Europarecht

Hilfe für junge Volljährige, Einstellung von Jugendhilfeleistungen mit Sofortvollzug, Unterlassene Anhörung, Antragsweiterleitung, Sachliche Zuständigkeit, Kooperationsvereinbarung

Aktenzeichen  M 18 E 22.2359

Datum:
6.7.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 16875
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
SGB VIII § 10 Abs. 4
SGB VIII § 41
SGB IX § 14
SGB X § 48

 

Leitsatz

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage (M 18 K …) des Antragstellers gegen die Beendigung der Hilfe für junge Volljährige mit Bescheid des Antragsgegners vom 14. Juni 2022 wird wiederhergestellt.
II. Der Antragsgegner trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage (M 18 K …), mit der er sich gegen die Einstellung von bisher vom Antragsgegner erbrachten Jugendhilfeleistungen wendet.
Der am … … 2001 geborene Antragsteller lebt seit seiner Geburt bei seinen Großeltern. Ab dem 1. Mai 2002 gewährte der Landkreis … für ihn Vollzeitpflege gemäß §§ 27, 33 SGB VIII. Zum 1. Januar 2011 übernahm der Antragsgegner den Hilfefall und bewilligte ab diesem Zeitpunkt die Vollzeitpflege des Antragstellers bei seinen Groß- und Pflegeeltern mit Bescheid vom 1. Dezember 2010.
Mit medizinisch-psychiatrischem Gutachten vom … … 2015 wurde beim Antragsteller ein high-functioning Autismus (ICD-10 F 84.0), eine einfache Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung vom vorwiegend unaufmerksamen Subtyp (F 98.0), eine emotionale Störung des Kindesalters mit sozialer Ängstlichkeit (F 93.2) sowie eine Entwicklungsstörung der Fein- und Grobmotorik (F 82) diagnostiziert.
Mit Bescheid des Antragsgegners vom 20. April 2016 wurde für den Antragsteller eine Erziehungsbeistandschaft gemäß § 27 i.V.m. § 30 SGB VIII eingerichtet.
Nach Erreichen der Volljährigkeit bewilligte der Antragsgegner für den Antragsteller mit Bescheiden vom 14. und 15. Januar 2019 gemäß § 41 i.V.m § 35a Abs. 2 Nr. 3 SGB VIII Hilfe für junge Volljährige in Form der weiteren Vollzeitpflege bei seinen Pflegeeltern sowie ein Sonderpflegegeld. Mit Bescheid vom 5. Februar 2019 wurde des Weiteren die Erziehungsbeistandschaft nach § 30 SGB VIII verlängert.
In der Stellungnahme des Pflegekinderdienstes des Antragsgegners vom … … 2019 zur Fortführung der Jugendhilfe als Hilfe für junge Volljährige heißt es u.a., dass der Antragsteller im emotional-sozialen Bereich in seiner Entwicklung weit zurück liege und in keinem Lebensbereich selbstständig umfassend handeln könne. Er brauche weiterhin intensive Begleitung und Anleitung, um den Alltag zu gestalten, seine Schule zu verfolgen und den Kontakt zu anderen aufrechtzuerhalten. Die Pflegeeltern würden die Verselbstständigung unterstützen, ebenso arbeite Herr B. im Rahmen der Erziehungsbeistandschaft mit dem Antragsteller. Dies brauche jedoch Zeit und könne bisher nur sehr kleinschrittig erfolgen. Seinen Schulabschluss mache der Antragsteller über die Web-Individualschule, die ihn persönlich sehr stark und positiv unterstütze. Nach sozialpädagogischer Einschätzung brauche der Antragsteller weiterhin die Betreuung und Förderung durch die Großeltern im Rahmen der Vollzeitpflege. Er habe dort sein Zuhause und es bestehe eine positive enge und emotionale Bindung. Der Antragsteller wolle weiterhin bei diesen bleiben und Jugendhilfe erhalten, um sein Ziel, selbstständig zu leben, umzusetzen. Zudem brauche er aufgrund seines Autismus weiterhin die Begleitung des Erziehungsbeistandes, um die Kontakte nach außen altersgemäß weiterzuentwickeln und in seiner Selbstständigkeit und seinem Selbstbewusstsein zu wachsen.
Im Folgenden fanden mehrere Hilfeplangespräche statt, in denen jeweils die weitere Geeignetheit und Notwendigkeit der laufenden Hilfen festgestellt wurden.
Mit Schreiben vom 21. Juni 2021 wandte sich der Antragsgegner an den Bezirk Unterfranken und bat unter Verweis auf Punkt 1.5. der Kooperationsvereinbarung mit den Landkreisen und kreisfreien Städten in Unterfranken um Übernahme des Hilfefalls bis zum … … 2021. Vom Bezirk Unterfranken wurde das Übernahmegesuch sodann (wohl) an den Bezirk Oberbayern weitergeleitet.
Mit Schreiben vom 20. Juli 2021 legten die Pflegeeltern dem Antragsgegner einen ärztlichen Bericht vom … … 2021 „zur Klärung von Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII für den Sozialhilfeträger“ vor. Als Diagnosen beim Antragsteller wurden ein high-functioning Autismus (ICD-10 F 84.0) und ein Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom (F 98.0) sowie daneben soziale Ängste (F40.1) und eine Artikulationsstörung (F 80.0) genannt. Beim Antragsteller liege eine seelische/psychische Behinderung vor. Durch diese Behinderung sei die Fähigkeit zur Teilhabe am Leben an der Gesellschaft/ Gemeinschaft bereits in den Bereichen „Selbstversorgung und Wohnen“, „Arbeit, arbeitsähnliche Tätigkeiten“, „Tagesgestaltung, Freizeitgestaltung“ und „Kommunikation/ soziale Beziehungen“ eingeschränkt oder mit höherer Wahrscheinlichkeit zu erwarten. Eine Erwerbsminderung bestehe nicht, die berufliche Integration werde angestrebt.
Mit Schreiben vom 8. November 2021, eingegangen am 10. November 2021, beantragte der Antragsteller beim Antragsgegner die Weiterbewilligung der bisher gewährten Jugendhilfeleistungen über den … … 2022 (Vollendung des 21. Lebensjahres) hinaus. Der Antragsteller führte aus, dass der Antragsgegner seine Unterlagen zur Fallübernahme an den Bezirk Unterfranken weitergeleitet habe, ohne ihn zu informieren oder aufzuklären, dass es Alternativen neben der Sozialhilfe gebe. Bei besonderen Gründen gebe es nach § 41 SGB VIII einen Anspruch auf Hilfen für junge Volljährige bis zum 27. Lebensjahr. Dessen Voraussetzungen lägen vor: Seine Entwicklung zeige, dass er in der Lage sei, aufzuholen und er bemühe sich, immer selbstständiger zu werden. Eine spürbare Verbesserung seiner Situation sei gegeben.
Am 19. November 2021 leitete der Antragsgegner den Antrag vom 8. November 2021 per Fax an den Bezirk Oberbayern weiter. Aufgrund der strengeren Voraussetzungen für die Fortsetzung der Leistungen über das 21. Lebensjahr hinaus werde der Antrag als Neuantrag gewertet und daher im Rahmen des § 14 SGB IX weitergeleitet.
Mit Schreiben vom 23. sowie 25. November 2021 widersprachen die Pflegeeltern des Antragstellers der geplanten Abgabe des Falls an den Bezirk Oberbayern und forderten den Antragsgegner auf, seine Entscheidung zu erklären.
Mit Schreiben vom 25. November 2021 an den Antragsteller und seine Pflegemutter führte der Antragsgegner aus, dass im Hilfeplan am 20. Mai 2021 thematisiert worden sei, dass die Eingliederungshilfe für den Antragsteller ab Vollendung des 21. Lebensjahres möglicherweise durch den überörtlichen Träger (Bezirk Oberbayern) fortgesetzt werde. Der Antragsgegner habe mit dem Bezirk Oberbayern dahingehend eine Vereinbarung getroffen, wie dieser Übergang gestaltet werden soll, welche sich in vergleichbaren Fällen bewährt habe.
Mit Schreiben vom 30. November 2021 an die Pflegemutter des Antragstellers teilte der Bezirk Oberbayern mit, dass sich dieser als zuständiger Leistungsträger sehe und die begehrten Leistungen der Teilhabe deshalb ab Vollendung des 21. Lebensjahres des Antragstellers durch den Bezirk Oberbayern zu erbringen seien.
Unter dem 6. Dezember 2021 übersandte der Antragsteller dem Antragsgegner eine umfangreiche Stellungnahme hinsichtlich der im letzten Hilfeplan erarbeiteten Ziele und seinen Vorstellungen und Zielen für den noch zu erstellenden Hilfeplan 2022.
Am 8. Dezember 2021 legte der Erziehungsbeistand des Antragstellers, Herr. B., dem Antragsgegner einen Zwischenbericht vor. Diesem zufolge entwickle und verselbstständige sich der Antragsteller in seinem ganz eigenen Tempo nach eigenen inneren Gesetzmäßigkeiten. Bildungs- und Lernprozesse ließen sich bei ihm nicht voraussehen und dementsprechend nur entsprechend seinen Impulsen fördern. Folglich ließen sich auch in Zukunft die Ziele nur schwer und eher allgemein formulieren. Für den Antragsteller sei eine inklusive Begleitung weiterhin dringend erforderlich, damit er Schritt für Schritt weitere Eigenständigkeit erlernen könne. Der Antragsteller gebe sich täglich große Mühe, seine Zukunftsängste zu bewältigen und sich in einer Erwachsenenwelt zurechtzufinden. Obwohl er in den letzten Jahren enorme Fortschritte gemacht habe, sei er von der Verantwortungsübernahme und den Selbstständigkeitsmöglichkeiten eines gesunden jungen Erwachsenen gleichen Alters noch deutlich entfernt. Ohne die täglichen Bemühungen seiner Großeltern wäre die Situation nicht annähernd so stabil, wie sie jetzt erscheine.
Am 13. Dezember 2021 beantragte der Antragsteller beim Verwaltungsgericht München im Wege des einstweiligen Rechtschutzes die Weiterbewilligung der bisher gewährten Leistungen nach § 41 i.V.m. § 35a SGB VIII über das 21. Lebensjahr hinaus (M 18 E …).
Unter dem 21. Dezember 2021 wurde durch den Pflegekinderdienst beim Antragsgegner eine Hilfeplan-Fortschreibung erstellt. Ein persönliches Hilfeplangespräch mit allen Beteiligten sei nicht zustande gekommen, da der Antragsteller sich derzeit hierzu nicht in der Lage gefühlt habe und dieses daher abgelehnt hätte. Die Hilfeplan-Fortschreibung beziehe sich daher auf das Schreiben des Antragstellers vom 6. Dezember 2021, in welchem er sich zur weiteren Hilfegewährung und den Zielvorstellungen schriftlich ausführlich geäußert habe sowie auf Telefonate mit den Pflegeeltern und den Entwicklungsbericht des Erziehungsbeistands Herrn B. vom 8. Dezember 2021.
Der Antragsteller habe seine Autonomie weiterentwickeln und einige Ziele im letzten halben Jahr erreichen können. Er habe zum Beispiel seine Ernährung umgestellt und bemühe sich, sich mehr zu bewegen und gesünder zu leben. Die eigenständige Strukturierung des Alltags sei abhängig von seiner psychischen Verfassung und gelinge ihm mal besser mal schlechter. Die Großeltern würden ihn unterstützen und seine Selbstständigkeit fordern und fördern, wo es möglich sei. Der Kontakt zu Herrn B, dem Erziehungsbeistand, bestehe weiterhin konstant und positiv; dieser erlebe den Antragsteller selbstsicherer und selbstständiger in der Öffentlichkeit. Der Antragsteller würde sich in diesem Rahmen für Gespräche mit schwierigeren Themen öffnen und im Anschluss hätten sich deutliche Entwicklungsschritte gezeigt. Der Antragsteller studiere aktuell zwei Studiengänge parallel, zum einen „Controlling“ und zum anderen „geprüfter Betriebswirt/ Finanzen.“ Ab dem … … 2022 habe der Antragsteller des Weiteren eine Praktikumsstelle bei einer Steuerkanzlei bekommen, worauf er sehr stolz sei. Hier habe er zunächst sechs Monate auf Probe gearbeitet und könne bei positivem Verlauf auch eine Anstellung erhalten. Für den Antragsteller sei dies eine sehr große Herausforderung und verursache viel Angst, der Antragsteller wolle sich dem jedoch stellen. Insgesamt brauche der Antragsteller weiterhin die Betreuung und Förderung, wie sie durch die Großeltern im Rahmen der Vollzeitpflege erbracht werde. Ein eigenständiges Wohnen und Leben sei perspektivisch nicht absehbar und werde vom Antragsteller derzeit nicht angestrebt. Aus derzeitiger Sicht bedürfe der Antragsteller langfristiger Unterstützung für ein selbstbestimmtes Leben. Ziele der Vollzeitpflege bzw. der Erziehungsbeistandschaft seien, die Studien weiterhin gut und erfolgreich zu bewältigen, das Praktikum erfolgreich durchzuführen und ein festes Jobangebot zu erhalten, Kontakte zu knüpfen, mehr Selbstständigkeit in der alltäglichen Versorgung und der Freizeitgestaltung zu entwickeln sowie das Selbstbewusstsein weiter zu entwickeln. Im Rahmen der Jugendhilfemaßnahme stehe derzeit die Beendigung der Ausbildung mit Ziel einer beruflichen Integration im Fokus.
Mit Bescheid vom 22. Dezember 2021 bewilligte der Antragsgegner dem Antragsteller für den Zeitraum … … 2022 bis 30. Juni 2022 Hilfe für junge Volljährige in Form der Eingliederungshilfe durch Übernahme des anfallenden Vollpflegegeldes in Höhe von monatlich 1.192,25 EUR inklusive eines Pauschalbetrags für Sonderaufwendungen in Höhe von 50 EUR. In den Gründen wurde ausgeführt, dass der Antragsteller ab Januar 2022 für ein halbes Jahr ein berufliches Praktikum mit dem Ziel der beruflichen Integration beginnen werde. Im Rahmen der Jugendhilfemaßnahme stehe die Durchführung des Praktikums sowie die berufliche Integration bis 30. Juni 2022 im Fokus. In dieser Phase sei weiterhin die Betreuung und Unterstützung der Pflegeeltern und des Erziehungsbeistands notwendig.
Mit Schreiben vom 24. Dezember 2021 legte der Antragsteller beim Antragsgegner Widerspruch ein, der sich zum einen gegen die Befristung des Bescheides vom 22. Dezember 2021 wendet, zum anderen gegen dessen aus Sicht des Antragstellers unzutreffende Begründung.
Nach übereinstimmenden Erledigungserklärungen der Beteiligten wurde das Verfahren M 18 E … mit Beschluss vom … … 2022 eingestellt.
Mit Bescheid vom 17. Januar 2022 gewährte der Antragsgegner dem Antragsteller ab dem … … 2022 bis zu einer erneuten Bedarfsfeststellung, längstens jedoch bis zum 30. Juni 2022, ein Sonderpflegegeld in Höhe von monatlich 700 EUR, § 41 i.V.m. § 35 Abs. 2 Nr. 3 SGB VIII. Mit weiterem Bescheid vom 17. Januar 2022 wurde für den Zeitraum … … 2022 bis 30. Juni 2022 eine ambulante Hilfe für junge Volljährige in Form einer Erziehungsbeistandschaft gemäß § 41 i.V.m. § 30 SGB VIII gewährt.
Gegen die Befristung der beiden Bescheide legte der Antragsteller mit Schreiben vom 27. Januar 2022 ebenfalls Widerspruch ein.
Der Antragsgegner half den Widersprüchen des Antragstellers vom 24. Dezember 2021 sowie vom 27. Januar 2022 im Folgenden nicht ab und legte diese mit Schreiben vom 21. März 2022 bzw. 22. April 2022 der Widerspruchsbehörde zur Entscheidung vor.
Mit Schreiben vom 25. April 2022 stellte der Antragsteller beim Verwaltungsgericht München, eingegangen am 27. April 2022, einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz und beantragte sinngemäß
die Fortsetzung der Hilfen für junge Volljährige in Form der Vollzeitpflege sowie der Erziehungsbeistandschaft über den 30. Juni 2022 hinaus.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Befristung der Leistungen im Bescheid vom 22. Dezember 2021 sowie in den Bescheiden vom 17. Januar 2022 unangemessen und willkürlich sei und dem Antragsteller damit nicht ausreichend Zeit gegeben werde, sich zu entwickeln und zu verselbstständigen. Des Weiteren werde mit der Befristung und dem Zusatz „längstens bis“ suggeriert, dass die Leistungen zu diesem Termin unabhängig von einer Bedarfsfeststellung eingestellt werden würden. Wie die Begründung der Bescheide zeige, werde die Mitwirkungspflicht des Antragstellers im Rahmen der Hilfe für junge Volljährige darüber hinaus zum Druckmittel gemacht und die Weitergewährung der Hilfen unzulässigerweise an das Gelingen des Praktikums sowie der beruflichen Integration insgesamt gekoppelt.
Auf die weitere umfangreiche Antragsbegründung wird gemäß § 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO verwiesen.
Mit Schriftsatz vom 11. Mai 2022 beantragte der Antragsgegner,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung wurde ausgeführt, dass gemäß § 41 Abs. 3 SGB VIII der Jugendhilfeträger ab einem Jahr vor dem hierfür vorgesehenen Zeitpunkt einer Beendigung der Jugendhilfe prüfe, ob im Hinblick auf den Bedarf des jungen Menschen ein Zuständigkeitsübergang auf andere Sozialleistungsträger in Betracht komme. Nach Vollendung des 21. Lebensjahres übernehme üblicherweise der überörtliche Träger die Eingliederungshilfe. Der Antragsgegner habe mit dem Bezirk Oberbayern dahingehend eine Vereinbarung, wie dieser Übergang gestaltet werden soll. Diese Vorgehensweise habe sich in vergleichbaren Fällen bewährt. Im Hilfeplangespräch am 20. Mai 2021 sei dem Antragsteller mitgeteilt worden, dass die Hilfe demnach ab dem 21. Lebensjahr an den Bezirk Oberbayern abgegeben werde. Der Antrag auf Fortsetzung der Jugendhilfe vom 8. November 2021 sei folglich am 19. November 2021 gemäß § 14 Abs. 1 SGB IX an diesen weitergeleitet worden. Zeitgleich sei geprüft worden, ob eine Fortsetzung der Hilfegewährung durch den Antragsgegner über das 21. Lebensjahr hinaus für einen begrenzten Zeitraum erfolgen könne. An eine Fortsetzung der Hilfe für junge Volljährige über das 21. Lebensjahr hinaus stelle der Gesetzgeber erhöhte Anforderungen. Es müsse eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass ein erkennbarer und schon Fortschritte zeigender Entwicklungsprozess zur Erreichung der genannten Ziele vorliege, der durch Weitergewährung der Hilfemaßnahme gefördert werden könne. Nach der Neufassung des § 41 SGB VII sei zunächst festzustellen, ob eine Gewährleistung der Verselbstständigung im Rahmen der Möglichkeiten des jungen Volljährigen nicht oder nicht mehr vorliege. Es werde somit nicht verlangt, dass die Befähigung zu einer eigenverantwortlichen Lebensführung nach Vollendung des 21. Lebensjahres über einen begrenzten Zeitraum hinaus erreicht werde, sondern es sei eher eine Gefährdungseinschätzung im Hinblick auf die Verselbstständigung notwendig. Im nächsten Hilfeplan solle überprüft werden, ob aufgrund der Tatsache, dass für den Antragsteller perspektivisch kein eigenständiges Wohnen und Leben absehbar sei und er langfristig auf Unterstützung und Hilfeleistungen angewiesen sein werde, Jugendhilfeleistungen zur Deckung des Bedarfs noch geeignet seien. Die Hilfen seien deshalb zunächst bis zum 30. Juni 2022 bewilligt. Eine Eilbedürftigkeit sei nicht gegeben, da im Rahmen der Hilfeplanung eine erneute Überprüfung bis spätestens 30. Juni 2022 stattfinden und bei gegebenenfalls fehlendem jugendhilferechtlichem Bedarf eine Fortsetzung der Leistungen durch den Eingliederungshilfeträger (hier: Bezirk Oberbayern) gegeben sein werde.
Mit Schreiben vom 16. Mai 2022 wies das Gericht die Beteiligten u.a. darauf hin, dass den Widersprüchen des Antragstellers gegen die Befristung der Leistungen gemäß § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO aufschiebende Wirkung zukomme.
Mit Schreiben vom 18. Mai 2022 nahmen die Pflegeeltern gemeinsam mit dem Antragsteller zur Antragserwiderung ausführlich Stellung und führten aus, dass der Antragsteller perspektivisch gesehen sehr wohl in der Lage sein werde, eigenständig zu leben als auch zu wohnen. Auch langfristig werde er keine fremde Hilfe mehr benötigen, wenn diese Perspektive ordentlich vorbereitet werden würde.
Mit Bescheid des Antragsgegners vom 14. Juni 2022 wurde der Bescheid vom 22. Dezember 2021, der Sonderpflegegeldbescheid und der Bescheid über die Erziehungsbeistandschaft vom 17. Januar 2022 hinsichtlich der Befristung der Leistungen bis 30. Juni 2022 aufgehoben (Ziffer 1 des Bescheides). Mit Ziffer 2 des Bescheides wurde die am 8. November 2021 beantragte Hilfe für junge Volljährige i.V.m. Eingliederungshilfe in Form von Übernahme eines Vollzeitpflegegeldes und eines Sonderpflegegeldes sowie die Erziehungsbeistandschaft mit Ablauf des 30. Juni 2022 eingestellt. In Ziffer 3 des Bescheides wurde die sofortige Vollziehung der Ziffer 2 angeordnet.
Zur Begründung des Bescheides wurde hinsichtlich der Aufhebung der Befristung auf § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X verwiesen. Des Weiteren lägen die Voraussetzungen für die Gewährung der Hilfe für junge Volljährige nicht mehr vor, da nach fachlicher Einschätzung der in vielen Lebensbereichen benötigte Unterstützungsbedarf nicht durch Jugendhilfeleistungen gedeckt werden könne. Eine selbständige Lebensführung in einem absehbaren Zeitraum sei nicht zu erwarten.
Von einer Anhörung sei gemäß § 24 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Alt. 2 SGB X abgesehen worden, da die sofortige Entscheidung im öffentlichen Interesse notwendig sei. Es liege im öffentlichen Interesse, dass Jugendhilfeleistungen, die aus öffentlichen Geldmitteln erbracht werden, nur Personen zufließen würden, die auch anspruchsberechtigt seien. Vor dem Hintergrund eines sparsamen und sorgfältigen Umgangs mit öffentlichen Geldmitteln sei der Antragsgegner verpflichtet, unverzüglich zu reagieren und auszuschließen, dass für die Zukunft zu Unrecht Leistungen gewährt werden würden. Ohne Sofortvollzug würde sich eine endgültige Entscheidung über Monate hinziehen. Das öffentliche Interesse des Antragsgegners überwiege daher gegenüber den persönlichen Interessen des Antragstellers an der Fortsetzung der Hilfegewährung. Der Eingriff in die Rechtssphäre des Antragstellers sei auch geringfügig, da die Leistungen in Zukunft vom Bezirk Oberbayern, der seine sachliche und örtliche Zuständigkeit für die Leistungserbringung bereits bejaht habe, erbracht werden würden.
Mit Schriftsatz vom 1. Juli 2022 erhob der Antragsteller Klage (M 18 K …*) „gegen den Bescheid vom 14. Juni 2022“ und führte aus, sich ebenfalls gegen die Anordnung des Sofortvollzuges zu wenden. Im Weiteren bemängelte der Antragsteller seine fehlende Einbeziehung in die Entscheidung des Antragsgegners, im Besonderen das Unterlassen eines Hilfeplangesprächs vor Einstellung der Leistungen. Darüber hinaus verwies der Antragsteller u.a. auf den veränderten Prüfungsmaßstab des § 41 SGB VIII n.F. und legte dar, dass dessen Anspruchsvoraussetzungen weiterhin gegeben seien.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird ergänzend auf die Gerichtsakte im vorliegenden Verfahren sowie in den Verfahren M 18 K … und M 18 E … und die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Der entsprechend dem Tenor sachdienlich ausgelegte Antrag ist zulässig und begründet.
Das Gericht hat den Antrag gemäß §§ 122 Abs. 1, 88 VwGO sachgerecht dahingehend ausgelegt, dass der Antragsteller nach § 80 Abs. 5 VwGO die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Anfechtungsklage (M 18 K …) begehrt, mit welcher er sich gegen die Einstellung der Hilfen für junge Volljährige mit Bescheid des Antragsgegners vom 14. Juni 2022 wendet.
Der Antrag ist als solcher statthaft, da der Antragsgegner in Ziffer 3 des streitgegenständlichen Bescheides nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO den sofortigen Vollzug der Leistungseinstellung angeordnet hat.
Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage in den Fällen, in denen wie vorliegend die sofortige Vollziehung gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO angeordnet wurde, ganz oder teilweise wiederherstellen.
Im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO trifft das Gericht nach der Überprüfung, ob die Anordnung des Sofortvollzugs den formalen Kriterien des § 80 Abs. 3 VwGO genügt, eine eigene originäre Ermessensentscheidung, in deren Rahmen es zwischen dem Interesse der Behörde an der sofortigen Vollziehbarkeit des Verwaltungsaktes und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs abzuwägen hat. Bei der zu treffenden Abwägung sind in erster Linie die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Rahmen des Eilverfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende summarische Prüfung, dass der Rechtsbehelf voraussichtlich keinen Erfolg haben wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück. Erweist sich der zugrundeliegende Bescheid bei dieser Prüfung hingegen als rechtswidrig und das Hauptsacheverfahren damit voraussichtlich als erfolgreich, ist das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung regelmäßig zu verneinen. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens hingegen offen, kommt es zu einer allgemeinen Abwägung der widerstreitenden Interessen.
Vorliegend fehlt es bereits an einer ordnungsgemäßen Begründung des Sofortvollzuges nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO.
Gem. § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO ist in den Fällen des § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen.
Diese Vorschrift verpflichtet die Behörde, mit einer auf den konkreten Fall abgestellten und nicht lediglich „formelhaften“ schriftlichen Begründung das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung darzulegen. Das Begründungserfordernis dient dem Zweck, der Behörde den Ausnahmecharakter der Vollziehungsanordnung vor Augen zu führen, den Betroffenen über die Gründe, die für die Anordnung der sofortigen Vollziehung maßgebend gewesen sind, in Kenntnis zu setzen und schließlich auch das Gericht im Falle eines Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO über die Erwägungen der Behörde zu unterrichten. Der Inhalt der Begründung muss sich auf den konkreten Einzelfall beziehen (vgl. Buchheister in: Wysk, VwGO, 3. Aufl. 2020, § 80 Rn. 25 m.w.N.; BayVGH, B.v. 26.2.2019 – 9 CS 18.2659 – juris Rn. 13).
Diesen Maßstäben genügt die vom Antragsgegner im Bescheid vom 14. Juni 2022 angegebene Begründung nicht. Diese erschöpft sich im Wesentlichen in einem Hinweis, dass Jugendhilfeleistungen, die aus öffentlichen Geldmitteln erbracht werden, nur anspruchsberechtigten Personen zufließen sollen und ein endgültiger Verfahrensabschluss sich ohne Anordnung des Sofortvollzugs über Monate hinziehen könne. Es ist diesbezüglich nicht erkennbar, dass der Antragsgegner sich näher mit den Auswirkungen des Sofortvollzugs auf den Antragsteller befasst und eine einzelfallbezogene Abwägung der gegenläufigen Interessen durchgeführt hat. Der sparsame Umgang mit öffentlichen Mitteln sowie die Befürchtung, ein Klage- oder Widerspruchsverfahren könne eine endgültige Entscheidung verzögern, stellen lediglich generelle Erwägungen dar, die letztlich auf jede Fallsituation zutreffen, und sind daher zur Begründung der sofortigen Vollziehung gemäß § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO untauglich. Auch der Hinweis, dass nur ein geringfügiger Eingriff vorliege, da von nun an der Bezirk Oberbayern für die Leistungen zuständig sei, vermag nicht zu begründen, warum hier ein besonderes Vollziehungsinteresse vorliegen würde: Die Anordnung der sofortigen Vollziehung ist nach der Gesetzeskonzeption die Ausnahme, nicht die Regel. Allein die Tatsache, dass nur ein (vorgeblich) „kleiner“ Eingriff durchgeführt wird, führt nicht zu einem größeren Vollziehungsinteresse. Im Übrigen wäre insoweit auch ein möglicher Kostenerstattungsanspruch des Antragsgegners gegen den – seiner Ansicht nach – vorrangig zuständigen Leistungsträger zu berücksichtigen.
Die Anordnung des Sofortvollzugs ist damit bereits mangels hinreichender Begründung i.S.d. § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO formell rechtswidrig und kann deshalb keinen Bestand haben, ohne dass es darauf ankommt, ob in der Sache tatsächlich ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung der Anordnung besteht.
Dem Antrag des Antragstellers war daher stattzugeben und die aufschiebende Wirkung seiner Klage wiederherzustellen, § 80 Abs. 5 Satz 1, 2. HS VwGO. Angesichts der eindeutigen gesetzlichen Formulierung sieht sich das Gericht nicht veranlasst, der zum Teil vertretenen Ansicht, in Fällen der fehlerhaften Begründung der Anordnung des Sofortvollzugs lediglich die Anordnung des Sofortvollzugs aufzuheben, zu folgen. Der Antragsgegner hat im Verfahren hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht, dass er zeitnah eine Einstellung seiner Leistungen erreichen möchte, da er sich für die – unbestrittene – Hilfebedürftigkeit des Antragstellers als nicht zuständig erachtet. Insoweit bestehen jedoch auch im Übrigen erhebliche Zweifel an dem Vorgehen und der Rechtsauffassung des Antragsgegners, so dass dieser zum Schutz des Antragstellers im Falle begründeter Erkenntnisse zur Sachlage auf ein Verfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO zu verweisen ist.
Denn nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes allein möglichen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage ist davon auszugehen, dass der angegriffene Bescheid des Antragsgegners vom 14. Juni 2022 rechtswidrig ist und den Antragsteller in seinen Rechten verletzt, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Der Bescheid des Antragsgegners vom 14. Juni 2022 dürfte bereits in formeller Hinsicht rechtswidrig sein, da der Antragsteller zuvor nicht angehört und damit sein Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt wurde.
Gemäß § 24 Abs. 1 SGB X ist, bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in Rechte eines Beteiligten eingreift, dem Betroffenen Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Von der Anhörung kann lediglich in den nach § 24 Abs. 2 SGB X aufgezählten Gründen abgesehen werden.
§ 24 Abs. 1 SGB X findet vorliegend Anwendung, da mit der Einstellung der Leistungen zum 1. Juli 2022 eine dem Antragsteller bereits zuerkannte Rechtsposition zu dessen Nachteil verändert und damit in seinen Rechtskreis eingegriffen wird. Eine vorherige Anhörung des Antragstellers erfolgte nicht. Von dieser kann auch nicht abgesehen werden; eine sofortige Entscheidung war vorliegend insbesondere nicht, wie der Antragsgegner im Bescheid vom 14. Juni 2022 ausführt, im öffentlichen Interesse notwendig.
Gemäß § 24 Abs. 2 Nr. 1 SGB X kann von der Anhörung u.a. dann abgesehen werden, wenn eine sofortige Entscheidung wegen Gefahr im Verzug oder im öffentlichen Interesse notwendig erscheint. Beiden Alternativen des Absatzes 2 Nr. 1 ist dabei gemein, dass eine Anhörung zu einer unvertretbaren Verzögerung bei Erlass des Verwaltungsakts führen würde und hierdurch der Allgemeinheit erhebliche Nachteile oder Gefahren drohen würden (vgl. Franz in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 2. Aufl. Stand: 1.12.2017, § 24 Rn. 40). Beim Auffangtatbestand der Alt. 2, öffentliches Interesse, ist – da andernfalls § 24 Abs. 1 SGB X leerlaufen würde – ein über das allgemeine öffentliche Interesse an der Rechtmäßigkeit behördlichen Handelns hinausgehendes Interesse zu verlangen, welches wertmäßig dem öffentlichen Interesse bei Gefahr im Verzug (Alt. 1) gleichkommt (vgl. Siefert in: Schütze, SGB X, 9. Aufl. 2020, § 24 Rn. 25; Franz in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 2. Aufl. Stand: 1.12.2017, § 24 Rn. 42).
Ein solches besonderes behördliches Interesse ist vorliegend nicht zu erkennen. Es ist nicht ersichtlich, dass die Gewährung der Hilfe für junge Volljährige mit monatlichen Kosten von ca. 2.000 EUR über einige weitere Monate hinaus hier zu einem erheblichen Nachteil für die Allgemeinheit führen würde. Eine nähere Begründung abseits allgemeiner Erwägungen erfolgte seitens des Antragsgegners nicht.
Andere Ausnahmetatbestände des § 24 Abs. 2 SGB X sind im Weiteren nicht ersichtlich.
Die demnach erforderliche Anhörung des Antragstellers wurde auch nicht nachgeholt. Nach § 41 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Nr. 3 SGB X ist eine Verletzung von Verfahrens- oder Formvorschriften, die nicht den Verwaltungsakt nach § 40 SGB X nichtig macht, unbeachtlich, wenn die erforderliche Anhörung eines Beteiligten nachgeholt wird; nach Absatz 2 können Handlungen nach Absatz 1 bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz eines sozial- oder verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden. Die Nachholung der fehlenden Anhörung während des Gerichtsverfahrens setzt nach verwaltungsgerichtlicher Rechtsprechung voraus, dass die Anhörung nachträglich ordnungsgemäß durchgeführt und ihre Funktion für den Entscheidungsprozess der Behörde uneingeschränkt erreicht wird. Äußerungen und Stellungnahmen von Beteiligten im gerichtlichen Verfahren erfüllen diese Voraussetzungen grundsätzlich nicht (stRspr, vgl. z.B. BVerwG, B.v. 17.8.2017 – 9 VR 2/17 – NVwZ 2018, 268, 269 Rn. 10; BVerwG, U.v. 24.6.2010 – 3 C 14/09 – juris Rn. 37; nach sozialgerichtlicher Rechtsprechung wird überdies für die Nachholung der Anhörung ein „mehr oder minder förmliches Verwaltungsverfahren“ erwartet, vgl. BSG, U.v. 26.7.2016 – B 4 AS 47/15 R – juris Rn. 19). Nach diesen Maßstäben ist vorliegend keine Heilung des Verfahrensmangels eingetreten. Der Antragsgegner hat in seiner Antragserwiderung, die zeitlich mit dem Erlass des streitgegenständlichen Bescheids vom 14. Juni 2022 zusammenfiel, schon gar nicht erkennen lassen, sich mit dem bis dahin vorliegenden umfangreichen Vortrag des Antragstellers auseinandergesetzt zu haben. Auf die nach dem Erlass des Bescheids ergangenen Ausführungen des Antragstellers erfolgte des Weiteren gar keine Stellungnahme. Das rechtliche Gehör des Antragstellers wurde damit nicht gewahrt. Bereits die unterlassene Anhörung dürfte daher zur Aufhebung des Bescheides führen. § 42 Satz 1 SGB X ist nicht einschlägig, vgl. § 42 Satz 2 SGB X.
Die „Einstellung“ der Hilfe für junge Volljährige zum 1. Juli 2022 erweist sich darüber hinaus nach summarischer Prüfung auch in materieller Hinsicht als rechtswidrig. Dem Antragsteller steht über den 1. Juli 2022 hinaus ein Anspruch auf Hilfe für junge Volljährige gegen den Antragsgegner zu.
Mit Bescheid vom 14. Juni 2022 hat der Antragsgegner die dem Antragsteller mit Bescheiden vom 22. Dezember 2021 und 17. Januar 2022 gewährten Leistungen für junge Volljährige „eingestellt“. Eine Rechtsgrundlage für dieses Vorgehen wurde nicht genannt. Zugleich wurde in Ziffer 1 des Bescheides unter Berufung auf § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X die Befristung der mit Bescheiden vom 22. Dezember 2021 bzw. vom 17. Januar 2022 bewilligten Leistungen aufgehoben. Damit stehen zwei sich widersprechende Regelungen nebeneinander: zum einen die Leistungsbeendigung, zum anderen die infolge der „Entfristung“ unbeschränkte Leistungsbewilligung. Für einen verständigen, objektiven Erklärungsempfängers ist damit ein klarer Regelungsgehalt des Verwaltungsakts (vgl. § 33 Abs. 1 SGB X) nicht erkennbar.
Der Bescheid vom 14. Juni 2022 war daher seinem Sinngehalt entsprechend auszulegen. Bei den streitgegenständlichen Jugendhilfeleistungen dürfte es sich um Verwaltungsakte mit Dauerwirkung handeln. Solche sind dadurch gekennzeichnet, dass deren Regelungswirkung nach dem zugrunde liegenden materiellen Recht über die punktuelle Gestaltung eines Rechtsverhältnisses hinausreicht (vgl. Schütze in: Schütze, SGB X, 9. Aufl. 2020, § 45 Rn. 76 m.w.N.). Vorliegend erschöpft sich die Bewilligung der Leistungen mit Bescheiden vom 22. Dezember 2021 und 17. Januar 2022 in diesem Sinne nicht allein in einer punktuellen Gestaltung der Rechtslage, sondern regelt die Leistungsgewährung für eine gewisse Dauer. Will der Leistungsträger die per Dauerverwaltungsakt bewilligten Leistungen jedoch einstellen, ist der entsprechende Verwaltungsakt nach den Maßstäben der §§ 44 ff. SGB X aufzuheben, welche für die Rücknahme und den Widerruf von Verwaltungsakten ein geschlossenes System bilden (vgl. BVerwG, U.v. 10.9.1992 – 5 C 71/88 – juris Rn. 12). Da die Befristung der Leistungen aufgehoben wurde (und auch zuvor aufgrund des Widerspruchs des Antragstellers suspendiert war, vgl. VG München, B.v. 22.4.2022 – M 18 E 22.1862 – juris), liegt auch nicht der Fall vor, dass sich die „Einstellung der Leistungen“ als von den §§ 44 ff. SGB X nicht erfasste schlichte Nichterneuerung der Bewilligung darstellt. Die vom Antragsgegner verfügte „Einstellung“ der Leistungen ist demnach als konkludente Aufhebung der Bewilligungsbescheide auszulegen.
Die Voraussetzungen, unter denen die Bewilligungsbescheide nach den §§ 44 ff. SGB X aufgehoben werden könnten, liegen nach summarischer Prüfung jedoch nicht vor.
Eine Auslegung der Leistungseinstellung in eine grundsätzlich denkbare Rücknahme (für die Zukunft) nach § 45 SGB X scheidet vorliegend aus, da diese jedenfalls eine ordnungsmäßige Ermessensausübung voraussetzt. Ermessenserwägungen wurden vom Antragsgegner im streitgegenständlichen Bescheid jedoch nicht angestellt, da dieser offensichtlich von einer gebundenen Entscheidung ausging („Damit liegen die Voraussetzungen für die Gewährung der Hilfe für junge Volljährige […] nicht mehr vor. Die Gewährung der Hilfen wird mit Ablauf des 30. Juni 2022 eingestellt.“).
Auch die Voraussetzungen des daneben noch allein denkbaren § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X sind hier nicht gegeben: Danach ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Eine wesentliche Änderung in diesem Sinne ist seit Erlass der Bewilligungsbescheide am 22. Dezember 2021 bzw. am 17. Januar 2022 nicht eingetreten. Dem Antragsteller dürfte vielmehr weiterhin ein Anspruch gegen den Antragsgegner auf Gewährung von Hilfe für junge Volljährige in der bisherigen Form zustehen.
Nach § 41 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII erhalten junge Volljährige geeignete und notwendige Hilfe, wenn und solange ihre Persönlichkeitsentwicklung eine selbstbestimmte, eigenverantwortliche und selbständige Lebensführung nicht gewährleistet. Die Hilfe wird nach Satz 2 in der Regel nur bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres gewährt; in begründeten Einzelfällen soll sie für einen begrenzten Zeitraum darüber hinaus fortgesetzt werden.
Bei dem Anspruch nach § 41 Abs. 1 SGB VIII handelt es sich um einen gebundenen Rechtsanspruch. Der Gesetzgeber hat mit der Neufassung des § 41 SGB VIII (i.d.F. vom 3. Juni 2021) ausdrücklich formuliert, unter welchen Voraussetzungen Hilfe für junge Volljährige zu gewähren ist. Die Gewährleistung von Hilfe für junge Erwachsene wird damit verbindlicher, weil die Tatbestandsvoraussetzungen nunmehr explizit formuliert sind und die Rechtsfolge zwingend daran anknüpft. Der öffentliche Träger hat festzustellen, ob im Rahmen der Möglichkeiten des jungen Volljährigen die Gewährleistung einer Verselbständigung nicht oder nicht mehr vorliegt. Ist dies der Fall, so muss dem jungen Volljährigen in jedem Fall eine geeignete und notwendige Hilfe (weiterhin) gewährt werden. Eine Prognose dahingehend, dass die Befähigung zu einer eigenverantwortlichen Lebensführung bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres oder bis zu einem begrenzten Zeitraum darüber hinaus erreicht wird, wird nicht verlangt. Erforderlich ist nun vielmehr eine „Gefährdungseinschätzung“ im Hinblick auf die Verselbständigung (vgl. die Gesetzesbegründung, BT-Drs. 19/26107, S. 94).
Diese Maßstäbe zugrunde gelegt dürfte ein Anspruch des Antragstellers auf Hilfe für junge Volljährige (weiterhin) bestehen. In der vom Antragsgegner zuletzt vorgelegten sozialpädagogischen Stellungnahme vom 13. Juni 2022 heißt es, der Antragsteller brauche weiterhin die Sicherheit durch den Verbleib bei den Großeltern. Ein eigenständiges Wohnen und Leben sei perspektivisch derzeit nicht absehbar. Daneben benötige der Antragsteller weiterhin und längerfristig Begleitung und Assistenz im Kontakt nach außen in Person des Erziehungsbeistandes Herrn B. Die Großeltern sowie der Erziehungsbeistand würden für den Antragsteller ein Sicherheitsnetz darstellen, das für seine psychische Gesundheit und Weiterentwicklung unabdingbar sei. Im Bescheid vom 14. Juni 2016 kommt der Antragsgegner daher zum Ergebnis, dass eine selbständige Lebensführung in einem absehbaren Zeitraum nicht zu erwarten sei.
Eine nach der Neufassung des § 41 SGB VIII anzustellende Gefährdungseinschätzungen ergibt demnach, dass derzeit eine Verselbständigung des Antragstellers (noch) nicht erreicht ist und ohne die bisher gewährten Hilfen wohl prognostisch auch nicht erreicht werden kann. Die Voraussetzungen für den Anspruch, insbesondere auch in der konkreten Art der Ausgestaltung der Hilfe in Form der Vollzeitpflege und der Erziehungsbeistandschaft, liegen demnach vor.
Ob der Antragsteller zu einer eigenverantwortlichen Lebensführung bis zu einem begrenzten Zeitraum über die Vollendung des 21. Lebensjahres hinaus befähigt sein wird, ist, was der Antragsgegner vorliegend verkennt, nach der eindeutigen Gesetzesbegründung nicht Prüfungsmaßstab (vgl. hierzu auch Gallep in: Wiesner/Wapler, SGB VIII, 6. Aufl. 2022, § 41 Rn. 23; Overbeck, Die Hilfe für junge Volljährige nach der SGB VIII-Reform, JAmt 2021, 426 ff) und war es darüber hinaus auch vor der Gesetzesreform nicht: So ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 41 SGB VIII a.F. eine Prognose dahin, dass die Befähigung zu eigenverantwortlicher Lebensführung bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres oder bis zu einem begrenzten Zeitraum darüber hinaus erreicht wird, im Rahmen des § 41 SGB VIII nicht erforderlich. Da die Hilfe für die Persönlichkeitsentwicklung und zu einer eigenverantwortlichen Lebensführung gewährt werden solle, sei der Abschluss einer positiven Persönlichkeitsentwicklung bzw. die Verselbständigung mit der Befähigung zu eigenverantwortlicher Lebensführung lediglich das, soweit möglich, anzustrebende Optimum. Die Hilfe für junge Volljährige sei demnach also nicht notwendig auf einen bestimmten Entwicklungsabschluss gerichtet, sondern auch schon auf einen Fortschritt im Entwicklungsprozess bezogen (vgl. BVerwG, U.v. 23.9.1999 – 5 C 26/98 – juris Rn. 10).
Dass beim Antragsteller – ohne dass es darauf noch entscheidungserheblich ankommt – ein in diesem Sinne schon Fortschritte zeigender Entwicklungsprozess vorliegt, kann im Übrigen in Hinblick auf die letzten Hilfeplanfortschreibungen wohl ohne Weiteres bejaht werden. So heißt es beispielsweise explizit im Hilfeplanprotokoll vom 21. Dezember 2021, dass der Antragsteller im letzten halben Jahr seine Autonomie weiterentwickeln und einige Ziele habe erreichen können. Auch der Erziehungsbeistand erlebe den Antragsteller selbstsicherer und selbstständiger in der Öffentlichkeit. Der Antragsteller würde sich in diesem Rahmen für Gespräche mit schwierigeren Themen öffnen und im Anschluss hätten sich deutliche Entwicklungsschritte gezeigt. Der Antragsteller studiere aktuell zwei Studiengänge parallel, ab Januar 2022 beginne der Antragsteller des Weiteren ein Praktikum bei einer Steuerkanzlei. Dass sich an dieser positiven Einschätzung etwas geändert haben könnte und die Entwicklung des Antragstellers beispielsweise stagniere, ist nicht ersichtlich und wurde vom Antragsgegner, der es in diesem Zusammenhang entgegen § 36 SGB VIII auch unterlassen hat, ein weiteres Hilfeplangespräch durchzuführen, nicht vorgetragen.
Auch ist der Antragsgegner – und nicht etwa der Bezirk Oberbayern – weiterhin für die Gewährung der Leistung zuständig:
Das Verhältnis der sachlichen Leistungszuständigkeiten zwischen Sozial- und Jugendhilfeträger wird durch die Vorrangregelung des § 10 Abs. 4 SGB VIII bestimmt. Danach gehen die Leistungen nach dem SGB VIII Leistungen nach dem SGB IX und XII vor, § 10 Abs. 4 Satz 1 SGB VIII. Eine Ausnahme vom grundsätzlichen Vorrang der Jugendhilfe enthält § 10 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII: Danach gehen abweichend von Satz 1 u.a. Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem SGB IX – etwa in Form der Betreuung in einer Pflegefamilie gemäß §§ 90 ff., 113 Abs. 2 Nr. 4 SGB IX – für junge Menschen, die körperlich oder geistig behindert oder von einer solchen Behinderung bedroht sind, den Leistungen nach diesem Buch vor. Da der Antragsteller ausweislich des ärztlichen Berichts vom … … 2021 „zur Klärung von Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII für den Sozialhilfeträger“ ausschließlich seelisch behindert ist, stellt sich die Konkurrenzfrage hier jedoch schon gar nicht und es verbleibt bei der Zuständigkeit des Jugendhilfeträgers.
Soweit sich der Antragsgegner auf die Regelung in Nr. 1.5 der zwischen dem Bezirk Oberbayern als überörtlichem Sozialhilfeträger und den Landkreisen – u.a. dem Antragsgegner – sowie den kreisfreien Städten in Oberbayern als örtliche Jugendhilfeträger im Rahmen der Eingliederungshilfe zur Klärung der sachlichen Zuständigkeit geschlossenen Kooperationsvereinbarung beruft, ergibt sich auch hieraus nichts anderes, da das Gericht die Regelung für unwirksam erachtet.
Grundlage dieser Vereinbarung sind laut Präambel die Sozialgesetzbücher SGB VIII (Kinder- und Jugendhilfe), SGB XII (Sozialhilfe) und SGB IX (Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen). Die gemäß ihrer Nr. 3.7 am 1. August 2010 in Kraft getretene Kooperationsvereinbarung soll den Interessen Behinderter und von Behinderung bedrohter junger Menschen und ihrer Angehörigen oder ihrer gesetzlichen Vertreter/innen durch rasche Klärung von Zuständigkeiten dienen und möglichen Nachteilen wegen des gegliederten Systems der unterschiedlichen Träger entgegenwirken (Satz 2 der Präambel). Unter Nr. 1. (Sachliche Zuständigkeiten) heißt es unter Nr. 1.5. (Junge Volljährige mit ausschließlich seelischer Behinderung): „Für notwendige Leistungen der Eingliederungshilfe an junge Volljährige mit ausschließlich seelischer Behinderung ist bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres das Jugendamt zuständig. Ab Vollendung des 21. Lebensjahres ist die Zuständigkeit des Bezirks gegeben. In geeigneten Fällen kann der Jugendhilfeträger die Hilfe über das 21. Lebensjahr hinaus bis zum Ende der Maßnahme erbringen. Die ab dem 21. Lebensjahr erbrachten Leistungen werden vom Bezirk Oberbayern erstattet.“
Nach Nr. 1.5 Satz 2 dieser Vereinbarung wäre somit im vorliegenden Fall für Eingliederungshilfeleistungen für den Antragsteller ab dem … … 2022 der Bezirk Oberbayern zuständig. Die Voraussetzungen der Nr. 1.5 der Vereinbarung liegen vor, da der Antragsteller ausschließlich seelisch behindert ist.
Zu der zwischen dem Beigeladenen und den Landkreisen und kreisfreien Städten in Bayern geschlossenen Kooperationsvereinbarung hat jedoch die Kammer bereits mit Urteil vom 22. Juli 2017 (M 18 K 15.1386 – juris; nochmals bestätigt mit B. v. 24.4.2020 – M 18 E 19.2711 – juris Rn. 80 ff.) ausgeführt, dass die gesetzliche Zuständigkeitsregelung nicht durch diese Vereinbarung abdingbar ist:
„Bei der am 1. August 2010 in Kraft getretenen Kooperationsvereinbarung handelt es sich um einen öffentlich-rechtlichen Vertrag nach § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB X (hier sogenannter koordinationsrechtlicher Vertrag). Die Parteien der Vereinbarung sind öffentlich-rechtlich organisierte Träger. Vereinbarungsgegenstand ist im Wesentlichen die Abgrenzung von sachlichen Zuständigkeiten im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe (SGB VIII), der Sozialhilfe (SGB XII) und der Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX). […]. Öffentlichrechtliche Verträge nach § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB X dürfen nur begründet, geändert oder aufgehoben werden, soweit Rechtsvorschriften nicht entgegenstehen. Entgegenstehende Rechtsvorschriften in diesem Sinne sind nicht nur formelle Gesetze oder Rechtsverordnungen, sondern auch allgemeine Rechtsgrundsätze des öffentlichen Rechts. Die materielle Vertragsfreiheit ist nicht nur durch den Vorbehalt des Gesetzes (§ 31 SGB I) begrenzt, sondern auch durch den im Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG wurzelnden Vorrang des Gesetzes. Danach ist es der Verwaltung untersagt, im Wege des Vertrags andere Rechtsfolgen zu setzen als sie gesetzlich vorgesehen sind.“
Das Gericht sieht keinen Anlass für eine hiervon abweichende Beurteilung. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird zur weiteren Begründung auf die Ausführungen der Kammer in den genannten Entscheidungen verwiesen.
Auch die Weiterleitung des Antrags des Antragstellers auf Weitergewährung der Hilfe vom 8. November 2021 an den Bezirk Oberbayern unter Verweis auf § 14 SGB IX hat die Zuständigkeit des Antragsgegners nicht beendet.
Zum einen hat der Antragsgegner nach Weiterleitung des Antrags am 19. November 2021 die Leistungen nochmals selbst bewilligt und damit seine weitere Zuständigkeit anerkannt, sodass für eine Anwendbarkeit des § 14 SGB IX schon kein Raum bleibt.
Zum anderen ist, unabhängig davon, dass § 14 SGB IX lediglich für Leistungen der Teilhabe, auf den Jugendhilfebereich übertragen also Eingliederungshilfeleistungen nach § 35a SGB VIII, gilt und daher die Weiterleitung des Antrages schon gar nicht die nach § 41 i.V.m. § 30 SGB VIII beantragte Erziehungsbeistandschaft erfassen kann, § 14 SGB IX vorliegend insgesamt schon nicht einschlägig, da es sich bei dem Antrag vom 8. November 2021 um einen Fortsetzungsantrag handelt, der nicht als Antrag i.S.v. § 14 Abs. 1 SGB IX zu werten ist.
Für die Entscheidung über die Verlängerung einer bestimmten Maßnahme ist keine Antragstellung erforderlich, weil hierüber von Amts wegen befunden werden muss, wenn das Teilhabeziel noch nicht erreicht ist. Es handelt sich um einen einheitlichen Leistungsfall, der unter Beachtung des Grundsatzes der Leistungserbringung „aus einer Hand“ vom ursprünglich leistenden Träger abzuschließen ist (vgl. Schlegel/Voelzke, JurisPK-SGB IX, 3. Aufl. 2018, § 14 Rn. 58 m.w.N.; vgl. auch LSG Niedersachen-Bremen, B.v. 15.1.2018 – L 8 SO 249/17 B ER – juris Rn. 17 unter Bezugnahme auf den Grundsatz der Leistungskontinuität). Anders als bei dem Übergang zur Hilfe für junge Volljährige mit Vollendung des 18. Lebensjahres stellt sich die Vollendung des 21. Lebensjahres im Rahmen der Hilfegewährung nicht als eine ein neues Leistungsverhältnis begründende Zäsur dar (vgl. zum Übergang zu Volljährigenhilfe OVG NW, B.v. 9.6.2021 – 12 B 636/21 – juris) mit der Folge, dass ein Neuantrag erforderlich wäre. Bereits § 41 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 SGB VIII geht davon aus, dass die Hilfe für junge Volljährige in begründeten Einzelfällen über die Vollendung des 21. Lebensjahres hinaus zu gewähren ist. Vom Jugendhilfeträger ist demnach kein neuer Leistungsanspruch zu prüfen, die Voraussetzungen für den Hilfeanspruch bleiben insoweit gleich, sodass auch hier lediglich von der beantragten Fortsetzung der Hilfe auszugehen ist, die von § 14 SGB IX nicht erfasst ist.
Die als Aufhebung der Bescheide vom 22. Dezember 2021 und 17. Januar 2022 ausgelegte Einstellung der Jugendhilfeleistungen zum 1. Juli 2022 erweist sich nach summarischer Prüfung daher insgesamt als rechtswidrig.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist nach § 188 Satz 2 VwGO gerichtskostenfrei.


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