Europarecht

Elterngeldanspruch für Personal ausländischer Konsulate in Deutschland

Aktenzeichen  L 9 EG 32/17

Datum:
23.10.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 38769
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
BEEG
Deutschtürkisches Abkommen über die soziale Sicherheit, Art. 2
Deutschtürkisches Abkommen über die soziale Sicherheit, Art. 8
WÜK Art. 48
WÜK Art. 71

 

Leitsatz

1. Art. 48 Abs. 1 WÜK ordnet für Mitglieder ausländischer konsularischer Vertretungen eine Befreiung von den in Deutschland geltenden Vorschriften über soziale Sicherheit an.
2. Art. 71 WÜK relativiert für in Deutschland ansässige Mitglieder ausländischer konsularischer Vertretungen diese Befreiung sehr weitgehend.
3. Das BSG-Urteil vom 29.01.2002 – B 10/14 EG 1/00 R ist nicht geeignet, für die Frage, ob Mitglieder ausländischer konsularischer Vertretungen einen Elterngeldanspruch haben, etwas zur Lösung beizutragen.

Verfahrensgang

S 5 EG 24/16 2017-08-25 Endurteil SGAUGSBURG SG Augsburg

Tenor

I. Auf die Berufung wird das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 25. August 2017 aufgehoben und der Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 8. Januar 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. Juli 2016 verurteilt, der Klägerin Elterngeld für die Lebensmonate eins bis zwölf ihres Sohns I. A. zu gewähren.
II. Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Rechtszügen.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die Berufung der Klägerin hat Erfolg. Sie ist zulässig und in vollem Umfang begründet.
Die Klägerin hat, wie es zulässig und üblich ist, den Streitgegenstand auf den Elterngeldanspruch dem Grunde nach beschränkt. Die Höhe der Leistungen bleibt daher ausgeklammert.
Die Voraussetzungen des deutschen Rechts für die Entstehung eines Anspruchs auf Elterngeld dem Grunde nach liegen unzweifelhaft vor. Das folgt aus § 1 Abs. 1 BEEG in der ab 01.01.2015 geltenden Fassung. Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 BEEG hat Anspruch auf Elterngeld, wer
1.einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat,
2.mit seinem Kind in einem Haushalt lebt,
3.dieses Kind selbst betreut und erzieht und
4.keine oder keine volle Erwerbstätigkeit ausübt.
Alle diese Voraussetzungen erfüllte die Klägerin. Sie hatte während des gesamten angestrebten Bezugszeitraums ihren Wohnsitz und gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland, lebte mit I. in einem Haushalt, betreute und erzog ihn selbst und übte während des Bezugszeitraums keine Erwerbstätigkeit aus. Dass die Klägerin als türkische Staatsangehörige keine freizügigkeitsberechtigte Ausländerin im Sinn von § 1 Abs. 7 BEEG war, verkörpert kein Leistungshindernis; denn sie war in Besitz einer Niederlassungserlaubnis (§ 1 Abs. 7 Nr. 1 BEEG). Der Ausschlusstatbestand des § 1 Abs. 8 BEEG aF ist nicht erfüllt, weil das zu versteuernde Einkommen beider Elternteile zusammen im letzten abgeschlossenen Veranlagungszeitraum vor der Geburt deutlich unter 500.000 EUR blieb. Ein ordnungsgemäßer Antrag lag vor.
Zu Unrecht hat der Beklagte angenommen, die Tätigkeit der Klägerin beim Türkischen Generalkonsulat schließe den Anspruch dem Grunde nach aus. Diese Ansicht beruht auf einer falschen, nämlich unvollständigen Anwendung des WÜK. Entsprechend dem BSG-Urteil vom 29.01.2002 – B 10/14 EG 1/00 R haben der Beklagte und das Sozialgericht aus Art. 48 WÜK geschlossen, ein Anspruch auf Elterngeld stehe der Klägerin nicht zu. Diese Vorschrift, die mit „Befreiung vom System der sozialen Sicherheit“ überschrieben ist, lautet:
(1) Vorbehaltlich des Absatzes 3 sind die Mitglieder der konsularischen Vertretung in Bezug auf ihre Dienste für den Entsendestaat und die mit ihnen im gemeinsamen Haushalt lebenden Familienangehörigen von den im Empfangsstaat geltenden Vorschriften über soziale Sicherheit befreit.
(2) Die in Absatz 1 vorgesehene Befreiung gilt auch für die Mitglieder des Privatpersonals, die ausschließlich bei Mitgliedern der konsularischen Vertretung beschäftigt sind, sofern sie
a) weder Angehörige des Empfangsstaats noch dort ständig ansässig sind und
b) den im Entsendestaat oder in einem dritten Staat geltenden Vorschriften über soziale Sicherheit unterstehen.
(3) Beschäftigen Mitglieder der konsularischen Vertretung Personen, auf welche die in Absatz 2 vorgesehene Befreiung keine Anwendung findet, so haben sie die Verpflichtungen zu beachten, welche die Vorschriften des Empfangsstaats über soziale Sicherheit den Arbeitgebern auferlegen.
(4) Die in den Absätzen 1 und 2 vorgesehene Befreiung schließt die freiwillige Beteiligung am System der sozialen Sicherheit des Empfangsstaats nicht aus, sofern dieser eine solche Beteiligung zulässt.
Der Senat kommt zu einem anderen Ergebnis als der Beklagte und das Sozialgericht. Das Urteil des BSG vom 29.01.2002 – B 10/14 EG 1/00 R ist nicht geeignet, die richtige Lösung aufzuzeigen.
Art. 48 WÜK wird gemeinhin dahin interpretiert, die Norm bewahre die betroffenen Konsularbediensteten nicht nur vor rechtlichen Belastungen wie der Einbeziehung in die Sozialversicherung Deutschlands, sondern schließe diese auch von bloßen Vergünstigungen des deutschen Sozialrechts aus. Davon gehen nicht nur der Beklagte und das Sozialgericht, sondern auch das BSG aus. Der Senat hegt erhebliche Zweifel, ob diese Sichtweise zutrifft. Denn bei Art. 48 WÜK handelt es sich nicht um Kollisionsrecht, dessen Aufgabe es ist, bei Sachverhalten mit Auslandsberührung die einschlägige Rechtsordnung mit ausschließender Wirkung zu bestimmen. Allein schon der systematische Kontext, in dem Art. 48 WÜK steht, spricht gegen die herrschende Meinung. Die Vorschrift ist in Abschnitt II WÜK verortet, der die Überschrift „Erleichterungen, Vorrechte und Immunitäten für Berufskonsularbeamte und andere Mitglieder der konsularischen Vertretung“ trägt. Schon diese Überschrift deutet an, dass es nur darum geht, Rechtsbeeinträchtigungen, welche die konsularische Arbeit erschweren könnten, auszuschließen. Führt man sich die einzelnen Vorschriften von Abschnitt II vor Augen (Art. 40 bis 52), stellt man fest, dass damit ausschließlich begünstigende Abweichungen vom nationalen Recht des Empfangsstaats begründet werden; geregelt wird nichts anderes als die Abwehr von Eingriffen. Art. 48 WÜK in der Auslegung der herrschenden Meinung bildet darin einen Fremdkörper. Keine der sonstigen Bestimmungen des Abschnitts II nimmt Vergünstigungen, die nach dem Recht des Empfangsstaats zustünden. Vor diesem Hintergrund erscheint es naheliegend, dass mit Art. 48 WÜK nur Versicherungspflichten in der deutschen Sozialversicherung ausgeschlossen werden sollten, nicht aber Vergünstigungen durch deutsches Fürsorgerecht außerhalb einer sozialversicherungsrechtlichen Bindung. Die in Art. 48 Abs. 4 WÜK geregelte Ausnahme für eine freiwillige Versicherung unterstreicht dies. Sie indiziert, dass rechtliche Vorteile der Sozialrechtsordnung des Empfangsstaats – dazu gehört die Möglichkeit einer freiwilligen Versicherung, während die Pflichtversicherung einen rechtlichen Nachteil beinhaltet – gleichwohl offenstehen sollen. Für die hier vertretene Sichtweise spricht auch, dass in vergleichbaren Ausschlussvorschriften wie Art. 13 Abs. 1 Satz 1 des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut, der anders als Art. 48 WÜK eine genuine Kollisionsnorm darstellt, nicht nur der Ausschluss der Vorschriften der sozialen Sicherheit, sondern auch der Fürsorge explizit niedergelegt ist. Das Schweigen des WÜK in Bezug auf deutsches Fürsorgerecht weist darauf hin, dass fürsorgerechtliche Bestimmungen gerade nicht ausgeschlossen werden sollen.
Der Senat braucht sich in Bezug auf diese Rechtsfrage nicht festzulegen. Denn letztlich kommt es nicht darauf an. Auch wenn der vorliegende Fall entsprechend der herrschenden Meinung beurteilt wird, ergibt sich für die Klägerin kein Leistungsausschluss.
Der Beklagte hat insofern Recht, als Art. 48 Abs. 1 WÜK, der eine Befreiung von den im Empfangsstaat geltenden Vorschriften über soziale Sicherheit anordnet, auch die Klägerin erfasst. Diese ist Mitglied der konsularischen Vertretung. Nach Art. 1 Abs. 1 Buchstabe g WÜK bezeichnet der Ausdruck „Mitglieder der konsularischen Vertretung“ die Konsularbeamten, die Bediensteten des Verwaltungs- oder technischen Personals und die Mitglieder des dienstlichen Hauspersonals. Die Klägerin gehört unbestreitbar zum Verwaltungspersonal. Zudem leistet sie mit ihrer Tätigkeit im Türkischen Generalkonsulat im Sinn von Art. 48 Abs. 1 WÜK Dienste für den Entsendestaat.
Allerdings hat der Beklagte übersehen, dass Art. 71 WÜK insoweit Sonderregelungen vorsieht, die auch für die Klägerin einschlägig sind und letztlich dafür sorgen, dass sehr wohl deutsches Sozialrecht gilt. Die Vorschrift, die den Titel „Angehörige des Empfangsstaats und Personen, die dort ständig ansässig sind“ lautet:
(1) Soweit der Empfangsstaat nicht zusätzliche Erleichterungen, Vorrechte und Immunitäten gewährt, genießen Konsularbeamte, die Angehörigen des Empfangsstaats oder dort ständig ansässig sind, lediglich Immunität von der Gerichtsbarkeit und persönliche Unverletzlichkeit wegen ihrer in Wahrnehmung ihrer Aufgaben vorgenommenen Amtshandlungen sowie das in Artikel 44 Absatz 3 vorgesehene Vorrecht. Hinsichtlich dieser Konsularbeamten ist der Empfangsstaat ferner durch die in Artikel 42 festgelegte Verpflichtung gebunden. Wird gegen einen solchen Konsularbeamten ein Strafverfahren eingeleitet, so ist dieses, außer wenn der Betroffene festgenommen oder inhaftiert ist, in einer Weise zu führen, welche die Wahrnehmung der konsularischen Aufgaben möglichst wenig beeinträchtigt.
(2) Anderen Mitgliedern der konsularischen Vertretung, die Angehörige des Empfangsstaats oder dort ständig ansässig sind, und ihren Familienmitgliedern sowie den Familienmitgliedern der in Absatz 1 bezeichneten Konsularbeamten stehen Erleichterungen, Vorrechte und Immunitäten nur in dem vom Empfangsstaat zugelassenen Umfang zu. Denjenigen Familienangehörigen von Mitgliedern der konsularischen Vertretung und denjenigen Mitgliedern des Privatpersonals, die Angehörige des Empfangsstaats oder dort ständig ansässig sind, stehen ebenfalls Erleichterungen, Vorrechte und Immunitäten nur in dem vom Empfangsstaat zugelassenen Umfang zu. Der Empfangsstaat darf jedoch seine Hoheitsgewalt über diese Personen nur so ausüben, dass er die Wahrnehmung der Aufgaben der konsularischen Vertretung nicht ungebührlich behindert.
Die Norm steht in Kapitel IV „Allgemeine Bestimmungen“. Es begegnet keinen Zweifeln, dass sie im vorliegenden Fall einschlägig ist und Art. 48 WÜK modifiziert. Regelungsgegenstand von Art. 71 WÜK, und zwar beider Absätze, sind Erleichterungen, Vorrechte und Immunitäten. Dieses sachliche Anwendungsfeld stimmt exakt mit der Überschrift von Kapitel II WÜK, in dem auch Art. 48 WÜK platziert ist; überein. Mit der Anknüpfung an „Erleichterungen, Vorrechte und Immunitäten“ stellt Art. 71 WÜK den Bezug zu den verschiedenen in Kapitel II aufgeführten Tatbeständen her.
Vereinfacht ausgedrückt bewirkt Art. 71 WÜK, dass so genannte Ortskräfte in weitaus geringerem Umfang, als in Abschnitt II WÜK geregelt, von Belastungen des deutschen Rechts verschont bleiben. Dabei handelt es sich bei „Ortskraft“ nicht um einen Begriff, der im WÜK verwendet wird. Eine Ortskraft ist ein Mitarbeiter einer staatlichen oder privaten Einrichtung des Inlands, der im Ausland zur Tätigkeit in diesem Land eingestellt worden ist. „Ortskraft“ verkörpert damit den Gegenbegriff zu „Entsendung“ und damit keine konsularrechtliche, sondern eine sozialversicherungsrechtliche Kategorie. Dagegen verwendet das Konsularrecht in Art. 71 WÜK den vergleichbaren Terminus „ansässig“.
Die Klägerin erfüllt den Tatbestand von Art. 71 Abs. 2 Satz 1 WÜK. Sie zählt als Angehörige des Verwaltungspersonals zu den „anderen Mitgliedern des konsularischen Postens“ und war beziehungsweise ist im Sinn der Vorschrift ständig im Empfangsstaat, also Deutschland, ansässig. Diesbezüglich bleibt kein Raum für Zweifel: Die Klägerin ist in Deutschland geboren, lebt seit ihrer Geburt hier und fühlt sich hier heimisch. Auch von Seiten des Ehemanns der Klägerin besteht eine enge Verbindung zu Deutschland. Angesichts dessen ist die Klägerin trotz ihrer türkischen Staatsangehörigkeit in Deutschland ansässig. Das bestreitet übrigens auch der Beklagte nicht. Verdeutlicht wird dies durch den Widerspruchsbescheid, der letztlich nur deswegen zu einem für die Klägerin ungünstigen Ergebnis gekommen ist, weil der Beklagte fälschlicher Weise angenommen hat, nur bei gleichzeitigem Vorliegen von deutscher Staatsangehörigkeit und Ansässigsein werde die Wirkung von Art. 48 WÜK suspendiert.
Dieser engere Bezug zum Empfangsstaat aufgrund Ansässigseins führt nach Art. 71 Abs. 2 Satz 1 WÜK dazu, dass Erleichterungen, Vorrechte und Immunitäten nur in dem vom Empfangsstaat zugestandenen Umfang zustehen. Der dort genannte Personenkreis unterliegt im Prinzip voll der Souveränität des Empfangsstaats. Der Empfangsstaat seinerseits ist nach Art. 71 Abs. 2 Satz 3 WÜK lediglich gehalten, seine Hoheitsgewalt so ausüben, dass er die Wahrnehmung der Aufgaben des konsularischen Postens nicht ungebührlich behindert. Konkret bedeutet das für die Klägerin, dass sie nur in dem Umfang in den Genuss von Erleichterungen kam beziehungsweise kommt, den die Bundesrepublik Deutschland einräumt; so erklärt sich auch, dass sie in der Bundesrepublik Deutschland einkommensteuerpflichtig ist und von ihrem Arbeitsentgelt Lohnsteuer zum deutschen Fiskus abgeführt wird.
Die vom Beklagten im Ablehnungsbescheid und im Widerspruchsbescheid gewählten Begründungsansätze finden im geltenden Recht keine Stütze. Für den Senat erschließt sich nicht, auf welcher Grundlage die Anwendbarkeit des BEEG von der Versicherungspflicht nach dem SGB III abhängen soll, wie es der Beklagte vertreten hat. Im Widerspruchsbescheid hat er zwar auf das Ansässigsein abgestellt, allerdings hatte er dabei offenbar Art. 71 WÜK nicht als einschlägige Rechtsgrundlage vor Augen; nur so erklärt sich seine Fehlinterpretation. Während der Beklagte die maßgebenden rechtlichen Vorgaben im Widerspruchsbescheid zunächst zutreffend abstrakt wiedergegeben hat – dass nämlich der in Art. 48 WÜK niedergelegte Ausschluss der deutschen Sozialrechtsordnung nur dann greift, wenn kumulativ keine deutsche Staatsangehörigkeit vorliegt und die Person auch nicht in Deutschland ansässig ist -, hat er sich später bei der konkreten Rechtsanwendung nicht mehr an den von ihm selbst vorgegebenen Obersatz gehalten. Denn er hat den Anspruch daran scheitern lassen, dass die Klägerin zwar in Deutschland ansässig sei, jedoch nicht die deutsche Staatsangehörigkeit besitze. Damit hat er den logischen Fehler begangen, die positive und die negative Formulierung der Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 71 Abs. 2 Satz 1 WÜK zu vermengen. Richtig ist, dass die Voraussetzungen des Art. 71 Abs. 2 Satz 1 WÜK dann vorliegen – mit der Konsequenz, dass Art. 48 WÜK keine Anwendung findet -, wenn entweder die deutsche Staatsangehörigkeit oder das Ansässigsein in Deutschland gegeben ist.
Auch das weitere Argument des Beklagten, die Klägerin sei nicht in Deutschland sozialversicherungspflichtig, geht ins Leere. Festzustellen ist, dass das WÜK in keiner Weise eine Akzessorietät der Elterngeldberechtigung zur Sozialversicherungspflicht erzeugt. Es mag sein, dass der Zugehörigkeit zur deutschen Sozialversicherung im Rahmen von Art. 13 des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut eine spezifische Bedeutung zukommt. Allerdings sieht das WÜK eine komplett andere, zugleich aber vollständige Regelung vor, die nicht durch „Rechtsgedanken“ aus dem Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut „ergänzt“ werden darf. Dass die Klägerin der türkischen Sozialversicherung unterfällt, ist allein Art. 8 Abs. 2 des deutsch-türkischen Abkommens über die soziale Sicherheit geschuldet; offenbar hatte sie sich bei Aufnahme der Tätigkeit beim Konsulat für das türkische System der sozialen Sicherheit entschieden. Art. 8 Abs. 2 des deutsch-türkischen Abkommens über die soziale Sicherheit geht gemäß Art. 73 Abs. 1 WÜK den Bestimmungen des WÜK vor. Allerdings erstreckt sich der Anwendungsbereich des deutsch-türkischen Abkommens über soziale Sicherheit, wie dessen Art. 2 zeigt, nicht auf das Elterngeldrecht. Das hat zur Folge, dass der hier vorliegende Fall allein nach dem WÜK zu lösen ist, was wiederum jeden Rekurs auf die sozialversicherungsrechtlichen Verhältnisse verbietet. Auch das Europäische Fürsorgeabkommen sowie das Recht zur Assoziation der Türkei mit der Europäischen Union enthalten keine Bestimmungen, die das anhand des WÜK gewonnene Ergebnis modifizieren.
Der Senat schließt sich nicht der Vorgehensweise an, die das BSG im Urteil vom 29.01.2002 – B 10/14 EG 1/00 R gewählt hat. Er kann sich das Zustandekommen dieser Entscheidung nur so erklären, dass das BSG Art. 71 WÜK schlicht übersehen hat. Denn die Begründung des BSG geht an keiner einzigen Stelle auf diese Norm ein. Hätte das BSG Art. 71 WÜK wahrgenommen, diesen jedoch nicht als einschlägig erachtet, hätte es die Vorschrift in der Urteilsbegründung sicherlich thematisiert. Unrealistisch wäre, dieses Versäumnis damit erklären zu wollen, das BSG habe Art. 71 WÜK für derart abwegig gehalten, dass es von Erwägungen Abstand genommen habe. Denn die Vorschrift ist relevant; Gegenteiliges hat auch der Beklagte nicht behaupten wollen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor. Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ist nicht gegeben, weil es an einer klärungsbedürftigen Rechtsfrage fehlt. Die Lösung des Falls kann ohne Schwierigkeiten aus den vorhandenen einschlägigen Normen abgeleitet werden. Der Umstand, dass Rechtsanwender Art. 71 WÜK mitunter nicht auffinden, verleiht keine Klärungsbedürftigkeit. Denn das Recht, so man es vollständig zur Kenntnis nimmt, ist klar und lässt keine Fragen offen.
Indem der Senat im vorliegenden Fall Art. 71 WÜK anwendet, verfährt er grundlegend anders, als es das BSG im Urteil vom 29.01.2002 – B 10/14 EG 1/00 R getan hat und gelangt deswegen auch zu einem anderen Ergebnis. Dennoch ist eine Divergenz zur Rechtsprechung des BSG im Sinn von § 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG nicht gegeben. Denn dessen Entscheidung ist noch zum Bundeserziehungsgeldgesetz ergangen. Das Bundeselterngeld hat zwar das Bundeserziehungsgeld abgelöst und es weist erhebliche Ähnlichkeiten mit diesem auf. Es bestehen aber auch gravierende, wesensmäßige Unterschiede, so dass der höchstrichterlichen Rechtsprechung zum Bundeserziehungsgeldrecht keine hinreichend unmittelbare Relevanz zukommt.


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