Europarecht

Fahrzeug, Unfall, Rechtsanwaltskosten, Geschwindigkeit, Software, PKW, Sittenwidrigkeit, Haftung, Technik, Form, Einschreiten, Wirksamkeit, Grenzwerte, Klage, unternehmerische Entscheidung, vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten, konkrete Anhaltspunkte

Aktenzeichen  14 O 218/21

Datum:
2.2.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 18691
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Hof
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert wird auf 25.269,54 € festgesetzt.

Gründe

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
Der Klagepartei steht ein Anspruch auf Schadensersatz in Form der Rückzahlung des Kaufpreises abzüglich Nutzungsentschädigung, Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeuges, weder aus § 826 BGB noch aus den weiteren genannten Anspruchsgrundlagen der §§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB, i.V.m. Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 715/2007 bzw. i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 EG-FGV zu.
I. § 826 BGB
Die Klagepartei hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrages über den von der Beklagten produzierten und in Verkehr gebrachten Pkw aus § 826 BGB, weil überwiegend bereits nicht hinreichend substantiiert und mit Bezug auf das konkrete streitgegenständliche Fahrzeug vorgetragen wurde, dass unzulässige Abschalteinrichtungen im Sinne des Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 715/2017 vorliegen.
Eines diesbezüglichen gerichtlichen Hinweises bedurfte es nicht, da sich die Klagepartei selbst in der Klageschrift ab Seite 88 mit den Anforderungen des Bundesgerichtshofes hierzu auseinandergesetzt hat (BGH zu Aktenzeichen VIII ZR 57/19). Der Klagepartei waren die Anforderungen an die Substantiierungslast also hinreichend bekannt.
Obwohl die Klagepartei sehr ausführlich vorträgt und umfangreiche Anlagen vorlegt, ist es ihr nicht gelungen, durch ihre Schriftsätze ausreichend schlüssig ein sittenwidriges Verhalten der Beklagten, das zu einer deliktischen Haftung derselben wegen des Inverkehrbringens eines Fahrzeuges mit einem Motor mit unzulässiger Abschalteinrichtung führen könnte, darzulegen.
1.) Diverse Abschalteinrichtungen
Der Vortrag der Klagepartei, ihr Fahrzeug sei von der „Abgasmanipulation“ betroffen und mit einer Software ausgestattet, die den Prüfstand erkenne und die Abgasrückführung so ansteuere, dass sie während des Durchfahrens des NEFZ höchstmöglich erfolge und den Stickoxidausstoß maximal reduziere, stellt sich als eine Behauptung ins Blaue hinein dar. Eine solche liegt dann vor, wenn die Partei ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich Behauptungen aufs Geratewohl hinein aufstellt (allgemein: BGH, Beschluss vom 16.4.2015, Az. IX ZR 195/14 in NJW-RR 2015, 829).
So bestehen im vorliegenden Fall keinerlei konkrete Anhaltspunkte dafür, dass gerade das streitgegenständliche Fahrzeug mit einer Manipulationssoftware ausgestattet ist, die die Annahme einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung zu begründen vermag. Entgegen dem Vortrag der Klagepartei gibt es nämlich betreffend das streitgegenständliche Fahrzeug weder ein Einschreiten durch das Kraftfahrtbundesamt noch einen Rückruf. Vielmehr hat das Kraftfahrtbundesamt gerade keine unzulässige Abschalteinrichtung bei dem im streitgegenständlichen Modell verbauten Motortyp festgestellt, wie die Beklagte unter Bezugnahme auf vorgelegte Auskünfte des KBA und weitere Anlagen vorträgt.
Um die Schlüssigkeit einer Klage zu erreichen, müssten alle zur Begründung der beantragten Rechtsfolgen erforderlichen Tatsachen vorgetragen werden. Gemessen an diesen Maßstäben ist es der Klagepartei vorliegend nicht gelungen, das Klagevorbringen schlüssig zu begründen. Ist nämlich – wie hier – das streitgegenständliche Fahrzeug nicht einmal von einem verbindlichen Rückruf betroffen, so muss bezogen auf den konkreten Verfahrensgegenstand zur „unzulässigen Abschalteinrichtung“ folgendes im Einzelnen nachvollziehbar dargetan werden: dass ein „Konstruktionsteil“ im Motor des Fahrzeugs vorhanden ist, das in bestimmten Umwelt- oder Fahrsituationen i.S.v. Art. 3 Nr. 10 VO(EG) 715/2007 die Abgasreinigung abschaltet und dass dieses nicht notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten.
Diesen Anforderungen ist die Klagepartei im Rahmen ihrer Klageschrift schon deshalb nicht gerecht geworden, da sie ohne Darstellung der Relevanz der einzelnen Behauptungen eine lose Aneinanderreihung selbiger wiedergibt. So werden unter Buchstabe h auf Seite 42 ff. der Klage, ohne dass ein Bezug zum streitgegenständlichen Fahrzeug oder Motor erkennbar ist, Aspekte aufgeführt, die wohl unzulässige Abschalteinrichtungen darstellen sollen. Die Einordnung dieser aneinandergereihten Ausführungen in den Kontext der Tatbestandsvoraussetzungen des § 826 BGB ist jedoch nicht möglich, sodass das Gericht vielmehr von einer theoretischen Zusammenstellung, technischer Möglichkeiten ausgehen muss.
Es wäre vielmehr darzulegen gewesen, welche konkreten „Abschalteinrichtungen“ im Pkw der Klagepartei vorliegen sollen.
Eine Abschalteinrichtung ist nach der Begriffsbestimmung unter Art. 3 Nr. 10 VO (EG) 715/2007 ein Konstruktionsteil, das die Temperatur, die Fahrzeuggeschwindigkeit, die Motordrehzahl, den eingelegten Getriebegang, den Unterdruck im Einlasskrümmer oder sonstige Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird.
Es wird insofern nicht verkannt, dass dem außerhalb der Herstellungsprozesse stehenden Verbraucher ein Einblick in innere Zusammenhänge der Fahrzeugtechnik nicht möglich ist, ein Mindestmaß an Herstellung von Zusammenhängen im Hinblick auf behauptete Tatbestände ist dennoch zu verlangen. Dies ist hier nicht erfüllt.
Die Klagepartei behauptet, das die für den Prüfstand vorgeschriebene (Vor-)Konditionierung und das Erkennen des NEFZ-Zyklus an sich für die moderne Technik zwischenzeitlich kein Problem mehr sei. Dies mag durchaus sein, es wird jedoch nicht dargelegt, welche Relevanz das Erkennen des Prüfstandlaufes an sich haben soll. Die Klagepartei trägt auch hier nicht zu den weiteren Voraussetzungen vor. Sie stellt insbesondere keinen Zusammenhang zum streitgegenständlichen Fahrzeug her und gibt auch nicht preis, auf welchen Quellen diese vermeintlichen Erkenntnisse beruhen. Derartigen Vermutungen muss nicht nachgegangen werden. Die Beklagte kann sich hierauf auch nicht substantiiert einlassen. Das Gericht ist nicht in die Lage versetzt worden, aufgrund des tatsächlichen Vorbringens der Partei zu entscheiden, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für das Bestehen des geltend gemachten Rechts vorliegen oder nicht (nötig nach BGH, Beschluss vom 28.01.2020 zum Az. VIII ZR 57/19). Allein die Implementierung von Komponenten zur Erkennung des Prüfstandslaufes führt noch nicht zu einer vorsätzliche sittenwidrige Schädigung.
Im Hinblick auf die Behauptung der Klagepartei, dass sich in dem Fahrzeug eine Fahrkurvenerkennung befände, ist ergänzend auf den Hinweisbeschluss des Oberlandesgerichts Bamberg in dem Verfahren 3 U 136/21 zu verweisen. Dort heißt es:
„…
(2) Gleichfalls ergibt sich aus der vorgelegten Entscheidungsvorlagen „Applikationsrichtlinien & Freigabevorgaben EA 189“ (Anlage Berufung K 6) nicht der Einsatz einer der klägerseits behaupteten Abgasmanipulationen. In der o.g. Vorgabe für Freigaben EU 189 EU 3/4/5/6 wird lediglich das „Ausbedaten“ einer sowohl bei EA 189 und EA 288 gleichermaßen vorhandenen „Funktion“ in den Motorsteuerungsgeräten (MSG) angeordnet; dass es sich insoweit um eine unzulässige Abschalteinrichtung zur Abgasmanipulation (s.o.) handelt, ist dieser Anordnung nicht ansatzweise zu entnehmen. Zudem ist auch in diesem Zusammenhang das beklagtenseits vorgelegte Schreiben der V. AG an das KBA vom 29.12.2015 (Anlage B5) zu sehen, aus dem hervorgeht, dass die in den Motorsteuerungsgeräten (MSG) hinterlegte Fahrkurve, mit welcher die Optimierung der NOx-Emissionen bei dem bezeichneten Aggregat vorgenommen wurde, zwar auch in dem Nachfolgeaggregat EA 288 enthalten ist, „hier aber nicht zu einer Optimierung der NOx-Emissionen im Prüfstandsbetrieb eingesetzt wurde“. An weiterer Stelle wird ausgeführt:
„Die vorstehend beschriebene Applikation mit der sogenannten Akustikfundfunktion inklusive Fahrkurve ist in allen Steuergeräten… ab 2007 in den Volkswagen Dieselaggregaten der Baureihen EA 189 und EA 288 enthalten, wobei sie – wie bereits mehrfach dargelegt und nachgewiesen – in der Aggregate Baureihe EA 288 keinen Einfluss auf die Emissionen des Aggregates hat“.
Die Behauptung, auch in dem Motor der Baureihe EA 288 sei eine Manipulationssoftware zur Prüfstandserkennung eingebaut, wird damit weder durch die oben dargestellte Anordnung zur Ausbedatung noch durch das vorgelegte Schreiben gestützt. Aus dem Schreiben ergibt sich vielmehr im Gegenteil, dass bei Fahrzeugen mit EA 288 Motor in der Motorsteuerungssoftware keine Optimierung der Emissionen im Prüfstandsbetrieb vorgenommen wurde.
…“
Diesen Ausführungen schließt sich das erkennende Gericht vollumfänglich an.
Ebenso verhält es sich bei der Behauptung, das „On-Board-Diagnosesystem“ sowie der SCR-Katalysator bzw-. die Dosierung von AdBlue seien manipuliert. Dies ist ebenfalls lediglich eine Vermutung des Klägers, sodass insoweit weitere Ausführungen entbehrlich sind. Es handelt sich um einen Vortrag ins Blaue hinein.
Konkret und substantiiert genug trägt die Klagepartei vor, dass die Abgasrückführung, die für einen niedrigeren Stickoxid-Ausstoß sorge, in einem Temperaturbereich zwischen +20 °C und bis 30 °C zu 100 % aktiv. Außerhalb des definierten Temperaturbereichs werde die Abgasrückführung iterativ reduziert und schließlich ganz abgeschaltet.
Dem Gericht ist durchaus bewusst, dass eine unzulässige Abschalteinrichtung auch dann vorliegen kann, wenn ein Rückrufbescheid des Kraftfahrtbundesamtes für das streitgegenständliche Fahrzeug nicht erlassen wurde. Es bedürfte jedoch greifbarer Anhaltspunkte, um zum einen beurteilen zu können, wie wahrscheinlich das Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 VO (EG) 750/2007 ist und darüberhinaus zum anderen bewerten zu können, ob überhaupt eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung infrage kommt. Sogar beim Vorliegen von nur einzelnen Rückrufbescheiden zum Motor EA 288 (würde man dies annehmen können), kann zweifelsfrei nicht von einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung der Art ausgegangen werden, wie dies beim EA 189 von Volkswagen der Fall war. Auch der diesbezügliche Vortrag der Klagepartei ist nicht geeignet, um den konkreten Fall des streitgegenständlichen Fahrzeuges zum Klageerfolg zu verhelfen.
2.) Thermofenster
Allein der Vortrag der Klagepartei zum sogenannten Thermofenster genügt den Anforderungen an einen hinreichend substantiierten Vortrag zum Vorliegen illegaler Abschalteinrichtungen. Insofern gilt jedoch Folgendes: In welcher Art und Weise das „Thermofenster“ in konkreten Fall ausgestaltet ist, ob es – wie klägerseits behauptet – nur im Temperaturfenster des Prüfstandslaufes zwischen ca. 20 °C und 30 °C voll funktioniert oder ob es immer zu 100 % aktiv ist, ist nach Auffassung des zuständigen Gerichtes nicht streitentscheidend. Dahinstehen kann auch, ob die – an sich unstreitige – Implementierung eines Thermofensters in tatsächlicher Hinsicht objektiv mit den EU-Vorschriften vereinbar ist. Denn selbst wenn zugunsten der Klagepartei in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht unterstellt werden würde, dass eine derartige temperaturbeeinflusste Steuerung der Abgasrückführung als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung 715/2007/EG zu qualifizieren ist (so der EuGH im Urteil vom 17.12.2020, Rs. C-693/18, zu Art. 5 VO (EG) 715/2007), stellt sich zur Überzeugung des Gerichts das Inverkehrbringen eines mit einem Thermofenster konzipierten Fahrzeugs subjektiv nicht als – nachweisbare – vorsätzliche sittenwidrige Handlung der Beklagten i.S.d. § 826 BGB dar.
Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflichtverletzung begeht und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann. Dabei kann es auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Bezüglich des Anstandsgefühls aller billig und gerecht Denkenden kommt es wesentlich auf die berechtigten Verhaltenserwartungen im Verkehr an (dazu allgemein BGH, Beschluss vom 19.01.2021 zu VI ZR 433/19). Erst später gewonnene Erkenntnisse machen eine bereits stattgefundene Handlung jedenfalls nicht rückwirkend zu einer sittenwidrigen, sodass sich eventuelle Erkenntnisse aus dem Urteil des EuGH vom 17.12.2020 auf die Kenntnis der Beklagten im Zeitpunkt der Entwicklung des streitgegenständlichen Motors und des Inverkehrbringens des streitgegenständlichen Fahrzeuges nicht auswirkt.
Nach den aufgeführten Grundsätzen reicht der klägerseits behauptete Umstand, dass die Abgasrückführung im streitgegenständlichen Fahrzeug durch eine temperaturabhängige Steuerung des Emissionskontrollsystems bei Temperaturen außerhalb eines Fensters von 20 °C bis 30 °C reduziert und letztlich ganz abgeschaltet werde, für sich genommen nicht aus, um dem Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen ein sittenwidriges Gepräge zu geben.
Bei einer sogenannten „Schummelsoftware“, wie sie in dem Motor EA 189 des Volkswagen Konzerns verwendet worden ist, liegt der Sachverhalt hingegen anders. Dort ergab sich die Sittenwidrigkeit des Handelns per se aus der Verwendung einer Umschaltlogik, die – auf den Betriebszustand des Fahrzeugs (Prüfstandsfahrt oder Straßenfahrt) abstellend – allein danach unterschieden hat, ob es sich auf dem Prüfstand oder im normalen Fahrbetrieb befindet und dementsprechend im Prüfstandslauf in einen sauberen Modus schaltet. Eine solche Abschalteinrichtung ist eindeutig unzulässig; an dieser rechtlichen Wertung konnte auch aus Sicht der Handelnden bzw. hierfür Verantwortlichen kein Zweifel bestehen.
Bei einer anderen – im streitgegenständlichen Fahrzeug allein möglichen – die Abgasrückführung beeinflussenden Motorsteuerungssoftware, wie dem hier in Rede stehenden Thermofenster, die vom Grundsatz her im normalen Fahrbetrieb in gleicher Weise arbeitet wie auf dem Prüfstand und bei der Gesichtspunkte des Motor- bzw. des Bauteilschutzes als Rechtfertigung ernsthaft erwogen werden können, kann bei Fehlen jedweder konkreter Anhaltspunkte nicht ohne Weiteres unterstellt werden, dass die Handelnden bzw. Verantwortlichen bei der Beklagten in dem Bewusstsein agiert haben, möglicherweise eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden (vgl. hierzu wieder beispielhaft OLG Koblenz in 12 U 1570/19 oder auch OLG Stuttgart, Urteil vom 30.07.2019, 10 U 134/19).
Auch die Klagepartei greift den Vortrag der Beklagten nicht substantiiert an, wonach die im streitgegenständlichen Fahrzeug eingesetzte temperaturbeeinflusste Steuerung der Abgasrückführung vom Prinzip her im Straßenverkehr genauso funktioniert wie auf dem Rollenprüfstand. Um zu dem Ergebnis zu gelangen, wie es im Fall der Umschaltlogik des EA 189 von VW vorlag, dass nämlich gerade zwischen Prüfstandsfahrt und Straßenfahrt unterschieden wird und verschiedene Abgasreinigungsprogramme gefahren werden, wäre entsprechender Vortrag der Klagepartei, die ja Anspruchsteller ist, erforderlich gewesen. Aus dem klägerischen Vortrag ergibt sich an keiner Stelle, dass das Thermofenster angelegt war zur „Überlistung“ der Prüfungssituation.
Selbst wenn hinsichtlich des Thermofensters von einer objektiv unzulässigen Abschalteinrichtung auszugehen wäre, müsste die Klagepartei vortragen, aus welchen Gründen und aufgrund welcher Anhaltspunkte die Beklagte im Zeitpunkt der Implementierung des Thermofensters in den Motor EA 288 überhaupt von einem Gesetzesverstoß und gerade auch einem bewussten Hinwegsetzen über die gesetzlichen Vorschriften hätte ausgehen müssen. Die Klagepartei hat nicht dargelegen können, warum die von der Beklagten im konkreten Fall vorgenommene Gesetzesauslegung im Zeitpunkt der Motorenentwicklung nicht vertretbar gewesen ist und bewusst zu Zwecken der Gewinnerzielung falsch vorgenommen wurde bzw. dass zumindest eine Inkaufnahme einer Falschinterpretation der anzuwendenden Vorschriften gegeben gewesen ist. Eine Sittenwidrigkeit käme also nur in Betracht, wenn über die bloße Kenntnis von der Verwendung einer Software mit der in Rede stehenden Funktionsweise in dem streitgegenständlichen Motor hinaus zugleich auch Anhaltspunkte dafür erkennbar wären, dass die Implementierung einer solchen Einrichtung von Seiten der Beklagten in dem Bewusstsein geschah, hiermit möglicherweise gegen die gesetzlichen Vorschriften zu verstoßen, und dieser Gesetzesverstoß billigend in Kauf genommen wurde.
Vermutungen oder Spekulationen, wonach die Grenzwerte für NOx – auf dem Prüfstand – überhaupt nur mit Abschalteinrichtungen eingehalten werden konnten, sind in keinster Weise hilfreich. Auch verhilft der heutige Erkenntnis- und Meinungsstand der Klagepartei nicht zum Erfolg, denn allein maßgeblich waren die Umstände und Kenntnisse im Zeitpunkt des Inverkehrbringens des konkreten Fahrzeuges mit dem entsprechenden Motor (so auch OLG München, Urteil vom 29.08.2019 zu 8 U 1449/19 und OLG Frankfurt, Beschluss vom 15.01.2020 zu 11 U 92/19).
Gerade im Zeitpunkt des Inverkehrbringens des streitgegenständlichen Fahrzeuges, hier im Jahr 2014, lag weder eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes zur rechtlichen Einordnung des Thermofensters vor, noch waren Interpretationsspielräume der EG-Verordnung Nr. 715/2007 ausgeräumt. Das zeigt zum einen die (gerichtsbekannte und sicher auch in Anwaltskreises bekannte) kontrovers geführten Diskussion über Inhalt und Reichweite der Ausnahmevorschrift des Art. 5 II lit. a) EG VO 715/2007, zum anderen auch der Umstand, dass sich auch das Kraftfahrtbundesamt und Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur bislang nicht von der Unzulässigkeit des behaupteten sog. „Thermofensters“ haben überzeugen können und Rückrufe sämtlicher betroffenen Fahrzeuge mit einem Thermofenster angeordnet haben. Auch die Bewertung des Berichts der Untersuchungskommission „Volkswagen“ hat sich gerade nicht im Sinne der klägerischen Rechtsauffassung zum „Thermofenster“ positioniert. (So beispielsweise auch entschieden vom OLG Köln, Urteil vom 27.09.2019 zu 6 U 57/19.)
Das erkennende Gericht schließt sich den Ausführungen des OLG Koblenz in seinem Urteil vom 20.04.2020, Aktenzeichen 12 U 1570/19, vollumfänglich an. Dort heißt es: Die europarechtliche Gesetzeslage ist an dieser Stelle (Anm.: Gemeint ist Art. 5 VO (EG) 715/2007.) nicht zweifelsfrei und nicht eindeutig. Auch die Klagepartei vermag nichts Gegenteiliges ins Feld zu führen, was ihren Anspruch stützen kann. Auf die Frage, inwieweit das Thermofenster aus Gründen des Motorschutzes erforderlich gewesen ist, kommt es damit nicht mehr an.
Soweit sich die Klagepartei auf das sogenannte „Thermofenster“ stützt, kommt jedenfalls auch die Annahme eines Vorsatzes nicht in Betracht. Wie bereits ausgeführt ist die Gesetzeslage an dieser Stelle nicht unzweifelhaft und eindeutig (gewesen). So vertritt auch das örtlich zuständige Berufungsgericht, das Oberlandesgericht Bamberg, die Auffassung, dass eine Haftung der Beklagten, anders als beim EA 189, für den Einbau eines „Thermofensters“ ohne weiteres jedenfalls nicht infrage komme. Das Oberlandesgericht Bamberg weist darauf hin, dass sich die Implementierung einer zum Zwecke der Erkennung der Prüfstandssituation entwickelten Software, die ausschließlich in diesen Fällen das Emissionsverhalten des Fahrzeuges verändert, qualitativ vollständig anders darstellt als ein temperaturabhängiges Abgasrückführungssystem, welches vom Grundsatz her im normalen Fahrbetrieb in gleicher Weise arbeitet wie auf dem Prüfstand und bei dem Gesichtspunkte des Motor- bzw. des Bauteilschutzes als technische Rechtfertigung plausibel und nachvollziehbar angeführt werden können (so Hinweis des OLG Bamberg im Verfahren 1 U 484/20).
II.) § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 Abs. 1 StGB, § 31 BGB und § 831 BGB
Der Klagepartei steht auch kein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 Abs. 1 StGB, § 31 BGB oder aus § 831 BGB zu.
Es wäre erforderlich gewesen, dass die Klagepartei sämtliche objektiven und subjektiven Merkmale des Betrugstatbestands im Sinne von § 263 Abs. 1 StGB (als Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB) darlegt und nachweist. Es kann hierzu vollumfänglich auf das Urteil des BGH vom 30.07.2020, VI ZR 5/20 verwiesen werden. Bereits aus oben genannten Gründen ist die Klagepartei den Anforderungen nicht gerecht geworden. Sie trägt nicht ansatzweise ausreichend vor. Für § 831 BGB fehlt es ebenso aus vorgenannten Gründen an einer unerlaubten Handlung der Verrichtungsgehilfen.
III.) § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV bzw. i.V.m. Art. 5 Abs. 2 VO(EG) 715/2007
Ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV bzw. aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 715/2007 scheitert daran, dass die genannten Vorschriften der EG-FGV wie auch die der VO (EG) 715/2007 nicht dem Vermögensschutz eines Kraftfahrzeugerwerbers dienen (vgl. dazu BGH in VI ZR 252/18 sowie in VI ZR 5/20). Schutzgesetze i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB sind Gesetze, die zumindest auch den Individualschutz des Einzelnen bezwecken, ohne dass dies einen bloßen Reflex der Vorschrift darstellt (vgl. grundlegend BGH Urteil 13.12.2011 zu XI ZR 51/10 – zum WpHG oder BGH, Beschluss vom 09.4.2015 zu VII ZR 36/14 – zu Medizinprodukten). Demgegenüber dienen die in VO (EG) 715/2007 festgelegten Abgasgrenzwerte ausweislich der dortigen Erwägungsgründe der Verbesserung der Luftqualität und damit der Allgemeinheit (so auch OLG München, Beschluss vom 29.8.2019 zu 8 U 1449/19 oder OLG Braunschweig, Urteil vom 19.2.2019 zu 7 U 134/17). Die VO (EG) 715/2007 zielt zudem auf die Harmonisierung des Binnenmarktes bzw. dessen Vollendung durch Einführung gemeinsamer technischer Vorschriften zur Begrenzung der Fahrzeugemissionen (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 17.12.2020 zu 5 U 318/19). Zwar werden neben der Vereinheitlichung der Rechtsregelungen ein hohes Umweltschutzniveau als Ziel und die Reinhaltung der Luft als Vorgabe für Regelungen zur Senkung der Emissionen von Fahrzeugen beschrieben, doch folgt aus den Ausführungen, die die Verbesserung der Luftqualität in einem Zug mit der Senkung der Gesundheitskosten nennen, dass es auch insoweit nicht um individuelle Interessen, sondern letztlich um umwelt- und gesundheitspolitische Ziele geht (siehe OLG Düsseldorf a.a.O. und nachdrücklich OLG München, Beschluss vom 29.8.2019 zu 8 U 1449/19).
IV.) Nebenentscheidungen
Da der Klagepartei in der Hauptsache ein Anspruch nicht zusteht, ist sie auch mit ihren Nebenansprüchen (Feststellung Annahmeverzug, Rechtsanwaltskosten, Zinsen) nicht erfolgreich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in § 709 ZPO.


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