Europarecht

Geltendmachung von Rechtsbehelfen bei der Abnahme von Fingerabdrücken

Aktenzeichen  RN 9 E 19.1515

Datum:
22.8.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 20866
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 78
AufenthV § 61a
VwGO § 44a S. 1, § 123

 

Leitsatz

Die Abnahme biometrischer Daten für die Erteilung eines Aufenthaltstitels ist eine behördliche Verfahrenshandlung gemäß § 44a Satz 1 VwGO mit der Folge, dass Rechtsbehelfe hiergegen nur gleichzeitig mit den gegen die Sachentscheidung (Aufenthaltstitel) zulässigen Rechtsbehelfen geltend gemacht werden können.

Tenor

I. Der Eilantrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung, den Antragsgegner zu verpflichten, ihr bis zum 23. August 2019 ihre biometrischen Daten (Fingerabdruck und Unterschrift) abzunehmen.
Die Antragstellerin, singapurische Staatsangehörige, reiste am 14. August 2019 mit einem bis zum 10. November 2019 gültigen nationalen Visum (Kategorie D) in das Bundesgebiet ein und beantragte am 19. August 2019 beim Antragsgegner eine Aufenthaltserlaubnis zum Zweck der Familienzusammenführung. Die Antragstellerin ist seit 18. August 2007 mit dem deutschen Staatsangehörigen W* … S. verheiratet.
Mit am 20. August 2019 bei Gericht eingegangenem Schreiben stellte die Antragstellerin vorliegenden Eilantrag. Von der zuständigen Sachbearbeiterin des Antragsgegners sei die zeitnahe erforderliche Aufnahme der biometrischen Daten ausdrücklich abgelehnt worden. Diese Aufnahme sei erst im weiteren Verlauf des Verfahrens im Herbst 2019 möglich. Ein nahes Familienmitglied der Antragstellerin in Singapur weise unerwartet einen sehr kritischen Gesundheitszustand auf. Ein möglicher Sterbefall würde sie vor die Entscheidung stellen, hier trauernd auf die Abnahme der Fingerabdrücke und der Unterschrift zu warten oder in Singapur die letzten Stunden mit dem Familienmitglied zu verbringen und der Beerdigung beizuwohnen. Durch die Ausreise ohne Abnahme der Fingerabdrücke und der Unterschrift sei das Recht auf Erteilung der Aufenthaltsbefugnis verwirkt, so die mündliche Auskunft des Antragsgegners.
Die Antragstellerin beantragt (sinngemäß), den Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, bis zum 23. August 2019 biometrische Daten der Antragstellerin für eine Aufenthaltserlaubnis aufzunehmen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Die Antragstellerin habe von der deutschen Botschaft ein nationales Visum zur Familienzusammenführung zum deutschen Ehemann für mehrfache Einreisen erhalten. Am 20. August 2019 erfolgte eine Vorsprache des Ehemannes der Antragstellerin zusammen mit dem Sohn. Eine Aussage, dass das Aufenthaltsrecht verwirkt wäre, sei nicht getroffen worden. Der abgegebene Antrag löse Fiktionswirkung aus. Bei der Vorsprache habe der Ehemann gegenüber dem Antragsgegner erwähnt, dass eine längere Reise geplant sei. Eine unerwartete Krankheit sei nicht angesprochen worden. Der mitanwesende Sohn habe auch vorgeschlagen, dass die Aufenthaltserlaubnis bestellt werden solle und dann notfalls nicht ausgehändigt werde. Der Ehemann habe zudem angegeben, wenn die Fingerabdrücke nicht sofort abgenommen werden würden, könnten sie eventuell erst in sechs bis sieben Monaten abgegeben werden. Daraufhin wurde von Seiten des Antragsgegners angemerkt, dass es dann ein Problem mit der Aufenthaltserlaubnis gebe. Für eine Aufenthaltserlaubnis müsste der überwiegende Aufenthalt im Bundesgebiet sein, bei einer Ausreise von mehr als sechs Monaten erlösche eine erteilte Aufenthaltserlaubnis automatisch. Sodann sei mit der Sachbearbeiterin des Antragsgegners ein Termin für den 9. September 2019 vereinbart worden, vorher sei bei der zuständigen Sachbearbeiterin keiner frei gewesen. Eine Express Lieferung gebe es nicht. Die Antragstellerin sei an der Ausreise nicht gehindert, unabhängig davon, ob die Fingerabdrücke noch vor der Ausreise abgegeben werden, oder nicht. Eine Wiedereinreise, auch nach Ablauf des nationalen Visums sei jederzeit möglich. Einerseits könne sie als singapurische Staatsangehörige auch nach Ablauf des nationalen Visums visumsfrei einreisen, zusätzlich löse der am 19. August 2019 abgegebene Antrag Schutzwirkung aus. Das Landratsamt P* … habe das Verwaltungsverfahren zu Erteilung von Aufenthaltstiteln grundsätzlich für alle Antragsteller so gestaltet, dass die Fingerabdrücke erst direkt vor der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis abgenommen werden. Wie das Landratsamt P* … das Verwaltungsverfahren und die Modalitäten der Antragstellung gestalte, stehe in dessen Ermessen.
Der Rechtsstreit wurde mit Beschluss vom 21. August 2019 auf die Berichterstatterin als Einzelrichterin übertragen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der vorgelegten Behörden- und Gerichtsakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf einstweilige Anordnung bleibt ohne Erfolg.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts der Antragsteller vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Ferner ist eine einstweilige Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Hierbei sind gemäß § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 Zivilprozessordnung (ZPO) das Bestehen eines zu sichernden Rechts (Anordnungsanspruch) und die besondere Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund) glaubhaft zu machen.
1. Der vorliegende Eilantrag ist bereits unzulässig, da die Abnahme der biometrischen Daten eine behördliche Verfahrenshandlung i.S.d. § 44a Satz 1 VwGO darstellt. Ungeachtet dessen, ob die Regelung des § 44a VwGO als eigenständige Zulässigkeitsvoraussetzung oder im Rahmen der Antragsbefugnis (so Kopp/Schenke, VwGO, 24. Aufl. 2018, § 44a Rn. 1) zu behandeln ist oder das Rechtsschutzbedürfnis entfallen lässt (so Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 44a Rn. 1f.) ist ein Rechtsbehelf gerichtet auf Erteilung einer unselbstständigen, nicht selbstständig vollstreckbaren Verfahrenshandlung unzulässig (Kopp/Schenke, a.a.O. Rn. 5). Gemäß § 44a Satz 1 VwGO können Rechtsbehelfe gegen behördliche Verfahrenshandlungen nur gleichzeitig mit dem gegen die Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelf geltend gemacht werden. Eine Verfahrenshandlung ist jede behördliche Maßnahme, die Teil eines konkreten Verwaltungsverfahrens ist, ohne selbst dessen Sachentscheidung zu sein; sie hat vielmehr einen die Sachentscheidung lediglich vorbereitenden Charakter (Eyermann, a.a.O Rn. 4). Die Abnahme biometrische Daten ist vorliegend Teil des auf die Erteilung eines Aufenthaltstitels gerichteten Verwaltungsverfahrens. Sie hat als Formvorschrift nach § 78 Abs. 3 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) i.V.m. § 61a der Aufenthaltsverordnung (AufenthV) für den das Verwaltungsverfahren abschließenden Verwaltungsakt (Aufenthaltstitel) vorbereitende Funktion. Dies ergibt sich daraus, dass im Lauf des Aufenthaltstitelerteilungsverfahrens von der zuständigen Ausländerbehörde sowohl das Vorliegen der formellen (u.a. die Abgabe der Fingerabdrücke) als auch der materiellrechtlichen (hier insbesondere §§ 5, 28 AufenthG) Voraussetzungen geprüft wird. Für den Fall, dass alle Voraussetzungen vorliegen, wird sodann der begehrte Aufenthaltstitel erteilt. Eine gegenteilige Auffassung liefe dem Sinn und Zweck des § 44a Satz 1 VwGO zuwider. Denn durch diese Regelung soll verhindert werden, dass der Abschluss von noch bei den Behörden anhängigen Verwaltungsverfahren durch Rechtsbehelfe verzögert und erschwert wird, die Gerichte mit Streitfällen befasst werden, obwohl das Verfahren noch gar nicht abgeschlossen und noch offen ist, ob die Betroffenen überhaupt durch das Ergebnis des Verfahrens in der Sache beschwert bzw. in ihren Rechten betroffen werden (Kopp/Schenke, a.a.O. Rn. 1).
Es handelt sich hier auch nicht um eine von einer behördlichen Verfahrenshandlung abzugrenzende Sachentscheidung, da es sich um keinen selbstständigen, abtrennbaren Teil des Verfahrensgegenstandes handelt. Die Abnahme der biometrischen Daten ist gerichtet auf die Erteilung eines Aufenthaltstitels. Die Abnahme der Fingerabdrücke und die Abgabe der Unterschrift losgelöst vom Verfahren nach dem Aufenthaltsgesetz entbehrt jeglichen Sinn, da sie für den Antragsgegner so nicht verwertbar ist. Für einen Aufenthaltstitel müssen – wie bereits erwähnt – noch weitere Voraussetzungen vorliegen. Da die Antragstellerin mit einem gültigen Pass und Visum eingereist ist, bedarf es der Abnahme der biometrischen Daten auch nicht zur Feststellung deren Identität im Zusammenhang mit der Prüfung eines rechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet.
Zuletzt handelt es sich nicht um eine eigens vollstreckbare Verfahrenshandlung, welche gemäß § 44a Satz 2 VwGO vom Ausschluss nach Satz 1 dieser Regelung ausgenommen ist. Der Begriff der Vollstreckbarkeit im Sinn von § 44a S. 2 Alt. 1 VwGO ist zwar nicht auf die Mittel des Verwaltungszwangs nach Art. 18ff. VwZVG beschränkt, sondern weit auszulegen (VGH München, U.v. 2.2.2010 – 8 BV 08.1113 juris); sie richtet sich nach dem Inhalt der Verfahrenshandlung und sie erfasst jede zwangsweise Durchsetzung (Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 36. EL Febr.2019 § 44a Rn. 27). Aber die Abnahme biometrischen Daten im vorliegenden Verfahren ist auch bei einem weiten Verständnis nicht unter den Begriff der Vollstreckbarkeit zu subsumieren, denn es handelt sich dabei lediglich um eine für die Erstellung des Verwaltungsaktes Aufenthaltstitel erforderliche Formvorgabe, deren Abgabe im Aufgabenkreis der Antragstellerin liegt. Lässt sich die Antragstellerin ihre Fingerabdrücke nicht abnehmen so hat dies für sie zur Folge, dass sie keinen Aufenthaltstitel bekommt. Auch die derzeitige Nichtabnahme der biometrischen Daten durch den Antragsgegner ist keine eigens vollstreckbare Verfahrenshandlung, denn sie wird dem Erfordernis der zwangsweisen Durchsetzung nicht gerecht. Ausweislich eines Aktenvermerks des Antragsgegners vom 20. August 2019 und der Antragserwiderung handelt es sich hierbei nämlich um den gängigen Lauf des Verwaltungsverfahrens, an dessen Ende erst die Abnahme der Fingerabdrücke steht. Ebenso fehlt der dem Zwangselement immanente Eingriff in eine Rechtsposition des Betroffenen. Mit der derzeitigen Nichtabnahme wird hier nicht in die Rechte der Antragstellerin eingegriffen, da ihr dadurch schon nicht der Aufenthaltstitel versagt wird. Der Einwand der Antragstellerseite, dass bei einer späteren Abgabe der Fingerabdrücke der Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels verwirkt wäre, geht fehl. Denn mit der Antragstellung am 19. August 2019 ist die Fiktionswirkung des § 81 Abs. 3 Satz 1 AufenthG eingetreten, aufgrund derer der Aufenthalt der Antragstellerin im Bundesgebiet bis zur Erteilung eines Aufenthaltstitels als erlaubt gilt.
Im Ergebnis ist festzuhalten, dass die Antragstellerin die von ihr begehrte Abnahme der biometrischen Daten nur im ihren Aufenthaltstitel betreffenden Rechtsbehelfsverfahren geltend machen kann.
2. Darüber hinaus hat die Antragstellerin keinen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht, der den Erlass einer einstweiligen Anordnung gebieten würde. Sowohl der gegenüber dem Gericht vorgetragene mögliche Sterbefall als auch die gegenüber dem Antragsgegner vorgetragene längere Reise wurden schon nicht substantiiert genug dargelegt. Selbst bei Wahrunterstellung ergebe sich daraus keine Eilbedürftigkeit im genannten Sinne, da vorliegend nicht erkennbar ist, dass aufgrund des behördlichen Vorgehens bei der Antragstellerin schwere irreparable Folgen eintreten würden. Zwar ist sie aufgrund der Erlaubnisfiktion nach § 81 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nicht zur Einreise in die Bundesrepublik Deutschland berechtigt. Die Antragstellerin ist allerdings als singapurische Staatsangehörige vom Erfordernis eines Touristenvisums befreit. Das derzeit gültige Visum berechtigt sie zur mehrfachen Einreise. Zuletzt wird auch darauf hingewiesen, dass die Antragstellerin für einen Familiennachzug zu Deutschen gemäß § 28 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG auch den Willen, einen Lebensmittelpunkt in Deutschland begründen zu wollen, vorweisen muss. Etwaige kurz auf ihre Einreise in das Bundesgebiet folgende Ausreisen – aus welchem Grund auch immer – stehen dem genannten Erfordernis entgegen. Sollte die Antragstellerin nun einen Auslandsaufenthalt dem ordnungsgemäßen Betreiben ihres Titelerteilungsverfahrens vorziehen, so ist ihr auch ein erneutes Verwaltungsverfahren von Anfang an zumutbar.
Daher war der Sachantrag mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 und 2 GKG.


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