Europarecht

Fehlende Zustellung zur persönlichen Anhörung an Flüchtling

Aktenzeichen  Au 5 K 17.30205

Datum:
7.3.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 52 Nr. 2, S. 3, § 92, § 113 Abs. 1 S. 1
AsylG AsylG § 10 Abs. 2 S. 1, § 25, § 32, § 33 Abs. 2 S. 2, § 76 Abs. 1

 

Leitsatz

Ein erheblicher Mangel beim Versuch der Zustellung nach den Vorschriften des Verwaltungszustellungsgesetzes vereitelt, dass die Zustellung mit der Aufgabe zur Post als bewirkt gilt. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Das Verfahren wird eingestellt, soweit die Verpflichtung der Beklagten zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 3 Abs. 1 Asylgesetz – AsylG) zur Zuerkennung von subsidiärem Schutz (§ 4 Abs. 1 AsylG) sowie die Feststellung von Abschiebungsverboten (§ 60 Abs. 5 und Abs. 7 Aufenthaltsgesetz – AufenthG) beantragt war.
II. Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 20. September 2016 (Az.: …) wird aufgehoben.
III. Die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens tragen die Klägerinnen und die Beklagte jeweils zur Hälfte.
IV. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreck baren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Der Einzelrichter (§ 76 Abs. 1 AsylG) konnte über die Klage ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten übereinstimmend auf eine solche verzichtet haben (§ 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
Die Klage hat Erfolg, soweit sie im klägerischen Schriftsatz vom 24. Februar 2017 aufrechterhalten wurde.
1. Das Verfahren ist einzustellen, soweit die Klage ursprünglich einen weitergehenden Streitgegenstand hatte. Mit der Beschränkung des Klageantrages auf Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes vom 20. September 2016 sind gleichzeitig die weitergehenden Verpflichtungsanträge der Klägerinnen hinsichtlich der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, der Gewährung subsidiären Schutzes bzw. der Feststellung von Abschiebungsverboten zurückgenommen worden. Die Verfahrenseinstellung und Kostenentscheidung muss insoweit nicht gesondert durch Beschluss erfolgen. Vielmehr kann darüber gemeinsam im Urteil über den anhängig gebliebenen Streitgegenstand entschieden werden (vgl. BVerwG, U.v. 6.2.1963 – 5 C 24/61 – NJW 1963, 923).
2. Soweit die Klage im Schriftsatz vom 24. Februar 2017 noch aufrechterhalten wurde, ist sie zulässig und begründet.
Der Zulässigkeit der Klage kann nicht die Versäumung der Klagefrist aus § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO entgegengehalten werden. Dem steht bereits entgegen, dass der mit der Klage angegriffene Bescheid eine fehlerhafte Rechtsmittelbelehrungaufweist. Die Klägerinnen wurden im Bescheid darüber belehrt, dass sie Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht Ansbach erheben können. Zutreffend ist die Klage jedoch beim Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg zu erheben, da nach der gesetzlichen Bestimmung in § 52 Nr. 2 Satz 3 VwGO in Streitigkeiten nach dem Asylgesetz das Verwaltungsgericht örtlich zuständig ist, in dessen Bezirk der Ausländer nach dem Asylgesetz seinen Aufenthalt zu nehmen hat. Die den Klägerinnen fehlerhaft erteilte Rechtsmittelbelehrunghat nach § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO zur Folge, dass die Einlegung des Rechtsbehelfs nur innerhalb eines Jahres seit Zustellung, Eröffnung oder Verkündung des Bescheids zulässig ist. Diese Jahresfrist ist mit der Klageerhebung am 18. Januar 2017 offensichtlich gewahrt.
Die Klage erweist sich auch in der Sache als begründet. Der Bescheid des Bundesamtes vom 20. September 2016 ist rechtswidrig und war auf die Klage der Klägerinnen aufzuheben, da die Voraussetzungen für eine Rücknahme des Asylantrages und eine Verfahrenseinstellung auf der Grundlage der §§ 32, 33 Abs. 1 AsylG nicht vorliegen.
Wenn – wie hier – Streit darüber besteht, ob die Voraussetzungen der §§ 32, 33 AsylG für eine Behandlung des Asylantrages als zurückgenommen vorliegen, ist die Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO) die statthafte Klageart.
Die Beklagte ist in dem mit der Klage angegriffenen Bescheid zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen für eine Verfahrenseinstellung aufgrund fiktiver Rücknahme des Asylantrages vorliegen.
Gemäß § 33 Abs. 1 AsylG gilt der Asylantrag als zurückgenommen, wenn der Ausländer oder die Ausländerin das Verfahren nicht betreibt. Das Nichtbetreiben wird gemäß § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Alt. 2 AsylG gesetzlich vermutet, wenn der Ausländer bzw. die Ausländerin einer Aufforderung zur Anhörung nach § 25 AsylG nicht nachgekommen ist. Diese Vermutung gilt nach Satz 2 der Vorschrift aber dann nicht, wenn unverzüglich nachgewiesen wird, dass das Versäumnis auf Umstände zurückzuführen war, auf die der Asylbewerber oder die Asylbewerberin keinen Einfluss hatte. Gemäß § 33 Abs. 4 AsylG sind die Betroffenen auf diese Rechtsfolge schriftlich und gegenüber Empfangsbekenntnis hinzuweisen.
Die schwerwiegende Folge der Zurücknahme der Asylanträge und deren Einstellung setzt seitens des Klägers eine gröbliche Verletzung der Mitwirkungspflichten voraus, was wiederum nur dann der Fall ist, wenn dem Asylbewerber eine „besonders schwerwiegende“ Verletzung seiner Mitwirkungspflicht anzulasten ist, die „ohne Weiteres“ den Schluss auf eine missbräuchliche Inanspruchnahme des Asylrechts zulässt (vgl. Marx, Asylverfahrensgesetz, 8. Aufl. 2014, § 30 Rn. 59; Hailbronner, Ausländerrecht, Band 2, § 30 Asylverfahrensgesetz, Rn. 85, 94).
Die Klägerinnen können nach ihrem Vortrag im Klageverfahren die gesetzliche Vermutung des § 33 Abs. 2 Nr. 1 AsylG entsprechend § 33 Abs. 2 Satz 2 AsylG widerlegen. Eine Verletzung von Mitwirkungspflichten ist ihnen nicht vorzuwerfen. Dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Klägerin zu 1 auch der persönlichen Anhörung gegenüber dem Bundesamt nachgekommen ist. Die Klägerinnen waren zu jedem Zeitpunkt in der ihnen zugewiesenen Gemeinschaftsunterkunft in der, wohnhaft. Es gab daher auch keine Umstände, die die Klägerinnen hätten dem Bundesamt hinsichtlich ihres Aufenthaltes anzeigen können.
Zwar muss der Ausländer Zustellungen unter der letzten Anschrift, die der jeweiligen Stelle auf Grund seines Asylantrages oder seiner Mitteilung bekannt ist, gegen sich gelten lassen, wenn er für das Verfahren weder einen Bevollmächtigten bestellt, noch einen Empfangsberechtigten benannt hat oder diesem nicht zugestellt werden kann (§ 10 Abs. 2 Satz 1 AsylG). Gemäß § 10 Abs. 2 Satz 4 AsylG gilt die Zustellung an die letzte Anschrift in diesem Falle mit der Aufgabe zur Post als bewirkt, selbst wenn die Sendung als unzustellbar zurückkommt. Diese Zustellungsfiktion wird jedoch nur ausgelöst, wenn unter der zuletzt angegebenen Anschrift nach den Vorschriften des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG) ein Versuch der Zustellung unternommen wurde, der den zustellungsrechtlichen Vorschriften entsprochen hat. Ein erheblicher Mangel liegt vor, wenn auf der Sendung unzutreffend vermerkt wird, dass der Adressat unter der angegebenen Adresse nicht zu erreichen ist, obwohl er tatsächlich in der Einrichtung wohnhaft war (VG Köln, B.v. 3.4.2003 – 2 L 749/03.A – juris), woran das Gericht im vorliegenden Fall keinen Zweifel hat. Auch das Sozialreferat – Fachbereich Wohnen und Unterbringung – der Stadt * hat insoweit ausgeführt, dass die Klägerinnen zu jedem Zeitpunkt in der ihnen zugewiesenen Anschrift * wohnhaft waren. Somit hätte eine Zustellung an die Klägerinnen unter der von ihnen angegebenen Anschrift durchaus erfolgen können, sei es an die Antragstellerinnen persönlich bzw. jedenfalls im Wege einer Ersatzzustellung.
Nachdem sich damit die von der Beklagten vorgenommene Verfahrenseinstellung als rechtsfehlerhaft erweist, war der Bescheid vom 20. September 2016 antragsgemäß aufzuheben. Die Klage erweist sich somit in dem Umfang, in dem sie noch aufrechterhalten wurde, als begründet.
3. Die Kostenentscheidung erfolgt auf der Grundlage von § 155 Satz 1 VwGO. Die Gerichtskostenfreiheit beruht auf § 83 b AsylG.
Die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).


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