Europarecht

Einstweiliger Rechtsschutz bezüglich einer Abschiebungsandrohung im Dublin-Verfahren wegen Zuständigkeit Rumäniens aufgrund früherer dortiger Asylantragstellung

Aktenzeichen  Au 4 S 17.50540

Datum:
3.1.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 2453
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 11 Abs. 1
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1, § 34a Abs. 2  § 74 Abs. 1 Hs. 2
VwGO § 80 Abs. 5
Dublin III-VO Art. 3 Abs. 2  Art. 18 Abs. 1 lit. c, Art. 20 Abs. 3, Art. 23 Abs. 2

 

Leitsatz

1. Die Regeln der Dublin III-VO sehen eine strikte Akzessorietät der Zuständigkeiten vor (vgl. BayVGH BeckRS 2017, 107990). (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
2. Wie sich etwa aus Art. 23 Abs. 2 UAbs. 2 Dublin III-VO sowie Erwägungsgrund Nr. 30 dieser Verordnung ergibt, ist die Bestimmung des nach der Dublin III-VO zuständigen Mitgliedstaats nicht auf Informationen aus dem Eurodac-System begrenzt. Auf die Angaben der rumänischen Behörden über die dortige frühere Asylantragstellung kann daher ohne Weiteres zurückgegriffen werden. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragsteller haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Die Antragsteller begehren einstweiligen Rechtsschutz bezüglich einer Abschiebungsandrohung in einem Bescheid, mit dem ihr Asylantrag als unzulässig abgelehnt wurde.
Nach den Feststellungen der Antragsgegnerin sind die Antragsteller syrische Staatsangehörige vom Volk der Araber und islamischen Glaubens. Mit Bescheid vom 27. November 2017 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) die Asylanträge der Antragsteller als unzulässig ab (1.). Abschiebungsverbote gem. § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG lägen nicht vor (2.). Die Abschiebung nach Rumänien wurde angeordnet (3.). Das Einreise- und Aufenthaltsverbot gem. § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 12 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet. (4.). Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt: Die Antragsteller seien am 20. August 2017 in die Bundesrepublik eingereist. Das Bundesamt habe am 22. August 2017 von den Asylgesuchen der Antragsteller schriftlich Kenntnis erhalten. Förmliche Asylanträge seien am 30. August 2017 gestellt worden. Die Asylanträge seien gem. § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG unzulässig, da Rumänien auf Grund der dort bereits gestellten Asylanträge gem. Art. 18 Abs. 1 c) i.V.m. Art. 3 Abs. 2 Dublin III-VO für die Behandlung der Asylanträge zuständig sei. Nachdem zunächst erfolglos ein Übernahmeersuchen nach der Dublin III-VO an Ungarn gerichtet worden sei, sei am 2. November 2017 ein Übernahmeersuchen nach Rumänien gestellt worden. Die rumänischen Behörden hätten mit Schreiben vom 24. November 2017 ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung der Asylanträge gem. Art. 18 Abs. 1 c) Dublin III-VO erklärt. Abschiebungsverbote in Bezug auf Rumänien bestünden nicht; insbesondere drohe keine Verletzung des Art. 3 EMRK. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den streitgegenständlichen Bescheid Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Am 7. Dezember 2017 wurde für den Antragsteller zu 1, vertreten durch die Antragstellerin zu 2, beim Verwaltungsgericht Augsburg Klage erhoben (Au 4 K 17.50539). Als Klagegegenstand wurde ein Bescheid vom 28. November 2017 (Geschäftszeichen des Bundesamts: 7179525-475) bezeichnet. Ein Bescheid war der Klage nicht beigefügt. Ferner wurde beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen Ziffer 3 des streitgegenständlichen Bescheids anzuordnen.
Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Antragsteller zu 1 bereits am 5. Mai 2017 in die Bundesrepublik eingereist und der Asylantrag am 24. Juli 2017 förmlich gestellt worden sei. Damit sei das Übernahmeersuchen nach Rumänien nicht innerhalb der zweimonatigen Frist des Art. 21 Dublin III-VO gestellt worden. Sofern sich die Antragsgegnerin auf eine Zuständigkeit Rumäniens auf Grund eines EURODAC-Treffers der Mutter berufe, sei auszuführen, dass der Asylantrag der Kindsmutter bisher nicht abgelehnt worden sei. Im Übrigen sei auch diesbezüglich das Übernahmeersuchen verspätet gestellt worden, da diese bereits am 22. August 2017 eingereist sei. Ferner hätten die Kinder keine Fingerabdrücke in Rumänien abgegeben. Ein EURODAC-Treffer könne daher allenfalls bezüglich der Kindsmutter vorliegen. Allerdings werde bestritten, dass für diese eine EURODAC-Treffermeldung vorliege. Darüber hinaus sei Art. 6 Abs. 3 Dublin III-VO zu beachten. Der Antragsteller zu 1 sei als unbegleiteter Minderjähriger eingereist und lebe nunmehr seit sieben Monaten in der Bundesrepublik. Zwischenzeitlich sei auch die Kindsmutter in die Bundesrepublik eingereist.
Mit gerichtlichem Schreiben vom 18. Dezember 2017 wurde die Antragstellerseite darauf hingewiesen, dass der Antrag gemäß Schriftsatz vom 7. Dezember 2017 unrichtig sein dürfte. Der dort bezeichnete Bescheid sei bereits Gegenstand der Verfahren Au 4 K 17.50537 bzw. Au 4 S 17.50538.
Darauf teilte die Antragstellerseite mit Schriftsatz vom 20. Dezember 2017 mit, der Klageantrag werde dahin berichtigt, dass die Aufhebung des Bescheids vom 27. November 2017 (7199159-475) begehrt werde. Dieser Bescheid wurde dem Schriftsatz beigefügt.
Die Antragsgegnerin übermittelte am 2. Januar 2018 ihre Akten. In der Sache äußerte sie sich nicht.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage bleibt ohne Erfolg. Er ist hinsichtlich der Antragstellerin zu 2 bereits unzulässig; hinsichtlich des Antragstellers zu 1 ist er zulässig, aber unbegründet.
Der Antrag der Antragstellerin zu 2 ist unzulässig, weil er nicht fristgerecht gestellt und die zu Grunde liegende Klage nicht rechtzeitig erhoben wurde. Gem. § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG sind Anträge nach § 80 Abs. 5 VwGO innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe zu stellen, wenn – wie hier – eine Abschiebungsanordnung gem. § 34a Abs. 1 AsylG ergangen ist. In diesem Fall ist auch die Klage innerhalb einer Woche zu erheben (§ 74 Abs. 1 Halbs. 2 AsylG). Der nach dem Schriftsatz der Antragstellerseite vom 20. Dezember 2017 streitgegenständliche Bescheid vom 27. November 2017 ist nach der aus der Bundesamtsakte (Bl. 170 f.) ersichtlichen Postzustellungsurkunde am 1. Dezember 2017 – durch persönliche Übergabe an die Antragstellerin zu 2 – zugestellt worden. Klage und Antrag der Antragstellerin zu 2 hätten daher bis 8. Dezember 2017 beim Verwaltungsgericht eingehen müssen. Dies war nicht der Fall.
Die am 7. Dezember 2017 beim Verwaltungsgericht Augsburg eingegangenen Rechtsbehelfe wahrten die Antrags- und Klagefrist bezüglich der Antragstellerin zu 2 nicht. In dem Klagebzw. Antragsschriftsatz vom 7. Dezember 2017 ist eindeutig nur der Antragsteller zu 1 als Partei bezeichnet. Auch sonst ist in dem Schriftsatz ausschließlich von „dem Kläger und Antragsteller“ die Rede. Die Antragstellerin zu 2 wird in dem Schriftsatz nicht als Klägerin bzw. Antragstellerin, sondern als Mutter des Antragstellers zu 1 bzw. als Kindsmutter bezeichnet. Zudem wurde in dem Schriftsatz vom 7. Dezember 2017 – allerdings unzutreffend – vorgetragen, dass der Asylantrag der Kindsmutter bis dato nicht abgelehnt sei. Hat die Antragstellerin zu 2 jedoch am 7. Dezember 2017 vorgetragen, dass ein Ablehnungsbescheid nicht existent sei, kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Antragstellerin zu 2 einen solchen Bescheid – nämlich den tatsächlich bereits am 27. November 2017 ergangenen Bescheid – mit Rechtsbehelfen angreifen wollte. Ein Bescheid – namentlich der Bescheid vom 27. November 2017 – war dem Schriftsatz vom 7. Dezember 2017 nicht beigefügt, so dass auch nicht deshalb davon ausgegangen werden kann, dass die Antragstellerin nicht den im Schriftsatz bezeichneten Bescheid vom 28. November 2017, sondern in Wahrheit den sie betreffenden Bescheid vom 27. November 2017 angreifen wollte. Aus diesen Gründen kann nicht, wie im Schriftsatz der Antragstellerseite vom 20. Dezember 2017 geltend gemacht, bezüglich der Antragstellerin zu 2 von einem bloßen „Schreibversehen“ im Schriftsatz vom 7. Dezember 2017 ausgegangen werden. Rechtsbehelfe wurden für die Antragstellerin zu 2 allenfalls mit dem Schriftsatz am 20. Dezember 2017 erhoben. Zu diesen Zeitpunkt war die Wochenfrist gem. § 34a Abs. 2 Satz 1, § 74 Abs. 1 Halbs. 2 AsylG jedoch bereits abgelaufen.
Der Antrag des Antragstellers zu 1 ist zulässig, aber unbegründet. Der Schriftsatz vom 7. Dezember 2017 lässt sich noch dahin gehend auslegen, dass die Rechtsbehelfe des Antragstellers zu 1 bereits zu diesem Zeitpunkt gegen den ihn betreffenden Bescheid vom 27. November 2017 gerichtet sein sollten, so dass der Antragsteller zu 1 die Fristen der §§ 34a Abs. 1, 74 Abs. 1 Halbs. 2 AsylG gewahrt hat. Zwar hat auch der Antragsteller zu 1 in dem Schriftsatz einen offensichtlich unzutreffenden Bescheid bezeichnet sowie einen für ihn unzutreffenden Sachverhalt geschildert (Einreise am 5.5.2017, Asylantragstellung am 24.7.2017, während der Antragsteller zu 1 gemeinsam mit der Antragstellerin zu 2 tatsächlich erst im August 2017 eingereist ist, vgl. etwa Bundesamtsakte, Bl. 13). Jedoch war der Antragsteller zu 1 in dem Schriftsatz vom 7. Dezember 2017 eindeutig als solcher sowie als Kläger bezeichnet; zudem lässt sich dem Schriftsatz entnehmen, dass sich der Antragsteller zu 1 gegen seine Ablehnung seines Asylantrags als unzulässig und eine Zuständigkeit Rumäniens nach der Dublin III-VO wendet. Diese Klagebzw. Antragsgründe lassen sich auf den den Antragsteller zu 1 betreffenden, am 1. Dezember 2017 zugestellten Bescheid vom 27. November 2017 übertragen, so dass für den Antragsteller zu 1 Klage und Antrag gem. § 80 Abs. 5 VwGO rechtzeitig am 7. Dezember 2017 beim Verwaltungsgericht eingegangen sind.
Der Antrag ist jedoch hinsichtlich des Antragstellers zu 1 unbegründet. Der Antragsteller zu 1 kann kein überwiegendes Aussetzungsinteresse geltend machen, weil die Antragsgegnerin seinen Asylantrag voraussichtlich zu Recht gem. § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a) AsylG als unzulässig abgelehnt hat, da nach Maßgabe der dort genannten Verordnung (Dublin III-VO) ein anderer Staat, nämlich Rumänien, für die Durchführung des Asylverfahrens des Antragstellers zu 1 zuständig ist und sich der Bescheid vom 27. November 2017 auch sonst voraussichtlich als rechtmäßig erweisen wird (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Aus Art. 20 Abs. 3 Dublin III-VO folgt, dass der Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags eines (wie der Antragsteller zu 1) minderjährigen Kindes zuständig ist, der für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz von dessen Familienangehörigen – hier: der Antragstellerin zu 2 – zuständig ist. Die Regeln der Dublin III-VO sehen eine strikte Akzessorietät der Zuständigkeiten vor (vgl. BayVGH, U.v. 29.3.2017 – 15 B 16.50082 – juris Rn. 17). Zuständig für den Antrag auf internationalen Schutz der Antragstellerin zu 2 ist Rumänien. Dies ergibt sich bereits daraus, dass die Antragstellerin zu 2 gegen den eine Zuständigkeit der Bundesrepublik verneinenden und eine Zuständigkeit Rumäniens annehmenden Bescheid vom 27. November 2017, wie ausgeführt, fristgerecht keine Rechtsbehelfe eingelegt und dieser Bescheid daher ihr gegenüber bestandskräftig geworden ist. Im Übrigen sind die Voraussetzungen der Dublin III-VO für eine Zuständigkeit Rumäniens erfüllt. Wie sich aus der Antwort der rumänischen Behörden vom 24. November 2017 ergibt (Bundesamtsakte, Bl. 140), hat die Antragstellerin zu 2 in Rumänien am 17. Juli 2017 und damit jedenfalls vor Antragstellung in der Bundesrepublik einen Asylantrag gestellt, so dass sich hieraus eine Zuständigkeit Rumäniens ergibt (vgl. Art. 3 Abs. 2 Dublin III-VO). Unerheblich ist das Bestreiten der Antragstellerin zu 2 hinsichtlich einer Eurodac-Treffermeldung. Wie sich etwa aus Art. 23 Abs. 2 UAbs. 2 Dublin III-VO sowie Erwägungsgrund Nr. 30 dieser Verordnung ergibt – danach soll die Anwendung dieser Verordnung durch das Eurodac-System erleichtert werden –, ist die Bestimmung des nach der Dublin III-VO zuständigen Mitgliedstaats nicht auf Informationen aus dem Eurodac-System begrenzt. Auf die Angaben der rumänischen Behörden über die dortige frühere Asylantragstellung der Antragstellerin zu 2 kann daher ohne weiteres zurückgegriffen werden.
Die Antragsgegnerin hat auch die Fristen der Dublin III-VO für die Stellung des Übernahmeersuchens gewahrt. Vorliegend bestimmen sich die Pflichten Rumäniens und der Bundesrepublik nicht nach Art. 18 Abs. 1 Buchst. a) Dublin III-VO, sondern nach Art. 18 Abs. 1 Buchst. c) Dublin III-VO und den dort jeweils genannten Normen mit der Folge, dass für das Übernahmeersuchen nicht die Fristen des Art. 21, sondern des Art. 23 Dublin III-VO galten. Nachdem sich das Wiederaufnahmegesuch der Antragsgegnerin auf andere Beweismittel als Angaben aus dem Eurodac-System gestützt hat – nämlich auf eine Antwort der ungarischen Behörden vom 26. Oktober 2017, wonach sich die Antragsteller zuvor in Rumänien aufgehalten haben (Bundesamtsakte. Bl. 122) – betrug die Frist zur Stellung des Wiederaufnahmegesuchs gem. Art. 23 Abs. 2 UAbs. 2 Dublin III-VO drei Monate. Selbst wenn auf die Kenntniserlangung des Bundesamts vom noch informellen Asylgesuch der Antragsteller am 22. August 2017 als Fristbeginn gem. Art. 23 Abs. 2 UAbs. 2 Dublin III-VO abgestellt wird, wahrte die Stellung des Übernahmegesuchs am 2. November 2017 die Drei-Monats-Frist. Ein Zuständigkeitsübergang auf die Antragsgegnerin gem. Art. 23 Abs. 3 Dublin III-VO liegt daher nicht vor.
Hinsichtlich der weiteren Entscheidungen des streitgegenständlichen Bescheids (2. – 4.), insbesondere bezüglich des Nichtvorliegens von Abschiebungsverboten gem. § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG, folgt das Gericht der Begründung des streitgegenständlichen Bescheids und nimmt hier auf Bezug (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Der Antrag war damit mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).

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