Europarecht

Erwerb eines Dieselfahrzeugs: Vorsätzliche sittenwidrige Schädigung bei Verwendung einer Fahrkurvenerkennung und eines Thermofensters

Aktenzeichen  8 U 8/21

Datum:
17.12.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Oberlandesgericht des Landes Sachsen-Anhalt 8. Zivilsenat
Dokumenttyp:
Urteil
Normen:
§ 31 BGB
§ 826 BGB
Art 3 Nr 10 EGV 715/2007
Spruchkörper:
undefined

Verfahrensgang

vorgehend LG Halle (Saale), 12. April 2021, 4 O 434/20, Urteil

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das am 12.04.2021 verkündete Urteil des Landgerichts Halle wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Dieses und das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110% des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
und beschlossen:
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf die Stufe bis 30.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
Der Kläger nimmt die Beklagte im Zusammenhang mit dem sog. Dieselskandal auf Rückabwicklung eines am 27.08.2014 getätigten Erwerbs eines VW Golf GTD 2.0 TDI in Anspruch, in welchem ein Motor des Typs EA288 EU6 NSK verbaut ist, in dessen Motorsteuerung unstreitig eine sog. Fahrkurve hinterlegt ist, anhand derer das Fahrzeug erkennt, ob es sich innerhalb eines bestimmten Zeit-Strecken-Korridors wie dem Precon oder dem NEFZ befindet (vgl. Bl. 131 II d.A. 8 U 1/21).
Dem Senat ist zudem aus verschiedenen Parallelverfahren Folgendes (gerichts-) bekannt:
In einer E-Mail des (Name geschwärzt) Senior Counsel und Dipl.-Ing. Fahrzeugtechnik der Beklagten an das KBA vom 01.10.2015 wird zu Dieselmotoren mit Emissionsstufe EU S der Beklagten Folgendes ausgeführt:
“Die Motor-Software enthält eine Fahrkurve zur Präkonditionierung sowie eine Temperatur- und eine Weg-Zeit-Sensierung, die mit Toleranzzugabe die Weg-Zeit-Funktion NEFZ erkennt, wird eine der Toleranzgrenzen dieser Erkennung einmal überschritten, geht der Funktionsmodus in die Applikation für den Straßenbetrieb über und kann bis zum nächsten Motorstart nicht mehr in den NEFZ-Modus zu rückkehren. Dia Motorapplikation für beide Funktionmodi ist identisch. Eine Lenkwinkel- oder Raddrehzahlsensierung oder sonstige Sensierung von Fahrzeugdaten findet zu diesem Zweck nicht statt”.
In einer 13-seitigen Stellungnahme der von der Beklagten beauftragten Kanzlei F. B. D. vom 04.10.2015 wird unter B. II. 2.2. die Funktionsweise des NSK- Systems wie folgt beschrieben:
“Aufgrund dar Tatsache, dass der Testlauf auf dem Rollenprüfstand nach den EU-rechtlichen Vorgaben des NEFZ strikt auf einen bestimmten Zeitraum festgelegt ist (4 x 195 sec Simulation innerstädtischer Verkehr, insgesamt 4,052 km, anschließend 400 sec Simulation außerstädtischer Verkehr, Wegstrecke 6,955 km), innerhalb dessen nicht sicher damit gerechnet werden kann. ob/wann die Speichergrenze von 1-1,5g erreicht ist, der Prüfzyklus indes widerspiegeln sollte, dass es tatsächlich eine Regeneration des NSK gibt, sowie die Testergebnisse reproduzierbar sein sollen, wird im Rollenprüfstandsmodus die Regeneration des NSK zeitgesteuert, nämlich durch Regeneration im NSK zu zwei festgelegten Zeitpunkten im ersten Drittel des außerstädtischen Verkehre (bei 70 km/h und 120 km/h). Die tatsächliche Wirksamkeit des NSK unterscheidet sich nicht, sie ist damit im normalen Fahrbetrieb nicht verringert.
Würde der NSK auf dem Rollenprüfstand nicht zeit-, sondern beladungs- und streckengesteuert, so hätte dies keinen Einfluss darauf, dass die EU6-Emissionsgrenzwerte weiterhin eingehalten werden”.
Unter C. II. I 1 und 2 des vorgenannten Dokuments wird der obige Sachverhalt dann einer rechtlichen Würdigung unterzogen, und zwar dahingehend, dass die Umstellung des NSK auf eine Zeitsteuerung bei Durchfahren des NEFZ keine unzulässige Abschalteinrichtung darstelle, weil sie nicht zu einer Verringerung der Wirksamkeit des Emissionsminderungssysteme bzw des NSK unter normalen Fahrbedingungen führe; darüber hinaus sei
“äußerst zweifelhaft, ob schon im Ausgangspunkt eine Abschalteinrichtung” vorliege, da die “beladungsgesteuerte Reduktion des NSK . der Grund- und Normalmodus für den Fahrbetrieb des Fahrzeugs” sei.
Aus dem Verfahren 8 U 68/20 (NSK) ist dem Senat bekannt, dass der NSK im Fahrbetrieb regelmäßig “regeneriert”, d.h. unter Aufspaltung der eingelagerten Stickoxide (NOx) in deren Komponenten Stickstoff (N2) und Kohlendioxid (CO2) geleert wird, wobei sich jede NSK-Regeneration (“DeNOx-Event”) auf die CO2- und Schadstoffemissionen auswirkt. Eine weitere Regeneration gibt es für die Entschwefelung (“DeSox”). Im Straßen betrieb erfolgt die NSK-Regeneration in bestimmten Streckenintervallen (ca. alle 5 km) oder wenn der NSK voll “beladen” ist, je nachdem, welches Ereignis zuerst eintritt. In den Fahrzeugen war zunächst eine Software verbaut, welche mittels einer sog. “Fahrkurvenerkennung” (auch “Zykluserkennung” genannt), die Vorkonditionierung (“Precon”) für die Messung auf dem Teststand im NEFZ erkennt. Die Motorsoftware stellte dann sicher, dass am Ende der Vorkonditionierung eine Regeneration des NSK erfolgt, sodass dieser zu Beginn der anschließenden Messung fast leer ist Dementsprechend wird indem oben bereits zitierten, mit “Applikationsanweisung Diesel Fahrkurven EA288 NSK” überschriebenen und dem Vermerk: “PRIVILEGED & CONFIDENTIAL” versehenen internen Dokument der Beklagten vom 18.11.2015 unter “Anwendungsbeschreibung” die bis dahin erfolgte (“bisherige”) Bedatung des NSK wie folgt beschrieben: “NSK: Bedatung, Aktivierung und Nutzung der Fahrkurven zum Erkennen des Precon und des NEFZ, um die Abgasnachbehandlungsevents (DeNOx-/ DeSOx-Events) nur streckengesteuert zu platzieren. Im normalen Fährbetrieb strecken-und beladungsgesteuerte Platzierung der Events; Beladungssteuerung als führende Größe”. Des Weiteren geht aus dem vorgenannten internen Dokument der Beklagten hervor, dass für alle Fahrzeuge mit einem Produktionsstart ab der 22. Kalenderwoche des Jahres 2016 “die Fahrkurven aus der Software entfernt” werden sollten; stattdessen sollten “Umschaltungen oder die Platzierung von Abgasnachbehandlungsevents … auf Basis physikalischer Randbedingungen unter Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben für Roh- und Endrohremissionen” erfolgen.
Der Kläger hat vorgetragen, der Motor EA288 EU 6 NSK (vgl. Bi. 33 II d.A.) erkenne anhand der Fahrkurve (Bl. 12 f I, 33 II d.A.) bzw. der sog. Akustikfunktion (Bl. 13 f I, 35 ff II) bzw. anhand von Temperaturen, des Umgebungsdrucks (Bl. 13 f I, 35 ff II d.A.), der Drehzahl und des Drehmoments (Bl. 37 II d.A.), ob er sich auf dem Prüfstand befinde und vermindere außerhalb des Prüfstandes dann sowohl die AGR-Rate als auch die AdBlue-Dosierung. Bei der Akustikfunktion handele es sich selbst nach der Auffassung des KBA um eine unzulässige Abschalteinrichtung (Bl. 26 I d.A., Bl. 52 ff I d.A. – Anlage K 5) Zudem sei ein unzulässiges Thermofenster (Bl. 19 ff, 31 f, 38 ff II d.A.) installiert, außerhalb dessen (ebenfalls) die AGR reduziert (Bl. 7 f I d.A.) und eine sparsamere AdBlue-Einspritzung vorgenommen werde (Bl. 9 I d. d.A.). Im Übrigen sei das OBD manipuliert (Bl. 47 ff II d.A.).
Im vorstehenden Zusammenhang hat der Kläger ein mit “Technisches Statement: Fahrzyklus-Erkennung” überschriebenes Dokument der Beklagten vom 19.10.2015 vorgelegt, aus dem sich folgende Parameter ergeben, an welche die Fahrzyklus-Erkennung beim EA288 anknüpft:
Einschalten
Motorstart-Temperatur -50 bis 140° C
Öltemperatur -50 bis 140°C
Kraftstofftemperatur -50 bis 140°C
Höhe (Umgebungsdruck) 795 hPa
Ausschalten
Zeit-Weg-Funktion Definierte Funktion
Darunter ist zu den obigen Parametern vermerkt:
“Umschaltung in der Software teilweise enthalten, jedoch ohne Einfluss auf Emissionen”.
Des Weiteren hat der Kläger ein mit “Umschaltstrategie Bedatungsebenen EA288 EUG NSK” überschriebenes Dokument der Beklagten vom 19.10.2015 vorgelegt, in dem es heißt;
Die Funktion unterscheidet zwei NSK-Regenerationsstrategien
Strategie 1: aktiv ab Motorstart, Regeneration erfolgt streckengesteuert
Strategie 2. aktiv nach Verlassen des Strecken-Zeit-Korridors, Regeneration erfolgt beladungs- und streckengesteuert”
Daneben ist vermerkt:
“Emissionseinfluss
Nein”
Ferner hat der Kläger die “Applikationsanweisung Diesel Fahrkurven EA288 NSK” der Beklagten vom 18.11.2015 vorgelegt, in der es heißt:
Anwendungsbeschreibung:
NSK: Bedatung, Aktivierung und Nutzung der Fahrkurven zur Erkennung des Precon und des NEFZ um die Abgasnachbehandlungsevents (DeNOx-/DeSOx-Events) nur streckengesteuert zu platzieren. Im normalen Fahrbetrieb strecken- und beladungsgesteuerte Platzierung der Events; Beladungssteuerung als führende Größe.
Applikationsrichtlinie:
SOP vor 22/16 (für SOP Modellpflege und KD-Master): Die o.g. Umschaltungen anhand der Fahrkurven bleiben bestehen unter Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben für Roh- und Endrohremissionen.
SOP ab 22/16 (für SOP, Modellpflege): Bei neuen Freigaben sind die Fahrkurven aus der Software entfernt Umschaltungen oder die Platzierung von Abgasnachbehandlungsevents muss auf der Basis physikalischer Randbedingungen unter Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben für Roh- und Endrohremissionen erfolgen.
SOP ab 22/16 (für KD-Master): In KD-Mastern werden nur Fehler-Abstellmaßnahmen umgesetzt. Die Steuerung der NSK-Events erfolgt unverändert zur Basis der in Serie freigegebenen Software und Bedatung. Abweichende Einzelfallentscheidung durch EAD/EAE-Leitung möglich”.
Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 26.690,51 € nebst Zinsen i. H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 30.09.2020, Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Pkw VW Golf 2.0 TDI, FIN … zu zahlen sowie ihn von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten i.H.v. 1.564,26 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 30.09.2020 freizustellen, und außerdem festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des vorbezeichneten Pkw in Annahmeverzug befindet.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat vorgetragen, eine von einer Rollenprüfstandserkennung zu unterscheidende Fahrkurvenerkennung sei nicht unzulässig, solange sie nicht grenzwertkausal sei (BL 109 I d.A.) Die Akustikfunktion habe keinen Einfluss auf die Emissionen und sei ab der 22. KW 2016 ausgebaut worden (Bl. 112 I d.A.). Es liege keine unzulässige Abschalteinrichtung in Form einer Umschaltlogik vor (Bl. 106 I d.A.). Das Abgasnachbehandlungssystem halte bei voller Funktionsfähigkeit aller abgasbehandelnden Bauteile die gesetzlich vorgegebenen Abgasgrenzwerte ein. Dies erfolge unabhängig von einer Fahrkurve (Bl. 107. 109 I d.A.), Auf der Basis der bisherigen Messungen des KBA gebe es keine im Prüfstandsbetrieb optimierende Funktion, die erforderlich wäre, um die gesetzlichen Emissionswerte einzuhalten (Bl. 109, 130 I d.A.). Es käme keine unzulässige Abschalteinrichtung in Form einer Umschattlogik, einer unzulässigen Fahrkurvenerkennung und/oder eines unzulässigen Thermofensters zum Einsatz (Bl. 131 I d.A.).
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass es hinsichtlich des Thermofensters jedenfalls an einem Schädigungsvorsatz der Beklagten fehle.
Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Berufung, mit der er seine erstinstanzlichen Anträge mit der Maßgabe weiterverfolgt, dass der Zahlbetrag 25.650,62 € betragen soll, und insbesondere rügt, dass sich das Landgericht lediglich mit dem Thermofenster, nicht aber mit seinem sonstigen Vortrag zum Vorliegen unzulässiger Abschalteinrichtungen befasst habe (Bl. 152 II d.A.). Ergänzend hierzu trägt er vor, das Fahrzeug erkenne die Prüfstandssituation auch daran, dass dort die Motorhaube geöffnet sei (Bl. 88 f III d.A.). Im vorliegenden Zusammenhang sei es auch unerheblich, ob eine Abschalteinrichtung auf dem Prüfstand und im Realbetrieb grundsätzlich gleich funktioniere (Bl. 100 III d.A.); im Übrigen wechsele die Motorsteuerung nach 1200 bzw. 2000 Sekunden “in den schmutzigen Abgasmodus” (Bl. 101 III d.A.).
Die Beklagte verteidigt die angefochtene Entscheidung. Sie trägt unter Verweis auf verschiedene amtliche Auskünfte des KBA (Bl. 8 ff, 70 ff III) vor, dass weder die Fahrkurve noch die angeblich zur Ermöglichung vergleichbarer Messerbnisse erforderliche streckengesteuerte Regeneration des NSK auf dem Prüfstand grenzwertkausal seien, sodass es bereits am Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung fehle (Bl. 4 f, 7, 15 f, 65 III d.A.). Ferner verweist die Beklagte darauf, dass die Fahrkurve dem KBA (unstreitig) offengelegt worden ist (Bl. 29, 75 III d.A.), gleichwohl aber kein Rückruf erfolgt sei (Bl. 54 III d.A.) und daher keine Stilllegungsgefahr bestehe (Bl. 29 f III d.A.). Jedenfalls habe ihr, der Beklagten, das erforderliche Unrechtsbewusstsein (vgl. Bl. 27 III) bzw. der Vorsatz (Bl. 76 III d.A.) für eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung gefehlt.
Der Kilometerstand zum Senatstermin vom 02.12.2021 betrug unstreitig 78.000 km.
II.
Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.
Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch aus §§ 826, 31 BGB bzw. § 831 BGB. Zwar verfügt das Fahrzeug über unzulässige Abschalteinrichtungen; mangels Täuschung des KBA sowie wegen fehlendem Unrechtsbewusstsein der Beklagten liegt aber keine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung i.S.d. § 826 BGB vor; zudem ist infolge Nichtbestehen einer Stilllegungsgefahr auch kein Schaden entstanden.
Nach höchst richterlicher Rechtsprechung liegt eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung eines Fahrzeugkäufers vor, wenn der Motorenhersteller auf der Grundlage einer grundlegenden strategischen Entscheidung durch bewusste und gewollte Täuschung des KBA einen Motor in Verkehr bringt, dessen Steuerungssoftware bewusst und gewollt so programmiert ist, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte mittels einer unzulässigen Abschalteinrichtung nur auf dem Prüfstand eingehalten werden, denn damit geht einerseits die Gefahr einer erhöhten Umweltbelastung, und andererseits die Gefahr einer Betriebsbeschränkung-oder -untersagung einher (vgl. BGH. Urt. v. 25.05.2020, VI ZR 252/19, Rn. 16; OLG Hamm, Urt. v. 22.06.2021, 13 U 194/20, Rn. 49).
In dem Fahrzeug ist unstreitig eine Fahrkurve hinterlegt. Nach dem eigenen Vortrag der Beklagten (vgl. Bl. 131 II d.A 8 U 1/21) bedeutet deren Vorhandensein, dass das Fahrzeug erkennt, ob es sich innerhalb eines bestimmten Zeit-Strecken-Korridors wie dem Precon oder dem NEFZ befindet. Zwar ist die Fahrkurve selbst keine Abschalteinrichtung (vgl. OLG Naumburg; Urt: v. 31.05.2021, 12 U 35/21, Rn. 16; OLG Stuttgart, Urt. v. 18.05.2021, 16a U 1576/20, Rn. 26; OLG Düsseldorf, Urt. v. 12.05.2021, 18 U 526/19, Rn. 43; jeweils zitiert nach Juris); sie stellt jedoch ein starkes Indiz für das Vorhandensein einer solchen dar, weil ihre Installation ansonsten keinen Sinn ergäbe. Der diesbezüglichen Erläuterung der Beklagten, wonach das Fahrzeug erkennen müsse, dass es sich auf dem Prüfstand befinde, damit dort verschiedene Sicherheitssysteme abgeschaltet werden könnten, vermag der Senat nicht zu folgen, denn allein hierfür wäre keine Anknüpfung an eine komplexe mathematische Weg-Zeit-Funktion erforderlich (a.A. offenbar OLG Düsseldorf, Urt. v. 12.05.2021, 18 U 526/19, Rn. 47. zitiert nach juris).
Im vorliegenden Fahrzeug ist ein NSK-Katalysator verbaut. Erkennt das Fahrzeug anhand der Fahrkurve, dass es sich am Ende des Precon und am Beginn des NEFZ befindet, wird der NSK-Katalysator zunächst unabhängig von seinem Beladungszustand regeneriert, d.h. vollständig geleert; sodann erfolgt eine rein streckengesteuerte Regeneration, wohingegen im Normalbetrieb eine beladungs- und strecken gesteuerte (mit der Beladungssteuerung als führender Größe) Regeneration stattfindet. Aufgrund dieser unterschiedlichen Betriebsarten liegt eine Abschalteinrichtung i.S.d. Art. 3 Nr. 10 VO (EG) Nr 715/2007 vor. Daran hält der Senat fest, zumal die Beklagte zwischenzeitlich zusätzlich eingeräumt hat. dass die im streitgegenständlichen Fahrzeug hinterlegte Fahrkurvenerkennung dazu geführt habe, “dass in Abhängigkeit von der Alterung des NSK eine Heizmaßnahme im NEFZ aktiviert werden konnte”; in diesem Falle habe dies dazu geführt, “dass die Temperatur des NSK im NEFZ unmittelbar vor dem ersten NSK-Regenerationsevent erhöht” worden sei (Bl. 66 III d.A.). Die Beklagte kann sich in diesem Zusammenhang auch nicht darauf berufen, dass nur durch die Entleerung des NSK vor dem Prüflauf eine Vergleichbarkeit der Messergebnisse gewährleistet werden könne. Vielmehr müssen die Grenzwerte unabhängig von dem vor dem NEFZ ohne die Entleerung bestehenden Beladungszustand auf jedem 11 km-Intervall eingehalten werden; alles andere läuft darauf hinaus, auf dem Prüfstand im Vergleich zum Normalbetrieb die Massenemission pro km (mg/km) zu verringern (vgl. OLG Naumburg, Urt. v. 09.04.2021, 8 U 68/20 Rn. 27, zitiert nach juris).
Dass ausweislich des Schreibens der Beklagten an das KBA vom 29.12.2015 die “sog. Akustikfunktion inklusive Fahrkurve” (vgl. OLG Hamm, Urt. v. 22.06.2021, 13 U 194/20, Rn. 61; OLG Naumburg, Urt. v. 31.05.2021, 12 U 35/21, Rn. 16; OLG Düsseldorf, Urt. v. 12.05.2021, 18 U 526/19, Rn. 45; jeweils zitiert nach juris) bzw. ausweislich der mit dem vorgenannten Schreiben dem KBA übermittelten Entscheidungsvorlage Applikationsrichtlinien & Freigabevorgaben EA 288 vom 18.11.2015 die Umschaltung von der im Testbetrieb allein streckengesteuerten Regeneration des NKS auf eine beladungs- und streckengesteuerte Regeneration im Realbetrieb (vgl. OLG Hamm, Urt. v. 22.06.2021, 13 U 194/20, Rn 62; OLG Naumburg, Urt. v. 31.05.2021, 12 U 35/21, Rn. 16) keinen Einfluss auf die Emissionen haben soll, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Entgegen der von der Beklagten vertretenen Rechtsauffassung fällt eine fehlende Grenzwertkausalität nicht unter den Ausnahmetatbestand des Art. 5 Abs. 2 S. 2 lit. c) VO (EG) Nr. 715/2007, weil dies den Sinn und Zweck des Testverfahrens ad absurdum führen würde (vgl. OLG Naumburg, Urt. v. 09.04.2021, 8 U 68/20, Rn. 30, 31: OLG Dresden, Beschl. v. 29.07.2021, 9a U 378/20, Rn. 38; jeweils zitiert nach juris); im Übrigen hat die Beklagte zwischenzeitlich selbst vorgetragen, dass bei ihren eigenen Messungen, aus denen sich die fehlende Grenzwertkausalität ergeben soll, die unabhängig von dessen Beladungszustand erfolgende Regeneration des NSK gerade nicht deaktiviert worden ist (Bl. 67 III d.A.).
Ein danach vorliegender Gesetzesverstoß genügt allerdings nicht, um das Gesamtverhalten der Beklagten als sittenwidrige Schädigung i.S.d. § 826 BGB zu qualifizieren.
Hierfür fehlt es an einer Täuschung des KBA durch die Beklagte (vgl. BGH, Beschl. v. 09.03.2021, VI ZR 889/20, Rn. 24: OLG Frankfurt. Urt. v. 28.09.2021, 24 U 208/20, Rn. 38, 44; OLG Hamm. Urt. v. 29.06.2021, 13 U 434/20, Rn. 94, 95; OLG Naumburg, Urt. v. 31.05.2021, 12 U 35/21, Rn. 21; OLG Oldenburg, Urt. v. 14.05.2021, 6 U 310/20, Rn. 57; jeweils zitiert nach juris). Vielmehr geht aus deren Schreiben an das KBA vom 29.12.2015 sowie verschiedenen von der Beklagten vorgelegten amtlichen Auskünften des KBA hervor, dass die Fahrkurvenerkennung sowie die daran anknüpfende “Umschaltstrategie Bedatungsebenen EA288 EUG NSK” (Dokument vom 19.10.2015) dort seit Ende 2015 bekannt waren. Das KBA hat hierzu ausgeführt, die Fahrkurvenerkennung habe als ein zusätzliches Kriterium zur Umschaltung von Emissionsminderungsstrategien gedient, funktioniere auf dem Prüfstand und im Straßenbetrieb gleichermaßen und habe keinen wesentlichen Einfluss auf die Schadstoffemissionen; auch bei Deaktivierung der Fahrkurvenerkennung würden die Grenzwerte für Stickoxide eingehalten (vgl. OLG Köln, Urt. v. 20.06.2021, 5 U 254/19, Rn. 38; OLG Hamm, Urt. v. 29.06.2021, 13 U 434/20, Rn. 88, 89; OLG München, Urt. v. 15.06.2021, 9 U 5466/20, Rn. 38 ff; OLG Hamm, Urt. v. 14.06.2021, 8 U 156/20, Rn. 40; OLG Stuttgart, Urt. v, 18.05.2021, 16a U 1576/20, Rn. 39; OLG Oldenburg, Urt. v. 14.05.2021, 6 U 310/20, Rn 90; jeweils zitiert nach juris).
Vor diesem Hintergrund kann auch kein Unrechtsbewusstsein bzw. kein Vorsatz der Beklagten festgestellt werden. Wenn das KBA als zuständige Fachbehörde die Rechtsauffassung vertritt, dass eine Fahrkurvenerkennung für sich betrachtet unproblematisch und eine hieran anknüpfende Umschaltung erst dann eine unzulässige Abschalteinrichtung sei, wenn sie sich auf die Einhaltung der Grenzwerte auswirke, kann man der Beklagten diesbezüglich nämlich kein unvertretbares Rechtsverständnis vorhalten (vgl. OLG Hamm. Urt. v. 29.06.2021, 13 U 175/20, Rn. 49, 60; OLG Hamm, Urt. v. 01.06.2021, 34 U 31/20, Rn. 112; OLG Naumburg, Urt. v. 31.05.2021, 12 U 35/21, Rn. 21; Urt. v. 20.05.2021, 4 U 176/20, Rn. 39; jeweils zitiert nach juris).
Zudem fehlt es an einem Schaden des Klägers, da keine Stilllegung des Fahrzeugs droht (vgl. OLG Frankfurt, Urt. v. 28.09.2021, 24 U 208/20, Rn. 46, 49; OLG München, Urt. v. 15.06.2021, 9 U 5466/20, Rn. 34; OLG Hamm, Urt. V. 14.06.2021, 8 U 156/20, Rn. 36; OLG Frankfurt, Urt. v. 19.05.2021, 4 U 247/19, Rn. 28; jeweils zitiert nach juris). Insoweit kann sich der Kläger auch nicht auf den Beschluss des BGH vom .28.01.2020, VIII ZR 57/19, berufen, wonach greifbare Anhaltspunkte für eine Abschalteinrichtung nicht erst nach Anordnung eines Rückrufs vorlägen, denn damit war lediglich der Fall gemeint, dass das KBA den betreffenden Motor noch nicht auf unzulässige Abschalteinrichtungen hin untersucht hatte, nicht aber der vorliegende umgekehrte Fall, dass bei diesbezüglichen Untersuchungen keine unzulässigen Abschalteinrichtungen festgestellt worden sind (vgl. OLG Oldenburg, Urt. v. 14.05.2021, 6 U 310/20, Rn. 74, zitiert nach juris) In diesem Zusammenhang kann sich der Kläger auch nicht auf den lediglich wegen einer Konformitätsabweichung erfolgten Rückruf 23Z7 von T-6 Modellen (OLG Hamm, Urt. v. 01.06.2021, 34 U 81/20, Rn. 62 ff; OLG Naumburg. Urt. v. 20.05.2021, 4 U 176/20, Rn. 43 ff; jeweils zitiert, nach juris) oder auf die freiwilligen Servicemaßnahmen 23X4, 23AV und 23YC berufen (vgl. OLG Hamm, Urt. v. 01.06.2021, 34 U 81/20, Rn. 101, zitiert nach juris).
An seiner hinsichtlich der vorgenannten drei Punkte (fehlende Täuschung des KBA, fehlendes Unrechtsbewusstsein bzw fehlender Vorsatz der Beklagten, fehlender Schaden) abweichenden Rechtsauffassung in seinem Urteil vom 09.04.2021 (8 U 68/20) hält der Senat nicht weiter fest.
Der Kläger kann sich auch nicht darauf berufen, dass das Fahrzeug den Prüfstand auch an der Öffnung der Motorhaube und am Lenkwinkel erkenne, dass das OBD fehlerhaft anzeige, in dem Fahrzeug ein Thermofenster verbaut sei, außerhalb des Prüfzyklus geringere AGR-Raten sowie eine geringere AdBlue-Dosierung eingestellt bzw. die AGR und die Ad- Blue-Dosierung ab einer bestimmten Drehzahl abgeschaltet würde, eine unzulässige Aufwärmstrategie vorhanden sei und über einen Timer nach 1200 bzw. 2000 Sekunden eine Abschaltung/Reduktion der AGR erfolge.
Da vorliegend unstreitig als Prüfstandserkennung eine Fahrkurve hinterlegt worden ist, und dem KBA bekannt war, kommt es nicht darauf an, ob daneben noch weitere Prüfstandserkennungseinrichtungen vorhanden sind, zumal diese für sich betrachtet jeweils keine Abschalteinrichtungen d erstellen.
Beim OBD System handelt es sich um ein Fahrzeugdiagnosesystem und damit ebenfalls um keine Abschalteinrichtung (vgl. OLG Oldenburg, Urt. v. 14.05.2021, 6 U 310/20, Rn 91 ff; OLG Düsseldorf. Urt. v, 12.05.2021, 18 U 526/19, Rn. 37 ff; jeweils zitiert nach juris).
Hinsichtlich des Thermofensters liegt zwar eine unzulässige Abschalteinrichtung vor (vgl. EuGH, Urt. v. 17.12.2020, C 693/18). Da diese im Prüf- und im Realbetrieb im Grundsatz, d.h. unter den gleichen Bedingungen in gleicher Weise arbeitet, kann von einem Unrechtsbewusstsein bzw. Vorsatz der Beklagten aber nur bei Hinzutreten weiterer Umstände ausgegangen werden (BGH, Beschl. v. 19.01.2021, Vf ZR 433/19, Rn. 17 ff; Beschl. v. 09.03.2021, VI ZR 889/20, Rn. 25 ff). Daran fehlt es vorliegend; insbesondere hat die Beklagte die Abhängigkeit der Abgasrückführungsrate von der Außenlufttemperatur nicht verschleiert (vgl. OLG Naumburg, Urt. v. 20.05.2021. 4 U 176/20, Rn. 37; OLG Frankfurt, Urt. v. 19.05.2021, 4 U 247/19, Rn 41; jeweils zitiert nach juris). Anhaltspunkte für wissentlich unterbliebene oder unrichtige Angaben der Beklagten im Typgenehmigungsverfahren, die noch dazu auf ein heimliches und manipulatives Vorgehen oder eine Überlistung des KBA und damit auf einen bewussten Gesetzesverstoß hindeuten würden, vermag der Senat im vorliegenden Zusammenhang nicht zu erkennen (vgl. BGH, Hinweisbeschluss v. 13.10.2021, VII ZR 99/21, Rn. 17).
Dasselbe gilt auch für eine an andere Schaltkriterien als die Außentemperatur anknüpfende Ansteuerung der Abgasrückführung, sofern diese unter den gleichen Bedingungen auf dem Prüfstand und im Realbetrieb gleich erfolgt (OLG Hamm, Urt. v. 29.06,2021. 13 U 175/20, Rn. 67; Urt. v. 01.06.2021, 34 U 81/20, Rn. 80; Urt. v. 01.06.2021, 34 U 81/20, Rn. 111), indem sie z.B. an verschiedene Temperaturen, den Luftdruck sowie Drehzahlen und Lasten anknüpft.
Eine unterschiedliche AdBlue-Dosierung kann es bei dem streitgegenständlichen Fahrzeug nicht geben, da dieses unstreitig nicht über einen SCR-, sondern über einen NSK- Katalysator verfügt.
Der klägerische Vortrag zur Aufwärmstrategie (Bl. 101 III d.A.) stellt im Hinblick darauf, dass die von der Beklagten vorgelegten amtlichen Auskünfte des KBA, wonach beim EA288 keine unzulässigen Abschalteinrichtungen festgestellt worden seien, der durch das BMVI veröffentlichte Bericht der der Untersuchungskommission V. sowie die im Rahmen der freizugebenden Software-Updates für das Nationale Forum Diesel und im Rahmen spezifischer Feldüberwachungen durchgeführten Untersuchungen die Anforderungen an die dem Kläger zum Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung obliegende Darlegungslast erhöhen (vgl. OLG Köln, Urt. V. 20.06.2021, 5 U 254/19, Rn. 39; OLG Hamm, Urt. v. 29.06.2021, 13 U 434/20, Rn. 98, 99; Urt. v. 29.06.2021, 13 U 175/20, Rn, 54 ff; jeweils zitiert nach juris), eine bloße Behauptung ins Blaue hinein dar (vgl. OLG Düsseldorf, Urt. v. 12.05.2021, 18 U 526/19, Rn. 46; jeweils zitiert nach juris).
Der Kläger hat auch keinen Anspruch bzw. aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Schutzgesetzen (vgl. hierzu im Einzelnen OLG Hamm, Urt. v. 01.06.2021, 34 U 81/20, Rn. 115 ff, m.w.N.).
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeht gem. §§ 708 Nr. 10 S. 1, 709 S. 2, 711 ZPO.
Die Revision ist nicht gem. § 543 Abs. 2 S. 1 ZPO zuzulassen, weil die Sache weder grundsätzliche Bedeutung hat, noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (vgl. BGH Besohl. v. 13.10.2021 VII ZR 99/21, Rn. 9).
Der Streitwert wurde gem. §§ 43 Abs. 1, 47 Abs. 1, 48 Abs. 1 GKG, 3 ZPO festgesetzt (vgl. BGH, Beschl. v. 26.01.2021, VI ZR 281/20, Rn. 7; Beschl. v. 23.02.2021, VI ZR 1191/20, Rn. 4 ff; jeweils zitiert nach juris).


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