Europarecht

Feststellung der Inlandsungültigkeit einer polnischen Fahrerlaubnis – einstweiliger Rechtsschutz

Aktenzeichen  11 CS 20.2160

Datum:
5.2.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 1655
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
RL 2006/126 EG Art. 2 Abs. 1, Art. 7 Abs. 1 lit. e, Abs. 3 S. 1 lit. b, Art. 12
FeV § 7 Abs. 1, Abs. 2, § 28 Abs. 1 S. 1, Abs. 4 S. 1 Nr. 2, Nr. 3, S. 2

 

Leitsatz

1. Wenn ein Fahrerlaubnisinhaber nach der Registrierung seines Aufenthalts in Polen dort allenfalls kurze Zeit vor der Ausstellung des Führerscheins Wohnung genommen hat, ergibt sich bereits daraus ein gewichtiger Hinweis aus dem Ausstellungsstaat, dass er sich nur zum Zweck des Erwerbs einer Fahrerlaubnis dort angemeldet bzw. aufgehalten hat, ohne einen ordentlichen Wohnsitz zu begründen; es sei denn, es sind Umstände ersichtlich, die die Begründung eines Wohnsitzes in Polen bereits im Zeitpunkt der Erteilung der Fahrerlaubnis als gesichert erscheinen ließen (vgl. BayVGH BeckRS 2017, 111563 Rn. 17 mwN). (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
2. Weitere Hinweise auf einen Wohnsitzverstoß können sich ergeben, wenn in der vorgelegten Bescheinigung über die Registrierung des Aufenthalts in Polen keine registrierte Adresse vermerkt ist, (einzelne) Fragen zu den näheren persönlichen Umständen des Führerscheininhabers im Zeitpunkt der Fahrerlaubniserteilung durch die polnischen Behörden mit „unknown“ beantwortet sind und wenn der Betreffende dauerhaft, also auch im Zeitpunkt der Erteilung der Fahrerlaubnis, mit Hauptwohnsitz in Deutschland gemeldet war.   (Rn. 23 – 25) (redaktioneller Leitsatz)
3. Bei gravierenden Zweifeln an der Erfüllung der Wohnsitzvoraussetzung obliegt es dem Betreffenden, substantiierte und verifizierbare Angaben zu Beginn und Ende seines Aufenthalts in Polen sowie zu den persönlichen und beruflichen Bindungen zu machen, die im maßgeblichen Zeitpunkt zu dem im Führerschein angegebenen Wohnort bestanden (vgl. BVerwG BeckRS 2019, 29034 Rn. 28; BayVGH BeckRS 2017, 111563 Rn. 20). (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
4. Bei der Feststellung der unmittelbar aus dem Gesetz folgenden Inlandsungültigkeit einer EU- oder EWR-Fahrerlaubnis handelt es sich um einen deklaratorischen Verwaltungsakt, bei dem die Ermessensausübung intendiert ist und der deshalb keiner weiteren Begründung bedarf bzw. bei dem die Begründung ausgewechselt werden kann (vgl. BayVGH BeckRS 2019, 3426 Rn. 26 mwN) und an dessen Sofortvollzug ein praktisches Bedürfnis und ein überwiegendes öffentliches Interesse bestehen. (Rn. 26 und 31 – 33) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

RO 8 S 20.676 2020-09-03 Bes VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Unter Abänderung von Nr. I., II. und III. des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 3. September 2020 wird der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,- EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsgegner wendet sich mit seiner Beschwerde gegen die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs des Antragstellers, mit dem dieser die Feststellung der Inlandsungültigkeit seiner polnischen Fahrerlaubnis sowie die Verpflichtung zur Vorlage des Führerscheins angefochten hat.
Dem Antragsteller war zunächst 2007 die Fahrerlaubnis nach einer Trunkenheitsfahrt (BAK: 2,02 ‰) entzogen und 2008 wiedererteilt worden. Mit Bescheid vom 28. Mai 2018, der seit dem 29. Juni 2018 bestandskräftig ist, wurde ihm die Fahrerlaubnis erneut entzogen. Dem lag zu Grunde, dass er ein medizinisch-psychologisches Gutachten über seine Fahreignung, das unter Verweis auf die vorgenannte sowie eine weitere, mit rechtskräftigem Bußgeldbescheid geahndete Trunkenheitsfahrt am 6. November 2017 (BAK: 0,9 ‰) angefordert worden war, nicht vorgelegt hatte.
Am 27. Juni 2018 stellte die Verwaltungsbehörde Starosta (Landrat) Policki, Polen, dem Antragsteller einen Führerschein der Klassen AM, B1 und B aus. Darin ist eine Adresse in Polen (Tanowo) eingetragen.
Im März 2019 bat der Antragsteller das Landratsamt Sch. unter Verweis auf ein strafrechtliches Verfahren wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis um Feststellung der Inlandsgültigkeit seines polnischen Führerscheins. Das Landratsamt ermittelte, dass dieser seit Februar 2018 mit Hauptwohnsitz in S … (Landkreis Sch.) gemeldet ist, und richtete daraufhin über das Kraftfahrt-Bundesamt ein Auskunftsersuchen an die polnischen Behörden, das zunächst unbeantwortet blieb. Der Antragsteller selbst legte eine „Zaświadczenie o zarejestrowaniu pobytu obywatela Unii Europejskiej“ der Wojedowa (Woiwodschaft) Zachodniopomorski vom 10. Mai 2018 vor, die die Registrierung seines Aufenthalts in Polen bescheinigt. Als Datum der Registrierung wird der 30. April 2018 genannt, unter der registrierten Adresse findet sich keine Eintragung.
Mit Bescheid vom 3. April 2020 stellte das Landratsamt nach Anhörung fest, dass der Antragsteller nicht berechtigt sei, von seiner polnischen Fahrerlaubnis in Deutschland Gebrauch zu machen, und forderte ihn unter Androhung eines Zwangsgeldes auf, den polnischen Führerschein zum Zwecke der Eintragung eines entsprechenden Sperrvermerks vorzulegen. Ferner ordnete es die sofortige Vollziehung der Feststellung der Inlandsungültigkeit und der Verpflichtung zur Vorlage des Führerscheins an. Ein Wohnsitzverstoß sei zwar nicht nachzuweisen, die Fahrerlaubnis nach § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 FeV aber gleichwohl nicht anzuerkennen, da die inländische Fahrerlaubnis des Antragstellers bestandskräftig entzogen worden sei. Unionsrecht stehe dem nicht entgegen; der vorliegende Fall sei nicht anders zu behandeln, als ob die polnische Fahrerlaubnis während einer vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 111a StPO erteilt worden wäre. In der Rechtsbehelfsbelehrung:heißt es, gegen den Bescheid könne Widerspruch eingelegt oder unmittelbar Klage erhoben werden.
Der Antragsteller ließ Widerspruch einlegen und am 23. April 2020 einen Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs sowie auf Aufhebung der erfolgten Vollziehung stellen, dem das Verwaltungsgericht Regensburg mit Beschluss vom 3. September 2020 stattgegeben hat. Es spreche einiges dafür, dass die Erwägungen in dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 20. November 2008 – C-1/07, Weber – auf den vorliegenden Fall zu übertragen seien und die Fahrerlaubnis daher nach § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 FeV inlandsungültig sei, ohne dass Unionsrecht dem entgegenstehe. Diese Frage könne im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes jedoch nicht abschließend geklärt werden. Bei einer allgemeinen Interessenabwägung überwiege das private Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs das öffentliche Interesse am Sofortvollzug.
Mit seiner Beschwerde führt der Antragsgegner in prozessualer Hinsicht aus, der eingelegte Widerspruch sei nach Art. 15 Abs. 2 AGVwGO bereits unstatthaft, die dem Bescheid beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung:mit Schreiben vom 24. September 2020 korrigiert worden. In der Sache macht er geltend, die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union in der Sache Weber sei ohne Weiteres auf den vorliegenden Fall übertragbar. Maßgeblich sei, dass die polnische Fahrerlaubnis vor der Bestandskraft der Entziehung vom 28. Mai 2018 erteilt worden sei und zu diesem Zeitpunkt noch nicht festgestanden habe, ob die mit der Zustellung der Verfügung erloschene Fahrerlaubnis auf gerichtliche Überprüfung des Bescheids hin wieder aufleben werde. Unabhängig davon sei die polnische Fahrerlaubnis wegen eines Wohnsitzverstoßes nicht anzuerkennen. Dazu legte der Antragsgegner die Antwort des Starostwo Powiatowe (Landratsamt) Police vom 6. Juli 2020 auf das vorgenannte Auskunftsersuchen vor; in dem Formularfragebogen ist das Feld zur Angabe des gewöhnlichen Wohnsitzes (place of normal residence) freigelassen und sind alle Fragen (place where person usually lives for at least 185 days each calendar year; place of close family members; existence of accommodation; place where business is conducted; place of property interests; place of administrative links to public authorities and social services) mit “unknown” beantwortet. Unter Berücksichtigung der inländischen Umstände sei daher von einem Scheinwohnsitz auszugehen, jedenfalls aber sei das 185-Tage-Kriterium bei Erteilung der Fahrerlaubnis nicht erfüllt gewesen.
Am 22. Oktober 2020 erhob der Antragsteller mit Blick auf die geänderte Rechtsbehelfsbelehrung:Anfechtungsklage zum Verwaltungsgericht Regensburg (RO 8 K 20.2560), über die noch nicht entschieden wurde.
In der Sache tritt der Antragsteller der Beschwerde entgegen. Aus der Antwort der polnischen Behörden ergebe sich kein Hinweis auf einen Wohnsitzverstoß; die Angabe „unknown“ sei neutral. Im Übrigen habe er die in seinem Führerschein genannte Wohnung vom 1. Januar 2018 bis zum 1. Oktober 2018 angemietet und sich dort in dieser Zeit auch aufgehalten; dazu legt der Antragsteller eine Bestätigung der Vermieterin vor. Aufgrund familiärer Probleme habe er eine räumliche Veränderung beabsichtigt und Polen als Wohnort ausgewählt, da er dort Bekannte und weitschichtige Verwandte habe. § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 FeV sei hier aufgrund vorrangigen Unionsrechts nicht anwendbar.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen im Eilverfahren und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde des Antragsgegners hat Erfolg. Aus den mit der Beschwerde vorgetragenen Gründen, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Sätze 1 und 6 VwGO), ergibt sich, dass das Verwaltungsgericht dem Antragsteller zu Unrecht vorläufigen Rechtsschutz gewährt hat. Nach der gebotenen summarischen Prüfung fällt die nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung zugunsten des öffentlichen Interesses aus, da der Rechtsbehelf des Antragstellers gegen den angefochtenen Bescheid keinen Erfolg verspricht.
1. Der Senat legt dabei zu Grunde, dass statthafter Rechtsbehelf in der Hauptsache die Anfechtungsklage ist. Verwaltungsakte, durch die die Inlandsungültigkeit einer ausländischen Fahrerlaubnis festgestellt wird, unterfallen keiner der in Art. 15 Abs. 1 Satz 1 AGVwGO aufgeführten Ausnahmetatbestände, sind insbesondere nicht als personenbezogene Prüfungsentscheidung i.S.d. Art. 15 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 Nr. 6 AGVwGO anzusehen (stRspr, vgl. BayVGH, U.v. 13.12.2011 – 11 B 11.2336 – NVwZ-RR 2012, 436 = juris Rn. 28; B.v. 15.4.2020 – 11 CS 20.316 – juris Rn. 13). Ein Vorverfahren entfällt damit (Art. 15 Abs. 2 AGVwGO).
2. Das Verwaltungsgericht hat zwar dem Tenor der angegriffenen Entscheidung nach die aufschiebende Wirkung des – offensichtlich unzulässigen – Widerspruchs wiederhergestellt. Nachdem aufgrund der unrichtigen Rechtsbehelfsbelehrung:zunächst nur die Jahresfrist des § 58 Abs. 2 VwGO in Lauf gesetzt wurde und der Antragsteller innerhalb der mit der Bekanntgabe der richtigen Rechtsbehelfsbelehrung:in Lauf gesetzten Frist des § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO (vgl. dazu Hoppe in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 58 Rn. 27) ordnungsgemäß Klage erhoben hat, ist der angegriffene Bescheid nicht bestandskräftig geworden und liegt zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats ein zulässiger Rechtsbehelf in der Hauptsache vor, dessen aufschiebende Wirkung beurteilt werden kann. Auf richterlichen Hinweis hat der Antragsteller nunmehr (sinngemäß) die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage beantragt und der Antragsgegner sein Einverständnis mit dieser Antragsänderung erklärt. Der Senat geht daher im Sinne der Beteiligten von einer zulässigen und im Übrigen auch sachdienlichen Antragsänderung im Beschwerdeverfahren (§ 146 i.V.m. § 91 VwGO) aus.
3. Der Antragsgegner macht zu Recht geltend, dass die polnische Fahrerlaubnis des Antragstellers wegen eines Wohnsitzverstoßes nicht anzuerkennen ist.
a) Nach § 28 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV) vom 13. Dezember 2010 (BGBl I S. 1980), im maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheiderlasses (vgl. dazu BVerwG, U.v. 25.2.2010 – 3 C 15.09 – BVerwGE 136, 149 Rn. 10; U.v. 5.7.2018 – 3 C 9.17 – BVerwGE 162, 308 Rn. 13) zuletzt geändert durch Verordnung vom 2. Oktober 2019 (BGBl I S. 1416), in Kraft getreten zum 1. Januar 2020, dürfen Inhaber einer gültigen EU- oder EWR-Fahrerlaubnis, die ihren ordentlichen Wohnsitz im Sinne des § 7 Abs. 1 oder 2 FeV in der Bundesrepublik Deutschland haben – vorbehaltlich der Einschränkungen nach den Absätzen 2 bis 4 – im Umfang ihrer Berechtigung Kraftfahrzeuge im Inland führen. Nach § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FeV gilt die Berechtigung nach § 28 Abs. 1 FeV nicht für Inhaber einer EU- oder EWR-Fahrerlaubnis, die ausweislich des Führerscheins oder vom Ausstellungsmitgliedstaat herrührender unbestreitbarer Information zum Zeitpunkt der Erteilung ihren ordentlichen Wohnsitz im Sinne des § 7 Abs. 1 oder 2 FeV im Inland hatten, es sei denn, dass sie als Studierende oder Schüler im Sinne des § 7 Abs. 2 FeV die Fahrerlaubnis während eines mindestens sechsmonatigen Aufenthalts erworben haben. Über die fehlende Berechtigung kann die Behörde einen feststellenden Verwaltungsakt erlassen (§ 28 Abs. 4 Satz 2 FeV).
Ein ordentlicher Wohnsitz im Inland wird nach § 7 Abs. 1 Satz 2 FeV angenommen, wenn der Betroffene wegen persönlicher und beruflicher Bindungen oder – bei fehlenden beruflichen Bindungen – wegen persönlicher Bindungen, die enge Beziehungen zwischen ihm und dem Wohnort erkennen lassen, gewöhnlich, d.h. während mindestens 185 Tagen im Jahr, im Inland wohnt. Liegen die persönlichen Bindungen im Inland, hält sich der Betroffene aber aus beruflichen Gründen in einem oder mehreren anderen Mitgliedstaaten der EU (oder des EWR) auf, hat er seinen ordentlichen Wohnsitz im Inland, sofern er regelmäßig dorthin zurückkehrt (§ 7 Abs. 1 Satz 3 FeV). Die Voraussetzung entfällt, wenn sich der Betroffene zur Ausführung eines Auftrags von bestimmter Dauer in einem solchen Staat aufhält (§ 7 Abs. 1 Satz 4 FeV).
Diese Bestimmungen stehen mit Art. 2 Abs. 1, Art. 7 und Art. 12 der – hier zeitlich anwendbaren (vgl. deren Art. 18 Abs. 2) – RL 2006/126/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über den Führerschein (Neufassung, ABl L 403 S.18 – RL 2006/126/EG), insbesondere mit der Pflicht zur gegenseitigen Anerkennung der Führerscheine (mit der Folge der Anerkennung der dem Dokument zugrundeliegenden Fahrerlaubnis, vgl. BVerwG, U.v. 5.7.2018 – 3 C 9.17 – BVerwGE 162, 308 Rn. 28), in Einklang. Voraussetzung für die Ausstellung eines Führerscheins und für dessen Erneuerung bei Ablauf der Gültigkeitsdauer ist ein ordentlicher Wohnsitz im Hoheitsgebiet des ausstellenden Mitgliedstaats im Sinne des Art. 12 der RL 2006/126/EG oder der Nachweis eines dortigen Studiums während eines Mindestzeitraums von sechs Monaten (Art. 7 Abs. 1 Buchst. e, Abs. 3 Satz 1 Buchst. b der RL 2006/126/EG). Die Verpflichtung zur gegenseitigen Anerkennung von durch EU-Mitgliedstaaten erteilten Fahrerlaubnissen gemäß Art. 2 Abs. 1 der RL 2006/126/EG gilt nicht, wenn entweder Angaben im zugehörigen Führerschein oder andere vom Ausstellungsmitgliedstaat herrührende unbestreitbare Informationen vorliegen, nach denen das Wohnsitzerfordernis nicht eingehalten wurde (vgl. EuGH, U.v. 1.3.2012 – C-467/10, Akyüz – NJW 2012, 1341 Rn. 62; B.v. 9.7.2009 – C-445/08, Wierer – NJW 2010, 217 Rn. 51). Solche Informationen können insbesondere Angaben einer Einwohnermeldebehörde des Ausstellungsmitgliedstaats sein (EuGH, B.v. 9.7.2009 a.a.O. Rn. 61).
Die Prüfung, ob Informationen über den Wohnsitz des Fahrerlaubnisinhabers zum Zeitpunkt der Erteilung des Führerscheins als vom Ausstellungsmitgliedstaat herrührend und unbestreitbar eingestuft werden können, obliegt den Behörden und Gerichten des Aufnahmemitgliedstaats (vgl. EuGH, U.v. 1.3.2012 a.a.O. Rn. 73 f.; BVerwG, B.v. 24.10.2019 – 3 B 26.19 – NJW 2020, 1600 = juris Rn. 25). Dabei muss die Begründung eines Scheinwohnsitzes aufgrund der vom Ausstellungsmitgliedstaat stammenden Informationen nicht bereits abschließend erwiesen sein (vgl. BayVGH, B.v. 4.3.2019 – 11 B 18.34 – juris Rn. 21 m.w.N.). Vielmehr reicht es aus, wenn diese Informationen darauf „hinweisen“, dass der Inhaber des Führerscheins im Gebiet des Ausstellungsmitgliedstaats einen rein fiktiven Wohnsitz allein zu dem Zweck begründet hat, der Anwendung der strengeren Bedingungen für die Ausstellung eines Führerscheins im Mitgliedstaat seines tatsächlichen Wohnsitzes zu entgehen (vgl. EuGH, U.v. 1.3.2012 a.a.O. Rn. 75). Dann können die Behörden und Gerichte des Aufnahmemitgliedstaats auch inländische Umstände zur Beurteilung der Frage, ob die Wohnsitzvoraussetzung eingehalten ist, heranziehen (vgl. BVerwG, B.v. 24.10.2019 a.a.O. Rn. 25; BayVGH, B.v. 4.3.2019 a.a.O. Rn. 22).
b) Hiervon ausgehend macht der Antragsgegner zutreffend geltend, dass die aus dem Ausstellungsmitgliedstaat Polen stammenden Informationen auf die Nichterfüllung der Wohnsitzvoraussetzung bei der Erteilung der Fahrerlaubnis hinweisen und die Zusammenschau mit den übrigen bekannten Umständen, insbesondere der durchgehenden Meldung des Antragstellers in Deutschland, auf einen Wohnsitzverstoß schließen lässt.
aa) Allein durch den Eintrag eines Wohnsitzes in Polen im Führerschein des Antragstellers wird das tatsächliche Innehaben eines Wohnsitzes an diesem Ort nicht positiv bewiesen. Vielmehr dürfen Angaben im Führerschein selbst und andere vom Ausstellermitgliedstaat herrührende unbestreitbare Informationen als Erkenntnisquellen gleichrangig herangezogen werden (vgl. BayVGH, B.v. 22.5.2017 – 11 CE 17.718 – juris Rn. 16; U.v. 25.9.2012 – 11 B 10.2427 – NZV 2013, 259 = juris Rn. 22).
bb) In der Republik Polen sind EU-Bürger grundsätzlich verpflichtet, innerhalb von vier Tagen ab der Einreise ihre Adresse bei der örtlich zuständigen Meldebehörde (Stadt- bzw. Gemeindeamt) anzumelden und darüber hinaus ihren Aufenthalt, sofern er drei Monate überschreitet, bei dem örtlich zuständigen Woiwoden registrieren zu lassen (vgl. den Beitrag „Aufenthalt in Polen“ auf der vom polnischen Arbeitsministerium betriebenen Webseite https://eures.praca.gov.pl/de/index.php?option=com_content& view=article& id=77& Itemid=110, den Beitrag „Rules for entry and residence“ auf den Webseiten des URZAD DO SPRAW CUDZOZIEMCÓW, auf Englisch Office for Foreigners, https://udsc.gov.pl/en/cudzoziemcy, sowie die Broschüre „Beschäftigung von deutschen Staatsangehörigen in Polen“ der Deutsch-Polnischen Industrie- und Handelskammer, abrufbar auf der Webseite https://polen.diplo.de/blob/484858/86225db167fcce7473c0a7ef689a29d5/broschuere-ahk-data.pdf). Von der Einhaltung solcher Verpflichtungen des Melde- und Ausländerrechts ist grundsätzlich auszugehen (vgl. zum Melderecht BVerwG, U.v. 30.5.2013 – 3 C 18.12 – BVerwGE 146, 377 Rn. 28).
Ein gewichtiger Hinweis aus dem Ausstellungsstaat für die Nichterfüllung der Wohnsitzvoraussetzungen ergibt sich somit bereits daraus, dass der Aufenthalt des Antragstellers in Polen nach der vorgelegten Bescheinigung am 30. April 2018 registriert wurde und dieser damit allenfalls kurze Zeit vor der Ausstellung des Führerscheins am 27. Juni 2018 dort Wohnung genommen hat, was der Antragsgegner der Sache nach durch den Hinweis auf die Nichterfüllung des 185-Tage-Kriteriums ins Feld geführt hat. Zwar setzt die Begründung eines ordentlichen Wohnsitzes nicht zwangsläufig voraus, dass die 185-Tage-Frist bereits verstrichen ist. Lässt sich eine Person an einem Ort, an dem sie über persönliche (sowie ggf. zusätzlich über berufliche) Bindungen verfügt, in einer Weise nieder, die es als gesichert erscheinen lässt, dass sie dort während des Kalenderjahres an 185 Tagen wohnen wird, spricht viel für die Begründung eines ordentlichen Wohnsitzes ab dem Beginn des Aufenthalts. Dies kommt beispielsweise dann in Betracht, wenn der Betreffende über keine weitere Wohnung verfügt oder wenn die Art und die Einrichtung dieser Wohnung bzw. die Art und Intensität der bestehenden persönlichen oder beruflichen Bindung eine Beendigung des Aufenthalts bereits vor dem Ablauf eines halben Jahres als praktisch ausgeschlossen erscheinen lassen (vgl. BayVGH, B.v. 22.5.2017 – 11 CE 17.718 – juris Rn. 17 m.w.N.; offen BVerwG, U.v. 30.5.2013 – 3 C 18.12 – BVerwGE 146, 377 Rn. 23). Ansonsten bildet jedoch der Umstand, dass der Betreffende erst kurz vor der Ausstellung des Führerscheins unter der angegebenen Adresse Wohnung im Ausstellungsmitgliedstaat genommen hat, ein sehr gewichtiges Indiz dafür, dass er sich nur zum Zweck des Erwerbs einer Fahrerlaubnis dort angemeldet bzw. aufgehalten hat, ohne einen ordentlichen Wohnsitz zu begründen (BayVGH, B.v. 22.5.2017 a.a.O.; BVerwG, U.v. 24.10.2019 – 3 B 26.19 – NJW 2020, 1600 = juris Rn. 27). So liegt es auch im Fall des Antragstellers, der seinen gemeldeten Wohnsitz in Deutschland beibehalten hat. Es sind keine Umstände ersichtlich, die die Begründung eines Wohnsitzes in Polen bereits im Zeitpunkt der Erteilung der Fahrerlaubnis als gesichert erscheinen ließen.
Darüber hinaus ist in der vorgelegten Bescheinigung über die Registrierung des Aufenthalts keine registrierte Adresse vermerkt. Der Antragsteller hat somit seinerzeit bei der Woiwodschaft offenbar allein seinen Aufenthalt in Polen registrieren lassen, aber keinen festen oder vorübergehenden Wohnsitz genannt (vgl. dazu auch das Antragsformular „Application for registering the residence“ auf der Webseite des URZAD DO SPRAW CUDZOZIEMCÓW, zu Buchst. D, sowie die o.g. Broschüre der Deutsch-Polnischen Handelskammer). Auch daraus ergeben sich gewichtige Zweifel, ob er überhaupt dauerhaft Wohnung in Polen genommen und einen ordentlichen Wohnsitz dort begründet hat.
Ein weiterer Hinweis auf einen Wohnsitzverstoß ergibt sich aus den vom Kraftfahrt-Bundesamt übermittelten, im Beschwerdeverfahren vorgelegten Unterlagen der polnischen Behörden. Zwar beweist die Erklärung einer Behörde des Ausstellungsmitgliedstaats, die Wohnsitzvoraussetzungen nicht geprüft zu haben, für sich betrachtet nicht unbedingt, dass der Inhaber seinen Wohnsitz nicht gleichwohl im Ausstellungsmitgliedstaat hatte (EuGH, B.v. 9.7.2009 – C-445/08, Wierer – NJW 2010, 217 Rn. 55). Auch lässt die Beantwortung von (einzelnen) Fragen zu den näheren persönlichen Umständen des Führerscheininhabers im Zeitpunkt der Fahrerlaubniserteilung durch die Behörden des Ausstellungsmitgliedstaats mit „unknown“ nicht zwangsläufig auf einen Verstoß gegen das Wohnsitzerfordernis schließen (vgl. BayVGH, B.v. 22.5.2017 – 11 CE 17.718 – juris Rn. 18; vgl. dazu auch BVerwG, U.v. 24.10.2019 – 3 B 26.19 – NJW 2020, 1600 = juris Rn. 26). Sie kann aber durchaus darauf hinweisen (vgl. BayVGH, B.v. 23.11.2020 – 11 CS 20.2065 – juris Rn. 19 m.w.N.). Insoweit ist zu berücksichtigen, dass die seit der Erteilung des Führerscheins verstrichene Zeit Nachforschung beträchtlich erschweren kann (vgl. EuGH, U.v. 10.7.2003 – C-246/00 – juris Rn. 74) und bei einzelnen Gegebenheiten zweifelhaft sein kann, inwieweit diese abgefragt und niedergelegt wurden (vgl. zu diesem Gesichtspunkt auch OVG NW, B.v. 9.1.2018 – 16 B 534/17 – juris Rn. 22). Hier lässt sich der Antwort der polnischen Behörden unter den gegebenen Umständen gleichwohl ein hinreichender Hinweis auf einen Scheinwohnsitz entnehmen. In der Formularantwort findet sich in der Rubrik „place of normal residence according to our information“ keine Eintragung und sind die Fragen nach dem gewöhnlichen Aufenthalt des Antragstellers für mindestens 185 Kalendertage im Jahr sowie zur Existenz einer Unterkunft mit „unknown“ beantwortet worden. Diese Auskunft, die sich der Natur der Sache nach auf den Zeitpunkt der Führerscheinausstellung bezieht (vgl. BayVGH, U.v. 1.4.2019 – 11 B 18.2100 – juris Rn. 28), kann nur so verstanden werden, dass in Polen kein Wohnsitz registriert worden ist und die polnischen Behörden selbst Zweifel haben, ob der Antragsteller unter der im Führerschein genannten Anschrift, die in der Auskunft wiedergegeben ist, einen Wohnsitz begründet hat. Denn ohne besonderen Anhalt kann nicht unterstellt werden, dass die Behörde eines EU-Mitgliedstaats die Fragen in einem auf europäischer Ebene abgestimmten Formular ohne Ermittlungen mit „unknown“ beantwortet und damit der Sache nach keine Auskünfte erteilt (BayVGH, B.v. 23.11.2020 – 11 CS 20.2065 – juris Rn. 19; U.v. 10.7.2020 – 11 ZB 20.88 – juris Rn. 22; B.v. 7.7.2020 – 11 ZB 19.2112 – juris Rn. 18; B.v. 4.3.2019 – 11 B 18.34 – juris Rn. 24), zumal die Republik Polen ein entsprechendes Register führt und nicht nachvollziehbar ist, warum der Wohnsitz dort nach so kurzer Zeit nicht mehr abrufbar sein sollte.
cc) Als gewichtiger inländischer Umstand für einen Scheinwohnsitz des Antragstellers in Polen, der somit ergänzend zur endgültigen Beurteilung heranzuziehen ist, spricht die Tatsache, dass er dauerhaft, also auch im Zeitpunkt der Erteilung der Fahrerlaubnis, mit Hauptwohnsitz in Deutschland gemeldet war. Des Weiteren hat er, wie der Antragsgegner zutreffend bemerkt hat, am 5. Mai 2018 unter seiner deutschen Meldeadresse mit dem Landratsamt korrespondiert. Dieses Datum fällt genau in die Zeit, in der der Antragsteller vorgibt, sich in Polen aufgehalten zu haben. Schließlich sticht ins Auge, dass die vorgelegten Mietverträge den Hinweis enthalten, der Vermieterin sei bewusst, dass ihre Anschrift in dem Führerschein des Mieters eingetragen werde, was gleichfalls für die Begründung eines Schweinwohnsitzes zum alleinigen Zweck der Erlangung der Fahrerlaubnis spricht.
dd) Aufgrund dieser gravierenden Zweifel an der Erfüllung der Wohnsitzvoraussetzung bei Erteilung der polnischen Fahrerlaubnis hätte es dem Antragsteller oblegen, substantiierte und verifizierbare Angaben zu Beginn und Ende seines Aufenthalts in Polen sowie zu den persönlichen und beruflichen Bindungen zu machen, die im maßgeblichen Zeitpunkt zu dem im Führerschein angegebenen Wohnort bestanden (vgl. BVerwG, B.v. 24.10.2019 – 3 B 26.19 – NJW 2020, 1600 = juris Rn. 28; U.v. 30.5.2013 – 3 C 18.12 – BVerwGE 146, 377 Rn. 30; BayVGH, B.v. 22.5.2017 – 11 CE 17.718 – juris Rn. 20). Daran fehlt es hier jedoch bislang. Die Erklärung im Beschwerdeverfahren, er habe aufgrund privater Probleme und Enttäuschungen eine räumliche Veränderung beschlossen und Polen als Wohnort gewählt, da er dort bereits Bekannte und weitschichtige Verwandte gehabt habe, bleibt vage und nicht nachprüfbar. Sie genügt insoweit nicht.
ee) Schließlich ist der Senat weder prozessual noch materiell-rechtlich daran gehindert, seine Entscheidung auf den Wohnsitzverstoß zu stützen und dabei auch die im Beschwerdeverfahren vorgelegte Auskunft der polnischen Behörden zu berücksichtigen. Prozessual können Auskünfte aus dem Ausstellungsstaat auch dann berücksichtigt werden, wenn sie erst im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens eingeholt worden sind (vgl. BVerwG, B.v. 24.10.2019 a.a.O. Rn. 24 m.w.N.). Nichts anderes kann gelten, wenn derartige Informationen im Verwaltungsverfahren angefragt wurden und erst im Laufe des gerichtlichen Verfahrens vorgelegt werden (zur Berücksichtigung neuer Beweismittel in der Beschwerdeinstanz vgl. auch § 173 VwGO, § 571 Abs. 2 ZPO; Happ in Eyermann, VwGO, § 146 Rn. 31). Materiellrechtlich genügt es nach Wortlaut und Systematik von § 28 Abs. 4 Satz 1 FeV, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen einer der dort aufgeführten Fallgruppen erfüllt sind, um die angeordnete Rechtsfolge – die Nichtgeltung der Fahrerlaubnis in Deutschland – ipso jure herbeizuführen (BVerwG, U.v. 25.8.2011 – 3 C 25.10 – BVerwGE 140, 256 Rn. 15; B.v. 16.1.2020 – 3 B 51.18 – NJW 2020, 1603 = juris Rn. 26). Bei der Feststellung der Nichtberechtigung gemäß § 28 Abs. 4 Satz 2 FeV handelt es sich um einen deklaratorischen Verwaltungsakt, bei dem die Ermessensausübung intendiert ist und der deshalb keiner weiteren Begründung bedarf bzw. bei dem die Begründung ausgewechselt werden kann (vgl. Neu in Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, Stand: 23.11.2020, § 28 FeV Rn. 95, 98; BayVGH, B.v. 4.3.2019 – 11 B 18.34 – juris Rn. 26 m.w.N.; OVG NW, U.v. 17.1.2014 – 16 A 1292/10 – ZfSch 2015, 55 = juris Rn. 16).
ff) Damit erscheint auch die auf § 47 Abs. 2 Satz 1 FeV gestützte Verpflichtung zur Vorlage des polnischen Führerscheins zum Zweck der Eintragung eines Sperrvermerks rechtmäßig, so dass die Klage voraussichtlich bereits aufgrund eines Wohnsitzverstoßes erfolglos bleiben wird.
4. Es kann damit offen bleiben, ob die polnische Fahrerlaubnis darüber hinaus auch deswegen nicht anerkannt werden muss, weil dem Antragsteller die Fahrerlaubnis im Inland entzogen worden ist (§ 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 FeV). Wie der Antragsgegner und das Verwaltungsgericht ausgeführt haben, könnte eine noch nicht bestandskräftige Entziehung der Fahrerlaubnis durch die Fahrerlaubnisbehörde als „Aussetzung“ des Führerscheins i.S.d. Art. 11 Abs. 4 Unterabs. 2 der RL 2006/126/EG sowie der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union in den Rechtssachen Weber (U.v. 20.11.2008 – C-1/07 – NJW 2008, 3767) und Apelt (U.v. 13.10.2011 – C-224/10 – NJW 2012, 369) anzusehen sein mit der Folge, dass Unionsrecht der Anwendung des § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 FeV unter den hier gegebenen Umständen nicht entgegenstand (vgl. dazu auch BVerwG, B.v. 16.1.2020 – 3 B 51.18 – NJW 2020, 1603 = juris Rn. 8). Nach Art. 7 Abs. 5 Unterabs. 1 Buchst. a der RL 2006/126/EG kann jede Person nur Inhaber eines einzigen Führerscheins sein. Unbeschadet der Pflicht zur gegenseitigen Anerkennung von Führerscheinen haben die Mitgliedstaaten bei der Erteilung einer Fahrerlaubnis sorgfältig darauf zu achten, dass die Person nicht bereits einen Führerschein besitzt (Art. 7 Abs. 5 Unterabs. 2 Satz 1 der RL 2006/126/EG). Hiergegen könnten die polnischen Behörden bei der Erteilung der Fahrerlaubnis vor Eintritt der Bestandskraft des Entziehungsbescheids vom 28. Mai 2018 verstoßen haben, weshalb die polnische Fahrerlaubnis in Deutschland möglicherweise nicht anzuerkennen ist. Nach dem Vorstehenden kam es darauf aber nicht mehr an.
5. Davon ausgehend bleibt die Klage des Antragstellers voraussichtlich ohne Erfolg und überwiegt das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Feststellung der Inlandsungültigkeit der polnischen Fahrerlaubnis sowie der Pflicht zur Vorlage des Führerscheins zum Zweck des Anbringens eines Sperrvermerks das Interesse des Antragstellers an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage.
Die fehlende Berechtigung, von einer EU- oder EWR-Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen, folgt in den Fällen des § 28 Abs. 4 Satz 1 FeV zwar, wie das Verwaltungsgericht ausgeführt hat, unmittelbar aus dem Gesetz (vgl. BVerwG, B.v. 16.1.2020 – 3 B 51.18 – juris Rn. 26), so dass sich der Bescheid nach § 28 Abs. 4 Satz 2 FeV als deklaratorischer Verwaltungsakt darstellt. Durch den Feststellungsbescheid werden jedoch Zweifel über das Bestehen oder Nichtbestehen der Berechtigung beseitigt, was insbesondere hinsichtlich der Strafbarkeit nach § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG (Fahren ohne Fahrerlaubnis) von Bedeutung ist (vgl. Empfehlungen des Verkehrsausschusses zur Dritten Verordnung zur Änderung der Fahrerlaubnis-Verordnung, BR-Drs. 851/1/08, S. 3; Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Auflage 2019, § 28 FeV Rn. 56). So wird in der strafgerichtlichen Rechtsprechung zumindest für bestimmte Fallgestaltungen der Erlass eines feststellenden Verwaltungsakts nach § 28 Abs. 4 Satz 2 FeV für notwendig erachtet, um eine Tatbestandswirkung für § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG zu begründen (vgl. BayVGH, B.v. 9.3.2017 – 11 CS 17.315 – NJW 2017, 2057 = juris Rn. 14 unter Verweis auf AG Bünde, B.v. 1.2.2016 – 1 Ds 545/15 – juris Rn. 92). Weiterhin wird die Feststellung der Inlandsungültigkeit im Fahreignungsregister gespeichert (vgl. § 28 Abs. 3 Nr. 6 Buchst. b StVG und § 59 Abs. 1 Nr. 9 Alt. 2 FeV).
Vor diesem Hintergrund dient der Sofortvollzug der Feststellung der Inlandsungültigkeit insbesondere dazu, Zweifel hinsichtlich der Strafbarkeit nach § 21 StGB unmittelbar ab Bekanntgabe des Verwaltungsakts auszuschließen (vgl. BayVGH a.a.O. Rn. 18; Dauer a.a.O. Rn. 56; Neu in Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, § 28 FeV Rn. 99). Der Sofortvollzug der Feststellung ist ferner unabdingbare Voraussetzung für die Durchsetzung der zugleich verfügten und für sofort vollziehbar erklärten Vorlagepflicht gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 FeV vor Bestandskraft des feststellenden Verwaltungsakts. Schließlich kann die fehlende Fahrberechtigung auch nur dann vor Unanfechtbarkeit des feststellenden Verwaltungsakts nach § 28 Abs. 3 Nr. 6 StVG ins Fahreignungsregister eingetragen werden, wenn diesbezüglich der Sofortvollzug angeordnet ist (vgl. BayVGH a.a.O. Rn. 17 f.).
Somit besteht ein praktisches Bedürfnis am Sofortvollzug der Feststellung der Inlandsungültigkeit der polnischen Fahrerlaubnis und liegen dieser ebenso wie der Sofortvollzug der Pflicht zur Vorlage des Führerscheins im überwiegenden öffentlichen Interesse. Denn nach dem Vorstehenden ist davon auszugehen, dass der Antragsteller über keine Fahrerlaubnis verfügt und seine Fahreignung sowie -befähigung nicht nachgewiesen hat (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 StVG), so dass die Feststellung und Dokumentation der Inlandsungültigkeit zum Schutz von Leben und Gesundheit der anderen Verkehrsteilnehmer zwingend und verhältnismäßig ist. Im Hinblick auf den hohen Rang dieser Rechtsgüter haben das Mobilitätsbedürfnis des Antragstellers und die Bedeutung der Fahrerlaubnis für seine Lebensführung dahinter zurückzustehen (stRspr des Senats zur Entziehung der Fahrerlaubnis, vgl. BayVGH, B.v. 4.7.2019 – 11 CS 19.1041 – juris Rn. 16). Keiner Erörterung bedarf damit, ob, wie der Antragsgegner meint, darüber hinaus und ausgehend von der Inlandsungültigkeit der polnischen Fahrerlaubnis mit Blick auf die nach Nichtvorlage des angeforderten Fahreignungsgutachtens auf der Grundlage des § 11 Abs. 8 FeV ausgesprochene Entziehung der Fahrerlaubnis mit Bescheid vom 28. Mai 2018 auch von mangelnder Fahreignung infolge Alkoholmissbrauchs auszugehen ist, solange der Antragsteller nicht nach § 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d bzw. Buchst. e FeV ein positives medizinisch-psychologisches Gutachten beigebracht hat (vgl. dazu Dauer a.a.O. § 13 FeV Rn. 26 und § 2 StVG Rn. 50; in diese Richtung BVerwG, U.v. 21.3.2013 – 3 C 6.12 – NVwZ 2013, 1550 = juris Rn. 22).
6. Damit war der Beschwerde mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. den Empfehlungen in Nr. 1.5 Satz 1 und Nr. 46.3 des Streitwertkatalogs der Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.
7. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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