Europarecht

Erfolglose Klage einer Nigerianerin gegen die gegen sie gerichtete Abschiebungsanordnung nach Spanien

Aktenzeichen  M 12 K 15.50784

Datum:
29.2.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylVfG AsylVfG § 27a, § 34a Abs. 1 S. 1
MuSchG MuSchG § 3 Abs. 2, § 6 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

1 Der Rückführung des Antragstellers nach Spanien stehen derzeit keine systemischen Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber entgegen. Die Mängel des spanischen Aufnahme- und Versorgungssystems sind nicht derart flächendeckend und gravierend, dass von einem grundlegenden, systemischen Versagen Spaniens ausgegangen werden müsste, das mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Grundrechtscharta führt. (redaktioneller Leitsatz)
2 Ein Abschiebungshindernis aufgrund von Reiseunfähigkeit einer schwangeren Ausländerin kann sich durch ärztlich nachgewiesene Risikoschwangerschaft oder unmittelbar bevorstehende Niederkunft ergeben. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Tatbestand:
Die Klägerin begehrt Rechtsschutz gegen die Überstellung nach Spanien im Rahmen des so genannten „Dublin-Verfahrens“.
Sie ist nach eigenen Angaben eine nigerianische Staatsangehörige, die am 21. April 2015 ins Bundesgebiet eingereist ist (Bl. 20, 32 der Behördenakte) und am 18. Juni 2015 einen Asylantrag gestellt hat (Bl. 6 der Behördenakte).
Bei ihrer persönlichen Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 18. Juni 2015 gab die Klägerin an, sie sei über den Niger (3 Monate), Marokko (6 Monate), Spanien (7 Jahre) mit dem Bus nach Deutschland gereist (B. 20 der Behördenakte). Die Reise habe insgesamt 8 Jahre gedauert. Nach Spanien sei sie im Juni oder Juli 2008 eingereist. Dort habe sie sich in … … aufgehalten. In Spanien seien ihr auch die Fingerabdrücke abgenommen worden; sie habe dort als Prostituierte gearbeitet (Bl. 21, 37 der Behördenakte). Der Asylantrag in Spanien sei abgelehnt worden (Bl. 37 der Behördenakte).
Es ergab sich ein EURODAC-Treffer für Spanien (ES1…; Bl. 46 der Behördenakte).
In der Akte befindet sich die Kopie eines Mutterpasses, wonach die Klägerin schwanger ist. Der berechnete Entbindungstermin ist nicht lesbar (Bl. 40/41 der Behördenakte).
Auf ein Übernahmeersuchen der Beklagten vom 27. Juli 2015 (in dem die Schwangerschaft der Klägerin mitgeteilt wurde) erklärte Spanien am 31. Juli 2015 die Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrages gemäß Art. 18 Abs. 1d) Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (Dublin III VO; Bl.46 und 55 der Behördenakte).
Mit Bescheid vom 26. August 2015 lehnte das Bundesamt den Asylantrag der Klägerin als unzulässig an (Nr. 1), ordnete die Abschiebung nach Spanien an (Nr. 2) und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 0 Monate ab der Abschiebung (Nr.3).
Der Asylantrag sei gemäß § 27 a AsylVfG unzulässig, da Spanien aufgrund des dort bereits gestellten Asylantrages gemäß Art. 18 Abs. 1d) Dublin III VO für die Bearbeitung des Asylantrages zuständig sei. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Bundesrepublik Deutschland veranlassen könnten, ihr Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 17 Abs.1 Dublin III VO auszuüben, seien nicht ersichtlich.
Am …. September 2015 erhob die Klägerin beim Bayerischen Verwaltungsgericht München Klage mit dem Antrag,
den Bescheid des Bundesamtes vom 26. August 2015 aufzuheben,
hilfsweise die Beklagte zu verpflichten, Abschiebungsverbote gem. § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG festzustellen.
Gleichzeitig stellte sie einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung (M 12 S 15.50785).
Klage und Antrag wurden im Wesentlichen wie folgt begründet: Die Klägerin sei im sechsten Monat schwanger. Vater des Kindes sei ein nigerianischer Staatsangehöriger, der in … lebe. Er habe beim Jugendamt des Landratsamtes … die Vaterschaft anerkannt. Sie seien verlobt und möchten in familiärer Gemeinschaft leben. Sie habe einen Antrag auf Umverteilung gestellt. Durch die Abschiebung nach Spanien würde ein gemeinsames Familienleben mit dem Verlobten verhindert. Im Übrigen könne eine schwangere Frau bzw. eine Frau mit einem Neugeborenen nicht in das mit Mängeln behaftete spanische Asylsystem abgeschoben werden. Hinzu komme, dass die Klägerin in Spanien Opfer einer Vergewaltigung geworden sei und die Polizei keine Hilfe geleistet habe. Möglicherweise könne sie bei Rückkehr nach Spanien Schäden an ihrer psychischen Gesundheit erleiden.
Die Beklagte stellte
keinen Antrag.
Die Beklagte teilte am 6. Oktober 2015 mit, dass sich der Kindsvater noch im Asylverfahren befindet und noch keine Entscheidung ergangen ist.
Am 8. Oktober 2015 übersandte das Bundesamt die Postzustellungsurkunde, wonach der streitgegenständliche Bescheid am 3. September 2015 zugestellt wurde.
Mit Beschluss vom 13. Oktober 2015 lehnte das Gericht den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage ab (M 12 S 15.50785).
Mit Beschluss vom 30. Oktober 2015 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen.
Am …. November 2015 bestellten sich die Prozessbevollmächtigten für die Klägerin. Sie erklärten ihr Einverständnis mit einer Entscheidung mit Gerichtsbescheid. Die Klägerin legte eine gemeinsame Sorgerechtserklärung der Klägerin und eines nigerianischen Staatsangehörigen vor. In Verbindung mit der Vaterschaftsanerkennung ergäbe sich daraus ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis. Der voraussichtliche Geburtstermin sei der 17. Dezember 2015. Aus dem anstehenden Geburtstermin ergäbe sich ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- sowie die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Über die Klage kann durch Gerichtsbescheid entschieden werden, da sie keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist (§ 84 Abs. 1 VwGO). Der Prozessbevollmächtigte hat selbst die Entscheidung durch Gerichtsbescheid angeregt (Schreiben vom ….11.2015), die Beklagte hat auf die Anhörung zum Erlass eines Gerichtsbescheides verzichtet (Schreiben vom 24.6.2015).
Die Klage ist bezüglich der Nr. 1 und 2 des Bescheides vom 26. August 2015 zulässig, aber unbegründet. Der Bescheid vom 26. August 2015 ist insoweit rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 VwGO. Hinsichtlich der Nr. 3 des Bescheides ist die Klage unzulässig, da die Klägerin insoweit nicht in ihren Rechten verletzt ist, § 42 Abs. 2 VwGO.
Zu Recht hat die Beklagte den Antrag der Klägerin als unzulässig abgelehnt (Nr.1).
Nach § 27a AsylVfG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ordnet das Bundesamt in einem solchen Fall die Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann.
Im vorliegenden Fall ist aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Union Spanien für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig.
Anwendbar ist die Dublin III VO, s. Art. 49 Dublin III VO. Der Asylantrag wurde am 18. Juni 2015 (Bl. 6 der Behördenakte), das Gesuch um Wiederaufnahme des Antragstellers am 27. Juni 2015 gestellt (Bl. 46 ff. der Behördenakte).
Spanien hat mit Schreiben vom 31. Juli 2015 seine Zuständigkeit bejaht und der Wiederaufnahme der Klägerin zugestimmt (Bl. 55 der Behördenakte).
Die Beklagte ist nicht verpflichtet, trotz der Zuständigkeit Spaniens den Asylantrag der Klägerin selbst inhaltlich zu prüfen.
Die Auslegung der Dublin III Verordnung, die wie die Dublin II VO „einen der Bausteine des von der Europäischen Union errichteten Gemeinsamen Europäischen Asylsystems bildet“, und die sich daraus ergebenden Rechte der Asylbewerber sind durch neuere Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs geklärt (EuGH, U.v. 21.12.2011 – N.S. u. a., C-411/10 und C-493/10 – Slg. 2011, I-13905; EuGH, U.v. 14.11.2013 – Puid, C-4/11 – NVwZ 2014, 129, mit Anm. Thym, NVwZ 2014, 130; EuGH, U.v. 10.12.2013 – Abdullahi, C-394/12 – juris).
Das Gemeinsame Europäische Asylsystem stützt sich, – ähnlich wie das deutsche Konzept der „normativen Vergewisserung“ hinsichtlich der Sicherheit von Drittstaaten (siehe BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 – BVerfGE 94, 49) – auf die Annahme, dass alle daran beteiligten Staaten (ob Mitgliedstaaten oder Drittstaaten) die Grundrechte beachten, einschließlich der Rechte, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention und dem Protokoll von 1967 sowie in der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) finden, und der Versicherung, dass niemand dorthin zurückgeschickt wird, wo er Verfolgung ausgesetzt ist, ferner dass die Mitgliedstaaten einander insoweit Vertrauen entgegenbringen dürfen (EuGH, U.v. 21.12.2011, a. a. O., Rn. 75, 78; vgl. dazu: Hailbronner/Thym, NVwZ 2012, 406). Auf der Grundlage dieses Prinzips des gegenseitigen Vertrauens hat der Unionsgesetzgeber die Dublin-II-Verordnung und die Dublin-III-Verordnung erlassen, um die Behandlung der Asylanträge zu rationalisieren und zu verhindern, dass das System dadurch stockt, dass die staatlichen Behörden mehrere Anträge desselben Antragstellers bearbeiten müssen, und um Rechtssicherheit hinsichtlich der Bestimmung des für die Behandlung des Asylantrags zuständigen Staates zu erhöhen und damit dem „forum shopping“ zuvorzukommen, wobei all dies hauptsächlich bezweckt, die Bearbeitung der Anträge im Interesse sowohl der Asylbewerber als auch der teilnehmenden Staaten zu beschleunigen (U.v. 21.12.2011, a. a. O., Rn. 78, 79; U.v. 10.12.2013, a. a. O., Rn. 52, 53).
Aus diesen Gründen kann nicht jede Verletzung eines Grundrechts durch den zuständigen Mitgliedsstaat die Verpflichtung der übrigen Mitgliedsstaaten zur Beachtung der Dublin-III-Verordnung berühren und deren Pflicht vereiteln, einen Asylbewerber an den zuständigen Mitgliedstaat zu überstellen (vgl. U.v. 21.12.2011, a. a. O., Rn. 82, 84, 85). Fehlleistungen im Einzelfall stellen diese Vertrauensgrundlage ebenso wie das Konzept der normativen Vergewisserung nicht in Frage. Die Mitgliedstaaten dürfen einen Asylbewerber nur dann nicht an den zuständigen Mitgliedsstaat überstellen, wenn ihnen nicht unbekannt sein kann, dass systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedsstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 Charta der Grundrechte der Europäischen Union ausgesetzt zu werden (U.v. 21.12.2011, a. a. O., Rn. 94, 106; U.v. 10.12. 2013, a. a. O., Rn. 60, 62; U.v. 14.11.2013. a. a. O., Rn. 30).
In Bezug auf Spanien ist nach aktuellem Kenntnisstand nicht davon auszugehen, dass den Antragstellern im Falle ihrer Rücküberstellung in dieses Land eine menschenunwürdige Behandlung im eben beschriebenen Sinn droht. Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass in Spanien systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber vorliegen (vgl. VG Augsburg B.v. 20.1.2014 – Au 7 S 14.30003 – juris; VG München B.v. 13.9.2013 – M 4 S 13.30881 -; VG Augsburg B.v. 30.8.2013 – Au 5 S 13.30274 – juris; VG Aachen, B.v. 14.1.2015 – 4 L 786)14.A – juris; VG Aachen, B.v. 27.2.2015 – 4 L 68/15.A -juris; VG Potsdam, U.v. 25.6.2015 -VG 6 K 754/15.a – juris; VG Minden, U.v. 16.3.2015 – 10 K 494/15.A – juris; VG Bayreuth, B. v. 9.7.2015 – B 3 S 15.50172 – juris; VG Oldenburg, B.v. 15.9.2015 – 11 B 3485/15 – juris).
Nach dem Jahresbericht zur Menschenrechtslage in Spanien Departements of State der Vereinigten Staaten von Amerika vom 2. Juni 2015 (Sektion 2d) zur Behandlung von Asylbewerbern ist dort das Asylrecht gesetzlich garantiert und wird auch durch administrative Strukturen abgesichert. So kann insbesondere bei jeder Polizeistation ein Asylgesuch angebracht werden, ohne dass die Gefahr einer Abschiebung besteht. Jedes Asylgesuch wird individuell geprüft; gegen ablehnende Entscheidungen ist gerichtlicher Rechtsschutz gewährleistet. Nach dem königlichen Dekret Nr. 16/2012 erhalten Migranten ohne regulären Aufenthaltsstatus zwar nur einen beschränkten Zugang zum Gesundheitssystem. Ausnahmen gelten jedoch in Notfällen sowie für Minderjährige, Schwangere, Patienten mit Infektionskrankheiten sowie psychischen Erkrankungen (vgl. www.ibicasa.com, Ausgabe 59, Juni bis August 2013). Grundsätzlich ist zudem nach Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2003/09/EG des Rates vom 27. Januar 2003 (sog. Aufnahmerichtlinie) davon auszugehen, dass in den Mitgliedsstaaten – und damit auch in Spanien – die Asylbewerber die erforderliche medizinische Versorgung erhalten, die zumindest die Notversorgung und die unbedingt erforderliche Behandlung von Krankheiten umfasst. Die geringere Möglichkeit der Behandelbarkeit einer Erkrankung in einem anderen Staat, in den der Betroffene abgeschoben werden soll, führt zudem auch nur in ganz besonderen Ausnahmefällen zu einer unmenschlichen Behandlung im Sinn der Art. 4 GR-Charta/Art. 3 EMRK durch den abschiebenden Staat, nämlich dann, wenn humanitäre Gründe zwingend entgegenstehen (vgl. EGMR, U.v.27.5.2008 -26565/05 – NVwZ 2008,1334,1336,Rn.42 ff.; BVerwG, B.v.25.10.2012 – 10 B 16.12. – InfAuslR 2013,45).
Die Behandlung von Personen, die sich ohne Asylantrag oder nach unanfechtbar abgelehntem Asylbegehren in Spanien aufhalten, ist für die Beurteilung systemischer Schwachstellen des Asylverfahrens ohne Bedeutung.
Spanien gilt außerdem als sicherer Drittstaat i. S. des Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG, § 26a AsylVfG. Hinderungsgründe für eine Abschiebung in einen derartigen sicheren Drittstaat ergeben sich nur ausnahmsweise dann, wenn der Asylsuchende individuelle konkrete Gefährdungstatbestände geltend machen kann, die ihrer Eigenart nach nicht vorweg im Rahmen des Konzepts der normativen Vergewisserung von Verfassungs- und Gesetzes wegen berücksichtigt werden können und damit von vorneherein außerhalb der Grenzen liegen, die der Durchführung eines solchen Konzepts aus sich heraus gesetzt sind. Dies ist – bezogen auf die Verhältnisse im Abschiebezielstaat – etwa dann der Fall, wenn sich die für die Qualifizierung des Drittstaats als sicher maßgebenden Verhältnisse schlagartig geändert haben und die gebotene Reaktion der Bundesregierung darauf noch aussteht oder wenn der Aufnahmestaat selbst gegen den Schutzsuchenden zu Maßnahmen politischer Verfolgung oder unmenschlicher Behandlung zu greifen droht und dadurch zum Verfolgerstaat wird. An die Darlegung eines solchen Sonderfalls sind allerdings hohe Anforderungen zu stellen (BVerfG, U.v. 14.5. 1996 – 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 – BVerfGE 94, 49).
Die Sonderfälle in diesem Sinn entsprechen inhaltlich den systemischen Mängeln, die zu einer Gefahr für unmenschliche oder erniedrigende Behandlung von Asylsuchenden führen, im Sinn der oben dargestellten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Solche Sonderfälle liegen, wie oben dargestellt, im Falle Spaniens nicht vor.
Eine Selbsteintrittspflicht der Bundesrepublik Deutschland ergibt sich nicht aus Art. 16 Dublin III VO, da die Voraussetzungen dieser Vorschrift nicht vorliegen. Die Rechtfertigung für die Zuständigkeitsregel des Art. 16 ist darin gelegen, dass dieser familiäre Konstellationen beschreibt, in denen regelmäßig eine Zusammenführung bzw. Nicht-Trennung abhängiger Personen aus menschlichen Erwägungen erfolgen soll. Der Verordnungsgeber hat in Art. 16 Abs.1 als Voraussetzung für eine Familienzusammenführung den Bestand der familiären Bindung bereits im Herkunftsland angeführt. Dies entspricht der in Art. 2 lit.g) Dublin III VO genannten allgemeinen Beschränkung. Davon kann vorliegend nicht ausgegangen werden, da die Klägerin den Kindsvater offenbar außerhalb des Herkunftslandes kennengelernt und sich mit ihm verlobt hat. Im Übrigen hat der Kindsvater als Asylbewerber keinen rechtmäßigen Aufenthalt im Sinne dieser Vorschrift, weil ihm die Gebietszulassung nicht durch einen exekutiven oder legislativen Akt ausdrücklich ermöglicht wurde. Ein bloß vorübergehendes verfahrensbegleitendes Aufenthaltsrecht, wie es § 55 Abs. 1 AsylVfG vermittelt, stellt keine Legalisierung dar. Der Kindsvater verfügt als Asylbewerber nur über eine Gestattung nach § 55 Abs. 1 AsylVfG. Dementsprechend liegt kein dauerhafter rechtmäßiger Aufenthalt im Sinne des Art. 16 Dublin III VO vor (vgl. VG Düsseldorf, B.v. 8.4.2015 -13 L 914/15.A – juris; VG Berlin, B.v.20.8.2015 – 33 L 244.15.A – juris).
Die Pflicht zum Selbsteintritt der Bundesrepublik Deutschland ergibt sich auch nicht aus Vorschriften des Art. 17 Abs. 1 und 2 Dublin III VO.
Danach kann jeder Mitgliedstaat abweichend von Art. 3 Abs. 1 Dublin III VO beschließen, einen bei ihm von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen gestellten Antrag auf internationalen Schutz selbst zu prüfen, auch wenn er nicht für die Prüfung zuständig ist (§ 17 Abs. 1 Dublin III VO). Damit wird der Mitgliedsstaat zum zuständigen Mitgliedsstaat, Art. 17 Abs. 2 Satz 1 Dublin III VO. Ob der Mitgliedsstaat von dieser Befugnis Gebrauch macht, steht grundsätzlich in seinem Ermessen, dessen Ausübung integraler Bestandteil des im EU-Vertrag vorgesehenen und vom Unionsgesetzgeber ausgearbeiteten europäischen Asylsystems ist (vgl. EuGH, U.v. 21. 12. 2011 – C-411/10; C-493/10). Diese in das Ermessen des Mitgliedsstaats gestellte Entscheidung setzt ein Verhalten des Mitgliedsstaats voraus, das zweifelsfrei den Entschluss des Mitgliedsstaats verdeutlicht, das Asylverfahren abweichend vom Regelfallsystem des Art. 3 Abs. 1 Dublin III VO in eigener Verantwortung durchzuführen (vgl. zur Dublin II VO: BayVGH, B.v. 3. 3. 2010 -15 ZB 10.30005 – juris). Bestimmte Förmlichkeiten werden dazu von der Dublin III VO nicht vorgegeben. Maßgeblich kann daher nur sein, dass die zuständige Stelle (in der Bundesrepublik Deutschland das Bundesamt) ihre Entschließung in irgendeiner verlässlichen Art und Weise nach außen erkennbar werden lässt (VG Düsseldorf, B.v. 20. 2. 2015 – 10 L 3022/14.A – juris). Auch eine „konkludente“ Ausübung des Rechts gem. Art. 17 Abs. 1 Dublin III VO ist denkbar. Dabei darf nicht aus dem Blick geraten, dass der Selbsteintritt keine dem Asylbewerber gegenüber abzugebende Erklärung ist und das „Verhalten“ des Bundesamts folglich auch nicht aus dessen Horizont zu beurteilen ist (BayVGH, B. v. 3. 3. 2010, a. a. O.). Eine bloß routinemäßige Befragung zu Herkunft, Modalitäten der Einreise sowie des Reiseweges bringt nicht zum Ausdruck, dass die Bundesrepublik Deutschland den Entschluss gefasst hat, das Asylverfahren abweichend vom Regelfall in eigener Verantwortung durchzuführen.
Gemessen an diesen Vorgaben hat die Beklagte ihr Selbsteintrittsrecht nicht ausgeübt. Sie hat an keiner Stelle des Verwaltungsverfahrens zweifelsfrei erkennen lassen, dass sie das Verfahren in eigener Zuständigkeit durchführen will; im Gegenteil hat das Bundesamt von Anfang an das Dublin-Verfahren eröffnet und durchgeführt und im streitgegenständlichen Bescheid ausgesprochen, von ihrem Selbsteintrittsrecht keinen Gebrauch zu machen. Im Übrigen begründet die Selbsteintrittskompetenz des Art. 17 Abs. 1 Dublin III VO kein subjektives Recht des Asylbewerbers. Die Vorschrift dient – wie die übrigen Vorschriften der Dublin-Verordnungen in der Regel auch – der internen Verteilung der Lasten und Verantwortung unter den Mitgliedsstaaten (vgl. VG Berlin v. 7. 10. 2013 -33 L 403.13A – juris).
Das Selbsteintrittsrecht des Art. 17 Abs. 1 Dublin III VO hat sich auch nicht zu einer Selbsteintrittspflicht verdichtet.
Die Voraussetzungen für die Ausübung des Selbsteintrittsrechts sind in der Dublin III VO nicht geregelt und bleiben daher dem innerstaatlichen Recht überlassen. Art. 17 Dublin III VO wird als eine Generalklausel für die Zuständigkeitsübernahme angesehen in den Fällen, in denen außergewöhnliche humanitäre, familiäre oder krankheitsbedingte Gründe vorliegen, die nach Maßgabe der Werteordnung der Grundrechte einen Selbsteintritt erfordern (vgl. Art. 17 Abs. 2 Dublin III VO; vgl. VG Bremen, B.v. 4. 9. 2013 – 4 V 1037/13.A – juris zu Dublin II VO).
Außergewöhnliche humanitäre (familiäre oder krankheitsbedingte) Gründe, die nach der Werteordnung der Grundrechte einen Selbsteintritt fordern und ausnahmsweise eine Ermessensreduktion auf null zugunsten eines Selbsteintritts erzeugen könnten, hat die Klägerin nicht substantiiert vorgetragen. Allein das Bestehen einer Schwangerschaft bei der Klägerin, die zwischenzeitlich erfolgte Geburt (wohl Mitte Dezember 2015) und die mögliche Trennung vom kenianischen Kindsvater, der sich auch im Asylverfahren befindet und aufenthaltsrechtlich nur über eine Aufenthaltsgestattung verfügt (vgl. Vaterschaftsanerkennung und Sorgeerklärung, Bl. 7 und 41 der Gerichtsakte), stellt keine solchen außergewöhnlichen humanitären Gründe dar.
Die Abschiebung der Klägerin kann derzeit auch durchgeführt werden. Zwar hat das Bundesamt sowohl zielstaatsbezogene als auch inlandsbezogene Abschiebungshindernisse zu prüfen (BayVGH, B.v. 12.3.2014 – 10 CE 14.427 – juris).
Als inlandsbezogenes Abschiebungshindernis könnte im Hinblick auf die aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG folgende staatliche Schutzpflicht in Bezug auf das Rechtsgut körperliche Unversehrtheit die mit der Abschiebung betrauten Behörden verpflichten, von einer Abschiebung abzusehen, wenn diese mit einer erheblichen konkreten Gefahr für die Gesundheit oder die körperliche Unversehrtheit der Klägerin verbunden wäre. Im Falle einer Schwangerschaft der abzuschiebenden Ausländerin ist eine auf ein Abschiebungshindernis zurückzuführende Reiseunfähigkeit nicht nur dann anzunehmen, wenn eine Risikoschwangerschaft durch ärztliche Atteste nachgewiesen ist – was hier nicht der Fall ist – sondern vielmehr auch dann, wenn die Niederkunft unmittelbar bevorsteht. Dies ergibt sich unter Berücksichtigung des Gesichtspunktes der Einheit der Rechtsordnung bereits aus den gesetzlichen Schutzvorschriften der §§ 3 Abs. 2, § 6 Abs. 1 Satz 1 MuSchG. In Anlehnung daran beginnt der Abschiebungsschutz sechs Wochen vor der Entbindung (§ 3 Abs. 2 MuSchG) und endet acht Wochen nach der Entbindung (§ 6 Abs. 1 MuschG). Vorliegend ist dem Mutterpass der genaue Entbindungstermin wegen Schwärzung der entscheidenden Stelle nicht zu entnehmen. Die Klägerin trägt am …. September 2015 aber selbst vor, sich im sechsten Monat der Schwangerschaft zu befinden, so dass im entscheidungserheblichen Zeitraum der Entscheidung durch das Gericht (§ 77 AsylVfG) am 29. Februar 2016 die acht Wochen nach der Entbindung (wohl Mitte Dezember 2015) bereits abgelaufen sind.
Ein inlandsbezogenes rechtliches Abschiebungshindernis ergibt sich nicht aus der Vaterschaftsanerkennung und der Sorgeerklärung für das von der Klägerin inzwischen wohl geborene Kind durch einen nigerianischen Staatsangehörigen vom 29. Juli 2015 und 16. November 2015 (Bl. 7 und 41 der Gerichtsakte). Der Kindsvater befindet sich ebenfalls im Asylverfahren, das noch nicht abgeschlossen ist; es wurde nicht vorgetragen, in welchem Verfahrensstadium sich das Asylverfahren des Kindesvaters befindet. Ein gesichertes Bleiberecht im Bundesgebiet hat er daher nicht. Es ist der Klägerin zuzumuten, mit dem Kind die familiäre Gemeinschaft im Ausland zu führen oder – sollte der Kindsvater ein Bleiberecht erhalten – im Wege des Familiennachzugs wieder einzureisen. Ausländerrechtliche Schutzwirkungen entfalten Art. 6 GG und Art. 8 EMRK nicht allein aufgrund formalrechtlicher familiärer Bindungen. Die Erklärungen zur Vaterschaftsanerkennung und zum gemeinsamen Sorgerecht können allein keinen Abschiebungsschutz begründen. Entscheidend ist vielmehr die tatsächliche Verbundenheit zwischen den Familienmitgliedern (BVerfG, Beschluss vom 8.12.2005 2 BvR 1001/04). Die Klägerin hat sich zu der tatsächlichen Verbundenheit zwischen Vater und Kind überhaupt nicht geäußert. Von der Klägerin wurde weder vorgetragen, dass ein Kind geboren wurde noch dass zwischen Vater und Kind eine tatsächliche Verbundenheit besteht. Es wurde nicht substantiiert dargelegt, welche spezifischen Erziehungsbeiträge oder auch nur Umgangskontakte der Vater erbringt. Ebenso wenig wurde vorgetragen, ob über das Asylverfahren des Kindsvaters entschieden wurde. Eine weitere Ermittlung durch das Gericht hat sich daher nicht aufgedrängt.
Ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis ergibt sich auch nicht aus dem Vortrag der Klägerin, sie sei in Spanien vergewaltigt worden und die Polizei habe nichts unternommen. Spanien ist ein Rechtsstaat, der willens und in der Lage ist, Straftaten zu verfolgen. Wenn die Straftat an der Klägerin nicht verfolgt worden sein sollte, ist dies eine Entscheidung der Polizei und Justizbehörden im Einzelfall, die nichts mit der grundsätzlichen Verfolgung von Straftaten durch die dafür zuständigen spanischen Behörden und Gerichte zu tun hat.
Die Klage war demnach mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.


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