Europarecht

Erteilung eines Aufenthaltstitels zur Familienzusammenführung

Aktenzeichen  M 12 K 16.820

Datum:
16.6.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG AufenthG § 5 Abs. 2, § 29 Abs. 2, § 30 Abs. 1
VwGO VwGO § 82 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

Mit dem verfassungsrechtlichen Schutz von Ehe und Familie nach Art. 6 GG ist es grundsätzlich vereinbar, den Ausländer auf die Einholung eines erforderlichen Visums zu verweisen; der mit der Durchführung des Visumverfahrens üblicherweise einhergehende Zeitablauf ist von demjenigen, der die Einreise in die Bundesrepublik Deutschland begehrt, regelmäßig hinzunehmen. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Entscheidungsgründe:
Über den Rechtsstreit konnte aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 16. Juni 2016 entschieden werden, obwohl die Klagepartei nicht erschienen ist. Denn in der Ladung zur mündlichen Verhandlung wurde darauf hingewiesen, dass auch im Fall des Nichterscheinens der Beteiligten verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 VwGO).
1. Die Klage ist bereits unzulässig, da die Voraussetzungen des § 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts nicht erfüllt sind. Außer dem Namen ist mit der Klage auch die ladungsfähige Anschrift des Klägers anzugeben. Bei einer Änderung während des Prozesses ist diese mitzuteilen. Ladungsfähige Anschrift ist die Anschrift, unter der die Partei tatsächlich zu erreichen ist (vgl. Geiger in Eyermann, VwGO, § 82 Rn. 3). Bei einer natürlichen Person ist dies in der Regel die Wohnungsanschrift. Dies gilt unabhängig davon, ob ein Kläger durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten wird (Geiger in Eyermann, a. a. O.). Die Angabe der ladungsfähigen Anschrift des Klägers soll nämlich nicht nur dessen hinreichende Individualisier- und Identifizierbarkeit sicherstellen und die Zustellung von Entscheidungen, Ladungen sowie gerichtlichen Verfügungen ermöglichen; sie soll vielmehr darüber hinaus auch gewährleisten, dass der Kläger nach entscheidungserheblichen Tatsachen befragt und sich im Falle des Unterliegens seiner Kostentragungspflicht nicht entziehen kann. Die Angabe der ladungsfähigen Anschrift ist eine Zulässigkeitsvoraussetzung für die Klage (BVerwG, B. v. 14.2.2012 – 9 B 79/11 – juris).
Sowohl die gerichtliche Kostenrechnung als auch das Schreiben des Klägerbevollmächtigten vom … Juni 2016 sind mit dem Vermerk „Empfänger unter der angegebenen Anschrift nicht zu ermitteln“ zurückgekommen. Die Klägerin hält sich daher tatsächlich nicht mehr unter der als ladungsfähige Anschrift angegebenen Adresse auf. Eine neue ladungsfähige Anschrift wurde dem Gericht nicht mitgeteilt und ist offensichtlich auch dem Klägerbevollmächtigten nicht bekannt. Die Zulässigkeitsvoraussetzung der Angabe der ladungsfähigen Anschrift ist somit entfallen.
2. Die Klage ist darüber hinaus aber auch unbegründet.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis steht § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG entgegen. Danach setzt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis voraus, dass der Ausländer mit dem erforderlichen Visum eingereist ist und die für die Erteilung maßgeblichen Angaben bereits im Visumantrag gemacht hat. Es genügt nicht der Besitz irgendeines, sondern nur des für den jeweiligen Einzelfall, insbesondere den konkreten Aufenthaltszweck, notwendigen Visums (Dienelt in Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl. 2013, § 5 AufenthG Rn. 80).
Die Klägerin ist vorliegend zum Zweck des Ehegattennachzugs, d. h. zu einem längerfristigen Aufenthalt, eingereist. Dies ergibt sich zum einen aus dem bereits durchgeführten und abschlägig beschiedenen Visumsverfahren als auch der Beantragung einer Aufenthaltserlaubnis zu diesem Zweck kurz nach der Einreise, zumal die Klägerin bereits im Visumsverfahren angekündigt hat, im Fall der Ablehnung zu versuchen, mit einem Schengen-Visum in das Bundesgebiet einzureisen und dort zu bleiben (Bl. 50 der Behördenakte – BA). Gem. § 6 Abs. 3 Satz 1 AufenthG ist für längerfristige Aufenthalte ein nationales Visum für das Bundesgebiet erforderlich, das vor der Einreise erteilt wird. Die Klägerin ist jedoch lediglich mit einem griechischen Schengen-Visum und damit ohne das erforderliche nationale Visum in das Bundesgebiet eingereist.
Die Klägerin kann sich auch nicht mit Erfolg auf § 99 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG i. V. m. §§ 39 ff. AufenthV berufen. Sie war nicht abweichend von § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG berechtigt, den Aufenthaltstitel erst im Bundesgebiet einzuholen, denn die in § 99 AufenthG i. V. m. § 39 AufenthV normierten Voraussetzungen, nach denen über die im Aufenthaltsgesetz geregelten Fälle hinaus ein Ausländer einen Aufenthaltstitel im Bundesgebiet einholen oder verlängern kann, liegen nicht vor. Insbesondere sind die Voraussetzungen für einen – ohnehin, nicht bestehenden (s.u.) – Anspruch nicht, wie es § 39 Nr. 3 AufenthV voraussetzt, erst nach der Einreise entstanden, vielmehr hat die Eheschließung der Klägerin bereits vor der Einreise stattgefunden.
Von der Einreise mit dem erforderlichen Visum kann auch nicht gem. § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG abgesehen werden, da weder die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung erfüllt sind noch es aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls nicht zumutbar wäre, das Visumverfahren nachzuholen.
Es besteht kein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Ein Rechtsanspruch im Sinne des § 5 Abs. 2 Satz 2 1. Alt. AufenthG liegt nur dann vor, wenn alle zwingenden und regelhaften Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind und die Behörde kein Ermessen mehr auszuüben hat. Der Anspruch muss sich aus der typisierten gesetzlichen Regelung ergeben mit der Folge, dass Ausnahmetatbestände insoweit unberücksichtigt bleiben müssen (BVerwG, U. v. 10.12.2014 – 1 C 15/14 – juris).
Gem. § 30 Abs. 1 AufenthG ist dem Ehegatten eines Ausländers dann eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn beide Ehegatten das 18. Lebensjahr vollendet haben, der Ehegatte sich zumindest auf einfache Art in deutscher Sprache verständigen kann und der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis gem. § 25 Abs. 2 AufenthG besitzt.
Im vorliegenden Fall fehlt es bereits an einem entsprechenden Sprachnachweis der Klägerin, so dass eine zwingende Tatbestandsvoraussetzung nicht gegeben ist.
Zudem setzt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gem. § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG in der Regel voraus, dass der Lebensunterhalt gesichert ist. Ein Nachweis über die Sicherung des Lebensunterhalts liegt nicht vor. Im Visumantrag hat die Klägerin im Gegenteil erklärt, den Lebensunterhalt aus Sozialleistungen zu bestreiten (Bl. 24 der BA). Nach eigenen Angaben im Visumsverfahren beabsichtigt die Klägerin zudem auch nicht, während ihres Aufenthalts erwerbstätig zu sein. Auch der Ehemann gehe keiner Beschäftigung nach (Bl. 4 der BA).
Von der Sicherung des Lebensunterhalts ist auch nicht gem. § 29 Abs. 2 Satz 2 AufenthG abzusehen. Denn die Herstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft in einem Staat, der nicht Mitgliedstaat der Europäischen Union ist und zu dem der Ausländer oder seine Familienangehörigen eine besondere Bindung haben, – hier der Ukraine – ist möglich. Die Klägerin selbst ist ukrainische Staatsangehörige und hat bis November 2015 in der Ukraine gelebt; ihr syrischer Ehemann hat vor seiner Einreise nach Deutschland bereits mehrere Jahre in der Ukraine gelebt und spricht die Landessprache. Beide Ehegatten haben daher eine besondere Bindung zur Ukraine. Die Führung der ehelichen Lebensgemeinschaft in der Ukraine, in der die Ehe geschlossen wurde, ist auch möglich. Dass sich die Lebensbedingungen – wie vom Klägerbevollmächtigten vorgetragen – in der Ukraine von denen im Bundesgebiet unterscheiden, macht die Führung der ehelichen Lebensgemeinschaft dort weder unzumutbar noch unmöglich i. S. d. § 29 Abs. 2 AufenthG.
Zwar kann gem. § 29 Abs. 2 Satz 1 AufenthG gleichwohl von den Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG abgesehen werden. Dies setzt jedoch eine Ermessensentscheidung des Beklagten voraus, so dass sich kein Rechtsanspruch i. S. d. § 5 Abs. 2 Satz 2 1. Alt. AufenthG ergibt.
Der Klägerin ist es i. S. v. § 5 Abs. 2 Satz 2 2. Alt. AufenthG aufgrund besonderer Umstände auch nicht unzumutbar, das Visumsverfahren nachzuholen. § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG ist als Ausnahmeregelung grundsätzlich restriktiv auszulegen. Die Einhaltung des Visumsverfahrens soll der Regelfall bleiben. Für eine Unzumutbarkeit der Nachholung des Visumverfahrens ist vorliegend nichts ersichtlich. Mit dem verfassungsrechtlichen Schutz von Ehe und Familie nach Art. 6 GG ist es grundsätzlich vereinbar, den Ausländer auf die Einholung eines erforderlichen Visums zu verweisen; der mit der Durchführung des Visumverfahrens üblicherweise einhergehende Zeitablauf ist von demjenigen, der die Einreise in die Bundesrepublik Deutschland begehrt, regelmäßig hinzunehmen. Auch ist zu berücksichtigen, dass dem Eindruck entgegengewirkt werden soll, man könne durch eine Einreise unter bewusster Missachtung der Visumsregeln stets vollendete Tatsachen schaffen. Dass in der Ukraine im November letzten Jahres der Winter eingekehrt ist, macht die Rückkehr einer ukrainischen Staatsangehörigen, die bis vor kurzem dort gelebt hat, nicht unzumutbar.
3. Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
4. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.
Rechtsmittelbelehrung:
Nach §§ 124, 124 a Abs. 4 VwGO können die Beteiligten die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil innerhalb eines Monats nach Zustellung beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
beantragen. In dem Antrag ist das angefochtene Urteil zu bezeichnen. Dem Antrag sollen vier Abschriften beigefügt werden.
Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist bei dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,
Hausanschrift in München: Ludwigstraße 23, 80539 München, oder
Postanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München
Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach
einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.
Über die Zulassung der Berufung entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Rechtslehrern mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 7 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf EUR 5.000,- festgesetzt (§ 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz -GKG-).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes EUR 200,– übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde. Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
einzulegen.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
Der Beschwerdeschrift eines Beteiligten sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.


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