Europarecht

Erfolgreiche Klage gegen Abschiebungsanordnung

Aktenzeichen  M 1 K 16.50361

Datum:
15.12.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1, § 31 Abs. 2, § 34a
Dublin III-VO Dublin III-VO Art. 28 Abs. 3 S. 4, Art. 29 Abs. 2 S. 1
VwGO VwGO § 42 Abs. 2, § 113 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

Ein nach der Dublin III-VO infolge Ablaufs der Überstellungsfrist zuständig gewordener Mitgliedsstaat darf einen Schutzsuchenden dann nicht auf eine Prüfung durch einen anderen Mitgliedsstaat verweisen, wenn dessen (Wieder-)Aufnahmebereitschaft nicht positiv feststeht. Das Bundesamt hat in einem solchen Fall das Asylverfahren des Schutzsuchenden fortzuführen und eine Sachentscheidung zu treffen. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 1. Juni 2016 wird aufgehoben.
II.
Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Gem. § 101 Abs. 2 VwGO konnte über die Klage ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, da beide Parteien auf eine mündliche Verhandlung verzichtet haben.
Die Klage ist zulässig und begründet.
Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens ist allein der Bescheid des Bundesamtes vom 1. Juni 2016 mit dem die Abschiebung des Klägers angeordnet wurde. Eine gegen den Bescheid des Bundesamts vom 30. Juni 2016 (Ablehnung des Asylantrags als unzulässig) gerichtete Klage liegt der streitentscheidenden Kammer nicht vor.
Der Bescheid der Beklagten vom 1. Juni 2016 ist im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Die Voraussetzungen für den Erlass einer Abschiebungsanordnung betreffend den zunächst zuständigen Mitgliedstaat auf der Grundlage des § 34a i. V. m. § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG liegen nicht mehr vor.
Der streitgegenständliche Bescheid ist aufgrund des Ablaufs der sog. Überstellungsfrist und des hierdurch bedingten Zuständigkeitsübergangs auf die Bundesrepublik Deutschland gem. Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO rechtswidrig geworden.
Die sechsmonatige Frist des Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO begann mit Ablauf der Fiktionsfrist des Art. 28 Abs. 3 Satz 4 Dublin III-VO infolge des Rückübernahmeersuchens vom 17. Mai 2016 am 31. Mai 2016 zu laufen. Diese Frist ist mit Ende des 30. November 2016 (d. h. 24:00 Uhr) abgelaufen.
Der Fristablauf begründet gem. Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO den Übergang der Zuständigkeit für die Prüfung des Asylbegehrens auf die Beklagte. Der Asylantrag ist damit nicht mehr nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG wegen Unzuständigkeit der Beklagten unzulässig. Eine Umdeutung der Entscheidung in die Ablehnung eines Zweitantrages gem. § 71a AsylG ist nicht möglich (BayVGH, B. v. 29.07.2015 – 13a ZB 15.50096 – juris Rn. 13; BVerwG, U. v. 27.04.2016 – 1 C 24.15 – juris Rn. 19).
Mit dieser zunächst objektiven Rechtswidrigkeit geht auch eine subjektive Rechtsverletzung der Klagepartei i. S. von § 42 Abs. 2, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO einher, da eine Rückübernahmebereitschaft Ungarns nicht ersichtlich ist (BVerwG, U. v. 9. 8. 2016 – 1 C 6/16 – juris Rn. 23). Die Beklagte hat nicht vorgetragen, dass Ungarn trotz des Ablaufs der Überstellungsfrist zur Rückübernahme des Klägers bereit wäre. Hierfür bestehen auch keine Anhaltspunkte. Damit kann sich der Kläger auf den Ablauf der Überstellungsfrist berufen, da Ungarn jedenfalls nicht verpflichtet ist, das Asylverfahren durchzuführen und der Anspruch des Klägers auf Durchführung eines Asylverfahrens verletzt wäre. Der nach den Dublin-Bestimmungen infolge des Fristablaufs zuständige Mitgliedsstaat darf einen Schutzsuchenden jedenfalls dann nicht auf eine Prüfung durch einen anderen Mitgliedsstaat verweisen, wenn dessen (Wieder-) Aufnahmebereitschaft nicht positiv feststeht (BVerwG, U. v. 27.04.2016 – 1 C 24/15 – juris Rn. 20).
Das Bundesamt ist in der Folge kraft Gesetzes (vgl. § 31 Abs. 2 AsylG) verpflichtet, das Asylverfahren des Klägers fortzuführen und eine Sachentscheidung zu treffen (vgl. BayVGH, U. v. 28.2.2014 – 13a B 13.30295 – juris Rn. 22).
Die Kostenfolge beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nach § 83b AsylG nicht erhoben.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V. mit §§ 708 ff. ZPO.


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