Europarecht

Heranziehung zu Bestattungskosten

Aktenzeichen  W 2 K 17.1484

Datum:
20.6.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 19746
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBestG Art. 14 Abs. 2, Art. 15 Abs. 2 S. 1
BayBestV § 1 Abs. 1 S. 2, § 15

 

Leitsatz

Die Gemeinde darf bei mehreren gleichrangig Bestattungspflichtigen nur einen von ihnen im Rahmen der Kostenerstattung heranziehen und diesen auf seinen Ausgleichsanspruch nach § 426 Abs. 1 BGB hinweisen. Die Heranziehung ist ermessensfehlerhaft, wenn die Gemeinde es unterlässt, den Kreis der grundsätzlich Erstattungspflichtigen zu erfassen und daraufhin eine ermessensfehlerfreie Auswahlentscheidung über die Person, die herangezogen werden soll, zu treffen. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Bescheid der Beklagten vom 4. April 2017 und der Widerspruchsbescheid des Landratsamts Aschaffenburg vom 20. November 2017 werden aufgehoben.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage, über die gem. § 102 Abs. 2 VwGO auch in Abwesenheit eines Beteiligten verhandelt werden konnte, hat in der Sache Erfolg. Der Bescheid ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Bei verständiger Würdigung des Klageantrags unter Einbeziehung des Gesamtvortrags der Klägerin ist das Klagebegehren dahingehend auszulegen, dass lediglich Ziffer 1 des Bescheids vom 4. April 2017 angefochten werden soll. Denn Ziffer 2 des Bescheids weist – auch nach Rechtsauffassung der Beklagten – keinen Regelungsgehalt auf, so dass sich bezüglich Statthaftigkeit und Rechtsschutzbedürfnis bereits Zweifel an der Zulässigkeit ergäben.
1. Die Heranziehung der Klägerin zu den Kosten der Beerdigung ihrer Mutter (Einsargungs- und Überführungskosten) kann nicht auf Art. 14 Abs. 2 Satz 2 des Bestattungsgesetzes (BestG) i.d.F. der Bek. v. 24. September 1970 (BayRS, 2127-1-G), zuletzt geändert durch Gesetz v. 2. August 2016 (GVBl. S. 246) gestützt werden. Nach dieser Vorschrift kann eine Gemeinde von einem Bestattungspflichtigen Ersatz der notwendigen Kosten verlangen, wenn sie gemäß Art. 14 Abs. 2 Satz 1 BestG für die Bestattung sorgen musste, weil Anordnungen gegenüber dem Bestattungspflichtigen nicht möglich oder nicht erfolgversprechend waren. Dies ist der Fall, wenn feststeht, dass die Angehörigen des Verstorbenen ihrer Bestattungspflicht nicht nachkommen oder alle zumutbaren Maßnahmen zu ihrer Ermittlung und Benachrichtigung erfolglos geblieben sind. Die Gemeinde hat also immer vorrangig die Möglichkeit der Anordnung gegenüber den bestattungspflichtigen Angehörigen zu prüfen.
Die Klägerin ist als Tochter der Verstorbenen gemäß §§ 15 Satz 1, 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 lit b der Verordnung zur Durchführung des Bestattungsgesetzes (Bestattungsverordnung – BestV) vom 1. März 2001 (GVBl. S. 92; BayRS 2127-1-1-G; ber. S. 190), zuletzt geändert durch Verordnung v. 22. Juli 2014 (GVBl. S. 286), bestattungspflichtig und hätte demzufolge für die Bestattung ihrer Mutter sorgen müssen. Nach der Mitteilung des Hospizes am Todestag musste die Beklagte jedoch zunächst davon ausgehen, dass keine Angehörigen vorhanden sind, die sich um die Bestattung kümmern werden. Sie durfte und musste folglich selbst für die Überführung des Leichnams vom Hospiz in die Leichenhalle in A. sorgen. Dies gilt umso mehr, als das Hospiz über kein Kühlhaus verfügt und die Leiche deshalb noch am selben Tag überführt werden musste.
Ob diese Tatbestandsvoraussetzungen auch hinsichtlich der Überführung von der Leichenhalle ins Krematorium vorliegen, erscheint bereits zweifelhaft. Denn die Überführung hat – offenbar unter Verstoß gegen die Bestattungs- und Beförderungsfrist des § 19 Abs. 1 BestV – erst am 25. Juni 2015 stattgefunden. Am 22. Juni 2015 hatte die Beklagte bereits telefonischen Kontakt mit der Klägerin. Aus den Akten ergibt sich nicht, dass sich die Klägerin hierbei geweigert hat, ihrer Bestattungspflicht nachzukommen. Sie hat lediglich angegeben, dass sie als Sozialhilfeempfängerin nicht die finanziellen Mittel besitze, für die Bestattung aufzukommen; es käme wenn nur die günstigste Bestattungsform in Frage. Daraus lässt sich aber noch nicht ableiten, dass eine förmliche Anordnung, gegebenenfalls mit Androhung von Zwangsmitteln, keinen Erfolg versprochen hätte. Hinzu kommt, dass laut Aktenvermerk der Beklagten vom 29. Mai 2017 die Überführung ins Krematorium „durch Anordnung der VG M.“ erfolgt ist und nicht durch die Beklagte, auch wenn diese die Kosten hierfür übernommen hat und nunmehr geltend macht. Als Sterbeortgemeinde wäre allein die Beklagte zuständig gewesen für die Überführung bis zur Übergabe an die Wohnortgemeinde, vgl. Ziff. 3.3.1 der Aufgaben der Gemeinden beim Vollzug des Bestattungsgesetzes (BestBek) vom 12. November 2002, Az.: IB3-2475.25-2, zuletzt geändert durch Bekanntmachung vom 7. Mai 2010 (AllMBl S. 127).
Im Ergebnis ist dies jedoch nicht entscheidend. Denn der Bescheid ist jedenfalls rechtswidrig, weil die Auswahl der Klägerin als Erstattungspflichtige ermessensfehlerhaft war.
Nach Art. 14 Abs. 2 Satz 2 BestG kann die Gemeinde von einem Pflichtigen Ersatz der notwendigen Kosten verlangen. Bei dieser Ermächtigung handelt es sich um einen Fall des intendierten Ermessens, d.h. in der Regel ist nur die Entscheidung für die Inanspruchnahme des Pflichtigen ermessensfehlerfrei (BayVGH, Beschluss vom 23.5.2017 – 4 ZB 16.1336 – juris). Dass die Beklagte grundsätzlich eine Kostenerstattung verlangt, ist somit nicht zu beanstanden.
Bei der Inanspruchnahme des Pflichtigen hat sie die in Art. 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BestG und § 15 Satz 2 BestV vorgeschriebene Reihenfolge zu beachten. Danach soll bei der Heranziehung der Verpflichteten der Grad der Verwandtschaft oder Schwägerschaft berücksichtigt werden. Die Inanspruchnahme der Klägerin, die als Tochter in gerader Linie mit der Verstorbenen verwandt ist, ist danach grundsätzlich zulässig. Gleichrangig wären aber auch die beiden Geschwister der Klägerin kostenerstattungspflichtig. Denn der Erstattungsanspruch richtet sich zunächst gleichermaßen gegen alle Bestattungspflichtigen, die ihrer Pflicht nicht nachgekommen sind.
Unerheblich ist dabei, dass der Beklagten zum Zeitpunkt der Bestattung und der vorausgehenden notwendigen Verrichtungen die Adressen der beiden Geschwister nicht bekannt gewesen sind. Denn der streitgegenständliche Bescheid, mit dem der Kostenerstattungsanspruch geltend gemacht wird, ist erst im April 2017 ergangen, also fast zwei Jahre nach der Bestattung. Bis dahin hätte die Beklagte ohne weiteres die Adressen der Geschwister ermitteln können. In der Akte finden sich keinerlei Nachweise dafür, dass solche Ermittlungen überhaupt stattgefunden haben und aus welchen Gründen sie erfolglos geblieben sind. Dem parallelen Streitverfahren, in dem es um die Inanspruchnahme der Klägerin für die Bestattungsgebühren der Gemeinde Dammbach ging (Az. W 2 K 16.128), ist zu entnehmen, dass der Gemeinde Dammbach bereits kurz nach dem Tod der Mutter die Namen und Adressen der weiteren Kinder bekannt waren. Mit Schriftsatz vom 19. Januar 2016 teilte der Bevollmächtigte der Klägerin in jenem Verfahren ebenfalls die Namen und Adressen der beiden Geschwister mit. Es bestehen somit keine Anhaltspunkte dafür, dass es der Beklagten nicht möglich gewesen wäre, bis zum Zeitpunkt des Bescheids im April 2017 die Adressen der Geschwister zu ermitteln, zumal sie bezüglich des Sterbefalls zum Zeitpunkt der Veranlassung der Bestattungsmaßnahmen bereits in Kontakt mit der Wohnortgemeinde der Verstorbenen, Dammbach, stand.
Grundsätzlich zulässig ist es zwar, bei mehreren gleichrangig Bestattungspflichtigen nur einen im Rahmen der Kostenerstattung heranzuziehen und diesen auf seinen Ausgleichsanspruch nach § 426 Abs. 1 BGB hinzuweisen. Allerdings setzt dies überhaupt eine Auswahlentscheidung voraus. Die Gemeinde muss den Kreis der grundsätzlich Erstattungspflichtigen erfassen und daraufhin eine ermessensfehlerfreie Entscheidung darüber treffen, wen sie heranzieht. Daran fehlt es hier.
Im streitgegenständlichen Bescheid finden sich keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der Beklagten ihr Ermessensspielraum bei der Auswahl des Erstattungspflichtigen bewusst war und sie ihn wahrgenommen hat. Es fehlen jegliche Erwägungen, aus welchen Gründen sie sich für die Inanspruchnahme der Klägerin entschieden hat, obwohl ihr die Existenz der Geschwister bekannt war und sie ihre Adressen jederzeit bei der Gemeinde Dammbach hätte erfragen können. Die Geschwister werden im verfahrensgegenständlichen Bescheid noch nicht einmal erwähnt. Vielmehr geht die Beklagte allein von der Klägerin als Bestattungspflichtiger aus. Ausführungen zu möglichen weiteren Pflichtigen fehlen völlig. Insofern liegt ein Ermessensausfall vor. Dieser Fehler kann nicht geheilt werden, zumal sich auch im Widerspruchsbescheid diesbezüglich keinerlei Erwägungen finden.
2. Der Klage war mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben.
3. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.


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