Europarecht

Fahrzeug, Schadensersatzanspruch, Berufung, Marke, untersagung, Software, Annahmeverzug, Sittenwidrigkeit, Kommission, Auskunft, Anlage, Staatsanwaltschaft, Rechtsverfolgungskosten, Vergleich, Zug um Zug, gutachterliche Stellungnahme, Darlegungs und Beweislast

Aktenzeichen  15 U 6661/20

Datum:
1.12.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 54508
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

34 O 4790/20 2020-11-09 Urt LGMUENCHENI LG München I

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 09.11.2020, Az.: 34 O 4790/20, wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziff. 1 genannte Urteil des Landgerichts München I ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung abwenden durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
Beschluss
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 37.401,64 € festgesetzt.

Gründe

I.
Der Kläger macht gegen die Beklagte Schadensersatz aus Delikt wegen des Erwerbs eines Pkw mit einem Dieselmotor geltend.
Der Kläger erwarb gemäß Rechnung vom 05.09.2015 (Anlage K 1) von der Beklagten ein Kraftfahrzeug der Marke VW, Typ Golf Alltrack BM 2,0 TDI mit 135 kW als Neuwagen für 45.556,59 € brutto. Das Fahrzeug ist mit einem NOx-Speicherkatalysator (NSK) als Abgasnachbehandlungssystem ausgestattet. Das Auto unterfällt der Schadstoffklasse Euro 6; dies bedeutet, dass das Fahrzeug im NEFZ (kalt) nicht mehr als 80 mg/Kilometer an Stickoxiden ausstoßen darf.
In dem Auto ist ein Motor mit der Bezeichnung EA 288 verbaut und ein Abgasrückführungssystem implementiert. Dies dient dazu, den Ausstoß von Stickoxiden zu vermindern. Das Abgasrückführungssystem entfaltet in einem bestimmten Geschwindigkeitsbereich seine volle Leistung.
Der Kläger hat behauptet, die Motorsteuerung sei mit einer Prüfstandserkennung ausgestattet.
Im Rahmen dieser Prüfstandserkennung vollführe die Motorsteuerung dann in folgenden 3 Fällen eine unzulässige Abschaltung im Sinne des Art. 3 Nr. 10 in Verbindung mit Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) 715/2007:
Es liege ein sogenanntes Thermofenster vor. Weiter sei in dem streitgegenständlichen Fahrzeug ein SCR-Katalysator zur Abgasreinigung verbaut. Die Menge der hierfür erforderlichen AdBlue Lösung werde ebenfalls durch das Fenster beeinflusst, d. h. reduziert oder gar ausgesetzt. Im normalen Straßenbetrieb werde weniger Harnstoff zugeführt als erforderlich, unter anderem damit der zu klein dimensionierte Tank von Kunden nicht zu häufig nachgefüllt werden müsse. Die Software reduziere ab einer bestimmten Drehzahl die Abgasreinigung sowie den SCR-Katalysator bzw. schalte ihn ab.
Die Beklagte hat illegale Abschalteinrichtungen bestritten. Das Abgasrückführungssystem arbeite im Temperaturbereich von -24 °C bis +70 °C mit einer 100-prozentigen Effizienz. Lediglich außerhalb dieses Temperaturbereichs werde die Abgasrückführung komplett abgeschaltet. Auch sei das Fahrzeug nicht mit einer SCR-Abgasnachbehandlung versehen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt:
Dem Kläger stehe kein Anspruch gemäß § 826 BGB zu, da eine Prüfstandserkennung nicht per se geeignet sei, einen Schadensersatzanspruch aus sittenwidriger Schädigung zu begründen. Erforderlich sei vielmehr, dass aufgrund der Prüfstandserkennung eine Funktionsweise in der Motorsteuerung aktiviert werde, die lediglich auf dem Prüfstand die Einhaltung gesetzlicher Bestimmungen zur Folge hätte, obwohl das Fahrzeug die gesetzlichen Bestimmungen außerhalb des Prüfstandes nicht erfülle.
Die Implementierung einer Abschalteinrichtung außerhalb eines bestimmten Temperaturbereichs vermöge im vorliegenden Fall einen Schadensersatzanspruch wegen sittenwidriger Schädigung nicht zu begründen. Vorliegend behaupte die Beklagte, dass die volle Leistungsfähigkeit des Abgasrückführungssystems im Temperaturbereich von -24 °C bis +70 °C gewährleistet sei. Die Beklagte begründe diesen weit gesteckten Temperaturbereich – im Vergleich zu dem Vorgängermotor EA 189 – mit einer weiteren technischen Einrichtung im Rahmen des Abgasrückführungssystems. Die Ausführungen seien plausibel und würden von der Klägerseite nicht mit der nötigen Substantiiertheit angegriffen. Bei einer vollen Leistungsfähigkeit des Abgasrückführungssystems im Temperaturbereich von -24 °C bis +70 °C komme ein Abschalten des Abgasrückführungssystems in Deutschland kaum noch in Betracht.
Die Implementierung eines Thermofensters stelle aus Sicht der Herstellerseite eine zwar möglicherweise falsche, aber noch vertretbare Gesetzesauslegung dar. Anders als die sogenannte „Schummelsoftware“ des VW Motors EA 189 unterscheide das Thermofenster nicht zwischen Prüfstand und realem Betrieb, sondern richte sich nach der Umgebungstemperatur und sei damit nicht offenkundig auf eine „Überlistung“ der Prüfsituation ausgelegt.
Schadensersatz könne auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer Manipulation im Zusammenhang mit dem SCR-Katalysator gewährt werden. Die Beklagte habe behauptet, das Fahrzeug sei überhaupt nicht mit einer SCR-Abgasreinigungsanlage ausgestattet. Der Kläger habe in seiner Anhörung im Termin vom 19.10.2020 dem nichts entgegenhalten können.
Der Kläger trage auch keine greifbaren Anhaltspunkte dafür vor, dass eine unzulässige Abschaltungseinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 der VO 715/2007/EG vorliegt. Dass eine Rückrufaktion hinsichtlich des Motors EA 288 bei dem Modelltyp T6 bestehe, reiche als Vortrag für das streitgegenständliche Fahrzeug nicht aus.
Auch die Behauptung der Klageseite, dass die Software ab einer bestimmten Drehzahl die Abgasreinigung sowie den SCR-Katalysator abschalte bzw. dessen Leistung reduziere, stelle eine nicht belegte Erklärung dar. Auch hier sei festzustellen, dass die von der Klageseite ins Feld geführte Abschalteinrichtung weder vom KBA förmlich mit einer Rückrufaktion verbunden wäre noch dass die Beklagte selbst – um einer Maßnahme des KBA zuvorzukommen – von sich aus gegenüber ihren Kunden auf eine Beseitigungsmaßnahmen gedrungen hätte.
Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers, der insbesondere folgendes ausführt:
Die Berufung stellt zunächst klar, dass das Fahrzeug des Klägers keinen SCR Katalysator besitze.
Bezüglich der Abschalteinrichtungen habe keine Behauptung ins Blaue vorgelegen; insoweit bezieht sich die Berufung auf die Entscheidung des BGH vom 28.01.2020 (Az: VIII ZR 50/19).
So habe der Kläger konkret vorgetragen, dass das Fahrzeug aufgrund des Lenkwinkeleinschlags des Lenkrades erkenne, ob sich das Fahrzeug auf dem behördlichen Prüfstand des NEFZ oder im realen Straßenverkehr befinde.
Die Verwendung des Thermofensters stelle eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung gemäß § 826 BGB dar. Auch habe die Beklagte dem KBA das Thermofenster im Typengenehmigungsverfahren nicht offengelegt.
Auch das On Board Diagnosesystem (OBD) des Fahrzeugs sei entgegen den gesetzlichen Vorgaben gestaltet und manipuliert worden, wobei die Manipulation des OBD abgestimmt auf die Fehlleistungen des Abgassystems vorgenommen worden sei, d. h. das OBD sei abweichend von den gesetzlichen Vorgaben so programmiert worden, dass es die Fehlleistungen des Abgassystems nicht anzeige und nicht im Fehlerspeicher hinterlege.
Die fehlerhafte Abgastechnik habe durch eine fehlerhafte und gesetzeswidrige OBD zusätzlich kaschiert werden müssen mit der Folge, dass Fehlermeldungen unterblieben.
Der Kläger bezieht sich weiter auf eine gutachterliche Stellungnahme des Dr. H. zur Motorsteuerungssoftware des EA 288 vom 14.03.2021 (Anlage BK 1) bei der Analyse der Motorsteuerungssoftware eines Golf 2.0 TDI CR, Erstzulassung 2014 mit verbautem EA 288, in dessen Rahmen sogenannte Kennfelder entdeckt worden seien, die offensichtlich der Erkennung des NEFZ dienen würden.
Enthüllungen der Deutschen Umwelthilfe vom 23.04.2021 hätten ergeben, dass die Beklagte auch nach Bekanntwerden des Abgasskandals weiterhin illegale Abschalteinrichtungen in dem von ihr hergestellten EA 288 Motor in den Verkehr gebracht habe.
Aus den eigenen Präsentationsunterlagen der Beklagten (V. Präsentation zum EA 288 vom 02.10.2015, Anlage BK 2) ergebe sich, dass die Beklagte eine „Umschaltstrategie“ hinsichtlich des streitgegenständlichen Motors EA 288 verwende, die zum Einsatz komme, wenn das Fahrzeug den Prüfzyklus erkenne und deren Zweck es sei, die gesetzlichen Abgasgrenzwerte durch diese Umschaltstrategie einzuhalten.
Auch habe die Beklagte (Stellungnahme von VW vom 01.10.2015 zu einer Anfrage des KBA, Anlage BK 3) bestätigt, dass die Motorsteuerung mittels Sensierung in die Lage versetzt werde, den NEFZ-Zyklus zu erkennen. In dieser Mail habe die Beklagte auf Anfrage des KBA bestätigt, dass die Motor-Software eine Fahrkurve zur Präkonditionierung enthalte sowie eine Temperatur- und eine Weg-Zeit-Sensierung (Erkennung), die mit einer Toleranzzugabe die Weg-Zeit-Funktion des NEFZ erkenne.
Weiter bezieht sich der Kläger auf Leitlinien, die von der Europäischen Kommission im Januar 2017 herausgegeben worden seien.
Die hinsichtlich des EA 288-Motor erteilte Typgenehmigung durch das KBA entspreche nicht geltendem Recht, sei grundsätzlich unzulässig und auch durch keine Ausnahmen gedeckt. Die Ausnahmetatbestände des Art. 5 Abs. 1 VO (EG) Nummer 715/2007 würden nicht eingreifen.
Weiter läge eine prüfstandsbezogene Manipulation des NSK-Katalysators vor; so sei in Fahrzeugen mit EA 288-Motor eine Software verbaut, welche mittels einer Fahrkurvenerkennung die Vorkonditionierung für die Messung auf dem Teststand im NEFZ erkenne. Diese Manipulation sei dem KBA nicht bekannt gewesen. Die Beklagte habe bestätigt, dass die Motorsteuerung mittels Sensierung in die Lage versetzt werde, den NEFZ-Zyklus zu erkennen (Stellungnahme von VW gegenüber dem KBA vom 01.10.2015). Sie habe die Ansteuerung des streitgegenständlichen NSK-Katalysators eigens für den NEFZ-Prüfstand manipuliert, was sich aus einer Grafik ergebe, die die Beklagte verwende.
Das OBD System sei gesetzeswidrig ausgestaltet und manipuliert worden, wobei diese Manipulation abgestimmt auf die Fehlleistungen des Abgassystems vorgenommen worden sei; das OBD sei abweichend von den gesetzlichen Vorgaben so programmiert worden, dass es die Fehlleistungen des Abgassystems nicht anzeige und nicht im Fehlerspeicher hinterlege. Insbesondere würde nicht angezeigt, dass der NSK-Katalysator im Straßenbetrieb trotz vollständiger Beladung nicht regeneriere und die AGR-Rate zu niedrig sei. Hiervon sei das KBA nicht in Kenntnis gesetzt worden. Die Typgenehmigung sei erschlichen worden.
Um dem Risiko eines Typengenehmigungsentzugs zu entgehen, biete die Beklagte nunmehr auch für den EA 288 „freiwillige“ Software-Updates an, sogenannte Feldmaßnahmen 23CY, 23Z7, 23AV. Die für den streitgegenständlichen Fahrzeugtyp erteilte EG-Typengenehmigung sei jedoch kraft Gesetzes erloschen.
Das Vorhandensein der Fahrkurve sei nach wie vor unstreitig. Das streitgegenständliche Fahrzeug erkenne den Prüfstand und verändere das Emissionsverhalten. Die verbaute Software koppele die Prüfstandserkennung mit einer Umschaltfunktion, die nach vorherigem Erkennen des Prüfstands emissionsmindernd einsetze. Die Beklagte bestreite auch nicht, dass ausschließlich auf dem Prüfstand die AGR-Rate erhöht sei und somit auf dem Prüfstand weniger Stickoxid ausgestoßen werde. Beim EA 189-Motor habe die Kombination aus Prüfstandserkennung und daraufhin veränderter AGR-Rate (Thermofensters) zu der Entscheidung des BGH vom 20.05.2020 geführt.
Die Beklagte setze eine Prüfzykluserkennung ein und nehme durch diese Einfluss auf das Emissionsverhalten. Die Beklagte habe gegenüber dem KBA bezüglich der Zykluserkennung widersprüchliche Angaben gemacht. Sie habe die Fahrkurven lediglich deshalb entfernt, da sie ansonsten keine Typengenehmigungen mehr erhalten hätte. Spätestens nach der Kalenderwoche 22/2016 hätte es kein Fahrzeug mehr mit einer Fahrkurve geben dürfen, was jedoch nicht der Fall gewesen sei. Folglich sei auch hier davon auszugehen, dass eine Fahrkurve oder zumindest eine andersgeartete Zykluserkennung installiert sei, was dem KBA gegenüber nicht offengelegt worden sei.
Soweit die Beklagte vortrage, dass der NSK-Katalysator vor Beginn einer Prüfart entladen werden müsse, um repräsentative Ergebnisse zu erzielen, räume sie damit zugleich ein, besondere Prüfverhältnisse geschaffen zu haben, die von denjenigen auf der Straße abweichen würden. Es hätte nichts dagegengesprochen, auch im Normalbetrieb so zu verfahren. Selbst wenn man annehme, dass eine Standard-Entleerung des Katalysators vor Beginn der Prüfart notwendig sei, bestehe keine weitere Notwendigkeit, eine weitere Entladung während der immer gleich gestalteten Prüfart in Abhängigkeit zur zurückgelegten Strecke zu programmieren. Der NSK-Katalysator könnte sehr wohl gleich dem Normalbetrieb-Modus entleeren, wenn er schlichtweg voll sei.
Der Kläger beantragt,
unter Abänderung des am 09.11.2020 verkündeten und am 10.11.2020 zugestellten Urteils des Landgerichts München, AZ.: 34 O 4790/20, zu erkennen:
1.Die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerschaft 37.401,64 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs VW Golf mit der Fahrgestellnummer …16,
2.Festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Entgegennahme des im Klageantrag zu 1 genannten Fahrzeugs im Annahmeverzug befindet,
3.Die Beklagte zu verurteilen, die Klägerschaft von vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 3.483,73 € freizustellen.
Die Beklagte beantragt,
Die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Landgerichts München I – 34 O 4790/20 – wird zurückgewiesen.
Die Beklagte führt aus, dass im Fahrzeug unstreitig kein Motor des Typs EA 189 verbaut sei, sondern des Typs EA 288. Es verfüge über eine wirksame EG-Typgenehmigung. Es existiere kein Rückrufbescheid des KBA wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung. Es gebe auch kein (verpflichtendes) Software-Update. Für das streitgegenständliche Aggregat EA 288, 2.0 l TDI mit 135 kW, Abgasnorm EU 6 gebe es bereits eine amtliche Auskunft des KBA. Das Auto könne vom Kläger ohne jede Einschränkung genutzt werden.
Das streitgegenständliche Aggregat sei intensiv durch das KBA untersucht worden, unzulässige Abschalteinrichtungen seien nicht festgestellt worden (vergleiche Anlage B 15, Anlagenkonvolut B 40).
Die Fahrkurvenerkennung begründe keine unzulässige Abschalteinrichtung, was das KBA mehrfach bestätigt habe. Eine solche würde nur dann vorliegen, wenn die Fahrkurvenerkennung Emissionsminderungen bewirke, die erforderlich seien, um die gesetzlichen Grenzwerte im Prüfzyklus einzuhalten (Anlage B 18).
Weiter habe das KBA bestätigt, dass das Thermofenster keine unzulässige Abschalteinrichtung darstelle (Anlage BE 41).
Die Feststellungen des KBA würden mit den Erkenntnissen aus der Untersuchungskommission Volkswagen übereinstimmen.
Exakt für das streitgegenständliche Aggregat EA 288, 2.0 l TDI mit einer Leistung von 135 KW, Abgasnorm EU 6 bestehe eine amtliche Auskunft des KBA vom 12.10.2020, aus der sich ergebe, dass unzulässige Abschalteinrichtungen nicht vorliegen würden (Anlage BE 16).
Unzutreffend sei insbesondere die Behauptung des Klägers, dass im streitgegenständlichen Fahrzeug eine unzulässige Abschalteinrichtung in Form einer Umschaltlogik zum Einsatz komme, wie sie auch in bestimmten Motorvarianten des Typs EA 189 enthalten gewesen sei. Die Messungen des KBA zu variierten Prüfbedingungen hätten gezeigt, dass das bei den EA 288-Motoren verwendete Abgasnachbehandlungssystem bei voller Funktionsfähigkeit aller abgasbehandelnden Bauteile die gesetzlich vorgegebenen Abgasgrenzwerte einhalte. Dies erfolge unabhängig von einer Fahrkurvenerkennung (Hinweis auf Anlage B 1 – Bericht der Untersuchungskommission Volkswagen, Seite 12 ff).
Soweit der Kläger behaupte, im Fahrzeug käme eine unzulässige Abschalteinrichtung in Form einer unzulässigen Fahrkurvenerkennung zum Einsatz, handele es sich letztlich um eine Variante des Vorwurfs einer unzulässigen Umschaltlogik. Im Kern stehe die Behauptung, das Fahrzeug würde erkennen, dass es sich im Prüfzyklus befinde, und dann in einen abgasoptimierten Modus wechseln, der als unzulässige Abschalteinrichtung einzustufen wäre. Dies sei unzutreffend, im Übrigen aber auch rechtlich irrelevant. Das KBA habe vom Einsatz der Fahrkurvenerkennung seit Oktober 2015 Kenntnis gehabt und mehrfach bestätigt, dass die Fahrkurvenerkennung keine unzulässige Abschalteinrichtung darstelle. Die in den EA 288-Motoren an die Fahrkurvenerkennung geknüpften Funktionen seien nicht grenzwertkausal, was die Messungen des KBA ergeben hätten (Anlage BE 23, amtliche Auskunft des KBA vom 11.01.2021 gegenüber dem Landgericht Aurich).
Im Übrigen habe die Klagepartei auch nicht ausreichend dargelegt, dass ihr ein Schaden entstanden sei. Eine Betriebsbeschränkung oder Untersagung drohe nicht und habe auch nie gedroht.
Im Übrigen habe die Klagepartei auch keine tatsächlichen Anhaltspunkte für ihre Vorwürfe vorgetragen. Denn allein die bloße Behauptung ins Blaue hinein, das Fahrzeug erkenne aufgrund diverser Umstände wie Lenkwinkeleinschlag, Temperatur- und Zeiterfassung, ob es sich auf einem behördlichen Prüfstand des NEFZ oder im realen Straßenverkehr befinde und im Prüflauf werde die Abgasrückführung substantiell erhöht, um den gesetzlichen Vorgaben zu genügen, reiche hierfür nicht aus, insbesondere weil die Beklagte bereits in 1. Instanz ausführlich dargelegt habe, dass der streitgegenständliche Fahrzeugtyp vom KBA genauestens geprüft, der NEFZ abgewandelt worden und keinerlei unzulässige Abschalteinrichtung in welcher Form auch immer festgestellt worden sei.
Die Fahrkurvenerkennung per se stelle keine unzulässige Abschalteinrichtung dar; eine solche liege gemäß Art. 3 Nr. 10 in Verbindung mit Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 715/2007 nur dann vor, wenn die Fahrkurve Emissionsminderungen bewirke, die erforderlich seien, um die gesetzlichen Grenzwerte im Prüfzyklus einzuhalten (erneuter Hinweis auf Anlage BE 18 und BE 28).
Sowohl KBA als auch das BMVI hätten ausdrücklich bestätigt, dass es bei EA 288-Fahrzeugen keine Anhaltspunkte für eine Abgasmanipulation durch die Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen gebe.
Die Berufung der Klägerseite auf die sogenannte Applikationsrichtlinie der Beklagten, aus der sich ergeben solle, dass die Beklagte Grenzwerte nicht einhalte, gehe ins Leere. Aus der Applikationsrichtlinie ergebe sich genau das Gegenteil dessen, was klägerseits behauptet werde; die V. AG habe trotz der konzeptionellen Unterschiede zwischen den EA 189 Aggregaten einerseits und den EA 288 Aggregaten andererseits im November 2015 entschieden, die Fahrkurve künftig auszubauen. Das Instrument, mit dem VWintern eine solche Änderung der Bedatung des Motorsteuergeräts festgelegt worden sei, sei die sogenannte „Applikationsrichtlinie und Freigabevorgaben EA 288“ gewesen.
Die in der Applikationsrichtlinie genannten Aspekte seien mit dem KBA abgestimmt gewesen (Anlage B 7). Im Übrigen werde noch einmal darauf hingewiesen, dass eine Fahrkurvenerkennung als solche keine unzulässige Abschalteinrichtung darstelle (Hinweis auf BE 28).
Dies gelte auch für den Vorwurf einer Lenkwinkelerkennung: Sämtliche Bestätigungen und Erkenntnisse des KBA würden auch und gerade für die Behauptung einer unzulässigen Lenkwinkelerkennung gelten. Bei diesem Vorwurf handele es sich letztlich nicht um einen eigenständigen Vorwurf, behauptet werde ein Erkenntnisinstrument, mit dem das Fahrzeug erkennen solle, dass es sich auf dem Prüfstand befindet. Der Vorwurf stelle damit eine Unterkategorie des Vorwurfs einer Fahrkurvenerkennung dar.
Unzutreffend sei freilich der Vorwurf der Klagepartei zu einer angeblichen Lenkwinkelerkennung, die erkennen solle, dass sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand befinde, auch deshalb, weil eine solche Lenkwinkelerkennung im streitgegenständlichen Fahrzeug nicht zum Einsatz komme. Würden Fahrzeuge mit EA 288-Motoren mittels Lenkwinkel erkennen, dass sie auf dem Prüfstand stehen und daraufhin in einen abgasoptimierten Modus schalten, wären die Überprüfungen des KBA im Rahmen der bereits beschriebenen Messungen zum Untersuchungsbericht Volkswagen (Anlage B 1) anders ausgefallen.
Aus rechtlicher Sicht stellten Thermofenster, je nach der konkreten Ausgestaltung, entweder schon keine Abschalteinrichtung dar oder sie würden sich als rechtlich zulässig im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 2 lit. a) VO (EG) Nummer 715/2007 erweisen. Vorliegend sei die Abgasrückführung bei einer Außentemperatur zwischen -24 °C bis +70 °C zu 100% aktiv. Oberhalb und unterhalb dieses Thermofensters, also bei Außentemperaturen kälter als -24 °C und wärmer als 70 °C, erfolge aus Motorschutzgründen und zur Gewährleistung eines sicheren Betriebs des Fahrzeugs keine Abgasrückführung. Innerhalb des Thermofensters und der darin jeweils aktiven Motorbetriebsarten gebe es keine kontinuierliche Abstufung in Abhängigkeit zur Außentemperatur, d. h. keine schrittweise Reduktion der Abgasrückführungsrate, die üblicherweise auch als sogenannte Abrampung bezeichnet werde.
Das KBA habe nicht getäuscht werden können, da erst seit dem 22.04.2016 Hersteller verpflichtet gewesen seien, für neu zu genehmigende Fahrzeugtypen der zuständigen Behörde detailliert darzustellen, welche Emissionsstrategien in dem zu genehmigenden Fahrzeugmodell zum Einsatz kommen würden (amtliche Auskunft des KBA vom 11.09.2020, Anlage BE 37).
Der in einem Verfahren vor dem Landgericht Landshut (Az. 75 O 2466/20) vernommene Zeuge M. K., Leiter der Motorenentwicklung der V. AG, habe die Angaben der Beklagten zur Konfiguration des Thermofensters voll bestätigt.
Das OBD-System sei ein Fahrzeugdiagnosesystem, das während des Fahrbetriebs unter anderem alle abgasbeeinflussenden Systeme überwache. Das OBD-System zeige dem Fahrer über eine Kontrollleuchte auftretende Fehler an und speichere sie im Steuergerät. Über das Steuergerät könnten die Fehlermeldungen später durch eine Fachwerkstatt über genormte Schnittstellen und anhand von genormten Fehlercodes abgefragt werden. Das OBD System überwache daher nur die abgasbeeinflussenden Systeme, wirke auf diese aber nicht ein. Entsprechend könne es bereits nicht die Tatbestandsvoraussetzungen einer Abschalteinrichtung gemäß Art. 3 Nr. 10 VO (EG) 715/2007 erfüllen. Selbst wenn man unterstellen würde, dass das OBD-System einen Fehler in der Emissionskontrolle nicht ordnungsgemäß detektieren würde, würde die Nichtanzeige jedenfalls keine unzulässige Abschalteinrichtung darstellen. Aus regulatorischer Sicht habe auch keine Pflicht zur Messung der Emissionen im realen Fahrbetrieb zum Zeitpunkt der Herstellung des betroffenen Fahrzeugs bestanden.
Bei den in Bezug genommenen Servicemaßnahmen 23X4 (oder 23AV oder 23YC) handele es sich nicht um einen Rückruf, sondern um ein freiwilliges Software-Update zur Verringerung der Schadstoffemissionen bestimmter Fahrzeuge, die mit einem EA 288-Dieselmotor der Abgasnorm EU6 ausgestattet seien. Die Servicemaßnahme stehe nicht im Zusammenhang mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung, insbesondere habe es keine verpflichtende Anordnung des KBA insoweit ergeben.
Auch sei kein Schaden erkennbar. Das Fahrzeug verfüge über eine wirksame EG-Typgenehmigung, es gebe keinen Rückrufbescheid des KBA wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung, es gebe kein verpflichtendes Software-Update, so dass die Stilllegung des Fahrzeugs nicht drohe.
Soweit der Kläger die Messungen des KBA kritisiere, bis hin zu der Behauptung, das KBA habe gar nicht selbst getestet, sondern sich auf Angaben der Beklagten verlassen, sei dies unrichtig. Das KBA habe mittels eines dreifachen Prüfprogramms umfassend untersucht und dies in amtlichen Auskünften gegenüber verschiedenen Gerichten verdeutlicht. Insbesondere sei der bloße Verbau einer Fahrkurvenerkennung nicht unzulässig gewesen.
Die vermeintlichen Enthüllungen der Deutschen Umwelthilfe würden lediglich ergeben, dass die Beklagte in Motoren mit dem Typ EA 288 bis dahin eine Fahrkurvenerkennung verbaut habe, welche aber nicht dazu genutzt worden sei, um die gesetzlichen Grenzwerte lediglich im Prüfzyklus einzuhalten. Das KBA kenne die Fahrkurvenerkennung seit Ende 2015 und bewerte diese nicht als unzulässige Abschalteinrichtung.
Zur behaupteten Manipulation des NOx-Speicherkatalysators (NSK) trägt die Beklagte vor, dass die in manchen Fahrzeugen vorhandene Fahrkurvenerkennung bewirke, dass der NSK während einer NEFZ-Fahrt an zeitlich genau definierten Punkten, in der Regel nach jeweils ca. 5 km, regeneriere. Über diese streckengesteuerte Regeneration zu genau definierten Zeitpunkten werde gewährleistet, dass der NSK zu Beginn und zum Ende des NEFZ den identischen Beladungszustand aufweise. Im Ergebnis sei damit sichergestellt, dass in der NEFZ-Prüffahrt tatsächlich nur diejenigen NOx-Emissionen aufgefangen und abgebildet würden, die während des NEFZ entstünden. Die Funktion der streckenbasierten Regeneration des NSK diene somit dazu, den Messvorgang auf diejenigen Emissionen zu konzentrieren, die während des NEFZ entstünden und zu verhindern, dass Emissionen aus vorausgehenden Zyklen hinzugerechnet würden oder während des Zyklus entstehende Emissionen außer Betracht bleiben. Die fahrkurvenabhängige Regeneration des NSK sei gegenüber dem KBA im Oktober 2015 beschrieben worden. Dass gemeinsam mit dem KBA beschlossen worden sei, dass die Beklagte spätestens ab der Kalenderwoche 22/2016 bei allen EA 288-Fahrzeugen die Fahrkurvenerkennung nicht mehr verwenden würde, habe nichts damit zu tun gehabt, dass die Fahrkurvenerkennung für unzulässig gehalten worden sei. Das KBA habe dann durch eigene Untersuchungen bestätigt, dass die Fahrkurvenerkennung in EA 288-Motoren nicht zur Einhaltung der NOx-Grenzwerte diene. Das KBA sei vielmehr der Auffassung, dass die mit der Fahrkurvenerkennung verknüpfte Steuerung der Regeneration des NSK in zulässiger Weise zur Vergleichbarkeit und Repräsentativität der Emissionsergebnisse eingesetzt werde (Anlage BE 28 und Anlage BE 16). Die streckengesteuerte Regeneration des NSK im Prüfzyklus stehe im Einklang mit dem unionsrechtlichen Regelungsrahmen. Die an die Kurvenerkennung in NSK-Fahrzeugen geknüpfte DeNOx-Funktion stelle sicher, dass der Beladungszustand zu Beginn und zum Ende des NEFZ identisch sei.
Soweit von klägerischer Seite auf Messungen des Herrn H. Bezug genommen werde, der Hinweise auf das Vorliegen einer Fahrkurvenerkennung gefunden haben will, sei dies unbehelflich. Denn dies habe die Beklagte dem KBA bereits 2015 mitgeteilt (Anlage B 6) und werde von diesem als unproblematisch beurteilt (Anlage BE 18).
Soweit die Klägerseite unter Bezugnahme auf Herrn H. behaupte, die Regeneration des NOx-Speicherkatalysators (NSK) funktioniere nicht, wenn kumulativ bestimmte Voraussetzungen vorlägen, sei dies nicht richtig, da keine vollständige „Deaktivierung der NSK-Regeneration“ bei einer Umgebungstemperatur im Bereich von unter 15 °C erfolge. Die klägerische Behauptung, das streitgegenständliche Fahrzeug fahre auf der Straße weit überwiegend ohne jegliche Regeneration des NSK-Katalysators mit entsprechend hohen NOx-Emissionen, sei daher unzutreffend. Im Straßenverkehr reagiere der NSK etwa alle 5 km. Hinzu komme, dass nach dem klägerischen Vortrag die Regeneration des NSK insoweit „auf dem Prüfstand“ bzw. bei Durchfahren des Prüfzyklus und „auf der Straße“ identisch funktioniere. Eine vorsätzliche, sittenwidrige Täuschung sei daher nicht erkennbar.
Aus dem Memo der Kanzlei F. an VW aus dem Oktober 2015 ergebe sich, dass sich die Wirkweise des NSK-Systems auf dem Prüfstand und „der Straße“ nicht unterscheidet; dies spreche gerade gegen eine Manipulation. Im Übrigen seien die klägerischen Behauptungen einer messbaren Emissionsbeeinflussung falsch, was die Messungen des KBA zeigen würden.
Der Senat hat mit Terminsverfügung vom 11.02.2021 Hinweise erteilt. Ergänzend wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der Parteien im Berufungsverfahren und das Protokoll der Sitzung vom 15.09.2021 (Bl. 369/371 d.A.).
II.
Die zulässige Berufung des Klägers ist zurückzuweisen, da das Landgericht die Klage zu Recht abgewiesen hat. Der Kläger hat insbesondere eine sittenwidrige Schädigung durch die Beklagte nicht nachweisen können, da er insbesondere keine der im EA 189-Motor verbauten Umschaltlogik vergleichbare Abschalteinrichtung belegen kann.
Zu den Vorwürfen des Klägers im Einzelnen:
1. Thermofenster:
1.1. Die Beklagte hat zur klägerischen Behauptung, das Thermofenster stelle eine in sittenwidriger Weise verwendete Abschalteinrichtung dar, zunächst darauf hingewiesen, dass das KBA bestätigt habe, dass das Thermofenster keine unzulässige Abschalteinrichtung darstelle (Anlage BE 41). Die Abgasrückführung sei bei einer Außentemperatur zwischen -24 °C bis +70 °C zu 100% aktiv. Innerhalb des Thermofensters und der darin jeweils aktiven Motorbetriebsarten gebe es keine kontinuierliche Abstufung in Abhängigkeit zur Außentemperatur, d. h. keine schrittweise Reduktion der Abgasrückführungsrate (sogenannte Abrampung).
Auch habe das KBA nicht getäuscht werden können, da erst seit dem 22.04.2016 Hersteller verpflichtet gewesen seien, für neue zu genehmigende Fahrzeugtypen der zuständigen Behörde detailliert darzustellen, welche Emissionsstrategien in dem zu genehmigenden Fahrzeugmodell zum Einsatz kommen würden (insoweit nimmt die Beklagte zutreffend Bezug auf die amtliche Auskunft des KBA vom 11.09.2020, Anlage BE 37). Unzutreffend sei insbesondere die Behauptung, das Thermofenster sei so ausgestaltet, dass die Abgasrückführung lediglich in einer Temperaturspanne von 20 °C bis 30 °C vollständig funktioniere.
1.2. Eine Haftung nach §§ 826, 31 BGB wegen der Verwendung des Thermofensters scheidet damit aus:
Es kann zugunsten der Klagepartei in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht unterstellt werden, dass es sich bei dem hier verbauten Thermofenster um eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung 715/2007/EG handelt (vgl. zu Art. 5 der Verordnung 715/2007/EG nunmehr EuGH, Urteil vom 17. Dezember 2020 – C-693/18). Denn allein mit der unterstellt europarechtlichen Unzulässigkeit des Thermofensters lässt sich eine Haftung nach § 826 BGB nicht begründen. Bei dem Thermofenster handelt es sich gerade nicht um eine – evident unzulässige, von vornherein von Arglist geprägte – Abschalteinrichtung, wie sie in Form der sogenannten „Umschaltlogik“ beim Motor EA 189 der V. AG zum Einsatz kam, weshalb die hierzu ergangene Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 25.05.2020, Az.: VI ZR 252/19) nicht ohne weiteres übertragbar ist. Anders als die „Umschaltlogik“ unterscheidet die im streitgegenständlichen Fahrzeug eingesetzte temperaturbeeinflusste Steuerung der Abgasrückführung nicht danach, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand oder im normalen Fahrbetrieb befindet. Sie weist keine Funktion auf, die bei erkanntem Prüfstandsbetrieb eine verstärkte Abgasrückführung aktiviert und den Stickoxidausstoß gegenüber dem normalen Fahrbetrieb reduziert, sondern arbeitet in beiden Fahrsituationen im Grundsatz in gleicher Weise, ohne dass es sich bei den durch das Temperaturfenster gezogenen Rahmenbedingungen um eine solch eng definierte Ausnahmesituation handelt, dass diese tatsächlich nahezu ausschließlich auf dem Prüfstand eintreten kann (siehe BGH, Beschluss vom 19.01.2021, Az.: VI ZR 433/19, Rdnr. 16 ff., zitiert nach Juris).
Unter diesen Umständen wäre der Vorwurf der Sittenwidrigkeit gegenüber der Beklagten aber nur gerechtfertigt, wenn zu dem – hier unterstellten – Verstoß gegen die Verordnung 715/2007/EG weitere Umstände hinzuträten, die das Verhalten der für sie handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen ließen. Die Annahme von Sittenwidrigkeit setzt jedenfalls voraus, dass diese für die Beklagte handelnden Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen. Fehlt es hieran, ist bereits der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit nicht erfüllt. Dabei trägt die Darlegungs- und Beweislast für diese Voraussetzung nach allgemeinen Grundsätzen die Klagepartei als Anspruchsteller. Entscheidend ist das Vorstellungsbild der Beklagten zum maßgeblichen Zeitpunkt der Tatbestandsverwirklichung – spätestens dem Eintritt des behaupteten Schadens in Form des Vertragsschlusses (BGH, Beschluss vom 19.01.2021, Az.: VI ZR 433/19, Rdnr. 19 ff., zitiert nach Juris).
Konkrete Anhaltspunkte, die dafür sprechen, dass die Beklagte zum Zeitpunkt des Kaufvertrags (vom 05.09.2015) in Bezug auf das Thermofenster in dem Bewusstsein der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung handelte, hat die Klagepartei indes nicht dargetan und sind auch sonst nicht ersichtlich.
Im Gegenteil: Die Gesetzeslage zum Thermofenster war gerade nicht unzweifelhaft und eindeutig. Dies belegt die bekannte kontrovers geführte Diskussion über Inhalt und Reichweite der Ausnahmevorschrift in Art. 5 Abs. 2 der Verordnung 715/2007/EG. Denn noch im Jahr 2016 – also zu einem Zeitpunkt, in dem der Volkswagenkonzern bereits massiv in der Kritik stand wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen – wurde in dem erstinstanzlich von der Beklagten in Bezug genommenen Bericht der vom Bundesverkehrsministerium eingesetzten „Untersuchungskommission Volkswagen“, Stand April 2016, S. 18, 114, 123, ausgeführt, dass die Berufung auf den Motorschutz auch im Hinblick auf das sog. „Ausrampen“ im Rahmen von Thermofenstern die Verwendung von Abschalteinrichtungen rechtfertigen kann, wenn von Seiten der Hersteller nachvollziehbar dargestellt wird, dass ohne die Verwendung einer solchen Einrichtung dem Motor Schaden droht, sei dieser auch noch so gering. Eine Festlegung zur Unzulässigkeit von Thermofenstern erfolgte – anders als die Klagepartei einwendet – gerade nicht. Die Interpretation der Beklagten und anderer Automobilhersteller zur Zulässigkeit von Thermofenstern unter dem Aspekt des Motorschutzes wurde damit vielmehr von offizieller Seite gebilligt und war damit jedenfalls nicht unvertretbar, weshalb die Beklagte auch nicht zur Verwendung einer anderen Technologie gehalten war. Nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs in der Rechtssache C-693/18 ist dies gegebenenfalls erneut zu beurteilen. Geklärt wäre damit indes allein die europarechtliche Auslegung des Art. 5 der VO EG 715/2007 und frühestens ab dem Zeitpunkt der Entscheidung am 17.12.2020 in die Zukunft.
Soweit die Klagepartei in der Berufung intransparentes Verhalten der Beklagten einwendet und ausführt, das Thermofenster sei im Rahmen des Typengenehmigungsverfahrens nicht offengelegt worden, greift dies nicht durch. Zum einen ist die Klagepartei nach der vorstehend zitierten Rechtsprechung primär darlegungs- und beweisbelastet für die Umstände, aus denen sich eine objektive Sittenwidrigkeit ergeben soll. Relevanter Vortrag hierzu fehlt jedoch. Zum anderen hat die Beklagten unwiderlegt vorgetragen, erst ab April 2016 zu näheren Angaben zum Thermofenster verpflichtet gewesen zu sein.
2. Auch die Rüge, das Landgericht habe die Substantiierungsanforderungen überspannt und damit den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt im Hinblick auf den klägerischen Vortrag zum Einsatz weiterer unzulässiger Abschalteinrichtungen, die die Beklagte in Abrede gestellt hat, greift nicht durch.
Nach allgemeinen Grundsätzen trägt derjenige, der einen Anspruch aus § 826 BGB geltend macht, die volle Darlegungs- und Beweislast für die anspruchsbegründenden Tatsachen. In bestimmten Fällen ist es aber Sache der Gegenpartei, sich im Rahmen der ihr nach § 138 Abs. 2 ZPO obliegenden Erklärungspflicht zu den Behauptungen der beweispflichtigen Partei substantiiert zu äußern. Dabei hängen die Anforderungen an die Substantiierungslast des Bestreitenden zunächst davon ab, wie substantiiert der darlegungspflichtige Gegner – hier die Klagepartei – vorgetragen hat. In der Regel genügt gegenüber einer Tatsachenbehauptung des darlegungspflichtigen Klägers das einfache Bestreiten des Beklagten. Ob und inwieweit die nicht darlegungsbelastete Partei ihren Sachvortrag substantiieren muss, lässt sich nur aus dem Wechselspiel von Vortrag und Gegenvortrag bestimmen, wobei die Ergänzung und Aufgliederung des Sachvortrags bei hinreichendem Gegenvortrag immer zunächst Sache der darlegungs- und beweispflichtigen Partei ist. Eine sekundäre Darlegungslast trifft den Prozessgegner der primär darlegungsbelasteten Partei, wenn diese keine nähere Kenntnis der maßgeblichen Umstände und auch keine Möglichkeit zur weiteren Sachaufklärung hat, während der Bestreitende alle wesentlichen Tatsachen kennt und es ihm unschwer möglich und zumutbar ist, nähere Angaben zu machen (BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az.: VI ZR 252/19, Rdnr. 35 ff. m.w.N., zitiert nach Juris).
Voraussetzung ist stets ein schlüssiger und erheblicher Sachvortrag der zunächst darlegungs- und beweisbelasteten Klagepartei. Ein Sachvortrag zur Begründung eines Anspruchs ist bereits dann schlüssig und erheblich, wenn die Partei Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich sind, das geltend gemachte Recht als in der Person der Partei entstanden erscheinen zu lassen. Die Angabe näherer Einzelheiten ist nicht erforderlich, soweit diese für die Rechtsfolgen nicht von Bedeutung sind. Das gilt insbesondere dann, wenn die Partei keine unmittelbare Kenntnis von den Vorgängen hat. Das Gericht muss nur in die Lage versetzt werden, aufgrund des tatsächlichen Vorbringens der Partei zu entscheiden, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für das Bestehen des geltend gemachten Rechts vorliegen. Sind diese Anforderungen erfüllt, ist es Sache des Tatrichters, in die Beweisaufnahme einzutreten. Weiter ist es einer Partei grundsätzlich nicht verwehrt, eine tatsächliche Aufklärung auch hinsichtlich solcher Umstände zu verlangen, über die sie selbst kein zuverlässiges Wissen besitzt und auch nicht erlangen kann, die sie aber nach Lage der Verhältnisse für wahrscheinlich oder möglich hält. Dies gilt insbesondere dann, wenn sie sich nur auf vermutete Tatsachen stützen kann, weil sie mangels Sachkunde und Einblick in die Produktion des von der Gegenseite hergestellten und verwendeten Fahrzeugmotors einschließlich des Systems der Abgasrückführung oder -nachbehandlung keine sichere Kenntnis von Einzeltatsachen haben kann. Eine Behauptung ist aber dann unbeachtlich, wenn sie ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich „aufs Geratewohl“ oder „ins Blaue hinein“ aufgestellt worden ist. Bei der Annahme von Willkür in diesem Sinne ist Zurückhaltung geboten. Entscheidend ist damit, ob die Klagepartei ausreichend greifbare Anhaltspunkte zur Begründung ihres Vorwurfs, in dem streitgegenständlichen Fahrzeug komme evident unzulässige Abschalttechnik zum Einsatz, vorbringt (BGH, Beschluss vom 28.01.2020, Az.: VIII ZR 57/19, Rdnr. 7 ff. m.w.N., zitiert nach Juris). Daran fehlt es hier.
Im Einzelnen gilt danach bezüglich der behaupteten weiteren Abschalteinrichtungen folgendes:
2.1. Unstreitig ist das Fahrzeug nicht von einem Rückruf des Kraftfahrtbundesamtes wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung betroffen. Dies ergibt sich auch aus der vom Kraftfahrtbundesamt veröffentlichten, über dessen Homepage allgemein zugänglichen Übersicht zu Rückrufen (Stand 28.06.2021, abrufbar unter https://www.kba.de/DE/Themen/Marktueberwachung/Abgasthematik/uebersicht2_p.pdf; jsessionid=C6A61CE8C0DE6C986C337836DD0DF835.live21302? blob=publicationFile& v=2), die der Senat als offenkundig im Sinne von § 291 ZPO bewertet.
Die Beklagte hat vielmehr zutreffend darauf hingewiesen, dass das KBA exakt für das streitgegenständliche Aggregat EA 288, 2.0 l TDI mit einer Leistung von 135 KW, Abgasnorm EU 6 eine amtliche Auskunft vom 12.10.2020 erteilt hat, aus der sich ergibt, dass unzulässige Abschalteinrichtungen nicht vorliegen; dies ergibt sich aus Anlage BE 16.
2.2. Genauso wenig wie das Bestehen eines Rückrufes des Kraftfahrtbundesamts für ein konkretes Fahrzeug zwingende Voraussetzung für einen für § 826 BGB maßgeblichen Sachvortrag ist, ist das Bestehen von Rückrufen gegenüber einem bestimmten Automobilhersteller stets als hinreichend „greifbarer Anhaltspunkt“ im Sinne der vorstehend erläuterten Rechtsprechung zu sehen. Maßgeblich ist, ob der Vortrag der Klagepartei einen Sachverhalt nahelegt, nach dem die Beklagte eine unzulässige Abschalteinrichtung eingesetzt hat, die darüber hinaus bereits aufgrund ihrer Ausführung von vornherein das Merkmal der Arglist in sich trägt bzw. bezüglich derer aufgrund anderer Umstände ein täuschungsgleiches Verhalten der Mitarbeiter der Beklagten festgestellt werden kann, so dass der Vorwurf der objektiven Sittenwidrigkeit i.S.v. § 826 BGB im Raum steht. Es ist dabei immer auf den konkreten Einzelfall abzustellen.
Nichts anderes ergibt sich aus der Entscheidung des BGH mit Beschluss vom 28.01.2020, Az.: VIII ZR 57/19. Denn in dem dort entschiedenen Sachverhalt lagen eben konkrete Anhaltspunkte vor: Die dortige Klagepartei hat konkret auf den Motorkennbuchstaben des dort streitgegenständlichen Fahrzeugs abgestellt, nämlich „OM 651“. Der BGH bewertete den Umstand, aus der Übersicht des Kraftfahrtbundesamtes ergebe sich, dass bereits mehrere Rückrufe erfolgt waren in Bezug auf Fahrzeuge mit diesem Motorkennbuchstaben, sowie den klägerischen Vortrag, das dort streitgegenständliche Fahrzeug verfüge über einen Motor des Typs „OM 651“ und die Staatsanwaltschaft Stuttgart habe hinsichtlich dieses Motorentyps im März 2017 ein Ermittlungsverfahren wegen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung eingeleitet, als „greifbare Anhaltspunkte“ zur Begründung der Behauptung, das dort streitgegenständliche Fahrzeug sei mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgerüstet (BGH, Beschluss vom 28.01.2020, Az.: VIII ZR 57/19, Rdnr. 12, zitiert nach Juris).
Hinsichtlich der unter der betriebsinternen Bezeichnung EA 189 zusammengefassten Motortypen mag der Hinweis, dass ein Fahrzeug ebenfalls einen Motor „des Typs EA 189“ enthält, als greifbarer Anhaltspunkt für das Bestehen einer unzulässigen Abschalteinrichtung in Form einer „Umschaltlogik“ genügen, da aus der (bereits in Bezug genommenen) Übersicht des Kraftfahrtbundesamtes ersichtlich ist, dass eine große Vielzahl von Motoren in einer Vielzahl von Fahrzeugenmodellen aus dem Volkswagenkonzern hierunter zu fassen ist.
Zu Motoren EA 288 existiert aber gerade keine solche Liste mit einer Vielzahl betroffener Motoren in einer Vielzahl von Fahrzeugmodellen aus dem Volkswagenkonzern. Darüber hilft auch der Umstand, dass es sich bei den Motoren EA 288 um die Nachfolgemodelle zu den Motoren EA 189 handelt, nicht hinweg.
2.3. Auch die von der Klagepartei vorgetragene Behauptung, die Bewertungen durch das Kraftfahrtbundesamt seien (aus verschiedenen Gründen) falsch, stellt für sich genommen keinen Vortrag dar, der ein objektiv sittenwidriges Verhalten der Beklagten nahelegen würde. Die Klagepartei ist primär darlegungs- und beweisbelastet; erst in einem zweiten Schritt käme es gegebenenfalls auf den von der Klagepartei vorgebrachten Einwand an, das Nichtbestehen eines Rückrufs belege nicht das Nichtbestehen einer unzulässigen Abschalteinrichtung, die eine Haftung nach § 826 BGB begründen könnte.
2.4. Zum NSKKatalysator:
2.4.1. Die Beklagte hat den klägerischen Vorwurf, es läge eine unzulässige prüfstandsbezogene Manipulation des NSK-Katalysators vor, die dem KBA nicht bekannt gewesen sei, in Abrede gestellt.
Zur behaupteten Manipulation des NOx-Speicherkatalysators (NSK) hat sie insbesondere vorgetragen, dass die in manchen Fahrzeugen vorhandene Fahrkurvenerkennung bewirke, dass der NSK während einer NEFZ-Fahrt an zeitlich genau definierten Punkten, in der Regel nach jeweils ca. 5 km, regeneriere. Über diese streckengesteuerte Regeneration zu genau definierten Zeitpunkten werde gewährleistet, dass der NSK zu Beginn und zum Ende des NEFZ den identischen Beladungszustand aufweise. Im Ergebnis sei damit sichergestellt, dass in der NEFZ-Prüffahrt tatsächlich nur diejenigen NOx-Emissionen aufgefangen und abgebildet würden, die während des NEFZ entstünden. Die Funktion der streckenbasierten Regeneration des NSK diene somit dazu, den Messvorgang auf diejenigen Emissionen zu konzentrieren, die während des NEFZ entstünden und zu verhindern, dass Emissionen aus vorausgehenden Zyklen hinzugerechnet würden oder während des Zyklus entstehende Emissionen außer Betracht bleiben würden. Die fahrkurvenabhängige Regeneration des NSK sei gegenüber dem KBA im Oktober 2015 beschrieben worden.
Das KBA habe durch eigene Untersuchungen bestätigt, dass die Fahrkurvenerkennung in EA 288-Motoren nicht zur Einhaltung der NOx-Grenzwerte diene. Das KBA sei vielmehr der Auffassung, dass die mit der Fahrkurvenerkennung verknüpfte Steuerung der Regeneration des NSK in zulässiger Weise zur Vergleichbarkeit und Repräsentativität der Emissionsergebnisse eingesetzt werde (Anlage BE 28 und Anlage BE 16). Die streckengesteuerte Regeneration des NSK im Prüfzyklus stehe im Einklang mit dem unionsrechtlichen Regelungsrahmen. Die an die Kurvenerkennung in NSK-Fahrzeugen geknüpfte DeNOx-Funktion stelle sicher, dass der Beladungszustand zu Beginn und zum Ende des NEFZ identisch sei.
Soweit von klägerischer Seite auf Messungen des Herrn H. Bezug genommen werde, der Hinweise auf das Vorliegen einer Fahrkurvenerkennung gefunden haben will, sei dies unbehelflich. Denn dies habe die Beklagte dem KBA bereits 2015 mitgeteilt (Anlage B 6) und werde von diesem als unproblematisch beurteilt (Anlage BE 18).
Soweit die Klägerseite unter Bezugnahme auf Herrn H. behaupte, die Regeneration des NOx-Speicherkatalysators (NSK) funktioniere nicht, wenn kumulativ bestimmte Voraussetzungen vorlägen, sei dies ebenfalls nicht richtig, da keine vollständige „Deaktivierung der NSK-Regeneration“ bei einer Umgebungstemperatur im Bereich von unter 15 °C erfolge. Die klägerische Behauptung, das streitgegenständliche Fahrzeug fahre auf der Straße weit überwiegend ohne jegliche Regeneration des NSK-Katalysators mit entsprechend hohen NOx-Emissionen, sei daher unzutreffend. Im Straßenverkehr reagiere der NSK etwa alle 5 km. Hinzu komme, dass nach dem klägerischen Vortrag die Regeneration des NSK insoweit „auf dem Prüfstand“ bzw. bei Durchfahren des Prüfzyklus und „auf der Straße“ identisch funktioniere. Eine vorsätzliche, sittenwidrige Täuschung sei daher nicht erkennbar.
2.4.2. Diesem substantiierten Vortrag der Beklagtenseite hat die Klägerseite nichts Belastbares entgegensetzen können, sodass der Vorwurf einer unzulässigen Manipulation schon auf der Darlegungsebene scheitert. Ein Sachverständigengutachten war nicht zu erholen.
2.4.3. Soweit die Klägerseite auf ein Memo der Kanzlei Freshfields an VW aus dem Oktober 2015 Bezug genommen hat, wonach sich die Wirkweise des NSK-Systems auf dem Prüfstand und „der Straße“ nicht unterscheide, spricht dies aus Sicht des Senats eher gegen eine Manipulation. In dem Gutachten wurde die Abgasreinigung des Motors EA 288, Euro 6 mit SCR-Katalysator bzw. NSK – Katalysator dargestellt und von der Kanzlei Freshfields am 04.10.2015 als zulässig bewertet (s. 3. Ergebnis, S. 12 f). Wenn aber die „Hausanwälte“ der Beklagten bzw. der Volkswagen AG die Abgasreinigung als zulässig eingestuft haben, bleibt für ein sittenwidriges Verhalten der Beklagten kein Raum.
Zudem liefert das Gutachten auch keine Anhaltspunkte für ein sittenwidriges Verhalten der Beklagten: Die Klagepartei hat insoweit eine einseitig selektive Auswahl an Zitaten aus dem Gutachten getroffen, während das Gutachten selbst keine einer Umschaltlogik vergleichbare Abschalteinrichtung belegt. Im Gegenteil wird auf Seite 7 des Gutachtens dargelegt, dass oberhalb einer Abgastemperatur von 200° C das SCR-System seinen vollen Wirkungsgrad erreicht (Modus B), während bei geringeren Abgastemperaturen eine höhere Abgasrückführung erfolgt (Modus A). Die Wahl zwischen den beiden Modi erfolgt nicht etwa zwischen Prüfstands- und Realbetrieb wie bei der Umschaltlogik des EA 189, sondern jeweils so „dass je nach Fahrbedingungen die geringst möglichen NOx-Emissionen erreicht werden“ (Seite 7). Um diese im Realbetrieb stattfindende Umschaltung im Prüfzyklus nachzubilden, erfolgte die Umschaltung zeit- und nicht temperaturgesteuert (Seite 7). Weiter heißt es, dass sich die tatsächliche Wirksamkeit des SCR-Systems nicht unterscheidet und im normalen Fahrbetrieb nicht verringert ist. Dem trägt auch die rechtliche Würdigung auf Seite 11 des Gutachtens Rechnung, in der ausdrücklich ausgeführt wird, dass die Umschaltung nicht zu einer Veränderung der Emissionen führt. Für Fahrzeuge mit NSK wird ebenfalls dargelegt, dass die Zeitsteuerung (bei NSK keine Modi A und B) nur die im tatsächlichen Fahrbetrieb vorhandene Regeneration des NSK widerspiegeln solle, an der Wirksamkeit aber nichts ändere (Seiten 11, 12 des Gutachtens). Eine der Umschaltlogik des EA 189 vergleichbare Abschalteinrichtung zur Reduzierung von Emissionen auf dem Prüfstand erschließt sich daher nicht.
2.5. OBD:
Dem Vorwurf der Klägerseite, auch das On Board Diagnosesystem (OBD) des Fahrzeugs sei entgegen gesetzlichen Vorgaben gestaltet und manipuliert worden, wobei diese Manipulation des OBD abgestimmt auf die Fehlleistungen des Abgassystems vorgenommen worden sei, ist die Beklagte ebenfalls entgegengetreten.
Eine unzulässige Abschalteinrichtung lässt sich aus Sicht des Senats im Zusammenhang mit dem OBD nicht ableiten. Bei dem OBD-System handelt es sich um ein Fahrzeug-Diagnosesystem, das während des Fahrbetriebs unter anderem alle abgasbeeinflussenden Systeme überwacht. Es zeigt dem Fahrer über eine Kontrollleuchte auftretende Fehler an und speichert sie im Steuergerät. Über das Steuergerät können die Fehlermeldungen später durch eine Fachwerkstatt über genormte Schnittstellen und anhand von genormten Fehlercodes abgefragt werden. Das OBD System überwacht nur die abgasbeeinflussenden Systeme, wirkt auf diese aber nicht ein; etwas Gegenteiliges hat die Klägerseite nicht nachgewiesen.
Damit liegen bereits die Tatbestandsvoraussetzungen einer Abschalteinrichtung gemäß Art. 3 Nr. 10 VO (EG) 715/2007 nicht vor. Selbst wenn man unterstellen würde, dass das OBD-System einen Fehler in der Emissionskontrolle nicht ordnungsgemäß detektieren würde, würde die bloße Nichtanzeige jedenfalls keine unzulässige Abschalteinrichtung (in Form des OBD) darstellen.
2.6. Vorwurf der Fahrkurven- bzw. Zykluserkennung:
Dem klägerischen Vorwurf, das streitgegenständliche Fahrzeug erkenne den Prüfstand und verändere das Emissionsverhalten, ist die Beklagte ebenfalls entgegengetreten.
Im Ausgangspunkt begründet die Fahrkurvenerkennung aus Sicht des Senats keine unzulässige Abschalteinrichtung; eine solche könnte lediglich dann gegeben sein, wenn die Fahrkurvenerkennung Emissionsminderungen bewirken würde, die erforderlich sind, um die gesetzlichen Grenzwerte im Prüfzyklus einzuhalten. Anlage BE 18 belegt aber gerade, dass dies beim EA 288 Aggregat nicht der Fall ist. Unwiderlegt hat die Beklagte auch darauf hingewiesen, dass die Messungen des KBA zu variierten Prüfbedingungen gezeigt hätten, dass das bei den EA 288-Motoren verwendete Abgasnachbehandlungssystem bei voller Funktionsfähigkeit aller abgasbehandelnden Bauteile die gesetzlich vorgegebenen Abgasgrenzwerte einhalte und dies unabhängig von einer Fahrkurvenerkennung erfolge. Dies ergibt sich insbesondere aus Anlage B 1 (Bericht der Untersuchungskommission Volkswagen, Seite 12 ff). Unwiderlegt hat die Beklagte auch vorgetragen, dass das KBA vom Einsatz der Fahrkurvenerkennung seit Oktober 2015 Kenntnis gehabt und mehrfach bestätigt habe, dass die Fahrkurvenerkennung keine unzulässige Abschalteinrichtung darstelle. Die in den EA 288-Motoren an die Fahrkurvenerkennung geknüpften Funktionen sind auch nicht grenzwertkausal, was sich aus Anlage BE 23 ergibt (amtliche Auskunft des KBA vom 11.01.2021 gegenüber dem Landgericht Aurich).
2.7. Auch die Bezugnahme der Klägerseite auf die Applikationsrichtlinie der Beklagten verhilft ihr nicht zum Erfolg. Aus dieser ergibt sich vielmehr, dass die Beklagte im November 2015 entschieden hatte, die Fahrkurve künftig auszubauen. Im Übrigen lässt sich auch aus zeitlichen Gründen aus der Applikationsrichtlinie nicht zulasten des streitgegenständlichen Fahrzeugs ableiten.
2.8. Lenkwinkelerkennung/Lenkwinkeleinschlag:
Soweit die Klägerseite vorgetragen hat, dass das Fahrzeug aufgrund des Lenkwinkeleinschlags des Lenkrades erkenne, ob sich das Fahrzeug auf dem behördlichen Prüfstand des NEFZ oder im realen Straßenverkehr befinde, lässt sich auch hieraus nicht zugunsten des Klägers entnehmen. Bei dem Vorwurf einer linken Winkelerkennung handelt es sich letztlich nicht um einen eigenständigen Vorwurf, vielmehr wird ein Erkenntnisinstrument behauptet, mit dem das Fahrzeug erkennen soll, dass es sich auf dem Prüfstand befindet. Insoweit handelt es sich um eine Unterkategorie des Vorwurfs einer Fahrkurvenerkennung und das dort Ausgeführte gilt entsprechend.
Im Übrigen war seitens der Beklagten bestritten, dass im streitgegenständlichen Fahrzeug eine Lenkwinkelerkennung zum Einsatz kommt. Auch zur Behauptung der Beklagten, dass eine Lenkwinkelerkennung, die auf dem Prüfstand in einen abgasoptimierten Modus umschaltet, dem KBA bei seinen Überprüfungen aufgefallen wäre, hat die Klägerseite nichts Belastbares entgegnet.
2.6. „Enthüllungen“ der DUH:
Soweit die Klägerseite auf Enthüllungen der Deutschen Umwelthilfe vom 23.04.2021 verwiesen hatte, die ergeben hätten, dass die Beklagte auch nach Bekanntwerden des Abgasskandals weiterhin illegale Abschalteinrichtung in den von ihr hergestellten EA 288 Motor in den Verkehr gebracht habe, lässt sich schon zeitlich ein relevanter Bezug zum streitgegenständlichen Fahrzeug nicht erkennen, das vor Bekanntwerden des Abgasskandals hergestellt worden ist.
Im Übrigen würden die „Enthüllungen“ der Deutschen Umwelthilfe lediglich ergeben, dass die Beklagte in Motoren mit dem Typ EA 288 bis dahin eine Fahrkurvenerkennung verbaut hatte; dass sie auch dazu genutzt worden sei, um die gesetzlichen Grenzwerte lediglich im Prüfzyklus einzuhalten, ist nicht belegt. Im Übrigen hat die Beklagte unwiderlegt vorgetragen, dass das KBA die Fahrkurvenerkennung seit Ende 2015 kannte und diese nicht als unzulässige Abschalteinrichtung bewertete.
2.7. Freiwillige Updates
Soweit die Klägerseite behauptet hatte, die Beklagte habe – um dem Risiko eines Typengenehmigungsentzugs zu entgehen – für den EA 288 „freiwillige“ Software-Updates angeboten (sogenannte Feldmaßnahmen 23CY, 23Z7, 23AV) und die für den streitgegenständlichen Fahrzeugtyp erteilte EG-Typengenehmigung sei kraft Gesetzes erloschen, verhilft ihr auch dies nicht zum Erfolg. Es ist nicht erkennbar, dass es sich bei den Servicemaßnahmen 23X4 (oder 23AV oder 23YC) nicht um freiwillige Maßnahmen gehandelt hat (etwa um einem Rückruf zuvorzukommen). Dass die Servicemaßnahme im Zusammenhang mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung gestanden hat, insbesondere weil es eine verpflichtende Anordnung des KBA gegeben hätte, ist nicht belegt.
2.8. Leitlinien der EU
Soweit sich die Klägerseite auf Leitlinien der Europäischen Kommission bezogen hat, die im Januar 2017 herausgegeben worden seien, kann dies vorliegend keine Rolle spielen, nachdem das streitgegenständliche Fahrzeug zeitlich davor hergestellt worden war.
2.9. Täuschung des KBA durch die Beklagte
Die Behauptung der Klägerseite, dass KBA sei seitens der Beklagten mehrfach im Rahmen der Erlangung der Typ-Genehmigung getäuscht worden, konnte nicht näher belegt werden. Im Übrigen hat die Beklagte unwidersprochen vorgetragen, dass Hersteller erst seit dem 22.04.2016 gemäß Art. 5 Abs. 11 VO 692/2008 verpflichtet waren, für neu zu genehmigende Fahrzeugtypen der zuständigen Typgenehmigungsbehörde detailliert darzustellen, welche Emissionsstrategien in dem zu genehmigenden Fahrzeugmodell zum Einsatz kommen.
3. Im Übrigen fehlt es an einem Schaden:
Die Annahme eines Schadens hat der BGH in den EA 189-Verfahren maßgeblich auf die drohende Betriebsbeschränkung oder -untersagung aufgrund des KBA-Rückrufbescheids gestützt. Abgestellt wurde darauf, dass das Fahrzeug im Zeitpunkt des Erwerbs für die Zwecke des Käufers nicht voll brauchbar gewesen sei, weil es einen verdeckten Sachmangel aufgewiesen habe, der zu einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung hätte führen können.
Für einen solchen Sachmangel gibt es vorliegend jedoch gerade keine Anhaltspunkte. Wenn der Kläger behauptet, im EA 288-Motor sei eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut, welche die erteilte Genehmigung in Frage stelle (und welche offensichtlich nach der Vorstellung des Klägers vom KBA im Rahmen der Untersuchungen stets übersehen wurde), und hierzu Sachverständigenbeweis anbietet, übersieht er, dass das KBA die für einen eventuellen Rückruf des Fahrzeugs oder Widerruf der Typengenehmigung maßgebliche Behörde ist. Das (abstrakte) Risiko eines Widerrufs kann mit Null bezeichnet werden, wenn die zuständige Behörde nach (mehrfacher) tatsächlich durchgeführter, sorgfältiger Prüfung keine unzulässige Abschaltvorrichtung festzustellen vermag.
4. Die Klägerseite hat auch keinen Anspruch gemäß §§ 823 Abs. 2 BGB, 6, 27 EG-FGV, da diese Vorschriften kein Schutzgesetz vor ungewollten Verbindlichkeiten sind. Der Senat schließt sich insoweit den Ausführungen des BGH in seinem Urteil vom 25.05.2020 (Az.: VI ZR 252/19) an (bei Juris Rn. 72 ff; vgl. weiter BGH, Urteil vom 30. Juli 2020 – VI ZR 5/20, bei Juris ab Rn. 10 ff).
5. Ebenso wenig steht der Klägerseite ein Anspruch gemäß §§ 823 Abs. 2 BGB, 263 StGB zu.
III.
Der klägerische Schriftsatz vom 03.11.2021 gab keine Veranlassung, gemäß § 156 ZPO die mündliche Verhandlung wiederzueröffnen.
IV.
1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.
2. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711, 709 Satz 2 ZPO.
3. Die Festsetzung des Berufungsstreitwerts beruht auf §§ 63 II 1, 39 I, 43 I, 47 I, 48 I 1 GKG, 3 ZPO.
4. Die Voraussetzungen einer Revisionszulassung liegen nicht vor, da keiner der gesetzlichen Zulassungsgründe (§ 543 Abs. 2 ZPO) gegeben ist.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben