Europarecht

Fluggastrecht, Berufung, Rechtsverfolgungskosten, Erstattung, Provision, Anspruch, Annullierung, Berufungsverfahren, Luftfahrtunternehmen, Zahlung, Vermittler, Zinsen, Fluggast, Reisevermittler, Klageschrift, vorgerichtliche Rechtsverfolgungskosten, nicht ausreichend

Aktenzeichen  20 U 8835/21 e

Datum:
20.7.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 17623
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

14 O 2303/21 2021-12-03 Urt LGLANDSHUT LG Landshut

Tenor

I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Landshut vom 03.12.2021, Az. 14 O 2303/21, wie folgt abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
II. Von den Kosten der ersten Instanz haben die Kläger gesamtschuldnerisch 12%, die Beklagte 88% zu tragen. Die Kosten der Berufungsinstanz haben die Kläger gesamtschuldnerisch zu tragen.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 639,88 € festgesetzt.

Gründe

I.
Die Kläger begehren vollständige Rückerstattung von Flugscheinkosten.
Am 03.09.2019 buchten die Kläger Flüge von München über Muscat nach Dubai und zurück (Hinflug: 02.04.2020, Rückflug: 16.04.2020). Die Buchung erfolgte über den Reisevermittler E. GmbH. Ausweislich der Buchungsbestätigung wurden für jeden Flug 1.458,09 € sowie eine „Service-Gebühr“ in Höhe von 76,- € berechnet, der Gesamtpreis der Buchung in Höhe von 5.832,36 € wurde von den Klägern an die E. GmbH bezahlt. Ausführendes Luftfahrtunternehmen für die gebuchten Flüge war die Beklagte. Diese hatte die streitgegenständlichen Flüge auf einer für die E. GmbH verfügbaren Plattform für 5.116,48 € (4 x 1.279,12 €) angeboten. Der über diesen Preis hinausgehende, von den Klägern bezahlte Betrag setzt sich zusammen aus der erwähnten Servicegebühr in Höhe von 76,- € sowie der Vermittlungsgebühr der E. GmbH in Höhe von insgesamt 639,88 €. Die E. GmbH erhält von der Beklagten keine Provision.
Die Flüge wurden im März 2020 annulliert. Mit E-Mail vom 02.04.2020 wurde die Beklagte von der E. GmbH zur Rückerstattung der Ticketkosten aufgefordert (Anlage K2). Ein Ausgleich erfolgte zunächst nicht.
Die Kläger forderten mit Klageschrift vom 07.05.2021, die Beklagte zu verurteilen, an die Kläger jeweils 1.458,09 €, insgesamt 5.832,36 €, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.04.2020 sowie vorgerichtliche Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 627,13 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.01.2021 zu zahlen.
Am 17.06.2021 zahlte die Beklagte an die Kläger 5.116,48 € sowie die verlangten vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten. Mit Schriftsatz vom 29.09.2021 erklärten die Kläger den Rechtsstreit insoweit teilweise für erledigt. Die Beklagte schloss sich der Eledigterklärung mit Schriftsatz vom 05.10.2021 an und erklärte insoweit Kostenübernahme.
Ergänzend wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen, § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO.
Das Landgericht hat nach Teilerledigung der noch verbliebenen Klageforderung unter Abweisung der Zahlung der ebenfalls geforderten Servicegebühren stattgegeben und die Beklagte verurteilt, an die Kläger zu 1) bis zu 4) jeweils 159,97 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über den Basiszinssatz seit 10.04.2020 zu zahlen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Kläger hätten gemäß Art. 5 Abs. 1 lit. a), Art. 8 Abs. 1 lit. a) der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.02.2004 (im Folgenden: Fluggastrechte-VO) einen Anspruch auf vollständige Rückerstattung der Flugscheinkosten, worunter auch die Vermittlungsgebühren der E. GmbH in Höhe von insgesamt 639,88 € fielen. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs sei Art. 8 Abs. 1 lit. a) Fluggastrechte-VO dahin auszulegen, dass der Preis des Flugscheins, der zur Ermittlung des einem Fluggast vom Luftfahrtunternehmen im Fall der Annullierung eines Fluges geschuldeten Erstattungsbetrages heranzuziehen ist, die Differenz zwischen den vom Fluggast gezahlten und dem vom Luftfahrtunternehmen erhaltenen Betrag in Höhe der Provision eines als Vermittler zwischen ihnen tätig gewordenen Unternehmens einschließt, es sei denn, die Provision wurde ohne Wissen des Luftfahrtunternehmens festgelegt (EuGH, Urteil vom 12.09.2018, S. C-601/17). Das Landgericht war nach der durchgeführten Beweisaufnahme zu der Überzeugung gelangt, dass die Beklagte den ihr obliegenden Beweis, dass die Provision ohne ihr Wissen festgelegt wurde, nicht geführt habe. Der Zeuge M., Country-Manager bei der Beklagten, habe geschildert, dass die Beklagte ihre Flugtickets in globalen Reservierungssystemen zu einem bestimmten Preis anbiete, auf den nur Reisebüros oder Reisevermittler Zugriff hätten. Der Beklagten sei bekannt, dass manche der Reisevermittler eine Vermittlungsgebühr verlangten, andere hingegen nicht und dass die Tickets von den Reisevermittlern zu einem vom Reisevermittler selbst festgelegten Preis an die Endkunden und Fluggäste veräußert würden. Auch wenn die Beklagte selbst keinen Einfluss darauf habe, ob und in welcher Höhe der von den Klägern gewählte Reisevermittler eine Provision erhebe, gebe die Beklagte ihre Tickets wissentlich und willentlich zum Verkauf durch Reisevermittler aus einem globalen Reservierungssystem frei. Dies geschehe in dem Wissen, dass die Reisevermittler die Tickets zu von ihnen selbst festgelegten Preisen an die Endkunden verkauften. Da sie selbst keine Provision an die Reisevermittler zahlte, müsse die Beklagte damit rechnen, dass die Reisevermittler die Provision vom Endkunden verlangen. Eine anderweitige Finanzierung ihrer eigenen Geschäfte sei nicht ersichtlich. Das Wissen um die konkrete Höhe der von den Reisevermittlern erhobenen Vermittlungsgebühr sei nach Ansicht des Gerichts nicht erforderlich, weshalb vom ausführenden Flugunternehmen der vom Endkunden vollständig gezahlte Ticketpreis zu erstatten sei.
Auf die weiteren Gründe des angefochtenen Urteils wird Bezug genommen.
Hiergegen wendet sich die Beklagte mit der Berufung. Sie ist der Auffassung, das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 12.09.2018 könne nur dahingehend verstanden werden, dass es auf die Kenntnis des Luftfahrtunternehmens von dem im konkreten Einzelfall, also hinsichtlich des konkreten Buchungsvorgangs von der Reiseagentur gegenüber dem Kunden erhobenen zusätzlichen Entgelts ankomme. Eine allgemeine Kenntnis etwaig erhobener Vermittlungsgebühren sei hingegen nicht ausreichend.
Im Berufungsverfahren beantragt die Beklagte:
Unter Abänderung des am 03.12.2021 verkündeten Urteil des Landgerichts Landshut mit dem Az.: 14 O 2303/21 wird die Klage abgewiesen.
Die Kläger beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigen das erstinstanzliche Urteil. Das Landgericht habe zu Recht einen Anspruch der Kläger auf Erstattung des vollständig gezahlten Flugpreises durch die Beklagte angenommen.
Auf den Vortrag der Klageparteien in der Berufungserwiderung vom 14.04.2022 wird Bezug genommen.
Der Senat hat am 06.07.2022 mündlich verhandelt. Er hat Beweis erhoben durch Einvernahme des Zeugen T. Auf das Sitzungsprotokoll wird Bezug genommen.
II.
Die zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache Erfolg. Ein Anspruch der Kläger gegen die Beklagten auf Zahlung weiterer 639,88 € (4 x 159,97 €) aus Art. 5 Abs. 1 lit. a), 8 Abs. 1 lit. a) der Fluggastrechte-VO besteht nicht.
Art. 8 Abs. 1 lit a Fluggastrechte-VO ist nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs dahingehend auszulegen, dass der Preis des Flugscheins, der zur Ermittlung des einem Fluggast vom Luftfahrtunternehmen im Fall der Annulierung eines Fluges geschuldeten Erstattungsbetrages heranzuziehen ist, die Differenz zwischen dem vom Fluggast gezahlten und dem vom Luftfahrtunternehmen erhaltenen Betrag in Höhe eines als Vermittler zwischen ihnen tätig gewordenen Unternehmens einschließt, es sei denn, die Provision wurde ohne Wissen des Luftfahrtunternehmens festgelegt (EuGH, Urteil vom 12.09.2018, Rs. C-601/17). Dieser Leitsatz ist Ergebnis einer durch den Europäischen Gerichtshof in den Urteilsgründen vorgenommenen Interessenabwägung zwischen den durch die Fluggastrechte-VO beiderseits geschützten Interessen der Fluggäste einerseits und der Luftfahrtunternehmen andererseits, die zu einem gerechten Ausgleich gebracht werden sollen. Der Europäische Gerichtshof geht dabei zwar von einem hohen Schutzniveau für den Reisenden aus, weshalb er grundsätzlich auch die an den Vermittler gezahlte Provision in den vollständigen Erstattungsbetrag der Flugscheinkosten einbezieht (Rz. 15 ff. des Urteils). Aus der Definition des Begriffs „Flugschein“ in Art. 2 lit. f Fluggastrechte-VO ergebe sich aber, dass die verschiedenen Bestandteile des Flugscheins, darunter der Preis, von dem Luftfahrtunternehmen genehmigt werden müssten und nicht ohne sein Wissen festgelegt werden dürften. Ein ohne Wissen des Luftfahrtunternehmens festgelegter Bestandteil des Preises des Flugscheins könne dabei nicht als für die Inanspruchnahme der von ihm angebotenen Leistung erforderlich angesehen werden, weshalb eine Erstattung der Provision in diesem Fall nicht zu erfolgen hat (Rz. 17 ff. des Urteils).
Aus der vom Europäischen Gerichtshof vorgenommenen Abwägung ergibt sich, dass es für die Frage der Rückerstattung der Flugscheinkosten gem. Art. 5 Abs. 1 lit. a, Art. 8 Abs. 1 lit. A Fluggastrechte-VO auf das konkrete Wissen des Luftfahrtunternehmens bei der Preisbildung des verkauften Flugscheins ankommt. Nicht ausreichend ist hingegen – wie vom Landgericht angenommen – die vom Luftfahrtunternehmen in Kauf genommene abstrakte Möglichkeit bzw. Wahrscheinlichkeit einer vom Reisevermittler erhobenen Gebühr in einer dem Luftfahrtunternehmen unbekannten Höhe. Dies ist auch interessensgerecht. Nur soweit das Luftfahrtunternehmen Kenntnis davon hat, dass sich eine von ihm gezahlte Provision bzw. eine mit seinem Wissen vom Reisevermittler vereinnahmte Vermittlungsgebühr im Flugscheinpreis widerspiegelt, ist es sachgerecht, dass diese Beträge als Teil des Flugscheinpreises bei einer Annullierung des Fluges vom Luftfahrtunternehmen zu erstatten sind. Ist dies nicht der Fall, ist es sachgerecht, Vermittlungsgebühren nicht dem Flugscheinpreis zuzuordnen. Denn es ist der Fluggast, der den Vermittler bei der Flugscheinbuchung in Anspruch genommen hat, so dass die Erhebung von Vermittlungsgebühren grundsätzlich diesem Vertragsverhältnis zuzuordnen ist. Es kommt danach auch nicht darauf an, ob die Beklagte durch das Angebot ihrer Tickets in einem globalen Reservierungssystem eine Überprüfung der Preisbildung „freiwillig aus der Hand gegeben“ hat oder ob andere Möglichkeiten der Vertragsgestaltungen zum Vermittler, etwa durch eine konkrete Provisionsvereinbarung oder -deckelung für das Flugunternehmen bestünden.
Nach der durchgeführten Beweisaufnahme steht für den Senat fest, dass die Beklagte vorliegend keine konkrete Kenntnis von der hier durch die E. GmbH in Höhe von 639,88 € erhobenen Vermittlungsgebühr für die an die Kläger verkauften Flugtickets hatte. Der Zeuge T., Geschäftsführer der E. GmbH, hat nachvollziehbar erläutert, dass das ausführende Luftfahrtunternehmen grundsätzlich nicht erfährt, welche Aufschläge durch den Reisevermittler gemacht werden. Auch sehe das Buchungssystem keine Möglichkeit einer Mitteilung vor. Ein Anspruch der Kläger auf Erstattung derselben gem. Art. 5 Abs. 1 lit. a, Art. 8 Abs. 1 lit. a besteht daher, wie ausgeführt, nicht. Das Urteil des Landgerichts war auf die Berufung der Beklagten aufzuheben und die Klage abzuweisen.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 a Abs. 1, 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Die Kostenentscheidung der ersten Instanz war zu ändern und mit der nunmehr festgesetzten Quote festzulegen, da ein Fall der verhältnismäßig geringfügigen Zuvielforderung (§ 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) bei gesamter Klageabweisung nicht mehr anzunehmen war.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 ZPO nicht erfüllt sind. Die maßgebliche Frage, ob Provisionen nach der Fluggastrechteverordnung im Falle der Nichtbeförderung und bei Annullierung eines Fluges durch das ausführende Luftfahrtunternehmen zu erstatten sind, ist durch den Europäischen Gerichtshof geklärt. Es ist Sache der Instanzgerichte, diese Entscheidung auf den konkreten Sachverhalt zu übertragen.
Der Streitwert wurde gemäß §§ 47, 48 Abs. 1 GKG, 3 ZPO festgesetzt.


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