Aktenzeichen B 4 K 15.662
VwGO § 113 Abs. 1 S. 1
Leitsatz
1 Die Frage, ob eine Entwässerungsanlage ein Provisorium darstellt oder als endgültig anzusehende Anlage zu betrachten ist, richtet sich grundsätzlich in erster Linie nach dem Planungswillen des Einrichtungsträgers. Einer bestehenden Planungsabsicht gleichzusetzen ist aber auch ein wasserrechtlicher Bescheid, der eine Gemeinde verpflichtet, die öffentliche Einrichtung weiter auszubauen, dafür prüffähige Planunterlagen für eine den Regeln der Technik entsprechende Art der Abwasserbeseitigung vorzulegen und diese Planungen nachfolgend zu verwirklichen (Anschluss an BayVGH, Urt. v. 19.04.1993 – 23 B 92.171). (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
2 Eine rechtswidrig ohne wasserrechtliche Erlaubnis betriebene Entwässerungsanlage kann – unabhängig von einer bestehenden Planungsabsicht der Gemeinde – keine endgültige, einen Herstellungsbeitrag auslösende Einrichtung sein. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
3 Oberflächenentwässerungskanäle können nur als Zwischenlösung angesehen werden, auch wenn es vorübergehend erlaubt wurde, vorgeklärte Hausabwässer einzuleiten. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
4 Wenn bei nichtigem Satzungsrecht ein Vertrauensschutz verneint wird, kann nichts anderes gelten für ein Vertrauen darauf, eine endgültige betriebsfertige Einrichtung und ein Herstellungstatbestand liege beim Einleiten vorgeklärter Hausabwässer in einen Graben vor, zumal auch nach laienhafter Betrachtung in den 80er Jahren ein Oberflächenwasserkanal nicht einer „Kanalisation“ entsprach. (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
1. Das Verfahren wird eingestellt, soweit die Klage zurückgenommen wurde.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
1. Soweit die Klage zurückgenommen wurde, ist das Verfahren gemäß § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen.
2. Soweit die Klage aufrechterhalten wurde, ist sie zulässig, aber nicht begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 13.06.2013 und der Widerspruchsbescheid des Landratsamtes L. vom 01.09.2015 sind gemäß § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht im beantragten Umfang aufzuheben, weil sie auch insoweit rechtmäßig sind und der Kläger dadurch nicht in seinen Rechten verletzt ist.
Gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 1 KAG können die Gemeinden zur Deckung ihres anderweitig nicht gedeckten Aufwands für die Herstellung ihrer öffentlichen Einrichtungen (Investitionsaufwand) Beiträge von den Grundstückseigentümern erheben, denen die Möglichkeit der Inanspruchnahme dieser Einrichtungen besondere Vorteile bietet. Hierzu zählen auch die öffentlich betriebenen Entwässerungsanlagen. Die Entstehung von Herstellungsbeiträgen nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 KAG setzt voraus, dass das herangezogenen Grundstück durch eine insgesamt betriebsfertige Einrichtung erschlossen wird und dass eine gültige Abgabesatzung vorhanden ist (BayVGH, U. v. 18.01.2005 – 23 B 04.2222 – BeckRS 2005, 39594; st. Rspr.).
a. Die Beitrags- und Gebührensatzung zur Entwässerungssatzung der Beklagten vom 08.12.2010 (BGS-EWS 2010) ist eine wirksame Rechtsgrundlage für die Erhebung von Herstellungsbeiträgen für das klägerische Grundstück. Gründe, die gegen die Wirksamkeit der Satzung sprechen, wurden nicht vorgetragen und sind nicht ersichtlich.
b. Nach § 3 Abs. 1 a BGS/EWS 2010 entsteht die Beitragsschuld, sobald ein Grundstück an die Entwässerungseinrichtung angeschlossen werden kann. Dies war hier mit der Inbetriebnahme des Pumpwerks H. am 31.01.2013 der Fall. Zuvor stellte die Entwässerungssituation in H. mit Hauskläranlagen und Einleitung des vorgeklärten Abwassers in sogenannte Bürgermeisterkanäle ein Provisorium dar.
Nach der Rechtsprechung des Bayer. Verwaltungsgerichtshofs, der sich das erkennende Gericht anschließt, richtet sich die Frage, ob eine Entwässerungsanlage ein Provisorium darstellt oder als endgültig anzusehende Anlage zu betrachten ist, grundsätzlich in erster Linie nach dem Planungswillen des Einrichtungsträgers. Einer bestehenden Planungsabsicht gleichzusetzen ist aber auch ein wasserrechtlicher Bescheid, der eine Gemeinde verpflichtet, die öffentliche Einrichtung weiter auszubauen, dafür prüffähige Planunterlagen für eine den Regeln der Technik entsprechende Art der Abwasserbeseitigung vorzulegen und diese Planungen nachfolgend zu verwirklichen (BayVGH, Urteil vom 19.04.1993 – 23 B 92.171 -, juris Rn. 29f.) .
Nach diesen Grundsätzen ist das Gericht anhand der im Verfahren vorgelegten Unterlagen der Überzeugung, dass die Heranziehung des Klägers zu einem Herstellungsbeitrag mit Bescheid vom 13.06.2013 nicht gegen den Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragserhebung verstößt, weil eine funktionsfähige und betriebsfertig hergestellte, also als endgültig anzusehende Entwässerungseinrichtung erstmals mit dem Anschluss des Ortsteils H. an die zentrale Kläranlage B. vorlag und zuvor eine Beitragspflicht nicht entstehen konnte.
Dies ergibt sich aus Folgendem:
– Zum Zeitpunkt des Herstellungsbeitragsbescheides vom 22.07.1980 lag eine ordnungsgemäße Entwässerungseinrichtung in H. schon deswegen nicht vor, weil es an einer wasserrechtlichen Erlaubnis zum Einleiten von in Hauskläranlagen vorgeklärten Abwässern in die Ortskanäle fehlte. Der wasserrechtliche Erlaubnisbescheid des Landratsamts L. vom 04.01.1967 beschränkte sich auf die damals selbständige Gemeinde E. Zwar gehörte auch der Ortsteil H. damals zur Gemeinde E., aus dem der Erlaubnis beigefügten Lageplan der Ortskanäle geht aber hervor, dass nur das Ortsnetz in E. selbst Gegenstand der Erlaubnis war. Bestätigt wird dies durch den nach der Eingemeindung an die Beklagte gerichteten Folgeerlaubnisbescheid des Landratsamts L. vom 15.04.1987, in dem explizit der Gemeindeteil E. bezeichnet wird, sowie durch das Schreiben des Landratsamts vom 19.02.1988, in dem die Beklagte unter Hinweis auf strafrechtliche Folgen aufgefordert wird, für die Gemeindekanäle, u. a. in H., erstmals Erlaubnisse für die Gewässerbenutzung zu beantragen.
Eine rechtswidrig ohne wasserrechtliche Erlaubnis betriebene Entwässerungsanlage kann aber – unabhängig von einer bestehenden Planungsabsicht der Gemeinde – keine endgültige, einen Herstellungsbeitrag auslösende Einrichtung sein.
– Auch zum Zeitpunkt der Nacherhebungs-/Erstattungsbescheide vom 11.06.1991 und 23.03.1993 und letztlich bis zum Anschluss an die zentrale Kläranlage lag keine endgültige funktionsfähige Entwässerungseinrichtung vor.
Der wasserrechtliche Bescheid des Landratsamts L. vom 03.04.1989, der erstmals für den Ortsteil H. das Einleiten von in Hauskläranlagen vorgeklärten Abwässern in den vorhandenen Gemeindekanal erlaubte, war befristet bis zum 31.12.2008 und enthielt als Nebenbestimmung die Verpflichtung, dem Landratsamt für den Ortsteil H. „spätestens bis zum 31.12.1991 eine Vorplanung/Studie für die Sanierung der Abwasserverhältnisse vorzulegen.“ Diese Verpflichtung setzte sich in den lückenlosen „Verlängerungsbescheiden“ vom 23.09.2008, 24.09.2009 und 21.12.2011 fort, wobei in den Gründen des Bescheids vom 23.09.2008 ausgeführt wird: „Da die Lösung für die zukünftige Abwasserbeseitigung des Stadtteiles H. noch nicht endgültig feststeht, die Benutzung mithin noch vorübergehend unverändert ausgeübt werden soll, beantragte die Stadt B. … die Verlängerung der gehobenen Erlaubnis. … Die Reinigung von Hausabwässern über Kleinkläranlagen ohne weitergehende Reinigungsstufe entspricht nicht mehr den Anforderungen des § 7a Abs. 1 Satz 3 WHG … .Jedoch kann im vorliegenden Fall der tatsächliche Nutzungsumfang übergangsweise erlaubt werden.“
Der Einwand des Klägervertreters, die Verpflichtung zur Vorlage einer Vorplanung/Studie und der Begriff „Sanierung“ der Abwasserverhältnisse lasse nicht zwingend darauf schließen, dass das Landratsamt die Entwässerungseinrichtung der Beklagten als Provisorium angesehen habe, wird durch die zitierte Begründung des Verlängerungsbescheids vom 23.09.2008 widerlegt. Sie lässt darauf schließen, dass schon 1989 nur eine übergangsweise Gewässernutzung – bis zur Herstellung einer geordneten Abwasserbeseitigung – erlaubt wurde. Zwar wurde in dem Erlaubnisbescheid von 1989 kein Anschluss an eine zentrale Kläranlage vorgeschrieben (wie im Bescheid an die Gemeinde E. vom 04.01.1967), sondern nur die Vorlage einer Vorplanung oder Studie. Dies ist aber dem Gestaltungsspielraum der Beklagten geschuldet, der es selbst obliegt, unter mehreren geeigneten Alternativen die von ihr favorisierte Lösung für die künftige Abwasserbeseitigung zur Überprüfung vorzulegen. Oberflächenentwässerungskanäle können nur als Zwischenlösung angesehen werden, auch wenn es vorübergehend erlaubt wurde, vorgeklärte Hausabwässer einzuleiten. Es bestand aber zu keinem Zeitpunkt eine endgültige Erlaubnis zur Einleitung der Abwässer in den Ortsgraben.
Davon ausgehend ist die Vorgabe des Landratsamts im Erlaubnisbescheid vom 03.04.1989 an die Beklagte, eine Vorplanung/Studie für die Sanierung der Abwasserverhältnisse vorzulegen, einer zu dieser Zeit ggf. fehlenden Planungsabsicht der Beklagten gleichzusetzen (BayVGH, Urteil vom 19.04.1993, a.a.O.). Deshalb kommt es hier nicht entscheidend darauf an, ob bzw. ab wann die Beklagte eine konkrete Planungsabsicht verfolgt hat. Nachweislich begannen die Planungen für H. im Jahr 1995 (Aktenvermerk über Besprechung mit dem Ingenieurbüro vom 03.06.1995, Stadtratssitzung vom 12.09.1995).
c. Dem Kläger steht gegen die streitgegenständliche Heranziehung zum Herstellungsbeitrag kein über die Anrechnung der früheren Beitragsleistung hinausgehender Vertrauensschutz zu. Da eine Beitragspflicht für das Grundstück des Klägers erst mit Inbetriebnahme des Pumpwerks H. am 31.01.2013 entstanden ist, weil erst zu diesem Zeitpunkt die Möglichkeit geschaffen war, das Grundstück an die betriebsfertige Entwässerungseinrichtung anzuschließen, waren der Herstellungsbeitragsbescheid vom 22.07.1980 und die Nacherhebungs-/Erstattungsbescheide vom 11.06.1991 und 23.03.1993 wegen des fehlenden Beitragstatbestandes materiell rechtswidrig.
Abgabebescheide sind grundsätzlich nur belastende Verwaltungsakte (vgl. BVerwG vom 15.04.1983 BVerwGE 67; BayVGH vom 29.04.2010, Az. 20 BV 09.2108; juris Rn. 40). Dies bedeutet, dass mit einer bestimmten Festsetzung grundsätzlich keine begünstigende Aussage dahingehend getroffen wird, dass die Abgabe nicht noch höher festgesetzt werden könne (vgl. BayVGH vom 22.09.2003 Az. 23 ZB 03.1775).
Wenn bei nichtigem Satzungsrecht ein Vertrauensschutz verneint wird (vgl. BayVGH, Urteil vom 01.12.1997 – 23 B 96.851 -, juris Rn. 27), kann nichts anderes gelten für ein Vertrauen darauf, eine endgültige betriebsfertige Einrichtung und ein Herstellungstatbestand liege beim Einleiten vorgeklärter Hausabwässer in einen Graben vor, zumal auch nach laienhafter Betrachtung in den 80er Jahren ein Oberflächenwasserkanal nicht einer „Kanalisation“ entsprach. Dies ergibt sich im vorliegenden Fall auch aus den Nebenbestimmungen des Baugenehmigungsbescheids des Klägers vom 15.04.1991, in dem die Nutzung einer Kleinkläranlage gestattet, aber deren Auflassung nach Anschluss an eine Sammelkläranlage vorgeschrieben wurde.
d. Eine rechtlich verbindliche Zusicherung (Art. 38 Abs. 1 BayVwVfG), von weiteren Herstellungsbeiträgen verschont zu bleiben, liegt nicht in dem an alle Grundstückseigentümer zu den Bescheiden vom 22.07.1980 versandten Merkblatt.
e. Der Kläger kann sich auch nicht auf Festsetzungsverjährung berufen. Bei Erlass des Bescheides vom 12.06.2013 war die gemäß Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 b) bb), Abs. 2 KAG in Verbindung mit § 169 Abs. 1 Satz 1 AO vierjährige Festsetzungsfrist für die Erhebung des Herstellungsbeitrags für die Entwässerungseinrichtung offensichtlich noch nicht abgelaufen, die gemäß Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 b) cc), Abs. 2 KAG in Verbindung mit § 170 Abs. 1 AO erst mit Inbetriebnahme des Pumpwerks H. am 31.01.2013 begonnen hat.
Auch die Ausschlussfrist in Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 b) bb) 1. Spiegelstrich in Verbindung mit Art. 19 Abs. 1 und Abs. 2 KAG hinderte eine Beitragsfestsetzung nicht. Nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 b) bb) 1. Spiegelstrich KAG ist über § 169 Abs. 1 Satz 1 AO hinaus die Festsetzung eines Beitrags ohne Rücksicht auf die Entstehung der Beitragsschuld spätestens 20 Jahre nach Ablauf des Jahres, in dem die Vorteilslage eintrat, nicht mehr zulässig. Gemäß Art. 19 Abs. 2 KAG beträgt die Frist für Beiträge, die vor dem 01.04.2014 durch nicht bestandskräftigen Bescheid festgesetzt sind, einheitlich 30 Jahre. Diese Regelungen entsprechen der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (B. v. 05.03.2013 Az.: 1 BVR 2457/08), wonach das Rechtsstaatsprinzip in seiner Ausprägung als der Rechtssicherheit dienendes Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit verlangt, dass Abgaben zum Vorteilsausgleich nicht zeitlich unbegrenzt nach Erlangung des Vorteils festgesetzt werden können. Für den Eintritt der Vorteilslage genügt es, wenn die Anlage insgesamt betriebsfertig ist und der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt wird und zumindest eine Anschlussmöglichkeit besteht (BayVGH, B. v. 19.03.2015 – 20 ZB 14.1723 -, Rn. 5, juris).
Nachdem hier die maßgebliche Vorteilslage erst mit der Möglichkeit zum Anschluss an die zentrale Kläranlage entstanden ist (Januar 2013), kann nicht auf das Jahr 1980 abgestellt werden, als der (rechtswidrige) Herstellungsbeitragsbescheid gegenüber dem Kläger erging. Eine Anschlussmöglichkeit an das Provisorium Oberflächenwasserkanal ist nicht relevant.
Nach alledem war die Klage im Übrigen abzuweisen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 2 VwGO, wonach der unterliegende, bzw. der eine Klage zurücknehmende Teil die Kosten des Verfahrens trägt. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11 ZPO.