Europarecht

Fehlende örtliche Zuständigkeit für den Einbürgerungsantrag

Aktenzeichen  M 25 K 19.573

Datum:
13.5.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 10672
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 75
VwGO analog § 113 Abs. 1 S. 4
StAG § 10, § 12a Abs. 3 S. 1
BayVwVfG Art. 3 Abs. 3

 

Leitsatz

1. Zieht ein Einbürgerungsbewerber in den Bezirk einer anderen Einbürgerungsbehörde eines anderen Bundeslandes um, so erlangt diese nach § 3 Abs. 1 Nr. 3a VwVfG des jeweiligen Bundeslandes die örtliche Behördenzuständigkeit für das Einbürgerungsverfahren. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Person hat einen gewöhnlichen Aufenthalt damit dort, wo sie nicht nur vorübergehend lebt, sondern auf unabsehbare Zeit, weil die Beendigung des Aufenthalts ungewiss ist. Entscheidend ist der tatsächliche Schwerpunkt der Lebensverhältnisse. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Über die Klage konnte mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, § 101 Abs. 2 VwGO.
Die Klage ist in ihrem Hauptantrag zulässig, aber nicht begründet. Der Hilfsantrag ist unzulässig.
1. Die Klage ist in ihrem Hauptantrag zulässig, aber nicht begründet.
Die Klage ist als Untätigkeitsklage i.S.d. § 75 VwGO zulässig, da die Beklagte über den im Jahr 2013 gestellten Einbürgerungsantrag bislang nicht entschieden hat.
Die Klage ist jedoch nicht begründet, da die Beklagte im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung für die Einbürgerung nicht mehr zuständig ist und ihr damit die Passivlegitimation nach § 78 VwGO fehlt. Maßgeblich für den vom Kläger mit dem Hauptantrag verfolgten Anspruch auf Einbürgerung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung bzw. der Entscheidung der letzten Tatsacheninstanz (BVerwG, U.v. 20.10.2005 – 5 C 17.05 – juris Rn. 12; BVerwG, U.v. 5.6.2014 – 10 C 2/14 – juris Rn. 10; NdsOVG, B.v. 27.2.2013 – 19 E 205/13 – beckonline).
In diesem Zeitpunkt ist die Beklagte für eine Entscheidung über den Einbürgerungsantrag des Klägers nicht mehr örtlich zuständig. Zieht ein Einbürgerungsbewerber in den Bezirk einer anderen Einbürgerungsbehörde eines anderen Bundeslandes um, so erlangt diese nach § 3 Abs. 1 Nr. 3a des VwVfG des jeweiligen Bundeslandes die örtliche Behördenzuständigkeit für das Einbürgerungsverfahren (NdsOVG, B.v. 27.2.2013 – 19 E 205/13 – beckonline). In Bezug auf die Beklagte richtet sich die örtliche Zuständigkeit nach Art. 3 BayVwVfG.
Nach Art. 3 Abs. 1 Nr. 3 a BayVwVfG ist örtlich für das Einbürgerungsbegehren eines Ausländers die Behörde zuständig, in deren Bezirk er seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Eine Definition des Begriffs des „gewöhnlichen Aufenthalts“ wird weder im BayVwVfG noch im VwVfG des Bundes gegeben, doch kann hier auf die Legaldefinition in § 9 AO und in § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I zurückgegriffen werden (vgl. BVerfG B.v. 13.7.2011 – 2 BvR 742, 10 – beckonline). Diese lautet: „Den gewöhnlichen Aufenthalt hat jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt.“ Als gewöhnlicher Aufenthalt ist stets und von Beginn an ein zeitlich zusammenhängender Aufenthalt von mehr als sechs Monaten Dauer anzusehen; kurzfristige Unterbrechungen bleiben unberücksichtigt. Eine Person hat einen gewöhnlichen Aufenthalt damit dort, wo sie nicht nur vorübergehend lebt, sondern auf unabsehbare Zeit, weil die Beendigung des Aufenthalts ungewiss ist (vgl. Schmitz Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 9. Auflage, 2018, zu § 3 VwVfG, Rn. 24). Entscheidend ist der tatsächliche Schwerpunkt der Lebensverhältnisse (Lebensmittelpunkt; OVG MV B.v. 27.3.2017 – 1 M 487/16 – beckonline).
Nach diesen Grundsätzen hat der Kläger seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht im Zuständigkeitsbereich der Beklagten. Dafür spricht, dass er nach seinen Angaben in der Berufungshauptverhandlung vor dem Landgerichts München I am 19. April 2018 aus der Wohnung in der … Straße in M… ausgezogen ist und nach B… in die …straße gezogen ist. Auch gibt der Kläger gegenüber Gerichten und Behörden als Wohnadresse seine Wohnung in B… an (vgl. z.B. Rubrum des Urteils des LG München I vom 7.5.2018 – 25 Ns 258 Js 197281/16), so dass davon auszugehen ist, dass er sich dort auch gewöhnlich und dauernd aufhält. Auch beim Verwaltungsgericht München ist auf Grund seiner zahlreichen Verfahren als Wohnadresse des Klägers seine Adresse in B… hinterlegt. Für einen dauernden, nicht nur vorübergehenden Aufenthalt in B… spricht auch, dass der Kläger am Verwaltungsgericht Berlin eine Klage gegen die dortige Einbürgerungsbehörde erhoben hat, was für den anwaltlich vertretenen Kläger nur Sinn macht, wenn er die dortige Behörde auch für zuständig hält, sprich der Kläger selbst davon ausgeht, dass er seinen gewöhnlichen Aufenthalt nunmehr in B… hat.
Aus dem Vortrag des Bevollmächtigten des Klägers ergibt sich nichts anderes. Es ist zwar richtig, dass die melderechtliche Lage allein keinen gewöhnlichen Aufenthalt begründet. Gleichwohl unterscheidet das Melderecht in § 21 BMG zwischen Hauptwohnung und Nebenwohnung, wobei Hauptwohnung die vorwiegend benutzte Wohnung ist, das heißt, wo sich der Einwohner überwiegend auch aufhält. Insofern werden die obigen Ausführungen durch die vom Kläger vorgenommenen Anmeldungen bestätigt: Hauptwohnung – B…; Nebenwohnung – M… Denn wenn der Kläger seinen Lebensmittelpunkt in M… hätte, müsste die melderechtliche Lage genau umgekehrt sein. Dazu im Widerspruch steht auch nicht das Protokoll über die öffentliche Sitzung des Landgerichts München I zum Verfahren 31 S 7134/17 vom 12. April 2018. Dort gibt der Kläger zwar als Wohnung, seine bisherige Wohnung in der … Straße in M… an und der Vermieter bestätigt auch das Bestehen eines Mietvertrages. Ob sich der Kläger auch tatsächlich in der Wohnung aufhält, bestätigt der Vermieter indes nicht. Aber nur ein tatsächlicher Aufenthalt könnte einen gewöhnlichen Aufenthalt begründen. Die reine Anmietung einer Wohnung führt hingegen nicht zur Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts.
Damit geht das Gericht davon aus, dass der Kläger in M… keinen gewöhnlichen Aufenthalt mehr hat.
Eine örtliche Zuständigkeit der Beklagten nach Art. 3 Abs. 3 BayVwVfG liegt unabhängig von der Frage der Zweckmäßigkeit der Fortführung des Verfahrens durch die Beklagte allein schon deswegen nicht vor, weil die Zustimmung der Stadt B… nicht vorliegt.
Da die Beklagte und die Stadt B… eigenständige, verschiedene Körperschaften sind, fehlt mit der örtlichen Zuständigkeit auch die Passivlegitimation der Beklagten nach § 78 VwGO. Die Klage ist somit unbegründet.
2. Der hilfsweise gestellte Fortsetzungsfeststellungsantrag nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO analog ist unzulässig.
Gemäß § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO spricht das Gericht, wenn sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt hat, auf Antrag durch Urteil aus, dass der Verwaltungsakt rechtswidrig ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat. § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO ist auf erledigte Verpflichtungsbegehren bzw. Untätigkeitsklagen, wie vorliegend, entsprechend anzuwenden (vgl. BVerwG, U.v. 31.3.1987 – 1 C 32/84 – juris Rn. 25 ff; Schübel-Pfister in: Eyermann, Verwaltungsgerichtsordnung, 15. Auflage 2019, § 113 VwGO, Rn. 127).
Das ursprüngliche Begehren des Klägers, durch die Untätigkeitsklage die Beklagte zur seiner Einbürgerung zu bewegen, hat sich durch den Umzug des Klägers nach B… erledigt. Mit Schreiben vom 29. April 2019 teilte der Bevollmächtigte des Klägers mit, dass beantragt werde festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet gewesen wäre, den Kläger einzubürgern.
Nach den oben dargestellten Grundsätzen ist die Fortsetzungsfeststellungsklage im vorliegenden Fall zwar statthaft. Jedoch hat der Kläger das erforderliche berechtigte Fortsetzungsfeststellungsinteresse nicht ausreichend glaubhaft gemacht.
Der Kläger hat kein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des Handelns der Beklagten. Die vom Vertreter des Klägers vorgetragene Vorbereitung eines Amtshaftungsprozesses vor den ordentlichen Gerichten mag zwar grundsätzlich ein berechtigtes Feststellungsinteresse für eine Fortsetzungsfeststellungsklage begründen. Jedoch müssen zu dem (zu erwartenden) Schaden substantielle Ausführungen gemacht werden. Konkrete Angaben sind insofern erforderlich (Schübel-Pfister in: Eyermann, Verwaltungsgerichtsordnung, 15. Auflage 2019, § 113 VwGO Rn. 116; NdsOVG B.v. 23.1.2003 – 13 A 4859/00 – beckonline).
Dies ist vorliegend nicht erfolgt. Der Bevollmächtigte des Klägers hat nur pauschal angegeben, dass die fortgesetzte Klage der Vorbereitung eines Amtshaftungsprozesses gegen die Beklagte diene. Weitere Ausführungen zu etwaigen Schäden hat der Bevollmächtigte nicht gemacht.
Im Übrigen wäre die Klage auch unbegründet. Der Kläger hatte im Zeitpunkt des erledigenden Ereignisses auf Grund der Regelung des § 12a Abs. 3 Satz 1 StAG keinen Anspruch auf Einbürgerung gegen die Beklagte. Im Zeitpunkt seines Umzugs nach B… im Herbst 2017 lief gegen den Kläger jedenfalls noch ein Strafverfahren. Das Einbürgerungsverfahren war daher gem. § 12a Abs. 3 Satz 1 StAG auszusetzen.
3. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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