Europarecht

Gewährleistungsansprüche im Zusammenhang mit dem „Dieselskandal“

Aktenzeichen  27 U 3003/17

Datum:
25.4.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 41065
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 275 Abs. 1, § 433 Abs. 1 S. 2, § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2, § 439 Abs. 3

 

Leitsatz

1. Die Mangelhaftigkeit eines Fahrzeuges mit einer Software zur Manipulation der Abgassteuerung im Sinne des § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB liegt darin, dass durch die installierte Software der Bestand der Betriebserlaubnis des Fahrzeuges, sowie seine Einstufung in die Euro-5-Norm, in Gefahr sind. (Rn. 31 und 37) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Nachlieferungsanspruch nach § 439 Abs. 1 BGB besteht dann nicht, wenn der Fahrzeugtyp vom Hersteller durch ein neues Modell mit anderer Motorisierung ersetzt wurde, da dann die Nachlieferung gemäß § 275 Abs. 1 BGB unmöglich ist.  (Rn. 38 – 41) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

95 O 3153/16 2017-08-11 Endurteil LGAUGSBURG LG Augsburg

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Endurteil des Landgerichts Augsburg Az. 095 O 3153/16, vom 11.08.2017, aufgehoben.
Das Versäumnisurteil des Landgerichts Augsburg vom 17.02.2017, Az. 095 O 3153/16, wird aufgehoben und die Klage abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits mit Ausnahme der Kosten der Säumnis der Beklagten in erster Instanz, die die Beklagte zu tragen hat.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

II.
Die zulässige Berufung der Beklagten hat auch in der Sache vollen Erfolg.
Der Kläger hat aus keinem Rechtsgrund Anspruch auf Nachlieferung eines mangelfreien fabrikneuen Fahrzeugs Seat Alhambra Style 2.0 TDI 160 kW entsprechend Kaufvertrag und Angebot vom 21.05.2014.
1. Ein Anspruch des Klägers auf Nachlieferung gemäß § 439 Abs. 1 2. Alternative BGB besteht nicht.
a) Zwar geht auch der Senat davon aus, dass das streitgegenständliche Fahrzeug mit einem Sachmangel im Sinne von § 434 Abs. 1 BGB behaftet ist. Die Mangelhaftigkeit einer Sache ergibt sich daraus, dass sie sich nicht für die gewöhnliche Verwendung eignet und nicht eine Beschaffenheit aufweist, die bei Sachen der gleichen Art üblich ist und die der Käufer nach der Art der Sache erwarten konnte (§ 434 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BGB).
Das streitgegenständliche Fahrzeug eignet sich zwar grundsätzlich für den Fahrbetrieb und ist damit auch für die gewöhnliche Verwendung geeignet. Es weist jedoch nicht die Beschaffenheit auf, die der Kläger erwarten durfte.
Laut Vertrag sollte das Fahrzeug über das Abgaskonzept EU 5 verfügen. Es war aufgrund der Typenzulassung in die zum Zeitpunkt der Erstzulassung einzuhaltende Euro-5-Norm nach der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 eingestuft. Um diese Typenzulassung zu erlangen, musste das Fahrzeug bestimmte Emissionsgrenzwerte einhalten.
Unstreitig war in dem Fahrzeug werkseits eine Software installiert, die unterscheiden konnte, ob sich das Fahrzeug im NEFZ (Neuer Europäischer Fahrzyklus) befand oder im normalen Straßenverkehr. Bei Messung der Abgaswerte im NEFZ erreichte das Fahrzeug die Voraussetzungen einer Einstufung in die Euro-5-Norm, während dies unter den Fahrbedingungen im normalen Straßenverkehr praktisch ausgeschlossen war.
Der Kläger als Käufer eines Neufahrzeuges durfte davon ausgehen, dass die Abgaswerte der Euro-5-Norm nicht nur auf dem Prüfstand, sondern auch im normalen Straßenverkehr eingehalten werden. Tatsächlich jedoch arbeitet durch die Abschalteinrichtung das Emissionskontrollsystem bei normalem Straßenbetrieb nur reduziert mit der Folge, dass in erhöhtem Maße Stickstoffoxide an die Umwelt abgegeben werden, während beim Emissionstest die zulässigen Stickstoffoxidwerte nicht überschritten werden.
Damit entspricht das streitgegenständliche Fahrzeug nicht der Beschaffenheit, die der Kläger erwarten durfte und die bei Fahrzeugen gleicher Art, nämlich Fahrzeugen, bei denen aufgrund der Typenzulassung die Euro-5-Norm einzuhalten ist, üblich ist.
Die Mangelhaftigkeit des Fahrzeugs liegt in dem rechtlichen Risiko, dass auf Grund dieser werkseits installierten Software der Bestand der Betriebserlaubnis des Fahrzeugs sowie seine Einstufung in die Euro-5-Norm in Gefahr sind.
b) Der Anspruch des Klägers auf Nachlieferung eines mangelfreien Fahrzeugs scheitert jedoch daran, dass diese gemäß § 275 Abs. 1 BGB unmöglich ist.
Der Nachlieferungsanspruch nach § 439 Abs. 1 BGB stellt lediglich einen modifizierten Erfüllungsanspruch dar. Der Anspruch kann daher nicht weiter reichen als der ursprüngliche Erfüllungsanspruch, der Käufer kann somit weder quantitativ noch qualitativ mehr verlangen, als ursprünglich geschuldet.
Es ist anstelle der ursprünglich gelieferten mangelhaften Kaufsache nunmehr eine mangelfreie – im Übrigen aber gleichartige und gleichwertige – Sache zu liefern. Die Ersatzlieferung erfordert eine vollständige Wiederholung der Leistungen, zu denen der Verkäufer nach § 433 Abs. 1 Satz 1 und 2 BGB verpflichtet ist; der Verkäufer schuldet nochmals die Übergabe des Besitzes und die Verschaffung des Eigentums einer mangelfreien Sache – nicht weniger, aber auch nicht mehr. Mit der Nacherfüllung soll lediglich eine nachträgliche Erfüllung der Verkäuferpflichten aus § 433 Abs. 1 Satz 2 BGB durchgesetzt werden, der Verkäufer soll mit der Nacherfüllung also das erhalten, was er vertraglich zu beanspruchen hat (so BGH, Urteil vom 17.10.2012, Az.: VII ZR 226/11; BGH, Urteil vom 13.04.2011, Az.: VIII ZR 220/10).
Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze ist für den Fall des Kaufs eines Neuwagens davon auszugehen, dass zwar eine absolute Identität im Hinblick auf alle Ausstattungsvarianten nicht erforderlich ist, ein Nacherfüllungsanspruch in Form einer Ersatzlieferung aber dann unmöglich ist, wenn der entsprechende Fahrzeugtyp nicht mehr hergestellt wird, sondern durch ein neues Modell mit einer anderen Motorisierung ersetzt wird (ebenso OLG Bamberg, Hinweisbeschluss vom 02.08.2017, Az.: 6 U 5/17; OLG Nürnberg, Urteil vom 15.12.2011, Az.: 13 U 1161/11).
Im streitgegenständlichen Fall ist die vom Kläger begehrte Nachlieferung unmöglich.
Wie dem Senat aus weiteren Berufungsverfahren im Zusammenhang mit der NOX-Problematik bei Dieselmotoren bekannt ist (vgl. z.B. 27 U 2793/17), wird ein fabrikneues Fahrzeug entsprechend dem zwischen den Parteien vereinbarten Modell nicht mehr produziert, vielmehr hat ein Modellwechsel stattgefunden und der vom Kläger gekaufte Neuwagen wird nicht mehr hergestellt.
Die kaufvertragliche Vereinbarung bezog sich auf einen Pkw Seat Alhambra Style 2.0 TDI CR Ecomotiv, 177 PS, ausgestattet mit einem Motor der Baureihe EA 189, EU-5-Klasse. Ein Motor der Baureihe EA 189 wird jedoch seit dem Jahreswechsel 2015/2016 nicht mehr produziert.
Demgegenüber ist die nunmehr überarbeitete Motorengeneration deutlich verändert. Das Nachfolgemodell verfügt über einen leistungsstärkeren Motor, der der Euro-6-Norm entspricht und auch höhere Leistungsmerkmale aufweist.
Würde dem Kläger nunmehr ein Fahrzeug mit der EU-6-Typengenehmigung nachgeliefert, erhielte er zudem ein Fahrzeug, das im Vergleich zu dem Fahrzeug mit der EU-5-Typengenehmigung, eine in Zukunft umfassendere Nutzungsmöglichkeit gewähren würde.
Die aktuell produzierte Motorserie, die mit der EU-6-Typengenehmigung ausgestattet ist, stellt gegenüber dem Fahrzeug des Klägers, das lediglich über die Euro-5-Norm verfügt, ein wesentliches „qualitatives Plus“ dar. Gerade in Zeiten der verstärkten Diskussion um Dieselfahrverbote kommt der entsprechenden EU-Typengenehmigung eine hohe Bedeutung zu, die grundlegende Auswirkungen dafür haben kann, in welchem Umfang das fragliche Fahrzeug benutzt werden darf.
Ein nachlieferungsfähiges Fahrzeug, wie vom Kläger im Jahre 2014 erworben, existiert nicht mehr.
Ein Fahrzeug aus der aktuellen Serienproduktion des Herstellers wäre ein Aliud und damit im Rahmen des Nachlieferungsanspruches nicht geschuldet.
In diesem Zusammenhang kann dahingestellt bleiben, ob für die Frage der Unmöglichkeit der Nachlieferung auf den Zeitpunkt des ersten Nachlieferungsverlangens des Klägers mit Schreiben vom 24.03.2016 (Anlage K 7) abzustellen ist, oder auf einen späteren Zeitpunkt, da bereits Ende März 2016 die Produktion des Motormodells EA 189 eingestellt war.
c) Da der Anspruch des Klägers bereits an der Unmöglichkeit einer Nachlieferung scheitert, ist die Frage der Unverhältnismäßigkeit des Nachlieferungsverlangens für die Entscheidung ohne Relevanz.
2. Der ursprünglich in der Klageschrift enthaltene Hilfsantrag des Klägers auf Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückgabe des streitgegenständlichen Fahrzeugs wurde von der Klagepartei weder im erstinstanzlichen Verfahren (vgl. Protokoll vom 17.02.2017, Bl. 32 d.A.) noch in der Berufungsinstanz gestellt, so dass eine Entscheidung hierüber nicht zu treffen war.
3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Revision war nicht zuzulassen.
Gründe im Sinne von § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor.
Die Sache hat keine grundsätzliche Bedeutung und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern eine Entscheidung des Revisionsgerichts.


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