Europarecht

Inlandsungültigkeit einer tschechischen Fahrerlaubnis

Aktenzeichen  11 CS 17.2185

Datum:
20.8.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 19971
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
FeV § 28 Abs. 1, Abs. 4 S. 1 Nr. 2, S. 2
VwGO § 80 Abs. 5

 

Leitsatz

1. Durch den Eintrag eines im Gebiet des Ausstellungsmitgliedstaats liegenden Wohnorts im Führerschein wird das tatsächliche Innehaben eines Wohnsitzes an diesem Ort nicht positiv und in einer Weise bewiesen, dass die Behörden und Gerichte anderer EU-Mitgliedstaaten dies als nicht zu hinterfragende Tatsache hinzunehmen hätten. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine ausländerrechtliche Bescheinigung über einen vorübergehenden Aufenthalt ist nicht dazu geeignet nachzuweisen, dass der Betreffende auch tatsächlich seinen ordentlichen Wohnsitz während des gesamten Zeitraums am angegebenen Ort hatte.  (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

RO 8 S 17.1299 2017-10-17 Bes VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert wird unter Abänderung der Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts für beide Rechtszüge auf 3.750,- EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller, der zuletzt am 7. August 2014 auf seine deutsche Fahrerlaubnis verzichtet hatte, wendet sich im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gegen die für sofort vollziehbar erklärte Verpflichtung, seinen tschechischen Führerschein zur Eintragung eines Sperrvermerks vorzulegen, und das zu deren Vollstreckung angedrohte Zwangsgeld.
Bereits im April 2014 war der Antragsgegnerin durch eine Mitteilung der Polizeiinspektion Waldsassen bekannt geworden, dass diese den Antragsteller bei einer Fahrzeugkontrolle am 14. April 2014 mit Unterlagen zum Erwerb einer tschechischen Fahrerlaubnis angetroffen habe. Im Rahmen eines Bußgeldverfahrens wegen eines am 3. Januar 2015 begangenen Geschwindigkeitsverstoßes legte der Antragsteller einen am 16. Juli 2014 in Tschechien ausgestellten Führerschein für die Klassen A1, A2, AM, B und B1 vor. Ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren wegen einer Straftat nach § 21 StVG wurde mit Verfügung der Staatsanwaltschaft vom 14. November 2016 gemäß § 170 Abs. 2 StGB eingestellt. Im Rahmen dieses Verfahrens trug der damalige Bevollmächtigte des Antragstellers mit Schreiben vom 26. Januar 2016 vor, dass dieser in Tschechien als Bauhelfer gearbeitet habe. Mit Schreiben vom 2. Mai 2016 wurden ein Mietvertrag über eine Wohnung unter der Anschrift „Seifertova 108/18, Bilina 41801“ vom 7. November 2013 bis 7. November 2014 (ohne Angabe einer bestimmten Wohnung, mit einer Klausel, wonach der Mietzins nachträglich nach der tatsächlichen Nutzung berechnet wird) und ein Arbeitsvertrag mit einer nicht lesbaren Arbeitgeberangabe über eine unbestimmte Tätigkeit von zehn Stunden zwischen dem 1. März und 30. Dezember 2014 mit einem Stundenlohn von 55,- CSK (umgerechnet 2,15 EUR) vorgelegt, wobei jeweils eine Wohnanschrift des Antragsstellers in Italien angegeben war. Weiter wurde eine eidesstattliche Versicherung einer Frau M.D. vorgelegt, wonach der Antragsteller vom 1. Februar bis 1. Oktober 2014 bei ihr in Usti nad Labem gewohnt habe. Der Antragsteller ließ vortragen, er habe aber auch in Bilina gewohnt. Nach Auskunft des Einwohnermeldeamts war er seit 30. August 2004 durchgehend mit Wohnsitz in Regensburg gemeldet, wo er seit 1990 ein Eiscafé als Familienbetrieb leitet. Aus dem Ermittlungsbericht der Autobahnpolizei Holzkirchen vom 1. November 2015 geht u.a. hervor, dass sie im Internet vierzehn deutsche „Führerscheintouristen“ unter der Anschrift Seifertova 108/18 in Bilina ermittelt hat.
Nach einer Bescheinigung der Tschechischen Republik über einen vorübergehenden Aufenthalt vom 7. Januar 2014 meldete der Antragsteller seinen Aufenthalt unter der Anschrift „Bilina, Seifertova 108/18, Lkr. Teplice“ an. Laut Mitteilung der Bezirkspolizeidirektion des Kreises Usti vom 18. August 2015 haben Ermittlungen unter dieser Anschrift ergeben, dass sich dort Sozialwohnungen befinden und 27 Personen gemeldet sind, darunter drei Rentner und ansonsten einkommensschwache Personen. Der Eigentümer der Unterkunft sei P… P… Er habe angegeben, dass dort niemals ausländische Staatsangehörige untergebracht gewesen seien. Nach einer vom Kraftfahrt-Bundesamt eingeholten Formularauskunft der tschechischen Fahrerlaubnisbehörde vom 28. August 2015 wohnt der Antragsteller unter der Anschrift „41801 Bilina, Seifertova 108/18“ mindestens 185 Tage im Kalenderjahr, hat dort eine Unterkunft, die auch Geschäftssitz ist. Fragen nach Familienangehörigen, Vermögensinteressen und Behördenkontakten wurden verneint. Die Bezirkspolizeidirektion Usti nad Labem teilte mit Schreiben vom 23. August 2016 mit, dass der Antragsteller noch immer im Besitz einer am 13. November 2013 beantragten vorübergehenden Aufenthaltserlaubnis und unter der Anschrift „Se. 108/18“ in Bilina wohnhaft sei. Nach einer Auskunft der Bezirksstaatsanwaltschaft Usti nad Labem vom 5. Oktober 2016 konnte die Polizei außer J… S… niemanden ermitteln, der zum Aufenthalt des Antragstellers hätte Angaben machen können. In seiner Zeugenaussage bezeichnete sich Herr S … als Unterkunftsvermittler und das Anwesen unter der Anschrift „Seifertova 108/18“ in Bilina als „sein Haus“. Dort befänden sich Zimmer, die er an Interessenten vermittle. Er kümmere sich nicht darum, ob sich diese dann dort auch tatsächlich aufhielten. An den Antragsteller erinnere er sich nicht, aber er sei im Unterkunftsbuch zu den im Mietvertrag genannten Zeiten geführt. Der Mietvertrag sei echt.
Mit Bescheid vom 12. Juli 2017 in der am 20. Juli 2017 berichtigten Fassung stellte die Fahrerlaubnisbehörde der Antragsgegnerin gestützt auf § 28 Abs. 4 Satz 2 FeV fest, dass der Antragsteller aufgrund seiner tschechischen Fahrerlaubnis nicht berechtigt sei, Kraftfahrzeuge in der Bundesrepublik Deutschland zu führen. Zudem verfügte sie unter Anordnung des Sofortvollzugs und Androhung eines Zwangsgelds in Höhe von 500,- EUR, dass der Antragsteller innerhalb von fünf Tagen seit Zustellung seinen tschechischen Führerschein zur Eintragung der fehlenden Fahrberechtigung in Deutschland vorzulegen habe.
Hiergegen ließ der Antragsteller am 1. August 2017 durch seinen damaligen Bevollmächtigten Klage (RO 8 K 17.1264) erheben, über die noch nicht entschieden ist, und gleichzeitig beantragen, „die aufschiebende Wirkung des Bescheides vom 12. Juli 2017“ wiederherzustellen und die sofortige Vollziehung der Nummern 2 und 3 aufzuheben. Am 5. September 2017 legte er eine „Bestätigung“ von Frau A.A. vor, dass sie von Anfang 2013 bis Anfang 2015 die Eisdiele des Antragstellers in Regensburg geleitet habe.
Mit Beschluss vom 17. Oktober 2017 lehnte das Verwaltungsgericht Regensburg den Antrag, die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage gegen Nummer 2 des Bescheids vom 12. Juli 2017 wiederherzustellen, ab. Rechtsgrundlage dieser Verpflichtung sei § 3 Abs. 2 StVG i.V.m. § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 FeV in entsprechender Anwendung. Der Antragsteller sei nicht berechtigt, von seiner tschechischen Fahrerlaubnis auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Gebrauch zu machen, weil ihm diese unter Verstoß gegen das Wohnsitzprinzip erteilt worden sei. Eine Zusammenschau unbestreitbarer Informationen aus dem Ausstellungsmitgliedstaat sowie die weiter durch die Antragsgegnerin ermittelten Umstände ergäben, dass er zum Zeitpunkt der Erteilung seinen ordentlichen Wohnsitz nicht in der Tschechischen Republik, sondern in der Bundesrepublik Deutschland gehabt habe.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde, der die Antragsgegnerin entgegentritt. Der Antragsteller beantragt, den Gerichtsbeschluss aufzuheben, den Feststellungsbescheid vom 12. Juli 2017 aufzuheben und die aufschiebende Wirkung der Fahrberechtigung aus dem tschechischen Führerschein wiederherzustellen. Er wendet ein, dass die Aussagen des Eigentümers der Unterkunft in Bilina rechtlich ohne Belang seien. Denn es frage sich, ob dieser auch nur annähernd den Stand der Vermietungen gekannt habe, da offensichtlich eine andere Person als Unterkunftsgeber aufgetreten sei. In dem Gerichtsbeschluss werde nicht nachvollziehbar dargestellt, dass der Wohnsitz in Tschechien rein fiktiv sei. Die vorgenommene Zusammenschau basiere nicht auf hinreichenden Fakten. Es lägen nur unpräzise Informationen Dritter und Mutmaßungen vor. Selbst wenn die deutschen Mieter, denen die Wohnungen zugeteilt gewesen seien, ihre Wohnungen nicht ständig genutzt hätten, lasse sich hieraus nicht schließen, dass sie nicht in Tschechien gewohnt hätten. Der Antragsteller habe glaubhaft gemacht, dass er mit Frau D. zusammengelebt habe. Der Umstand, dass er sich nicht offiziell zu Frau D. umgemeldet habe, sei privaten Gründen geschuldet und in diesem Zusammenhang nicht zu bewerten. Die Leitung der Eisdiele habe er während der Zeit, in der er in Tschechien sein Geschäftsfeld habe erweitern wollen, übertragen. Die Darstellung der Antragsgegnerin, dass man ihn mit anderen Führerscheinbewerbern in einem Reisebus angetroffen habe, und die hieraus gezogenen Schlüsse seien nicht als unbestreitbar zu werten. Wann Informationen unbestreitbar seien, werde in der Rechtsprechung unterschiedlich beurteilt. Die gerichtliche Entscheidung verstoße gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, weil das Sicherheitsrisiko im Fall des Antragstellers nicht deutlich über dem liege, das allgemein mit der Zulassung von Personen im öffentlichen Straßenverkehr verbunden sei. Jener nehme seit 2013 beanstandungsfrei am Straßenverkehr teil. Außerdem verkenne das Verwaltungsgericht die Anforderungen aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 1. März 2012. Verdachtsmomente, die sich aus inländischen Erkenntnissen ergäben, darunter Meldedaten und die persönlichen Verhältnisse im Inland, hätten außer Betracht zu bleiben. Auch wenn Ansatzpunkte als Informationen ausreichten, so komme es auf deren Quantität und Qualität an. Das Innehaben von zwei Wohnsitzen, die Erklärung einer ausländischen Fahrerlaubnisbehörde, sie habe die Einhaltung des Wohnsitzes nicht geprüft, und ein Widerspruch zwischen Wohnsitzeindruck und Wohnsitzangaben dürften nicht zu Lasten des Führerscheininhabers gehen. Es sei gemeinschaftsrechtlich nicht gewollt, widersprüchliche Informationen aus dem Ausstellungsmitgliedstaat für die Versagung der Nutzung eines EU-Führerscheins ausreichen zu lassen. Dem ursprünglichen Antrag sei stattzugeben.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und auf die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde ist unbegründet.
Aus den im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Gründen, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 1 bis 6 VwGO), ergibt sich nicht, dass die erstinstanzliche Entscheidung abzuändern oder aufzuheben wäre. Mit den allein gegen die Rechtmäßigkeit der nicht für sofort vollziehbar erklärten feststellenden Verfügung gemäß § 28 Abs. 4 Satz 2 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV) vom 13. Dezember 2010 (BGBl I S. 1980), zuletzt geändert durch Verordnung vom 24. Mai 2018 (BGBl I S. 566), gerichteten Einwänden kann die Beschwerde keinen Erfolg haben. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO – vom Antragsteller unbeanstandet – dahin ausgelegt, dass nur die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Verpflichtung gemäß § 47 Abs. 1 Satz 2 FeV zur Vorlage des EU-Führerscheins Gegenstand des einstweiligen Rechtsschutzbegehrens sein solle (vgl. zum Ganzen BayVGH, B.v. 9.3.2017 – 11 CS 17.315 – juris Rn. 15 ff. m.w.N.).
Die Kritik des Antragstellers an der Würdigung der aus der Tschechischen Republik erhaltenen Informationen und der im Inland vorhandenen Umstände durch die Antragsgegnerin ist unberechtigt. Es ist nicht zu beanstanden, dass die Fahrerlaubnisbehörde und das Gericht die Informationen in der Gesamtschau als Hinweis gewertet haben, dass der Antragsteller in Tschechien einen fiktiven Wohnsitz allein zu dem Zweck begründet hatte, der Anwendung der strengeren Bedingungen für die Ausstellung eines Führerscheins an seinem tatsächlichen Wohnsitzes zu entgehen (vgl. EuGH, U.v. 1.3.2012 – C-467/10 – NJW 2012, 1341 Rn. 74 f.; BVerwG, U.v. 30.5.2013 – 3 C 18.12 – BVerwGE 146, 377 = juris Rn. 21).
Nach § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FeV gilt die Berechtigung nach § 28 Abs. 1 FeV nicht für Inhaber einer EU- oder EWR-Fahrerlaubnis, die ausweislich des Führerscheins oder vom Ausstellungsmitgliedstaat herrührender unbestreitbarer Informationen zum Zeitpunkt der Erteilung ihren ordentlichen Wohnsitz im Inland hatten, es sei denn, dass sie als Studierende oder Schüler im Sinne des § 7 Abs. 2 FeV die Fahrerlaubnis während eines mindestens sechsmonatigen Aufenthalts erworben haben.
Ein ordentlicher Wohnsitz im Inland wird nach § 7 Abs. 1 Satz 2 FeV angenommen, wenn der Betroffene wegen persönlicher und beruflicher Bindungen oder – bei fehlenden beruflichen Bindungen – wegen persönlicher Bindungen, die enge Beziehungen zwischen ihm und dem Wohnort erkennen lassen, gewöhnlich, d.h. während mindestens 185 Tagen im Jahr, im Inland wohnt. Eine Person, deren persönliche Bindungen im Inland liegen, die sich aber aus beruflichen Gründen in einem oder mehreren anderen Mitgliedstaaten der EU (oder EWR) aufhält, hat ihren ordentlichen Wohnsitz im Inland, sofern sie regelmäßig dorthin zurückkehrt (§ 7 Abs. 1 Satz 3 FeV). Die Voraussetzung entfällt, wenn sie sich zur Ausführung eines Auftrags von bestimmter Dauer in einem solchen Staat aufhält (§ 7 Abs. 1 Satz 4 FeV).
Diese Bestimmungen stehen mit Art. 2 Abs. 1, Art. 7 und Art. 12 der Richtlinie 2006/126/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über den Führerschein (Neufassung, ABl EG Nr. L 403 S.18) in Einklang (vgl. BayVGH, B.v. 13.6.2017 – 11 CS 17.1022 – juris Rn. 14). Voraussetzung für die Anerkennung einer EU-Fahrerlaubnis, die ein Mitgliedstaat ausgestellt hat, ist gemäß Art. 7 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2006/126/EG ein Wohnsitz im Ausstellungsmitgliedstaat im Sinne des Art. 12 der Richtlinie 2006/126/EG. Die Verpflichtung zur gegenseitigen Anerkennung von durch EU-Mitgliedstaaten erteilten Fahrerlaubnissen gemäß Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2006/126/EG gilt nicht, wenn entweder Angaben im zugehörigen Führerschein oder andere vom Ausstellungsmitgliedstaat herrührende unbestreitbare Informationen vorliegen, nach denen das Wohnsitzerfordernis nicht eingehalten wurde (vgl. EuGH, U.v. 1.3.2012 – C-467/10, Akyüz – NJW 2012, 1341 Rn. 62).
Hieraus folgt zunächst, dass es der Antragsgegnerin nicht verwehrt war, der Frage nachzugehen, ob der Antragsteller bei der Erteilung der EU-Fahrerlaubnis tatsächlich seinen ordentlichen Wohnsitz in Tschechien hatte (vgl. EuGH, U.v. 26.4.2012 – C-419/10, Hofmann – juris Rn. 90). Durch den Eintrag eines im Gebiet des Ausstellungsmitgliedstaats liegenden Wohnorts im Führerschein wird das tatsächliche Innehaben eines Wohnsitzes an diesem Ort nicht positiv und in einer Weise bewiesen, dass die Behörden und Gerichte anderer EU-Mitgliedstaaten dies als nicht zu hinterfragende Tatsache hinzunehmen hätten (vgl. BayVGH, U.v. 25.9.2012 – 11 B 10.2427 – NZV 2013, 259). Die Verpflichtung zu gegenseitiger Amtshilfe nach Art. 15 Satz 1 der Richtlinie 2006/126/EG vermittelt dem Aufnahmemitgliedstaat vielmehr das Recht, sich bei den Behörden des Ausstellungsmitgliedstaats über das tatsächliche Bestehen eines ordentlichen Wohnsitzes zu erkundigen; dem steht die Verpflichtung dieses Staats gegenüber, einschlägige Informationen zur Verfügung zu stellen (vgl. BayVGH, U.v. 7.5.2015 – 11 B 14.654 – juris Rn. 33). Dass ggf. auch widersprüchliche behördliche Informationen aus dem Ausstellungsstaat von der Fahrerlaubnisbehörde des Aufnahmemitgliedstaats als Hinweis auf einen Scheinwohnsitz gewertet werden dürfen (vgl. BayVGH, B.v. 18.6.2018 – 11 ZB 17.1696 – juris Rn. 25), ergibt sich schon daraus, dass Angaben im Führerschein wie auch andere vom Ausstellungsmitgliedstaat herrührende Informationen gleichrangig („oder“) als Erkenntnisquellen genutzt werden dürfen (vgl. EuGH, B.v. 9.7.2009 – C-445/08 – EuZW 2009, 735 Rn. 51).
Ferner lassen sich der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (U.v. 1.3.2012 – C-467/10 – a.a.O. Rn. 67 ff.) keine mit dem Begriff „unbestreitbar“ verknüpften Mindestanforderungen an die qualitative Beweis- bzw. Aussagekraft entnehmen. Vielmehr wird insoweit zunächst vorausgesetzt, dass die Informationen von einer Behörde des Ausstellungsmitgliedstaats stammen, selbst wenn sie nur indirekt in Form einer Mitteilung Dritter übermittelt worden sind (vgl. EuGH, a.a.O. Rn. 67, 71 f.). Die entsprechende Prüfung obliegt den Behörden und Gerichten des Aufnahmemitgliedstaats (vgl. EuGH, a.a.O. Rn. 73). Weiter setzt die Heranziehung der Informationen nicht voraus, dass sich aus ihnen ein Verstoß gegen das Wohnsitzerfordernis zweifelsfrei ergibt bzw. dass sie insoweit als abschließender Beweis angesehen werden können (vgl. BayVGH, B.v. 29.3.2018 – 11 CS 17.1817 – juris Rn. 13). Es genügt, wenn sie darauf „hinweisen“, dass der Inhaber des Führerscheins im Gebiet des Ausstellungsmitgliedstaats einen rein fiktiven Wohnsitz allein zu dem Zweck begründet hat, der Anwendung der strengeren Bedingungen für die Ausstellung eines Führerscheins im Mitgliedstaat seines tatsächlichen Wohnsitzes zu entgehen (vgl. EuGH, a.a.O. Rn. 74 f.; BVerwG, U.v. 30.5.2013 – 3 C 18.12 – BVerwGE 146, 377 = juris Rn. 21). Auch insofern obliegt die Bewertung den Behörden und Gerichten des Aufnahmemitgliedstaats (vgl. EuGH, a.a.O. Rn. 74).
Liegen unbestreitbare Informationen des Ausstellungsmitgliedstaats vor, aus denen sich die Möglichkeit ergibt bzw. die darauf hinweisen, dass das Wohnsitzerfordernis nicht eingehalten war, sind bei der Beurteilung dieser Frage alle Umstände des anhängigen Verfahrens zu berücksichtigen, also auch die „inländischen Umstände“ (EuGH, U.v. 1.3.2012 – C-467/10 – a.a.O. Rn. 75; stRspr, vgl. BayVGH, B.v. 12.1.2018 – 11 CS 17.1257 – juris Rn. 10; B.v. 23.1.2017 – 11 ZB 16.2458 – juris Rn. 12 m.w.N.; OVG NW, B.v. 9.1.2018 – 16 B 534/17 – juris Rn. 14 ff.).
Im Fall des Antragstellers ist als unbestreitbare Information des Ausstellungsmitgliedstaats das Ermittlungsergebnis der tschechischen Polizei zu werten, dass sich unter der Meldeanschrift in Bilina Sozialwohnungen befinden, die laut Aussage des – ebenfalls polizeilich ermittelten – Gebäudeeigentümers nicht an ausländische Staatsangehörige vergeben worden sind. Diese Ermittlungen sind auf gezielte Anfrage der deutschen Polizei nach dem Aufenthalt deutscher Staatsangehöriger unter dieser Anschrift (vgl. Bl. 16 der Behördenakte) geführt worden. Der von der Staatsanwaltschaft einvernommene Unterkunftsvermittler hingegen hat das Gebäude nur selbst als „sein Haus“ ausgegeben, wobei hiermit nicht zweifelsfrei feststeht, ob er sich mit dieser Aussage als Eigentümer gerieren wollte, da er hierzu nicht explizit befragt worden ist und nach seiner Angabe auch Unterkünfte in weiteren Gebäuden und an anderen Orten vermittelt. Weiter hat er – für ein Dauerschuldverhältnis untypisch – ausgesagt, er kümmere sich nach Abschluss des Mietvertrags nicht mehr darum, ob die Mieter tatsächlich vor Ort ihre Wohnung nähmen. Gleichzeitig war außer ihm niemand zu ermitteln, der zum Aufenthalt des Antragstellers in Tschechien Angaben machen konnte. Ferner lag die unbestreitbare Information vor, dass der Antragsteller am 7. Januar 2014 seinen Aufenthalt in Tschechien angemeldet hat. Allerdings ist eine ausländerrechtliche Bescheinigung über einen vorübergehenden Aufenthalt nicht dazu geeignet nachzuweisen, dass der Betreffende auch tatsächlich seinen ordentlichen Wohnsitz während des gesamten Zeitraums am angegebenen Ort hatte (vgl. BayVGH, U.v. 7.5.2015 – 11 B 14.654 – juris Rn. 38; U.v. 15.10.2012 – 11 B 12.1178 – juris Rn. 31). Vermögensinteressen oder administrative Kontakte zu Verwaltungsbehörden oder sozialen Dienstleistungsstellen waren den tschechischen Behörden nicht bekannt, obwohl dies, insbesondere bezüglich steuerlicher Informationen, im Fall einer nach den Meldedaten seit 2014 in Tschechien gewöhnlich aufhältigen Person wie dem Antragsteller, die dort nicht studiert, keine Familienangehörigen hat und offenbar keine Sozialhilfe bezieht, nach der Lebenserfahrung zu erwarten gewesen wäre. Da ein ordentlicher Wohnsitz im Sinne von Art. 12 der Richtlinie 2006/126/EG neben einer bestimmten Aufenthaltsdauer und dem Vorhandensein einer – hier von den tschechischen Behörden ebenfalls bestätigten Unterkunft – berufliche und/oder persönliche Bindungen voraussetzt, sind vor diesem Hintergrund auch entsprechende Negativauskünfte geeignet, Zweifel am Vorhandensein eines tatsächlichen Wohnsitzes zu wecken (vgl. BayVGH, B.v. 23.1.2017 – 11 ZB 16.2458 – juris Rn. 14; B.v. 12.1.2018 – 11 CS 17.1257 – juris Rn. 11).
Nach den oben dargestellten Grundsätzen können somit auch die sonstigen Umstände des Einzelfalls berücksichtigt werden, insbesondere die von den deutschen Behörden ermittelten Informationen, dass der Antragsteller seit 2004 durchgehend mit alleinigem Wohnsitz im Zuständigkeitsbereich der Antragsgegnerin gemeldet ist und dort seit 1990 einen Familienbetrieb leitet und dass vierzehn deutsche Staatsangehörige, die im Zusammenhang mit Führerscheintourismus aufgefallen sind, vorgaben, ihren Wohnsitz unter der Anschrift „Seifertova 108/18, Bilina 41801“ zu haben, was in Widerspruch zum Ermittlungsergebnis der tschechischen Polizei zu den Bewohnern des Anwesens steht. Weiter sprechen die vom Antragsteller vorgelegten Verträge und seine widersprüchlichen Angaben zu seinem tatsächlichen Hauptwohnsitz und zum Zweck des Aufenthalts in Tschechien gegen deren Glaubhaftigkeit und damit auch gegen die Glaubhaftigkeit seiner Angaben zu seinem gewöhnlichen Wohnsitz bei Erteilung der tschechischen Fahrerlaubnis. So ist der Mietvertrag über eine Wohnung, die er nach den amtlichen Meldedaten aus Tschechien noch immer bewohnt, bereits am 7. November 2014 abgelaufen. Eine Verlängerung wurde jedoch weder geltend gemacht noch belegt. Auch ist nach allgemeiner Lebenserfahrung die völlig unbestimmte Mietzinsklausel nicht glaubhaft, ebenso wenig, dass der vorgelegte Arbeitsvertrag mit einem nicht nachvollziehbaren Arbeitgeber über zehn Arbeitsstunden – nach anderweitigem Vortrag angeblich als Bauhelfer – über einen Zeitraum von zehn Monaten zu dem vereinbarten äußerst geringfügigen Stundenlohn tatsächlich durchgeführt werden sollte bzw. worden ist. Demgegenüber ließ der Antragsteller im Beschwerdeverfahren vortragen, sein Aufenthalt in Tschechien habe der Erweiterung seines Geschäftsfelds gedient. Hinzu kommt, dass er in den vorgelegten Verträgen als ständigen Wohnsitz eine den Erkenntnissen im Inland widersprechende italienische Adresse angegeben hat, im Beschwerdeverfahren erstmals ohne weitere Angaben vorträgt, zwei Wohnsitze zu haben, andererseits nicht behauptet, sich entsprechend den tschechischen Meldedaten noch immer in Bilina gewöhnlich aufzuhalten. Seinen Familienbetrieb leitet er seit Anfang 2015 offenbar wieder selbst. All dies deutet darauf hin, dass seine diesbezüglichen Angaben interessengeleitet sind und nicht die tatsächlichen Verhältnisse wiedergeben. Daher ist der Senat auch nicht von der Richtigkeit der von ihm vorgelegten eidesstattlichen Versicherung von Frau M.D. überzeugt, dass er vom 1. Februar bis 1. Oktober 2014 bei ihr in Usti nad Labem gewohnt habe. Vor diesem Hintergrund kann dahingestellt bleiben, welche Schlussfolgerungen der Umstand zulässt, dass der Antragsteller am 14. April 2014 in einem Bus mit Unterlagen zum Erwerb einer tschechischen Fahrerlaubnis polizeilich festgestellt worden ist.
Nachdem sich die Aberkennung des Rechts, von der tschechischen Fahrerlaubnis Gebrauch zu machen, voraussichtlich als rechtmäßig erweist, ist die angegriffene Entscheidung auch nicht unverhältnismäßig (vgl. BayVGH, B.v. 29.3.2018 – 11 CS 17.1817 – juris Rn. 16). Dass der Antragsteller seit dem Jahr 2013 im Straßenverkehr nicht aufgefallen ist, bedeutet in Anbetracht des nicht sehr hohen Entdeckungsrisikos nicht, dass er seither beanstandungsfrei gefahren ist oder von ihm keine Gefahr mehr ausgeht.
Die Beschwerde war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1, 2 GKG und den Empfehlungen in Nr. 1.5 Satz 1 und Nr. 46.2, 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung der am 31. Mai/1. Juni 2012 und am 18. Juli 2013 beschlossenen Änderungen. Da Beschwerdegegenstand neben der Fahrerlaubnisklasse B auch die von dieser nicht eingeschlossenen (vgl. § 6 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 FeV) Klassen A1 und A2 sind, sind die gemäß der Empfehlungen in Nr. 46.2 und 46.3 vorgesehenen Streitwerte von 5.000,- und 2.500,- EUR gesondert anzusetzen. Die in Deutschland nicht gesondert vergebene Fahrerlaubnisklasse B1 wirkt sich indes nach § 6 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 FeV und Art. 4 Nr. 4 Buchst. a RL 2006/126/EG nicht streitwerterhöhend aus, sondern ist in der Klasse B enthalten (BayVGH, B.v. 13.6.2017 – 11 CS 17.894 – juris Rn. 17).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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