Europarecht

Entziehung der Durchführung der Überstellung durch Inanspruchnahme von Kirchenasyl

Aktenzeichen  RO 5 S 19.50123

Datum:
2.4.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 5737
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
Dublin-III-VO Art- 29 Abs. 2 S. 2
VwGO § 80 Abs. 5, Abs. 7
AsylG § 80, § 83b

 

Leitsatz

Auch wer sich in das sog. „offene Kirchenasyl“ begibt, entzieht sich in aller Regel rein tatsächlich und gezielt seiner Überstellung. Damit ist er als flüchtig im Sinne der Definition der EuGH-Entscheidung vom 19.03.2019, C-163/17, Rn. 26 anzusehen. (Rn. 22)

Verfahrensgang

RO 5 S 18.50104 2018-08-14 Bes VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Der Antrag nach § 80 Abs. 7 VwGO auf Änderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 14.08.2018, Az. RO 5 S 18.50104, wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Der Antragsteller, nach seinen Angaben irakischer Staatsangehöriger, begehrt die Änderung des Beschlusses vom 14.08.2018, Az. RO 5 S 18.50104, in dem der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen einen Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt), in dem die Abschiebung des Antragstellers nach Bulgarien angeordnet worden war, abgelehnt worden ist.
Eine Eurodac-Abfrage vom 08.12.2017 hatte für den Antragsteller einen Treffer der Kategorie 1 für Bulgarien (Fingerabdrucknahmedatum 07.09.2017) sowie je einen der Kategorie 1 und 2 für Rumänien (Fingerabdrucknahmedatum jew. 08.11.2017) ergeben. Am 18.01.2018 war ein Übernahmeersuchen an Bulgarien nach der Verordnung Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.6.2013 (Dublin III-VO) gerichtet worden, dem am 19.01.2018 auf der Grundlage von Art. 18 Abs. 1 b) Dublin-III-VO von Bulgarien zugestimmt worden war.
Mit Bescheid vom 22.01.2018 hatte das Bundesamt den Asylantrag als unzulässig abgelehnt (Ziffer 1) und festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziffer 2) sowie die Abschiebung nach Bulgarien angeordnet (Ziffer 3). Außerdem hatte es das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 6 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 4) befristet. Bulgarien sei aufgrund des dort gestellten Asylantrags zuständig. Persönliche Bindungen im Sinne Art. 2 lit. g Dublin-III-VO würden ebenfalls nicht bestehen. Auf den Inhalt des Bescheids im Übrigen wird verwiesen.
Gegen den am 25.01.2018 zugestellten Bescheid hatte der Antragsteller am 31.01.2018 Klage erheben lassen (RO 5 K 18.50105) und einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz (RO 5 S 18.50104) gestellt. Zur Begründung war ausgeführt worden, in Bulgarien seien systemische Mängel des Asylverfahrens vorhanden. Dieser Antrag war mit Beschluss vom 14.08.2018 abgelehnt worden. Ein erster Antrag nach § 80 Abs. 7 VwGO (RO 5 S 18.50565) vom 23.08.2018 war mit Beschluss vom 04.09.2018 ebenfalls abgelehnt worden, da keine veränderten Umstände geltend gemacht worden waren.
Am 08.10.2018 hat das BVerfG eine Verfassungsbeschwerde des Antragstellers nicht zur Entscheidung angenommen, womit sich ein ebenfalls gestellter Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung erledigte.
Mit einer E-Mail vom 20.12.2018 von der Ansprechpartnerin der Bremischen Evangelischen Kirche an das Bundesamt und die Regierung der Oberpfalz, die diese am 27.12.2018 an das Bundesamt (erneut) weiterleitete und so zur Akte genommen wurde, wurde mitgeteilt, dass sich der Antragsteller seit dem 20.12.2018 im Kirchenasyl der Vereinigten Ev. Gemeinde … befinde. Nach einem Eintrag in der Akte des Bundesamts vom 04.02.2019 habe der Antragsteller „das Kirchenasyl nicht rechtzeitig verlassen“. Eine Mitteilung vom gleichen Tag an Bulgarien erging mit dem Inhalt, eine Überstellung sei nicht möglich, weil der Antragsteller flüchtig sei. Die 18-monatige Überstellungsfrist laufe damit am 14.02.2020 ab.
Der Antragsteller ließ am 14.02.2019 beantragen,
den Beschluss des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 14.08.2018, Az. RO 5 S 18.50104, abzuändern und die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung anzuordnen.
Zur Begründung wird im Wesentlichen vorgetragen: der Antragsteller sei nicht dadurch flüchtig, dass er sich ins Kirchenasyl begeben habe. Sein Eintritt sei der Antragsgegnerin unverzüglich bekannt gegeben worden und der Kläger daher jederzeit erreichbar gewesen. Der Überstellung entgegengestanden sei allein das Verhalten der Antragsgegnerin. Ein tatsächliches oder rechtliches Hindernis habe nicht bestanden.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Die Antragsgegnerin trägt im Wesentlichen vor:
Die Antragsteller sei flüchtig. Er entziehe sich zielgerichtet der Überstellung und führe damit den erfolglosen Ablauf der Regelüberstellungsfrist herbei. Während einer Prüfung des Dossiers im Rahmen des Kirchenasyl durch das Bundesamt verzichtet das Bundesamt lediglich so lange auf eine Mitteilung des Flüchtigseins an den Mitgliedstaat, solange das zwischen den Kirchen und dem Bundesamt vereinbarte Verfahren eingehalten werde. Als dies vorliegend nicht mehr der Fall war, habe man das Flüchtigsein mitgeteilt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten sowie auf die den Kläger betreffenden elektronischen Akten des Bundesamtes, jeweils in allen Hauptund Eilsachen, Bezug genommen.
II.
Der Antrag hat keinen Erfolg.
1. Gemäß § 80 Abs. 7 VwGO kann das Gericht der Hauptsache Beschlüsse über Anträge nach § 80 Abs. 5 VwGO jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder dem ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.
Solche Gründe liegen nicht vor.
Insbesondere ist die Zuständigkeit zur Durchführung des Asylverfahrens gemäß Art. 29 Abs. 1 und 2 Satz 1 Dublin-III-VO durch Ablauf der Überstellungsfrist nicht auf die Antragsgegnerin aus dem Grund übergegangen, weil die 6-Monats-Frist am 14.02.2019 abgelaufen wäre. Damit ist Bulgarien nach wie vor zuständig, das Asylverfahren des Antragstellers durchzuführen.
Die Überstellungsfrist beträgt nach Art. 29 Abs. 1 und 2 Satz 2 Dublin-III-VO grundsätzlich 6 Monate ab dem Tag der Annahme des Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchs durch den anderen Mitgliedstaat oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat. Ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen eine Abschiebungsanordnung unterbricht den Lauf der Frist für eine Überstellung nach den Regelungen der Dublin-III-VO. Mit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts über einen solchen Antrag wird die Frist auch dann neu in Lauf gesetzt, wenn – wie hier – mit Beschluss vom 14.08.2018, Az. RO 5 S 18.50104 der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung abgelehnt wurde.
Die Antragsgegnerin hat aber die Überstellungsfrist gemäß Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Dublin-III-VO in zulässiger Weise auf 18 Monate verlängert, welche noch nicht abgelaufen sind.
Gemäß Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Altern. 2 Dublin-III-VO kann die Überstellungsfrist auf höchstens 18 Monate verlängert werden, wenn die betreffende Person flüchtig ist. Bei einem Flüchtigsein verlängert sich die Überstellungsfrist gemäß Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Dublin-III-VO auf höchstens 18 Monate; diese Frist ist im Entscheidungszeitpunkt noch nicht abgelaufen. Für die Verlängerung der Überstellungsfrist auf 18 Monate genügt es, dass der ersuchende Mitgliedstaat vor Ablauf der sechsmonatigen Überstellungsfrist den normalerweise zuständigen Mitgliedstaat darüber informiert, dass die betreffende Person flüchtig ist, und zugleich die neue Überstellungsfrist benennt,(so Urteil des EuGH vom 19. März 2019 in der Rechtssache C -163/17 Jawo Rn.75). Dies ist hier der Fall.
Die Antragsteller ist vorliegend flüchtig. Ein Antragsteller ist flüchtig, wenn er sich den für die Durchführung seiner Überstellung zuständigen nationalen Behörden gezielt entzieht, um die Überstellung zu vereiteln (so Urteil des EuGH vom 19. März 2019 in der Rechtssache C-163/17 Jawo Rn.56). Dabei geht es darum, dass es dem ersuchenden Mitgliedstaat aufgrund Flucht tatsächlich unmöglich ist, die Überstellung durchzuführen (EuGH, Urteil vom 19.03.2019, C-163/17, Rn. 60).
Aufgrund dieser faktischen / tatsächlichen Betrachtungsweise, die das effektive Funktionieren des Dublin-Systems und die Verwirklichung seiner Ziele gewährleisten soll (EuGH, Urteil vom 19.03.2019, C-163/17, Rn. 60), ist nicht entscheidend, ob ein tatsächliches oder rechtliches Hindernis die Einhaltung der Frist vereitelt und man vertreten könnte (so – im Rahmen einer Kostenentscheidung – BayVGH, Beschluss vom 16. Mai 2018 – 20 ZB 18.50011 -, Rn. 2, juris), dass die Anschrift im Fall des sog. offenen Kirchenasyls ja bekannt sei, die Überstellung also erfolgen könnte und schlichte Vereinbarungen über das Unterlassen einer Meldung an den Mitgliedsstaat oder die Überstellung unter bestimmten Voraussetzungen zwischen Bundesamt und Kirchen keine Rechtsqualität hätten, für das Gericht nicht beachtlich sind und solche, gleichsam selbst geschaffenen, Hindernisse daher ebenfalls nicht relevant seien.
Da faktisch keine zwangsweisen Durchsetzungen von Abschiebungen bzw. Überstellungen, oder jedenfalls nicht in nennenswertem Maße, aus dem Kirchenasyl heraus bekannt sind, liegt im Gang ins Kirchenasyl ein tatsächliches gezieltes Entziehen, um die Überstellung zu vereiteln. Stichhaltige andere Gründe für den Gang ins Kirchenasyl, mit denen der Antragsteller bewiesen hätte, dass er nicht beabsichtigte, sich den Behörden zu entziehen (EuGH, Urteil vom 19.03.2019, C-163/17, Rn. 65) sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Das Kirchenasyl wird vielmehr in der Regel gewählt, um sich der Abschiebung bzw. Überstellung zu entziehen (so auch – wenn auch mit anderem Ergebnis aufgrund einer anderen Definition des „Flüchtigseins“ vor der nunmehr ergangenen EuGH-Entscheidung – z.B. VG Würzburg, Urteil vom 29. Januar 2018 – W 1 K 17.50166 -, Rn. 23, juris, sowie mit gleichem Ergebnis wie hier: VG Bayreuth, Beschluss vom 30. Januar 2019 – B 8 S 19.50007). Damit ist dem konkreten ersuchenden Mitgliedstaat Deutschland auch im oben genannten Sinne die Durchführung der Überstellung tatsächlich unmöglich, wenn auch nur aufgrund einer politischen Entscheidung, das Kirchenasyl zu respektieren (noch ohne Bezug zur EuGH-Entscheidung so auch: VG Bayreuth, Beschluss vom 30. Januar 2019 – B 8 S 19.50007).
Die Einreichung eines Härtefalldossiers, verspätet oder nicht, lässt die Einschätzung „flüchtig“ nach obigen Kriterien unberührt. Findet sich für ein „Kirchenasyl“ schon keine rechtliche Grundlage – weder im Kirchenrecht noch im Recht der Bundesrepublik Deutschland – so kann eine Ausgestaltung eines solchen auch keine rechtlich verbindlichen Folgen zur Subsumtion dieses gesetzlichen Begriffes nach sich ziehen (ebenso VG Bayreuth, Beschluss vom 30. Januar 2019 – B 8 S 19.50007).
Weitere Umstände neben dem Gang ins Kirchenasyl, die sich im Sinne des § 80 Abs. 7 VwGO verändert hätten oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemacht worden wären, sind nicht vorgetragen und auch sonst nicht erkennbar. Deshalb war der Antrag abzulehnen.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 83b AsylG.
3. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylG.


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