Europarecht

Hinweisbeschluss, Schriftsatz, Schadensersatzpflicht, Anspruch, Beurteilung, Schaden, Hinweis, Stromversorgung, Voraussetzungen, Rechtsprechung, Vollstreckbarkeit, Beklagte, Abwicklung, entstehen, ergangene Rechtsprechung

Aktenzeichen  24 U 2051/21

Datum:
18.11.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 54565
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 823

 

Leitsatz

Weder die zwischenzeitlich eingetretenen Änderungen in der Abwicklung der Stromversorgung noch die inzwischen ergangene Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs geben Anlass, die Frage eines deliktischen Schadensersatzanspruchs eines Stromkunden gegen denjenigen, der fahrlässig ein Stromkabel beschädigt, anders zu beurteilen als nach den Grundsätzen, die der Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 04.02.1964 (VI ZR 25/63) dargelegt hat.

Verfahrensgang

24 O 1524/19 2021-03-12 Urt LGMEMMINGEN LG Memmingen

Tenor

I. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Memmingen vom 12.03.2021, Az. 24 O 1524/19, teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
1. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 10.391,46 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 15.08.2017 zu bezahlen.
2. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 805,20 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 13.11.2019 zu bezahlen.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die weitergehende Berufung des Beklagten wird zurückgewiesen.
III. Von den Kosten des Rechtsstreits in erster Instanz tragen die Klägerin 41%, der Beklagte 59%. Von den Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Klägerin 18%, der Beklagte 82%.
IV. Dieses Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
V. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

Gründe

I.
Die Parteien haben nach einem Hinweisbeschluss des Senats vom 15.09.2021 (Bl. 236/242 d. A.) mit Schriftsatz vom 07.10.2021 (Bl. 246 f. d. A.) bzw. vom 12.10.2021 (Bl. 250 d. A.) ihr Einverständnis mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren (§ 128 Abs. 2 ZPO) erklärt, in welchem daher gemäß Beschluss vom 13.10.2021 (Bl. 252 f. d. A.) entschieden wird. Innerhalb der bis zum 29.10.2021 gesetzten Schriftsatzfrist ist lediglich der Schriftsatz des Beklagtenvertreters vom 29.10.2021 (Bl. 255/259 d. A.) eingegangen.
II.
1. Zur Begründung dieses Urteils wird zunächst auf den Hinweisbeschluss des Senats vom 15.09.2021 (Bl. 236/242 d. A.) verwiesen, in welchem (auch bezüglich der Kostenquotierung) die für die Entscheidung des Falles maßgeblichen Aspekte und ihre Beurteilung durch den Senat dargelegt sind.
2. Soweit der Senat in diesem Hinweisbeschluss Ausführungen zur Frage einer Schadensersatzpflicht dem Grunde nach gemacht hat (Seiten 1 bis 5 des Hinweisbeschlusses zu Nr. I. 1, Bl. 236/240 d. A.), tritt der Beklagte dem mit Schriftsatz vom 29.10.2021 (Bl. 255/259 d. A.) entgegen. Die Ausführungen in diesem Schriftsatz rechtfertigen jedoch keine andere Beurteilung des Falles als im Hinweis dargelegt; sie geben Anlass zu folgenden Anmerkungen:
a) Der Beklagte wendet ein, es hätte für den Bundesgerichtshof 1964 kein Anlass dazu bestanden, sich darüber Gedanken zu machen, dass die Strombelieferung im Jahr 2017 nicht mehr staatliche Aufgabe der Daseinsvorsorge sein könnte. Das ist offensichtlich zutreffend, verkennt aber die Argumentation des Senats im Hinweisbeschluss. Der Beklagte hat in der Berufungsbegründung sinngemäß argumentiert, die Entscheidung des Bundesgerichtshofs erkläre sich (auch) aus dem Umstand, dass die Stromversorgung damals eine staatliche Aufgabe gewesen sei. Dem hat der Senat entgegengehalten, dass im gesamten Urteil des Bundesgerichtshofs vom 04.02.1964 (VI ZR 25/63 – juris) an keiner Stelle von diesem Aspekt die Rede ist. Dazu hätte aber – unabhängig von der Frage, wie sich die Umstände insoweit wohl im Jahr 2017 darstellen mögen – sehr wohl Anlass bestanden, wenn der Bundesgerichtshof der Auffassung gewesen wäre, seine Entscheidung hänge davon ab, dass bei der Stromversorgung gerade der Staat tätig werde. Außerdem setzt sich der Beklagte nicht mit dem weiteren Argument des Senats auseinander, es sei sowohl aus Sicht des Schädigers wie aus Sicht des Geschädigten zufällig und unerheblich, ob der primär geschädigte Betreiber des Stromkabels dem sekundär geschädigten Stromabnehmer unmittelbar zur Stromversorgung verpflichtet ist, oder ob aufgrund der vorhandenen rechtlichen Strukturen eine weitere juristische Person dazwischentritt.
b) Zutreffend ist auch der Hinweis des Beklagten, dass es aus heutiger Sicht „keine vertragliche oder außervertragliche Rechtsbeziehung zwischen dem Schadensverursacher und dem Stromlieferanten“ gebe. Das tut allerdings nichts zur Sache, da es (wie im Hinweisbeschluss und auch vom Bundesgerichtshof in der zitierten Entscheidung diskutiert) ausschließlich um einen deliktischen Anspruch geht: Die Beschädigung des Eigentums des Netzbetreibers (Strommast) hat mittelbar zu einer Beschädigung des Eigentums des Stromabnehmers (verdorbene Produkte) geführt. Dass auch eine mittelbare schuldhafte Verletzung von Eigentum im Sinne des § 823 Abs. 1 Alternative 5 BGB grundsätzlich eine Schadensersatzpflicht auslöst, ist allgemeine Auffassung und bedarf keiner weiteren Begründung.
c) Soweit mit dem Schriftsatz vom 29.10.2021 (wie schon mit der Berufungsbegründung) geltend gemacht wird, der Schaden an den Molkereiprodukten sei durch die Beschädigung des Strommasten nicht adäquat verursacht worden, so dass eine Schadensersatzpflicht ausscheide, vermag der Senat dem nach wie vor nicht zu folgen. Es ist keineswegs unabsehbar, sondern vielmehr geradezu naheliegend, dass durch die Beschädigung eines Strommasten ein Eigentumsschaden in Betrieben entstehen kann, deren Produkte zu ihrem Erhalt auf eine ununterbrochene Stromzufuhr angewiesen sind.
Die Betrachtung des Beklagten, mit dieser Begründung „müsste beispielsweise auch jeder Eigentumsschaden ersetzt werden, der dadurch entsteht, dass wegen eines Rückstaus durch einen Unfall in einem Kühllaster Ware verdirbt“ (Seite 3 des Schriftsatzes vom 29.10.2021, Bl. 257 d. A.), führt hier ebenfalls nicht weiter.
aa) Insoweit ist zunächst und vor allem auszuführen, dass dem Senat nicht bekannt ist, dass ein solcher Fall schon einmal entschieden worden wäre; auch der Beklagte nennt hier keine einzige Gerichtsentscheidung und keine einzige Literaturstelle. Ob bzw. unter welchen Voraussetzungen in einem solchen Fall eine Schadensersatzpflicht besteht oder nicht besteht, ist daher eine offene (und offenbar mangels Praxisrelevanz noch nicht entschiedene) Frage, die gegebenenfalls einer genauen Betrachtung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls bedürfte. Für den Senat ist weder ersichtlich, dass diese Frage stets evidentermaßen zu verneinen wäre, noch, dass sie stets evidentermaßen zu bejahen wäre.
Im Übrigen drängt sich ein struktureller Gleichlauf dieser beiden Fallkonstellationen aus Sicht des Senats weniger auf als vom Beklagten geltend gemacht. Ein Kühllaster verfügt quasi definitionsgemäß über ein Notstromaggregat, in dessen Funktion im vom Beklagten angeführten „Rückstaufall“ nicht eingegriffen würde. Auch ist dem Nutzer eines Kühllasters im Vorhinein bekannt, dass (aus den vielfältigsten Umständen, etwa auch durch einen von niemandem verschuldeten Stau) Fahrten sehr häufig länger dauern können als geplant, weshalb davon auszugehen ist, dass er die Kapazität der Stromversorgung nicht zu knapp bemessen wird. Dass die Adäquanz der Schadensverursachung oder die Reichweite des Schutzzwecks der Norm in beiden Fallkonstellationen stets gleich zu beurteilen wäre, ist daher aus Sicht des Senats keineswegs ausgemacht.
Jedenfalls geht es nicht an, aus einer nur vermeintlich evidenten Lösung eines nur hypothetisch gedachten (und hinsichtlich seiner Umstände nicht näher konturierten) Falles im Wege eines zwingenden Schlusses folgern zu wollen, dass im vorliegenden Fall keine Schadensersatzpflicht bestehe.
bb) Soweit der Beklagte auf eine „damalige Argumentation“ abstellt, der zufolge „der Staat die Straßen nur zur Verfügung stellt, jedoch die Versorgung mit Strom als eine eigene Aufgabe erfüllt“ (Seite 3 des Schriftsatzes vom 29.10.2021, Bl. 257 d. A.), vermag der Senat dem schon im Ansatz nicht zu folgen. Dem Senat ist eine solche „damalige Argumentation“ (aus dem Jahr 1964?) nicht bekannt, insbesondere lässt sich dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 04.02.1964 eine solche Argumentation nicht entnehmen. Auch der Beklagte legt nicht durch die Angabe von Fundstellen dar, dass es „damals“, etwa in der Folge des Urteils vom 04.02.1964, eine solche „Argumentation“ gegeben habe.
d) Zur vom Beklagten erneut aufgeworfenen Frage, ob „unter Berücksichtigung der Rechtsprechung zur Nichterstattung von mittelbaren Schäden die heutige Situation mit dem damaligen Urteil abzugleichen“ sei (Seite 2 des Schriftsatzes vom 21.10.2021, Bl. 256 d. A.), verweist der Senat auf seine Ausführungen im Hinweisbeschluss (Seiten 3 f. zu (2), Bl. 238 f. d. A.), mit denen sich der Beklagte im Schriftsatz vom 29.10.2021 nicht auseinandersetzt.
e) Entsprechendes gilt für die Frage, ob das Kriterium der räumlichen Nähe zu einem entscheidungserheblichen Unterschied zwischen dem hiesigen und dem vom Bundesgerichtshof 1964 entschiedenen Fall ergibt.
III.
1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
2. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 708 Nr. 10, § 713 ZPO.
3. Vor dem Hintergrund der obigen Ausführungen sieht der Senat nach wie vor keinen Grund für die Zulassung der Revision (vgl. § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO).


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