rn. 8, VG Berlin, B.v. 19.8.2016 – 6 L 417.16 A – juris Rn. 8).
Der Bescheid des Bundesamts vom 30. Januar 2017 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten; der Bescheid war daher aufzuheben (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Die Rechtswidrigkeit des Bescheides ergibt sich daraus, dass die Voraussetzungen des § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG („Untertauchen“), auf die sich der Bescheid stützt, nicht vorliegen. Nach § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AsylG ist für die gerichtliche Entscheidungen ohne mündliche Verhandlung der Zeitpunkt maßgebend, in dem die Entscheidung gefällt wird. In diesem Zeitpunkt fehlt es nach Lage der Akten am Merkmal „Untertauchen“. Zwar mag der Aufenthaltsort der Klägerin zunächst tatsächlich unbekannt gewesen sein, da die Klägerin ihrer Meldepflicht über die Verlegung nach * pflichtwidrig nicht nachkam. Dies ist jedoch zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr entscheidend. Aus den Akten ergibt sich deutlich, dass die Klägerin nicht „untergetaucht“ im Sinne des § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG sein kann. Dies ist nur der Fall, wenn der Ausländer – so die Begründung zum Gesetzesentwurf – für die staatlichen Behörden nicht auffindbar ist (BT-Drs. 18/7538,17).
Bereits vor Erlass des angegriffenen Bescheides erfuhr das Bundesamt jedoch am 18. Januar 2017 von der Regierung von, dass die Klägerin dem neuen Wohnort in … zugewiesen wurde (Bl. 97 Verfahrensakte). Die Kenntnis der Beklagten vom neuen Wohnort der Klägerin ergibt sich zudem daraus, dass der Bescheid, obwohl er auf der ersten Seite die alte Adresse der Klägerin in … enthält, an die neue Adresse der Klägerin mit einem „Extra-Anschreiben“ zugestellt wurde. Das Bundesamt hat zudem in einem Aktenvermerk vom 30. Januar 2017 (Datum des Bescheiderlass) notiert: „neue Adresse in Referenzen gefunden“ (Bl. 89 Verfahrensakte). Dies lässt nur den Schluss zu, dass die Beklagte Kenntnis vom neuen Wohnort der Klägerin hatte, sonst hätte sie ihr den Bescheid nicht an diese Adresse zustellen können. Von einer „Nichtauffindbarkeit“ der Klägerin für die staatlichen Behörden kann daher keine Rede sein. Bereits unabhängig von den Mitwirkungspflichten der Klägerin im Asylverfahren konnte eine Einstellung des Asylverfahrens wegen „Untertauchens“ zumindest nach § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG nicht ergehen. Die Auslegung des Begriffs „Untertauchen“ lässt auch keinen Schluss dahingehend zu, dass Mitteilungen von anderen Behörden (hier der Regierung von *) zu einem etwaigen Wohnortwechsel der Klägerin komplett ignoriert werden können. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut sowie aus der Gesetzesbegründung zu § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG, wonach es allein auf eine Nichtauffindbarkeit des Antragstellers ankommt. Zwar hat der Asylantragsteller nach § 10 AsylG jeden Wechsel seiner Anschrift unverzüglich anzuzeigen und trägt im Asylverfahren eine hohe Mitwirkungspflicht. Dies gilt im besonderen Maße für die Vorschrift des § 25 AsylG, wonach der Ausländer in einem Anhörungstermin sämtliche asylrelevanten Tatsachen vorzutragen hat. Daran ist insbesondere die Rechtsfolge des § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylG geknüpft, wonach eine Einstellung möglich ist, wenn der Ausländer einer Aufforderung zur Anhörung gemäß § 25 AsylG nicht nachgekommen ist. Diese Anknüpfung findet sich nach einer systematischen Auslegung jedoch nicht für den hier relevanten § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG, der einzig und allein an das Merkmal „Untertauchen“ anknüpft. Nach alledem musste daher dem Bundesamt die neue Adresse der Klägerin bekannt sein bzw. zumindest jetzt bekannt sein (§ 77 Abs. 1 AsylG). Eine Einstellung des Verfahrens nach § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG ist demnach rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG. Gerichtskosten werden nicht erhoben. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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