Europarecht

Erfolglose Klage gegen bevorstehende Überstellung in die Niederlande

Aktenzeichen  M 9 K 16.51025

Datum:
22.12.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1 lit. a, § 34a Abs. 1 S. 1
VO (EU) Nr. 604/2013 Art. 3 Abs. 1, Abs. 2 UAbs. 2, UAbs. 3, Art. 13 Abs. 1 S. 1, S. 2, Art. 17 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Es bestehen keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass ein Schutzsuchender im Fall einer Abschiebung in die Niederlande infolge systemischer Schwachstellen des dortigen Asylverfahrens oder der dortigen Aufnahmebedingungen der Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung ausgesetzt wäre. (redaktioneller Leitsatz)
2. Das Bundesamt darf in seinem den Asylantrag als unzulässig ablehnenden Bescheid darauf hinweisen, dass der Antrag auch aus anderen Gründen als denjenigen, auf die sich die Entscheidung stützt, unzulässig sein könnte. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage hat keinen Erfolg.
Die Entscheidung kann ohne mündliche Verhandlung ergehen, weil sich die Beteiligten damit individuell einverstanden erklärt haben (die Klägerseite) bzw. ein entsprechendes generelles Einverständnis vorliegt (auf Beklagtenseite sowie von der Vertretung des öffentlichen Interesses), § 101 Abs. 2 VwGO.
Die Klage ist zwar zulässig, insbesondere ist sie fristgerecht erhoben, § 74 Abs. 1 Hs. 1 AsylG.
Die Klage ist jedoch unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom … Oktober 2016, auf den im Sinne von § 77 Abs. 2 AsylG Bezug genommen wird, ist rechtmäßig und verletzt den Kläger daher nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Für das Gericht ist hinsichtlich der Sach- und Rechtslage der Zeitpunkt der Entscheidung maßgeblich (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 AsylG). Insbesondere kommen das AsylG und das AufenthG in den durch das Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11. März 2016 (BGBl I, S. 390), das Gesetz zur erleichterten Ausweisung von straffälligen Ausländern sowie zum erweiterten Ausschluss der Flüchtlingsanerkennung bei straffälligen Asylbewerbern vom 11. März 2016 (BGBl I, S. 394) und das Integrationsgesetz vom 31. Juli 2016 (BGBl I, S. 1939) geänderten Fassungen zur Anwendung.
Gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 lit. a AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. L 180 vom 29.6.2013, S. 31) für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ordnet das Bundesamt die Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann. Beides ist vorliegend der Fall.
1. Die Niederlande sind als Mitgliedstaat, in dem der Kläger ausweislich des Eurodac-Treffers für die Niederlande einen Asylantrag gestellt hat, für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig.
Die Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens richtet sich vorliegend nach der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedsstaates, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedsstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin III-VO).
Art. 3 Abs. 1 Dublin III-VO sieht vor, dass der Asylantrag von dem Mitgliedstaat geprüft wird, der nach den Kriterien des Kapitels III der Dublin III-VO als zuständiger Staat bestimmt wird. Bei Anwendung dieser Kriterien sind die Niederlande für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig. Gemäß Art. 13 Abs. 1 Satz 1 Dublin III-VO ist derjenige Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags zuständig, über dessen Grenze der Asylbewerber aus einem Drittstaat illegal eingereist ist. Ausgehend vom Vortrag des Klägers hat er in den Niederlanden einen Asylantrag gestellt. Der Umstand der Asylantragstellung in den Niederlanden wird außerdem belegt durch den für den Kläger erzielten Eurodac-Treffer mit der Kennzeichnung „NL1“. Die Ziffer „1“ steht für einen Antrag auf internationalen Schutz (Art. 24 Abs. 4 der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 vom 26. Juni 2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über die Einrichtung von Eurodac für den Abgleich von Fingerabdruckdaten zum Zwecke der effektiven Anwendung der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist und über der Gefahrenabwehr und Strafverfolgung dienende Anträge der Gefahrenabwehr- und Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten und Europols auf den Abgleich mit Eurodac-Daten sowie zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1077/2011 zur Errichtung einer Europäischen Agentur für das Betriebsmanagement von IT-Großsystemen im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts (Neufassung) (EURODAC-VO)). Die Zuständigkeit der Niederlande ist auch nicht gemäß Art. 13 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-VO erloschen. Damit sind vorliegend die Niederlande der für die Durchführung des Asylverfahrens zuständige Mitgliedstaat, was grundsätzlich, abgesehen von den dort geltend gemachten Begründungen, auch in der Begründung des Klägerbevollmächtigten nicht bestritten wird.
Die Behörden der Niederlande haben die Zuständigkeit der Niederlande bejaht und der Wiederaufnahme des Klägers zugestimmt.
2. Die Abschiebung in die Niederlande kann gemäß § 34a Abs. 1 AsylG auch durchgeführt werden.
Die Zuständigkeit ist nicht gem. Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 3 Dublin III-VO auf die Beklagte übergegangen, weil eine Überstellung in die Niederlande als den zuständigen Mitgliedstaat an Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO scheitern würde. Es sind keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Kläger im Falle einer Abschiebung in die Niederlande infolge systemischer Schwachstellen des dortigen Asylverfahrens oder der dortigen Aufnahmebedingungen einer hinreichend wahrscheinlichen Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ausgesetzt wäre.
Nach dem Prinzip der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG, U. v.14.05.1996 – 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 -, juris) bzw. dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH, U. v.21.12.2011 – C-411/10 und C-493/10 -, juris) gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat der Europäischen Union den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK) und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Grundrechtscharta) entspricht. Allerdings ist diese Vermutung nicht unwiderleglich. Vielmehr obliegt den nationalen Gerichten die Prüfung, ob es im jeweiligen Mitgliedstaat Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber gibt, welche zu einer Gefahr für den jeweiligen Asylantragsteller führen, bei Rückführung in den zuständigen Mitgliedstaat einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung i. S. v. Art. 4 Grundrechtscharta ausgesetzt zu werden (vgl. EuGH, U. v.21.12.2011 a. a. O.). Die Vermutung ist aber nicht schon bei einzelnen einschlägigen Regelverstößen der zuständigen Mitgliedstaaten widerlegt. An die Feststellung systemischer Mängel sind vielmehr hohe Anforderungen zu stellen. Von systemischen Mängeln ist daher nur dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. BVerwG, B. v.19.03.2014 – 10 B 6.14 -, juris).
Ausgehend von diesen Maßstäben und im Einklang mit der aktuellen Rechtsprechung ist nicht davon auszugehen, dass der Kläger in den Niederlanden aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber tatsächlich Gefahr läuft, dort einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein (vgl. statt vieler nur VG Freiburg (Breisgau), U. v. 24.02.2016 – A 1 K 2724/14 -, juris Rn. 20 und Rn. 21 – 27 auch zu den Aspekten des niederländischen Asylverfahrens im weiteren Sinn, nämlich die dortigen Aufnahme- und Lebensbedingungen; VG Würzburg, U. v.31.08.2015 – W 3 K 15.50005 -, juris Rn. 24ff; VG Augsburg, B. v.29.10.2014 – Au 7 S 14.50263 -, juris Rn. 27ff.; VG Regensburg, B. v.26.03.2014 – RN 5 S 14.30303 -, juris Rn. 26f.).
Individuelle, außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-VO notwendig machen liegen ebenso wenig vor wie inlands- oder zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse.
Für den Kläger ist nichts vorgetragen, was mit seiner individuellen Situation zu tun hätte.
Die vom Bevollmächtigten abgegebene Begründung vermag die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsanordnung nicht in Frage zu stellen. Ob in anderen Fällen als dem des Klägers möglicherweise nicht nach den Regeln der Dublin III-Verordnung entschieden wird (vgl. § 29 Abs. 1 Nr. 1 lit. a AsylG), sondern eine Rücküberstellung auf anderen gesetzlichen Grundlagen des internationalen Rechts (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 lit. b AsylG) oder wegen der erfolgten Schutzgewährung in einem Mitgliedstaat (§ 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG) verfügt wird, ist für die hiesige Klage nicht relevant. Denn abgesehen davon, dass diese Vorgehensweisen in anderen Fällen – je nach dem zu beurteilenden Einzelfall – mitunter auch richtig sein können, kann sich der Kläger nicht darauf berufen, was in einem ihn nicht betreffenden Fall richtig oder falsch ist. Jedenfalls im Falle des Klägers ist vom Bundesamt eindeutig eine Überstellung nach „Dublin-Recht“ verfügt worden, so dass sich die Zulässigkeit des streitgegenständlichen Bescheids an § 29 Abs. 1 Nr. 1 lit. a AsylG i. V. m. den Regelungen der Dublin III-Verordnung sowie dem „flankierenden“ nationalen Recht, beispielsweise § 34a AsylG, messen lassen muss mit dem Ergebnis (siehe oben), dass gegen die Ablehnung des Asylantrags als unzulässig und die Abschiebungsanordnung keine Bedenken bestehen. Die Formulierungen im streitgegenständlichen Bescheid auf S. 2 (Bl. 81 der Bundesamtsakten) Absätze 2 und 3 von oben, wonach die Unzulässigkeit des Asylantrags auch dann nicht in Frage steht, wenn sich später herausstellen sollte, dass dem Kläger entgegen der bisherigen Erkenntnisse bereits in einem anderen Mitgliedstaat Schutz gewährt oder ein Verfahren in einem anderen Mitgliedstaat erfolglos abgeschlossen wurde und die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen nicht vorliegen, sind in diesem Zusammenhang nicht zu beanstanden. Erstens trifft es sachlich zu, dass es auch in diesen Fällen grundsätzlich bei der Unzulässigkeit des Asylantrags bleibt und zweitens hat das Bundesamt, das diese Ausführungen ersichtlich hilfsweise gemacht hat, dazu auch hinreichend Grund bzw. Anlass, da es erstens darauf angewiesen ist, dass die Angaben des Klägers, die er im streitgegenständlichen Verwaltungsverfahren gemacht, zutreffen – vorbehaltlich des Umstands, dass diese hier tatsächlich vom Eurodac-Treffer und der Zustimmungserklärung der niederländischen Behörden bestätigt werden – und zweitens es die sonstigen Umstände dieses Falles insbesondere in zeitlicher Hinsicht nicht als fernliegend erscheinen lassen, dass über den Asylantrag des Klägers zwischenzeitlich in den Niederlanden entschieden worden sein könnte; für den Fall, dass das entgegen den Angaben des Klägers doch zutrifft, darf das Bundesamt ohne weiteres hilfsweise darauf hinweisen, dass auch dann der Asylantrag des Klägers unzulässig wäre. Dem streitgegenständlichen Bescheid lässt sich jedoch ohne weiteres ausreichend entnehmen, dass vorliegend eine Entscheidung auf der Grundlage des „Dublin-Rechts“ getroffen wurde; ob das in anderen Fällen ebenso ist, wirkt sich auf den Fall des Klägers wie oben dargestellt nicht aus, weswegen von einer willkürlichen Entscheidung im hier maßgeblichen Falle des Klägers nicht die Rede sein kann. Auch bestehen keine Zweifel, dass im Falle des Klägers sichergestellt ist, dass keine Situation entstehen kann, in der ihm die Prüfung seines Antrags auf internationalen Schutz „gänzlich versagt“ wird.
Schließlich ist nicht nachvollziehbar, warum das Bundesamt nicht befugt sein sollte, über eine Abschiebung in die Niederlande zu entscheiden; die Befugnis hierzu steht ausdrücklich im Gesetz, vgl. § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG i. V. m. § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG.
Die Umstände, die der Kläger selbst im persönlichen Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats zur Durchführung des Asylverfahrens – Zweitbefragung geltend gemacht hat, begründen keine systemischen Mängel des niederländischen Asylverfahrens.
Die ebenfalls vom Kläger selbst im Verwaltungsverfahren geltend gemachten gesundheitlichen Einschränkungen hinsichtlich seiner Leber stehen der Abschiebung in die Niederlande nicht entgegen. Der Kläger hat hierzu trotz entsprechender Aufforderung und trotzdem nichts dafür ersichtlich ist, warum es ihm nicht möglich sein sollte, Belege vorzulegen, keinerlei ärztliche Atteste o.ä. vorgelegt. Unabhängig davon bestehen keine Zweifel daran – unterstellt, der Kläger hätte wirklich eine Lebererkrankung -, dass eine Lebererkrankung in den Niederlanden genauso gut behandelt wird wie in Deutschland.
Auch gegen die Rechtmäßigkeit der Entscheidungen in den Nummern 2 und 4 des streitgegenständlichen Bescheids bestehen keine Bedenken.
3. Die Klage ist daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Das Verfahren ist nach § 83b AsylG gerichtskostenfrei. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. Zivilprozessordnung (ZPO).


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