Europarecht

Haftung der vom Hersteller fehlerhafter Silikonbrustimplantate beauftragten Benannten Stelle gegenüber Patientinnen: Haftung nach den Grundsätzen eines Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte; Schutzgesetzverletzung

Aktenzeichen  VII ZR 151/18

Datum:
27.2.2020
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BGH
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2020:270220UVIIZR151.18.0
Normen:
§ 280 BGB
§ 823 Abs 2 BGB
§ 6 Abs 1 MPG
§ 6 Abs 2 MPG
§ 37 MPG
§ 7 Abs 1 Nr 1 MPV
Art 11 Abs 1 Buchst a Anh 2 EWGRL 42/93
Spruchkörper:
7. Zivilsenat

Leitsatz

1. Die vom Hersteller P. beauftragte Benannte Stelle gemäß der Richtlinie 93/42/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 über Medizinprodukte haftet gegenüber Patientinnen, denen Silikonbrustimplantate dieses Herstellers eingesetzt wurden, nicht nach den Grundsätzen eines Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter (vgl. EuGH, Urteil vom 16. Februar 2017 – C-219/15, NJW 2017, 1161; Fortführung von BGH, Urteil vom 22. Juni 2017 – VII ZR 36/14, NJW 2017, 2617).
2. Eine deliktische Haftung der Benannten Stelle gemäß der Richtlinie 93/42/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 über Medizinprodukte gegenüber den Endempfängern der Medizinprodukte ist aus Rechtsgründen nicht ausgeschlossen. Bei der im Medizinproduktegesetz getroffenen Regelung zum EU-Konformitätsbewertungsverfahren und den Rechten und Pflichten der Benannten Stelle bei Medizinprodukten der Klasse III in § 6 Abs. 1 und 2 i.V.m. § 37 MPG, § 7 Abs. 1 Nr. 1 MPV und Anhang II der Richtlinie 93/42/EWG handelt es sich um ein den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB. Der Schutz der Endempfänger der Medizinprodukte soll danach nicht nur durch den Hersteller, sondern auch durch die Benannte Stelle gewährleistet werden.

Verfahrensgang

vorgehend OLG Nürnberg, 27. Juni 2018, Az: 4 U 979/14vorgehend LG Nürnberg-Fürth, 20. März 2014, Az: 11 O 7069/13

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 27. Juni 2018 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand

1
Die Klägerin, eine Krankenkasse, nimmt die Beklagte aus übergegangenem Recht auf Schadensersatz wegen von ihr erstatteter Kosten für Revisionsoperationen in Anspruch. Den bei der Klägerin gesetzlich versicherten Frauen sollen in den Jahren 2003 bis 2010 von dem französischen Unternehmen P.             (P. ) hergestellte Silikonbrustimplantate eingesetzt worden sein. Die Beklagte wirkte von 1997 bis 2010 als sogenannte Benannte Stelle im Auftrag von P. bei dem vom Hersteller selbst durchzuführenden EU-Konformitätsbewertungsverfahren nach Anhang II der Richtlinie 93/42/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 über Medizinprodukte (ABl. EG Nr. L 169) mit und führte die Bewertung des Qualitätssicherungssystems sowie die Prüfung der Auslegungsdokumentation durch. Die Durchführung dieses Konformitätsbewertungsverfahrens berechtigte P. , auf den von dem Unternehmen richtlinienkonform gefertigten Brustimplantaten ein CE-Kennzeichen anzubringen, und ist nach § 6 Abs. 1 Medizinproduktegesetz (MPG) Voraussetzung dafür, dass Medizinprodukte in Deutschland in den Verkehr gebracht werden dürfen. Silikonbrustimplantate sind Medizinprodukte, die seit dem Jahr 2003 nach Art. 1 der Richtlinie 2003/12/EG der Kommission vom 3. Februar 2003 zur Neuklassifizierung von Brustimplantaten im Rahmen der Richtlinie 93/42/EWG über Medizinprodukte (ABl. EU Nr. L 28, S. 43 f.) als Medizinprodukte der höchsten Klasse III eingestuft werden.
2
Die für P.  zuständige französische Aufsichtsbehörde stellte im März 2010 fest, dass dort nicht das vorgesehene Rohmaterial “N.  ” für die Implantate verwendet wurde, sondern für den menschlichen Körper nicht zugelassenes Industriesilikon. P.  hatte vor Kontrollen der französischen Behörden und den – jeweils angekündigten – Überprüfungen durch die Beklagte den Herstellungsablauf auf den zertifizierten Ablauf mit der Verwendung des zugelassenen Silikons umgestellt und sämtliche Hinweise auf die Verwendung von Industriesilikon verborgen. P.  meldete im Jahr 2011 Insolvenz an und wurde liquidiert. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte empfahl im Januar 2012 die Entfernung der betroffenen Silikonbrustimplantate als Vorsichtsmaßnahme.
3
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Zahlung von 50.287,15 € nebst Zinsen für Kosten von Revisionsoperationen von 26 Versicherten. Darüber hinaus erstrebt sie die Feststellung, dass die Beklagte zum Ersatz eines weitergehenden Schadens verpflichtet ist, der noch nicht habe beziffert werden können und in Zukunft noch entstehen werde. Die Feststellung zum Schadensersatz soll neben den Fällen der 26 namentlich benannten Versicherten auch etwaige weitere Versicherte betreffen, die ebenfalls Trägerinnen der fehlerhaften Silikonbrustimplantate sind oder waren und noch nicht bekannt geworden sind.
4
Die Klage ist in den Vorinstanzen erfolglos geblieben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe

5
Die Revision der Klägerin ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
6
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:
7
Der Feststellungsantrag sei zulässig. Es sei über die namentlich bekannten Fälle hinaus derzeit unklar, ob weitere bei der Klägerin versicherte Frauen von dem P. -Skandal betroffen seien. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass es auch andere bei der Klägerin versicherte Frauen gebe, die von der Fehlerhaftigkeit ihrer Brustimplantate noch keine Kenntnis erlangt hätten, so dass sie die Entfernung erst zukünftig vornehmen würden.
8
Ein Ersatzanspruch gegen die Beklagte komme nach dem anwendbaren deutschen materiellen Recht unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt in Betracht. Da eine Haftung der Beklagten bereits aus Rechtsgründen ausscheide, sei es unerheblich, ob der Beklagten im Zusammenhang mit der Überprüfung und Zertifizierung des Qualitätssicherungssystems und der Auslegungsdokumentation Pflichtverletzungen vorgeworfen werden könnten. Etwaige Pflichten hätten jedenfalls nicht gegenüber den Versicherten der Klägerin bestanden.
9
Ein Schadensersatzanspruch bestehe nicht aus § 280 Abs. 1 BGB in Verbindung mit den Grundsätzen des Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter. Der zwischen der Beklagten und P.  anlässlich der Durchführung des Konformitätsbewertungsverfahrens geschlossene Zertifizierungsvertrag entfalte keine Schutzwirkung zugunsten der versicherten Frauen, die als Patientinnen von den Brustimplantaten betroffen gewesen seien. Weder seien die Patientinnen mit der Hauptleistung dieses Vertrages bestimmungsgemäß in Kontakt gekommen noch sei ein schutzwürdiges Einbeziehungsinteresse von P.  gegeben. Auch eine Gläubigernähe liege nicht vor; die vertraglich geschuldete Leistung der Beklagten habe nicht den Zweck gehabt, ein besonderes Vertrauen der Endverbraucher in die Bescheinigungen zu erwecken. Zudem fehle es an der Erkennbarkeit und damit zusammenhängend der Zumutbarkeit der Einbeziehung der Patientinnen in den Schutzbereich des Zertifizierungsvertrages sowie an der erforderlichen Schutzbedürftigkeit. Den Patientinnen stünden gleichwertige Ansprüche gegen P.  als Hersteller zu. Allein der Umstand, dass diese wirtschaftlich nicht durchsetzbar seien, begründe keine Schutzbedürftigkeit.
10
Ein Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte ergebe sich auch nicht aus § 823 Abs. 1 BGB. Der Beklagten habe keine besondere Garantenstellung gegenüber den Patientinnen bei ihrer Zertifizierungs- und Überwachungstätigkeit hinsichtlich P.  oblegen. Der Klägerin stehe zudem kein Anspruch aus § 823 Abs. 2 Satz 1 BGB in Verbindung mit einem Schutzgesetz zu, da es sich bei § 6 Abs. 2 MPG nicht um ein Schutzgesetz in diesem Sinne handele. Es sei nicht erkennbar, dass der deutsche Gesetzgeber einen etwaigen Verstoß gegen § 6 Abs. 2 MPG mit einer deliktsrechtlichen Haftung habe versehen wollen.
II.
11
Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht in allen Punkten stand.
12
Das Berufungsgericht ist allerdings zutreffend von der Zulässigkeit des Feststellungsantrags (1.) und der Anwendbarkeit deutschen materiellen Rechts ausgegangen (2.). Es hat auch jedenfalls im Ergebnis zu Recht eine Haftung der Beklagten nach den Grundsätzen eines Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter abgelehnt (3.). Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann indes ein deliktischer Anspruch der Klägerin auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 50.287,15 € nebst Zinsen sowie auf Feststellung einer weitergehenden Schadensersatzverpflichtung nicht verneint werden (4.).
13
1. Der Feststellungsantrag ist entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung insgesamt zulässig.
14
Die Klägerin hat ein zu klärendes Rechtsverhältnis und ein Interesse an der alsbaldigen Feststellung im Sinne des § 256 Abs. 1 ZPO auch insoweit hinreichend dargelegt, als potentielle Fälle bisher unbekannter bei ihr versicherter Frauen betroffen sind, die ebenfalls Trägerinnen von P.  hergestellter fehlerhafter Silikonbrustimplantate sind oder waren und noch nicht bekannt geworden sind. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts ist aus Sicht der Klägerin bei verständiger Würdigung über die Fälle der zurzeit namentlich bekannten Versicherten hinaus mit weiteren von ihr zu erstattenden Kosten für Revisionsoperationen wenigstens zu rechnen (vgl. zu diesem Erfordernis BGH, Urteil vom 16. Januar 2001 – VI ZR 381/99, NJW 2001, 1431, juris Rn. 7; Urteil vom 12. November 1991 – VI ZR 7/91, BGHZ 116, 60, juris Rn. 48). Die möglichen zukünftigen Kosten für Revisionsoperationen in der Klägerin bislang unbekannten Fällen betreffen dabei nur den Umfang und nicht die Entstehung des Schadens selbst, der bereits durch das in der Vergangenheit erfolgte Einsetzen der Implantate eingetreten ist. Nach dem verjährungsrechtlich zu beachtenden Grundsatz der Schadenseinheit gilt der gesamte Schaden, der auf einem bestimmten einheitlichen Verhalten – hier den behaupteten Pflichtverletzungen der Beklagten bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben als Benannter Stelle – beruht, mit der ersten Vermögenseinbuße als eingetreten, sofern mit den einzelnen Schadensfolgen – wovon im Streitfall auszugehen ist – bereits beim Auftreten des ersten Schadens gerechnet werden konnte. Die Verjährung des Ersatzanspruchs erfasst damit auch solche nachträglich eintretenden Schadensfolgen, die im Zeitpunkt der Entstehung des Anspruchs als möglich voraussehbar waren.
15
Zur Hemmung der Verjährung, die mit dem früheren Schadenseintritt begonnen hat, ist daher die Erhebung einer Feststellungsklage erforderlich, auch soweit der Klägerin bislang unbekannte Fälle betroffen sind (vgl. BGH, Urteil vom 22. Februar 2018 – VII ZR 253/16 Rn. 17 f., NJW 2018, 2056; Urteil vom 8. November 2016 – VI ZR 200/15 Rn. 15, VersR 2017, 170; Urteil vom 24. Oktober 2013 – III ZR 82/11 Rn. 45; jeweils m.w.N.). Ein etwaiger Rechtsübergang nach § 116 Abs. 1 Satz 1 SGB X von den Versicherten auf die Klägerin erstreckt sich dem Grunde nach zudem auch auf solche Forderungen, die wegen künftig zu erbringender Leistungen der Klägerin erst später entstehen (vgl. BGH, Urteil vom 13. März 2001 – VI ZR 290/00, NJW-RR 2001, 957, juris Rn. 9; Urteil vom 8. Dezember 1998 – VI ZR 318/97, NJW 1999, 1782, juris Rn. 15; Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht/Kater, Stand: Juni 2019, § 116 SGB X Rn. 30 ff.). Die Ungewissheit darüber, ob solche weiteren Fälle vorliegen und um welche konkreten Personen es sich dabei gegebenenfalls handelt, stellt entgegen der von der Beklagten erhobenen Gegenrüge weder eine Verletzung des Bestimmtheitserfordernisses des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO in Bezug auf den Feststellungsantrag dar noch rechtfertigt sie die Annahme, die Klägerin begehre insoweit lediglich die Feststellung einer “reinen Rechtsfrage”.
16
2. Die von der Klägerin eingeklagten Ansprüche, die nach ihrem Vortrag von den bei ihr gesetzlich Versicherten auf sie nach § 116 SGB X übergegangen sind, beurteilen sich insgesamt nach deutschem materiellen Recht.
17
a) Für vertragliche Ansprüche aus dem zwischen der Beklagten und P.  geschlossenen Vertrag über die Wahrnehmung der Aufgaben der Benannten Stelle in Bezug auf das Konformitätsbewertungsverfahren folgt die Anwendung deutschen materiellen Rechts aus Art. 27 Abs. 1 EGBGB in der bis zum 16. Dezember 2009 geltenden Fassung (vgl. BGH, Urteil vom 22. Juni 2017 – VII ZR 36/14 Rn. 18, NJW 2017, 2617). Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts wurde in dem zwischen P.  und der Beklagten im Jahr 1997 geschlossenen Zertifizierungsvertrag ausdrücklich die Geltung deutschen Rechts vereinbart.
18
b) Ansprüche aus unerlaubter Handlung sind ebenfalls nach deutschem materiellen Recht zu beurteilen. In den von der Klägerin geltend gemachten Fällen, in denen das schadensbegründende Ereignis vor dem 11. Januar 2009 liegen soll, folgt dies jedenfalls aus Art. 42 EGBGB, da die Parteien, die Klägerin nach ihrem Vortrag als Anspruchsinhaberin kraft Legalzession (§ 116 SGB X), nach diesem Zeitpunkt – in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht am 9. Mai 2018 – eine Vereinbarung über das anzuwendende deutsche materielle Recht getroffen haben. Soweit das schadensbegründende Ereignis in der Zeit ab dem 11. Januar 2009 liegen soll, ergibt sich die Anwendung des deutschen materiellen Rechts aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 a) der Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (“Rom II”). Es kann deshalb in diesem Zusammenhang auch dahinstehen, auf welchen konkreten tatsächlichen Umstand – das Einsetzen von P.  hergestellter Implantate oder bereits die behaupteten Pflichtverletzungen der Beklagten – als schadensbegründendes Ereignis abzustellen wäre (vgl. hierzu BeckOGK/Schulze, Rom-II-VO, Stand: 1. August 2018, Art. 31 Rn. 7 ff.; BeckOK BGB/Spickhoff, Stand: 1. August 2019, Art. 32 VO (EG) 864/2007 Rn. 4; MünchKommBGB/Junker, 7. Aufl., Art. 32 Rom II-VO Rn. 5 f.; zu Art. 40 EGBGB vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 11. September 2018 – 8 U 27/17, NJW 2019, 525, juris Rn. 31).
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c) Da deutsches Recht sowohl auf Ansprüche aus unerlaubter Handlung als auch auf vertragliche Ansprüche aus dem genannten Vertrag anwendbar ist, bedarf es im Streitfall keiner Entscheidung, ob die Einbeziehung von Dritten in den Schutzbereich eines Vertrages sich internationalprivatrechtlich nach dem Vertragsstatut beurteilt oder ob insoweit das Deliktsstatut maßgebend ist.
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3. Im Ergebnis mit Recht hat das Berufungsgericht angenommen, dass eine Haftung der Beklagten nach den Grundsätzen eines Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter nicht in Betracht kommt (vgl. MünchKommBGB/Gottwald, 8. Aufl., § 328 Rn. 220; Spickhoff/Mesch in Kullmann/Pfister/Stöhr/Spindler, Produzentenhaftung, Stand: 01/18, Haftung für Medizinprodukte, A. VI. 2. a) (2) (b); Gassner in Deutsch/Lippert/Ratzel/Tag/Gassner, MPG, 3. Aufl., Haftung für Medizinprodukte, Rn. 45; Wagner, JZ 2018, 130, 137; offen gelassen von BGH, Urteil vom 22. Juni 2017 – VII ZR 36/14 Rn. 36, NJW 2017, 2617). Ob ein rechtsgeschäftlicher Wille zur Einbeziehung eines Dritten in den Schutzbereich des Vertrages besteht, hat der Tatrichter nach allgemeinen Auslegungsgrundsätzen zu ermitteln (BGH, Urteil vom 24. April 2014 – III ZR 156/13 Rn. 9, NJW 2014, 2345; Urteil vom 7. Mai 2009 – III ZR 277/08 Rn. 18 f., BGHZ 181, 12; Urteil vom 20. April 2004 – X ZR 250/02, BGHZ 159, 1, juris Rn. 13).
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a) Bei einem Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter steht die geschuldete (Haupt-)Leistung allein dem Gläubiger zu, der Dritte ist jedoch in der Weise in die vertraglichen Sorgfalts- und Obhutspflichten einbezogen, dass er bei deren Verletzung vertragliche Schadenersatzansprüche geltend machen kann. Die Herausbildung des Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter in der Rechtsprechung beruht auf ergänzender Vertragsauslegung und knüpft damit an den hypothetischen Willen der Parteien an, der gemäß § 157 BGB unter Berücksichtigung von Treu und Glauben zu erforschen ist. Um die Haftung für den Schuldner nicht unkalkulierbar auszudehnen, sind an die Einbeziehung von Dritten in den vertraglichen Schutz strenge Anforderungen zu stellen (BGH, Urteil vom 7. Dezember 2017 – VII ZR 204/14 Rn. 16, NJW 2018, 1537; Urteil vom 17. November 2016 – III ZR 139/14 Rn. 15, NJW-RR 2017, 888; jeweils m.w.N.).
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Der hypothetische Wille der Vertragsparteien, einen Dritten in den Schutzbereich der zwischen ihnen geschlossenen Vereinbarung einzubeziehen, ist danach aufgrund einer sorgfältigen Abwägung ihrer schutzwürdigen Interessen und derer des Dritten zu ermitteln. In Weiterentwicklung der Rechtsprechung zu Fallgestaltungen mit personenrechtlichem Einschlag ist eine Einbeziehung Dritter in den Schutzbereich eines Vertrages auch dann bejaht worden, wenn der Gläubiger an deren Schutz ein besonderes Interesse hat, Inhalt und Zweck des Vertrages erkennen lassen, dass diesem Interesse Rechnung getragen werden soll, und die Parteien den Willen haben, zugunsten dieser Dritten eine Schutzpflicht des Schuldners zu begründen (BGH, Urteil vom 7. Dezember 2017 – VII ZR 204/14 Rn. 17, NJW 2018, 1537; Urteil vom 17. November 2016 – III ZR 139/14 Rn. 16, NJW-RR 2017, 888; jeweils m.w.N.). Der Dritte muss bestimmungsgemäß mit der (Haupt-)Leistung in Berührung kommen und den Gefahren von Schutzpflichtverletzungen ebenso ausgesetzt sein wie der Gläubiger. Für den Schuldner muss die Leistungsnähe des Dritten und dessen Einbeziehung in den Schutzbereich des Vertrages erkennbar und zumutbar sein. Darüber hinaus erfordert die im Rahmen der Auslegung erforderliche Interessenabwägung unter Berücksichtigung von Treu und Glauben, dass für die Ausdehnung des Vertragsschutzes ein Bedürfnis besteht (BGH, Urteil vom 7. Dezember 2017 – VII ZR 204/14 Rn. 18, NJW 2018, 1537; Urteil vom 17. November 2016 – III ZR 139/14 Rn. 17, NJW-RR 2017, 888; jeweils m.w.N.).
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b) Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe liegen die Voraussetzungen für die Einbeziehung der bei der Klägerin gesetzlich Versicherten in den Schutzbereich des zwischen P.  und der Beklagten im Jahr 1997 geschlossenen Zertifizierungsvertrages nicht vor.
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aa) Es erscheint bereits fraglich, ob die notwendige Leistungs- beziehungsweise Einwirkungsnähe der Versicherten der Klägerin mit den Leistungen dieses Vertrages gegeben ist. Erforderlich ist insoweit eine gegenständliche oder zumindest unmittelbare Leistungsberührung (BGH, Urteil vom 6. Mai 2008 – XI ZR 56/07 Rn. 29, BGHZ 176, 281; Urteil vom 24. Januar 2006 – XI ZR 384/03 Rn. 52, 55, BGHZ 166, 84; Staudinger/Klumpp, 2015, BGB, § 328 Rn. 111). Die Leistungsverpflichtung der Beklagten bestand im Streitfall in der Zertifizierung des Qualitätssicherungssystems und der Auslegungsdokumentation des Herstellers der Silikonbrustimplantate. Mit dieser Leistung als solcher kamen die Versicherten, denen die Silikonbrustimplantate später eingesetzt wurden, weder bestimmungsgemäß noch faktisch unmittelbar in Kontakt. Vielmehr wirkten sich die von der Klägerin geltend gemachten und im Revisionsverfahren zu unterstellenden Pflichtverletzungen der Beklagten bei ihrer Zertifizierungstätigkeit nur mittelbar auf die Versicherten aus, nämlich durch die in der Folge nicht aufgedeckte Herstellung von Implantaten mit minderwertigem Industriesilikon. Darüber hinaus waren die Versicherten den Gefahren von Pflichtverletzungen der Beklagten auch in anderer Weise ausgesetzt als der Hersteller selbst. Während der Hersteller durch pflichtwidriges Verhalten der Benannten Stelle im Rahmen des Zertifizierungsverfahrens vorrangig in seinen wirtschaftlichen Interessen beeinträchtigt sein kann, liegt der Schwerpunkt der Auswirkungen möglicher Pflichtverletzungen für die Anwender der Medizinprodukte in potentiellen Gesundheitsgefahren.
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bb) Jedenfalls liegt kein schutzwürdiges Interesse des Gläubigers P.  an der Einbeziehung der Versicherten der Klägerin in den Schutzbereich des Vertrages vor. Es würde den Anwendungsbereich des Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter überdehnen, wenn anknüpfend an eine ergänzende Vertragsauslegung der hypothetische Wille von P.  bei Abschluss des Zertifizierungsvertrages unter Berücksichtigung von Treu und Glauben so verstanden würde, dass auch die Patientinnen – mit denen P.  nicht in unmittelbarer Vertragsbeziehung stand – durch den Zertifizierungsvertrag geschützt werden sollten.
26
Der Zweck des Zertifizierungsvertrages mit der Beklagten bestand aus der in diesem Zusammenhang maßgeblichen Sicht von P.  darin, die gesetzlich notwendigen Voraussetzungen für den Vertrieb der Silikonbrustimplantate zu schaffen. Hierzu bedurfte es der Durchführung des EU-Konformitätsbewertungsverfahrens unter Einschaltung einer Benannten Stelle. Selbst wenn unterstellt werden kann, dass der Hersteller eines Medizinproduktes in der Regel ein allgemeines Interesse daran hat, dass durch seine Produkte niemand zu Schaden kommt, führt diese generelle Erwägung hier nicht dazu, dass aus der Sicht von P.  Vertragszweck des Zertifizierungsvertrages mit der Beklagten der Schutz künftiger Patientinnen vor Gesundheitsgefahren der von P.  hergestellten Medizinprodukte war. Dem EU-Konformitätsbewertungsverfahren kommt aus Herstellersicht nicht die Aufgabe zu, ihn im Verhältnis zu Patienten abzusichern oder seine Rückgriffsmöglichkeiten gegenüber der Benannten Stelle bei Fehlerhaftigkeit von Produkten zu erweitern, sondern es dient der Eröffnung des Marktzugangs für den Hersteller ähnlich einem behördlichen Zulassungsverfahren.
27
Auch aus dem Gesichtspunkt einer vertraglichen Expertenhaftung lässt sich im Streitfall keine Einbeziehung der Patientinnen in den Schutzbereich des Vertrages zwischen P.  und der Beklagten herleiten. Für die Fälle der vertraglichen Expertenhaftung ist allerdings anerkannt, dass auch bei nicht gleichförmigen oder unter Umständen sogar gegenläufigen Interessen zwischen Gläubiger und Drittem eine Einbeziehung des Dritten in den Schutzbereich des Vertrages möglich sein kann (BGH, Urteil vom 7. Dezember 2017 – VII ZR 204/14 Rn. 17, NJW 2018, 1537; Urteil vom 7. Februar 2002 – III ZR 1/01, NJW 2002, 1196, juris Rn. 10; Staudinger/Klumpp, 2015, BGB, § 328 Rn. 120). Denn wer etwa bei einer sachkundigen Person ein Gutachten oder die Bestätigung über den Stand eines Bauvorhabens bestellt, um davon gegenüber Dritten Gebrauch zu machen, ist daran interessiert, dass die Ausarbeitung die erwartete Beweiskraft besitzt.
28
Um eine solche Fallgestaltung, bei der die von Sachkunde geprägte Stellungnahme oder Begutachtung gerade den Zweck hat, das Vertrauen eines Dritten zu erwecken und – für den Sachkundigen hinreichend erkennbar – Grundlage einer Entscheidung mit wirtschaftlichen Folgen zu werden (vgl. BGH, Urteil vom 24. April 2014 – III ZR 156/13 Rn. 13 f., NJW 2014, 2345; Urteil vom 7. Mai 2009 – III ZR 277/08 Rn. 17, BGHZ 181, 12; Urteil vom 20. April 2004 – X ZR 250/02, BGHZ 159, 1, juris Rn. 13; jeweils m.w.N.), geht es vorliegend jedoch nicht.
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Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass die Versicherten der Klägerin ihre Entscheidung zum Einsetzen der Implantate aufgrund der Zertifizierungsleistung der Beklagten getroffen haben. Die Tätigkeit der Beklagten im Rahmen des EU-Konformitätsbewertungsverfahrens trat nach außen nicht in Erscheinung und war insbesondere auch für die Patientinnen nicht erkennbar. Bei dem auf den Implantaten vom Hersteller selbst angebrachten CE-Kennzeichen nach § 6 Abs. 1 MPG handelt es sich gerade nicht um ein besonderes Qualitätssiegel, dem die Patientinnen ein gesteigertes Vertrauen entgegensetzen konnten. Vielmehr war die Zertifizierung für alle Medizinprodukte der Klasse III eine notwendige rechtliche Voraussetzung dafür, dass diese überhaupt in den Verkehr gebracht werden durften.
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cc) Es kann damit dahinstehen, ob die weiteren Voraussetzungen für die Einbeziehung der Versicherten der Klägerin in den Schutzbereich des Zertifizierungsvertrages – die Zumutbarkeit der Einbeziehung für die Beklagte und die Schutzbedürftigkeit der Versicherten – vorliegen oder nicht.
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4. Zu Unrecht hat das Berufungsgericht allerdings angenommen, dass ein deliktischer Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB wegen der Verletzung eines den Schutz eines anderen bezweckenden Gesetzes auf Zahlung von 50.287,15 € nebst Zinsen sowie auf Feststellung einer weitergehenden Schadensersatzverpflichtung der Beklagten aus übergegangenem Recht gemäß § 116 SGB X schon aus Rechtsgründen nicht in Betracht kommt.
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Soweit der Senat die Frage einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen etwaiger Versäumnisse bei der Durchführung des EU-Konformitätsbewertungsverfahrens im Auftrag von P.  in seinem früheren Urteil vom 22. Juni 2017 (VII ZR 36/14 Rn. 36, NJW 2017, 2617) offen gelassen hat, beruhte dies darauf, dass im damaligen Fall nach den revisionsrechtlich bindenden berufungsgerichtlichen Feststellungen eine Haftung bereits mangels Pflichtverletzung ausschied. Vorliegend hat das Berufungsgericht zu etwaigen für die mit der Klage geltend gemachten Schäden kausalen Pflichtverletzungen keine Feststellungen getroffen. Solche Pflichtverletzungen sollen sich nach dem – insgesamt bestrittenen – Vortrag der Klägerin unter anderem aus dem Unterlassen der Feststellung, Aufklärung und Beseitigung von Unregelmäßigkeiten bei der Qualitätssicherung, die bereits im Jahr 1996 bei P.  festgestellt worden sein und bis zum Jahr 2004 angedauert haben sollen, sowie aus fehlenden Reaktionen und Maßnahmen der Beklagten auf 2001 und erneut in den Jahren 2004 bis 2007 festgestellten Abweichungen ergeben. Eine schadensursächliche Pflichtverletzung der Beklagten ist danach revisionsrechtlich zu Gunsten der Klägerin zu unterstellen. Die in Rede stehende Frage einer deliktischen Rechtsgrundlage bedarf deshalb der Entscheidung.
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Eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB kann mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung nicht verneint werden. Bei der im Medizinproduktegesetz getroffenen Regelung zum EU-Konformitätsbewertungsverfahren und den Rechten und Pflichten der Benannten Stelle bei Medizinprodukten der Klasse III in § 6 Abs. 1 und 2 i.V.m. § 37 MPG, § 7 Abs. 1 Nr. 1 der Verordnung über Medizinprodukte (MPV) und Anhang II der Richtlinie 93/42/EWG handelt es sich um ein den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB (vgl. Spickhoff/Mesch in Kullmann/Pfister/Stöhr/Spindler, Produzentenhaftung, Stand: 01/18, Haftung für Medizinprodukte, A. VI. 2. b) (1), C. III.; Rott, NJW 2017, 1146, 1147; Unger, EuZW 2017, 299, 302). Der Schutz der Endempfänger der Medizinprodukte soll danach nicht nur durch den Hersteller, sondern auch durch die Benannte Stelle gewährleistet werden.
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a) Eine Rechtsnorm ist ein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, wenn sie zumindest auch dazu dienen soll, den Einzelnen oder einzelne Personenkreise gegen die Verletzung eines bestimmten Rechtsguts zu schützen. Dafür kommt es nicht auf die Wirkung, sondern auf Inhalt und Zweck des Gesetzes sowie darauf an, ob der Gesetzgeber bei Erlass des Gesetzes gerade einen Rechtsschutz, wie er wegen der behaupteten Verletzung in Anspruch genommen wird, zu Gunsten von Einzelpersonen oder bestimmten Personenkreisen gewollt oder doch mit gewollt hat. Es genügt, dass die Norm auch das Interesse des Einzelnen schützen soll, mag sie auch in erster Linie dasjenige der Allgemeinheit im Auge haben. Nicht ausreichend ist aber, dass der Individualschutz durch Befolgung der Norm nur als ihr Reflex objektiv erreicht wird; er muss vielmehr im Aufgabenbereich der Norm liegen. Außerdem muss die Schaffung eines individuellen Schadensersatzanspruchs sinnvoll und im Lichte des haftungsrechtlichen Gesamtsystems tragbar erscheinen, wobei in umfassender Würdigung des gesamten Regelungszusammenhangs, in den die Norm gestellt ist, zu prüfen ist, ob es in der Tendenz des Gesetzgebers liegen konnte, an die Verletzung des geschützten Interesses die deliktische Einstandspflicht des dagegen Verstoßenden mit allen damit zugunsten des Geschädigten gegebenen Haftungs- und Beweiserleichterungen zu knüpfen (BGH, Urteil vom 23. Juli 2019 – VI ZR 307/18 Rn. 12 f., WM 2019, 1701; Beschluss vom 9. April 2015 – VII ZR 36/14 Rn. 20, NJW 2015, 2737; Urteil vom 13. Dezember 2011 – XI ZR 51/10 Rn. 21, BGHZ 192, 90; Urteil vom 22. Juni 2010 – VI ZR 212/09 Rn. 26, BGHZ 186, 58; Urteil vom 28. März 2006 – VI ZR 50/05 Rn. 17, NJW 2006, 2110; jeweils m.w.N.). Ein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB setzt schließlich weiter voraus, dass sich im konkreten Schaden die Gefahr verwirklicht hat, vor der die betreffende Norm schützen sollte. Der eingetretene Schaden muss also in den sachlichen Schutzbereich der Norm fallen. Weiter muss der konkret Geschädigte vom persönlichen Schutzbereich der verletzten Norm erfasst sein und zum Kreis derjenigen Personen gehören, deren Schutz die verletzte Norm bezweckt (BGH, Urteil vom 23. Juli 2019 – VI ZR 307/18 Rn. 14, WM 2019, 1701; Urteil vom 9. Dezember 2014 – VI ZR 155/14 Rn. 10, NJW 2015, 1174; jeweils m.w.N.). Diese Voraussetzungen sind in Bezug auf die im Medizinproduktegesetz getroffene Regelung zum EU-Konformitätsbewertungsverfahren und den Rechten und Pflichten der Benannten Stelle bei Medizinprodukten der Klasse III in § 6 Abs. 1 und 2 i.V.m. § 37 MPG, § 7 Abs. 1 Nr. 1 MPV und Anhang II der Richtlinie 93/42/EWG erfüllt.
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b) Nach § 6 Abs. 1 und 2 MPG dürfen Medizinprodukte, zu denen auch die streitgegenständlichen Silikonbrustimplantate gehören, in Deutschland grundsätzlich nur in den Verkehr gebracht oder in Betrieb genommen werden, wenn sie mit einem CE-Kennzeichen versehen sind. Mit einer solchen Kennzeichnung dürfen Medizinprodukte nur versehen werden, wenn insbesondere das für das jeweilige Produkt vorgeschriebene Konformitätsbewertungsverfahren nach Maßgabe der Rechtsverordnung nach § 37 Abs. 1 MPG durchgeführt worden ist. Zwar richtet sich der vorstehend wiedergegebene Norminhalt von § 6 Abs. 1 und 2 MPG an den Hersteller und jedenfalls nicht unmittelbar an die Benannte Stelle. Ebenso wenig befasst sich die Vorschrift zumindest ihrem Wortlaut nach mit dem Schutz der Endempfänger der Medizinprodukte.
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Der Regelungsgehalt des § 6 Abs. 1 und 2 MPG beschränkt sich jedoch nicht darauf, für den Hersteller die Notwendigkeit einer CE-Kennzeichnung seiner Medizinprodukte zu begründen. Vielmehr bezieht er durch die Verweisung über § 6 Abs. 2, § 37 MPG, § 7 Abs. 1 Nr. 1 MPV auf die Richtlinie 93/42/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 über Medizinprodukte, deren Umsetzung das Medizinproduktegesetz dient (BGH, Beschluss vom 9. April 2015 – VII ZR 36/14 Rn. 22, NJW 2015, 2737; BT-Drucks. 12/6991, S. 27), ausdrücklich auch die Rechte und Pflichten der Benannten Stelle mit ein. § 7 Abs. 1 Nr. 1 MPV sieht dabei für Medizinprodukte der hier betroffenen Klasse III grundsätzlich die Durchführung eines Verfahrens nach Anhang II der Richtlinie 93/42/EWG (Vollständiges Qualitätssicherungssystem) mit Einbeziehung einer Benannten Stelle vor. Wie der Gerichtshof der Europäischen Union entschieden hat, ergibt sich insbesondere aus den Erwägungsgründen 3 und 5 der Richtlinie, dass diese nicht nur auf den Schutz der Gesundheit im engeren Sinne, sondern auch auf die Sicherheit von Personen gerichtet ist und insbesondere die Patienten betrifft, mithin als solche dem Schutz der Endempfänger der Medizinprodukte dient. Zwar obliegt es in erster Linie dem Hersteller zu gewährleisten, dass das Medizinprodukt den Anforderungen der Richtlinie entspricht, doch sieht die Richtlinie auch für die Mitgliedstaaten und die Benannten Stellen Verpflichtungen vor, die diesem Zweck dienen (EuGH, Urteil vom 16. Februar 2017 – C-219/15, NJW 2017, 1161, juris Rn. 50 f.). Für das Tätigwerden der Benannten Stelle im Rahmen des Verfahrens der EG-Konformitätserklärung folgt – wie der Gerichtshof der Europäischen Union ausdrücklich festgehalten hat – aus dem Wortlaut und der Systematik der Richtlinie 93/42/EWG, dass durch dieses Verfahren die Gesundheit und die Sicherheit von Personen geschützt werden sollen (EuGH, Urteil vom 16. Februar 2017 – C-219/15, NJW 2017, 1161, juris Rn. 53).
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c) In der Gesamtschau wird damit deutlich, dass die aus § 6 Abs. 1 und 2 i.V.m. § 37 MPG, § 7 Abs. 1 Nr. 1 MPV und Anhang II der Richtlinie 93/42/EWG sich ergebende Regelung zum EU-Konformitätsbewertungsverfahren bei Medizinprodukten der Klasse III unter Einschaltung einer Benannten Stelle gerade dem Schutz der Gesundheit der Endempfänger der Medizinprodukte dienen soll und hierbei der Individualschutz der einzelnen Patienten im Vordergrund steht. Dem entspricht es, dass der vom Gesetzgeber in § 1 MPG normierte Zweck des Medizinproduktegesetzes darin besteht, durch die Regelung des Verkehrs mit Medizinprodukten für die Gesundheit und den erforderlichen Schutz der Patienten, Anwender und Dritter zu sorgen (vgl. auch Spickhoff/Mesch in Kullmann/Pfister/Stöhr/Spindler, Produzentenhaftung, Stand: 01/18, Haftung für Medizinprodukte, B.).
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Die Gewährleistung dieses Schutzes obliegt dabei nicht allein dem Hersteller selbst, sondern auch der Benannten Stelle. Nach der Richtlinie 93/42/EWG hat die Benannte Stelle bei Medizinprodukten der Klasse III die Bewertungen und Prüfungen unabhängig von jeder möglichen Einflussnahme – insbesondere finanzieller Art – durchzuführen (Anhang XI, Nr. 2), auch die Unabhängigkeit des mit der Prüfung beauftragten Personals ist zu gewährleisten (Anhang XI, Nr. 5). Der Benannten Stelle obliegen nach Anhang II der Richtlinie umfangreiche Pflichten wie die förmliche Überprüfung (Audit) des Qualitätssicherungssystems (Nr. 3.3), die Prüfung der Produktauslegung (Nr. 4.3) und die Überwachung der sich aus dem genehmigten Qualitätssicherungssystem ergebenden Verpflichtungen des Herstellers (Nr. 5.1). Die Benannte Stelle führt regelmäßig die erforderlichen Inspektionen und Bewertungen durch (Nr. 5.3) und kann darüber hinaus unangemeldete Besichtigungen beim Hersteller durchführen und erforderlichenfalls Prüfungen zur Kontrolle des ordnungsgemäßen Funktionierens des Qualitätssicherungssystems durchführen oder durchführen lassen, was bei Hinweisen auf ein nicht den Anforderungen der Richtlinie entsprechendes Medizinprodukt auch eine Produktprüfung und die Sichtung der Geschäftsunterlagen des Herstellers umfassen kann (vgl. BGH, Urteil vom 22. Juni 2017 – VII ZR 36/14 Rn. 25, NJW 2017, 2617; EuGH, Urteil vom 16. Februar 2017 – C-219/15, NJW 2017, 1161, juris Rn. 38 ff.). Ungeachtet ihrer Beauftragung durch den Hersteller hat die Benannte Stelle damit in dem dargestellten Rahmen eine von ihrem Auftraggeber unabhängige Stellung und dient mit ihrer Prüfungstätigkeit nicht nur dem Hersteller, sondern gerade auch den Endempfängern der Medizinprodukte. Das wird insbesondere in ihrer auch vom Gerichtshof der Europäischen Union ausdrücklich herausgestellten Pflicht deutlich, gegebenenfalls “alle erforderlichen Maßnahmen” zu ergreifen, um ihrer Verpflichtung zur Feststellung, ob die Konformitätserklärung aufrecht erhalten werden kann, und den vorstehend wiedergegebenen Regelungen des Anhangs II der Richtlinie nachzukommen (EuGH, Urteil vom 16. Februar 2017 – C-219/15, NJW 2017, 1161, juris Rn. 48).
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Für dieses Verständnis von Aufgabe und Prüfungstätigkeit der Benannten Stelle spricht in gleicher Weise die Vorschrift des § 18 MPG, die unmittelbar an die Benannte Stelle adressiert ist und diese ungeachtet des privatrechtlichen und nicht-hoheitlichen Charakters ihrer Tätigkeit mit Befugnissen ausstattet, die denen einer Behörde im öffentlichen Recht, etwa nach § 30 AMG oder §§ 48 f. VwVfG, ähnlich sind (vgl. Spickhoff/Lücker, Medizinrecht, 3. Aufl., § 18 MPG Rn. 1; Rehmann/Wagner/Rehmann, MPG, 3. Aufl., § 18 Rn. 1). Stellt danach eine Benannte Stelle fest, dass die Voraussetzungen zur Ausstellung einer Bescheinigung vom Hersteller nicht oder nicht mehr erfüllt werden oder die Bescheinigung nicht hätte ausgestellt werden dürfen, hat sie die Befugnis, unverzüglich die erforderlichen Maßnahmen zu treffen und die ausgestellte Bescheinigung unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit einzuschränken, auszusetzen oder einzuziehen. Hierin kommt zugleich eine Wechselbezüglichkeit zwischen dem ursprünglichen Tätigwerden der Benannten Stelle und ihren weitergehenden Aufgaben, die Konformität mit den gesetzlichen Vorgaben nicht bloß zu Beginn des Verfahrens zu prüfen, sondern auch fortlaufend im Interesse des Gesundheitsschutzes sicherzustellen, zum Ausdruck.
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d) Eine deliktische Haftung der Benannten Stelle gegenüber den Endempfängern von Medizinprodukten ist auch sinnvoll und im Lichte des haftungsrechtlichen Gesamtsystems tragbar.
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Zwar stehen den von fehlerhaften Medizinprodukten Betroffenen in der Regel Ansprüche gegenüber dem Hersteller nach dem Produkthaftungsgesetz zu, ohne dass es dabei auf Verschulden im Sinne einer persönlichen Vorwerfbarkeit ankäme (vgl. MünchKommBGB/Wagner, 7. Aufl., Einl. ProdHaftG Rn. 16 ff.; BeckOGK/Seibl, ProdHaftG, Stand: 1. August 2019, § 1 Rn. 18 ff.; jeweils m.w.N.). Darüber hinaus kann der Hersteller auch nach der allgemeinen deliktischen Verschuldenshaftung des § 823 BGB haften (vgl. § 15 Abs. 2 ProdHaftG; MünchKommBGB/Wagner, 7. Aufl., § 15 ProdHaftG Rn. 2 ff.; BeckOGK/Spickhoff, ProdHaftG, Stand: 1. August 2019, § 15 Rn. 11 f.). Das allgemeine Risiko einer Insolvenz des Herstellers, das sich im Streitfall verwirklicht hat, genügt dabei für sich genommen nicht, um die Notwendigkeit von Ersatzansprüchen gegen sonstige Beteiligte zu begründen.
42
Die dargestellte Ausgestaltung des Konformitätsbewertungsverfahrens nach der Richtlinie 93/42/EWG und ihre Umsetzung im Medizinproduktegesetz, namentlich die Ausrichtung der Aufgaben der Benannten Stelle am Patientenschutz und die Ausgestaltung der Prüftätigkeit als nicht bloß einmalige, sondern fortwährende Pflicht zeigen aber, dass eine deliktische Einstandspflicht der Benannten Stelle, die neben die Haftung des Herstellers treten kann, mit der Intention des Gesetzgebers im Einklang steht. Ein solches Nebeneinander der Haftung des Herstellers und des mit bestimmten (Prüf- oder Untersuchungs-)Pflichten belasteten Dritten ist dem Deliktsrecht auch ansonsten nicht fremd. So hat der Bundesgerichtshof im Zusammenhang mit der Einordnung von § 3 Abs. 1 und 2 des Geräteschutzgesetzes (GSG) als Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB bereits entschieden, dass neben dem Hersteller auch der mit dem Inverkehrbringen beauftragte Importeur eines technischen Arbeitsmittels nach § 823 Abs. 2 BGB haften kann, wenn er das Arbeitsmittel nicht stichprobenartig untersucht (BGH, Urteil vom 28. März 2006 – VI ZR 46/05 Rn. 8-27, NJW 2006, 1589). Die Ablehnung einer deliktischen Haftung der Benannten Stelle bei schuldhaften Pflichtverletzungen würde überdies den Sinn und Zweck des Konformitätsbewertungsverfahrens, das in der europäischen Konzeption des Medizinprodukterechts an die Stelle eines behördlichen Zulassungsverfahrens tritt, infrage stellen und seine Bedeutung entwerten (vgl. Degen, VersR 2017, 462, 466). Die mit weitreichenden Verpflichtungen und Befugnissen ausgestattete Benannte Stelle würde von einer Haftung weitgehend freigestellt, während eine staatliche Behörde dem gegenüber – wie etwa im Rahmen der Zulassung von Arzneimitteln nach §§ 21 ff. AMG – bei Pflichtverletzungen nach den Grundsätzen der Amtshaftung zumindest subsidiär in Anspruch genommen werden könnte (§ 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG; vgl. Spickhoff/Spickhoff, Medizinrecht, 3. Aufl., § 91 AMG Rn. 3; BeckOGK/Franzki, AMG, Stand: 1. September 2019, § 91 Rn. 6).
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Angesichts der mit der Verwendung fehlerhafter Medizinprodukte zusammenhängenden Gesundheitsgefahren ist die Schaffung eines individuellen Schadensersatzanspruchs gegen die Benannte Stelle auch aus diesem Grunde sinnvoll. Bei einer vertraglichen Haftung der Benannten Stelle nur gegenüber dem Hersteller und ohne eine deliktische Haftung gegenüber Dritten bestünde die Gefahr asymmetrischer Anreize zu Lasten der Endempfänger der Medizinprodukte und des Gesundheitsschutzes (vgl. Wagner, JZ 2018, 130, 134 ff.). Zur Verhinderung von dem Zweck des Konformitätsbewertungsverfahrens zuwiderlaufenden Anreizen besteht die Notwendigkeit, dass die Benannte Stelle nicht nur dem Risiko einer vertraglichen Haftung gegenüber dem Hersteller im Falle einer zu strengen Prüfung ausgesetzt ist, sondern ebenfalls dem Risiko einer deliktischen Inanspruchnahme durch Dritte bei einer nachlässigen Prüfung.
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e) Unter Berücksichtigung der vorstehenden Erwägungen bestehen schließlich auch keine Zweifel daran, dass im Falle von Gesundheitsgefährdungen durch ein Medizinprodukt die Endempfänger vom sachlichen und persönlichen Schutzbereich der Regelung im Medizinproduktegesetz zum EU-Konformitätsbewertungsverfahren und zu den Rechten und Pflichten der Benannten Stelle bei Medizinprodukten der Klasse III erfasst sind.
III.
45
Der Senat kann in der Sache nicht selbst entscheiden, § 563 Abs. 3 ZPO. Die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, weil das Berufungsgericht – von seinem Standpunkt aus folgerichtig – keine Feststellungen dazu getroffen hat, ob die weiteren Voraussetzungen einer deliktischen Haftung der Beklagten vorliegen.
46
1. Das Berufungsgericht wird gegebenenfalls zu beachten haben, dass sich § 6 Abs. 1 MPG nur auf das Inverkehrbringen von Medizinprodukten in Deutschland und auf die Inbetriebnahme von Medizinprodukten in Deutschland bezieht, weshalb das Berufungsgericht, soweit es um die Anwendung von § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1 und 2 MPG geht, gegebenenfalls Feststellungen dazu zu treffen haben wird, ob die Implantate, die Gegenstand der Revisionsoperationen bei den bei der Klägerin Versicherten waren, in Deutschland in den Verkehr gebracht oder in Betrieb genommen worden sind.
47
2. Vorsorglich weist der Senat ferner darauf hin, dass jedenfalls mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung eine Haftung der Beklagten auf Ersatz des durch die Revisionsoperationen entstandenen Schadens aus § 823 Abs. 1 BGB wegen zumindest fahrlässiger widerrechtlicher Verletzung des Körpers oder der Gesundheit der Versicherten der Klägerin nicht von vorneherein ausgeschlossen werden kann.
48
a) Das Berufungsgericht hat angenommen, der Beklagten habe keine besondere Garantenstellung gegenüber den Versicherten der Klägerin bei ihrer Zertifizierungs- und Überwachungstätigkeit hinsichtlich des Herstellers der Brustimplantate oblegen. Mit dieser Erwägung allein ließe sich eine Haftung der Beklagten indes nicht verneinen.
49
Die Feststellung, ob eine Garantenstellung besteht, die es rechtfertigt, das Unterlassen der Erfolgsabwendung dem Herbeiführen des Erfolgs gleichzustellen, ist nicht nach abstrakten Maßstäben zu treffen, sondern hängt von den Umständen des konkreten Einzelfalles ab; dabei bedarf es einer Abwägung der Interessenlage und der Bestimmung des konkreten Verantwortungsbereichs der Beteiligten (BGH, Urteil vom 14. Oktober 2014 – VI ZR 466/13 Rn. 17, MDR 2015, 153; Urteil vom 10. Juli 2012 – VI ZR 341/10 Rn. 19, BGHZ 194, 26; jeweils m.w.N.). Ob im Streitfall eine Garantenstellung der Beklagten im Verhältnis zu den Patientinnen vorliegt, hängt daher auch von der Art der Pflichtverletzung ab, zu der das Berufungsgericht keine Feststellungen getroffen hat. Jedenfalls greift die Argumentation des Berufungsgerichts, eine Garantenstellung der Beklagten folge nicht aus dem Gesetz, da sie nicht Adressat etwaiger Pflichten gegenüber den Endempfängern der Medizinprodukte sei, schon deshalb zu kurz, weil – wie bereits im Zusammenhang mit einer möglichen Haftung der Beklagten aus § 823 Abs. 2 BGB dargelegt (s. oben II. 4. c)) – die Gewährleistung des Schutzes der Gesundheit der Endempfänger der Medizinprodukte durch die Regelungen zum EU-Konformitätsbewertungsverfahren gerade auch der Benannten Stelle obliegt.
50
b) Die Anwendbarkeit der allgemeinen deliktsrechtlichen Grundnorm des § 823 Abs. 1 BGB führte allerdings nicht ohne weiteres dazu, dass der Beklagten hiernach weitergehende Sorgfaltsanforderungen oblegen hätten, als es die Regelungen in der Richtlinie 93/42/EWG und dem Medizinproduktegesetz für die Benannte Stelle vorsehen. Es kann dahinstehen, ob es Anwendungsfälle geben kann, in denen über die gesetzlichen Regelungen hinaus Sorgfaltsanforderungen einer Benannten Stelle gegenüber den Endempfängern von Medizinprodukten bestehen. Im Streitfall orientiert sich die Klägerin bei den von ihr behaupteten Pflichtverletzungen unmittelbar an den gesetzlichen Regelungen der Richtlinie und des Medizinproduktegesetzes ohne geltend zu machen, die Beklagte habe noch darüber hinausgehende Sorgfaltsanforderungen zu beachten gehabt und verletzt.
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