Europarecht

Internationalen Zuständigkeit eines deutschen Gerichts (hier: Bestimmung des Wohnsitzes in einem Vertragsstaat nach Art. 5 Brüssel-Ia-VO)

Aktenzeichen  74 O 297/20

Datum:
5.11.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 48419
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Landshut
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
ZPO § 23
BGB § 7
Brüssel Ia-VO Art. 5

 

Leitsatz

1, § 23 ZPO ist nicht anwendbar, wenn die Person einen Wohnsitz in einem Vertragsstaat nach Art. 5 Brüssel Ia-VO hat. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
2. Für die Aufhebung eines Wohnsitzes sind die tatsächliche Aufhebung und der Wille zur Aufhebung erforderlich;  werden die Beziehungen zum bisherigen Ort aufrechterhalten, spricht dies gegen den Wohnsitzaufgabewillen, eine polizeiliche Abmeldung ist jedoch ein starkes Indiz. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
3. Selbst wenn ein Wohnsitzaufgabewillen wegen der Demenz der Partei zu einem späteren Zeitpunkt fraglich erscheint, ist eine frühere polizeiliche Abmeldung ein sehr starkes Indiz für einen Wohnsitzaufgabewillen. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Das Urteil ist für die Beklagte vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils vollstreckbaren Betrags.
IV. Der Streitwert für das Verfahren wird auf 373.055,17 € festgesetzt.  

Gründe

Die Klage ist unzulässig.
I.
Das Landgericht Landshut ist international unzuständig.
Es liegt kein Gerichtsstand der Beklagten in Deutschland vor.
§ 23 ZPO ist entgegen der Ansicht der Klagepartei nicht anwendbar, sodass es nicht darauf ankommt, wo sich das Vermögen der Beklagten befindet. § 23 ZPO ist nicht anwendbar, wenn die Person einen Wohnsitz in einem Vertragsstaat nach Art. 5 Brüssel-1a-Verordnung hat. Dies ist bei der Beklagten, die sich unstreitig seit Jahren in Spanien aufhält, der Fall. Somit ist § 23 ZPO nicht anwendbar und es kommt nur darauf an, ob die Beklagte nach § 7 BGB einen Wohnsitz in Deutschland hat.
Die Beklagte hat nach § 7 BGB keinen Wohnsitz in Deutschland.
Wohnsitz ist der räumliche Schwerpunkt der Lebensverhältnisse.
Für die Aufhebung eines Wohnsitzes ist die tatsächliche Aufhebung erforderlich und der Wille zur Aufhebung. Wenn die Beziehungen zum bisherigen Ort aufrechterhalten werden, spricht dies gegen den Wohnsitzaufgabewillen, eine polizeiliche Abmeldung ist jedoch ein starkes Indiz (vgl. Palandt, § 7 BGB, Rz. 12).
Ein Doppelwohnsitz nach § 7 Abs. 2 BGB erfordert, dass an zwei Orten dauernd Wohnungen unterhalten werden und beide gleichermaßen den Schwerpunkt der Lebensverhältnisse darstellen. Dies könnte beispielsweise der Fall sein, wenn sich jemand im Sommer in einem Landhaus und im Winter in seiner Stadtwohnung aufhält. Kein doppelter Wohnsitz besteht, wenn der zweite Aufenthaltsort nur zu längeren Besuchen aufgesucht wird (vgl. Palandt, § 7 BGB, Rz. 13).
Unstreitig hält sich die Beklagte seit mindestens Winter 2015/2016 ununterbrochen in Spanien auf.
Somit bildet Spanien den räumlichen Schwerpunkt der Lebensverhältnisse. Unstreitig wurden auch sämtliche Pflegeleistungen in Spanien erbracht.
Ausweislich der Anlage B 1, der Meldebescheinigung des Einwohnermeldeamtes der Markt Simbach, hat die Beklagte ihren Wohnsitz in Simbach mit Auszugsdatum 20.04.2002 und einem Wegzug nach Spanien aufgegeben.
Auch wenn von den Parteien vorgetragen wird, dass die Beklagte nunmehr dement sei und von der Klagepartei vorgetragen wird, dass somit kein Wohnsitzaufgabewille mehr vorliegen kann, ist diese polizeiliche Abmeldung bereits aus dem Jahr 2002 ein sehr starkes Indiz für einen Wohnsitzaufgabewillen.
Die Beklagte ist seit dem Jahr 2002 nicht mehr in Deutschland gemeldet. Es erfolgte keinerlei Vortrag der Klagepartei zu dieser Abmeldung im Jahre 2002 und, warum die Beklagte seit dem Jahr 2002 polizeilich in Deutschland abgemeldet ist.
Ein weiteres Indiz für das Gericht ist, dass die Beklagte die notarielle Vorsorgevollmacht vom 26.04.2013 bei einem Notar in Spanien beurkunden ließ. Es erscheint dem Gericht äußerst ungewöhnlich, dass jemand, der nur den Winter in seinem Ferienhaus verbringt, eine so wichtige Tätigkeit, wie das Ausstellen einer Vorsorgevollmacht bei einem spanischen Notar machen lässt, gerade wo die Beklagte nach Vortrag der Klagepartei nicht Spanisch spricht. Eine so wichtige Entscheidung wie die Beurkundung einer notariellen Vorsorgevollmacht im Ausland zu treffen, wenn man gleichzeitig noch einen inländischen Wohnsitz gehabt hätte, erscheint dem Gericht äußerst ungewöhnlich. Dies spricht auch für den Vortrag der Beklagtenpartei, dass sich die Klägerin bereits seit dem Jahr 2012 ununterbrochen in Spanien aufgehalten habe und nicht für den Vortrag der Klagepartei, dass sie dies erst seit dem Jahr 2016 getan habe.
Insgesamt hat das Gericht große Zweifel an dem Vortrag der Klagepartei.
In der mündlichen Verhandlung vom 22.10.2020 hat die Klagepartei vorgetragen, dass die Beklagte im Februar 2016 einen Unfall erlitten habe und danach reiseunfähig geworden sei und sich deshalb in Spanien befinde.
Auf Hinweis des Gerichts, dass dieser Vortrag dem eigenen Vortrag der Klagepartei im Parallelverfahren widerspreche, da die Klagepartei dort angegeben habe, dass die Beklagte bereits seit Ende 2015 reiseunfähig gewesen sei, korrigierte sich die Klagepartei daraufhin, dass der Unfall doch Ende 2015 gewesen sei.
Auf Frage des Gerichts, ob die Beklagte einen deutschen Personalausweis habe, gab der Kläger an, dass diese seit 2013 keinen mehr habe und dieser damals im Krankenhaus verschwunden sei. Es erscheint dem Gericht äußerst verwunderlich, dass eine Person, die weiter einen Wohnsitz in Deutschland hat, seit 2013 keinen gültigen Personalausweis mehr hat.
Im Parallelverfahren hat die Klagepartei unstreitig vorgetragen, dass die hiesige Beklagte seit 2016 Deutschland nicht mehr besuchen und das Anwesen in Simbach nicht mehr bewohnen könne und dass sie reiseunfähig sei.
In der mündlichen Verhandlung vom 22.10.2020 merkte der Beklagtenvertreter an, dass sich aus der Anlage K 46 ergebe, dass Flüge für die Beklagte von Spanien nach Deutschland genau am 19.10.2020 gebucht wurden und dies als Anlage vorgelegt wurde dafür, dass die Beklagte bald nach Deutschland zurückkehren möchte. Der 19.10.2020 ist genau der Tag, an dem das Gericht die Parteien darauf hingewiesen hat, dass Bedenken an der internationalen Zuständigkeit des Landgerichts Landshut bestehen.
Auf Rückfrage des Gerichts gab der Kläger persönlich an, dass er nicht mehr wisse, wann er die Flüge gebucht habe. Die mündliche Verhandlung war am 22.10.2020 und die Flugbuchung ausweislich der Anlage K 46 am 19.10.2020. Es erscheint dem Gericht äußerst ungewöhnlich, dass der Kläger vier Tage später nicht mehr weiß, wann er die Flüge gebucht habe. Daraufhin gab der Kläger dann an, dass sein Sohn die Flüge gebucht habe und es auch sein könne, dass er diesen erst kurzfristig damit beauftragt habe, die Flüge zu buchen.
Für das Gericht ergibt sich daraus eindeutig der Eindruck, dass ausweislich der Anlage K 46 genau am 19.10.2020, als das Gericht die Hinweise an die Parteien gab, dass Bedenken an der internationalen Zuständigkeit bestehen, Flüge von Malaga nach München für 29.11.2020 für die Beklagte gebucht wurden.
Die Klagepartei trägt weiter vor, dass die Beklagte zwar die letzten Jahre reiseunfähig gewesen sei, eine Untersuchung im Juli 2020 jedoch ergeben habe, dass sich ihr Zustand soweit verbessert habe, dass sie reisefähig sei. Dies habe dann zu der Flugbuchung (Anlage K 46) geführt.
Wenn der Vortrag der Klagepartei stimmen würde, dass die Beklagte sich seit Anfang 2016 nur deswegen in Spanien ununterbrochen aufgehalten habe, weil sie infolge eines Unfalls nicht reisefähig gewesen sei, erklärt sich daraus nicht, warum die Beklagte dann im Juli 2020, als sie nach dem Vortrag der Klagepartei wieder reisefähig war, nicht nach Deutschland zurückgekehrt ist. Sie hätte nach diesem Vortrag der Klagepartei dann ja von Juli bis November bereits Zeit gehabt, nach Deutschland zurückzukehren, wenn sie sich nur unfreiwillig wegen Reiseunfähigkeit in Spanien aufgehalten hätte.
Aufgrund der bereits 5 Jahre dauernden Abwesenheit der Beklagten in Verbindung mit der polizeilichen Abmeldung eines Wohnsitzes in Deutschland bereits aus dem Jahre 2002 in Verbindung damit, dass die Beklagte nach dem Vortrag der Klagepartei bereits seit 2013 keinen deutschen Personalausweis mehr hatte und in Verbindung damit, dass so wichtige Geschäfte wie einer Vorsorgevollmacht bereits im Jahr 2013 in Spanien beurkundet wurden, ist das Gericht davon überzeugt, dass die Beklagte keinen Wohnsitz nach § 7 BGB in Deutschland hat. Somit liegt nach §§ 12, 13 ZPO i.V.m. § 7 BGB kein Gerichtsstand der Beklagten in Deutschland vor, sodass das Landgericht Landshut international unzuständig ist und die Klage unzulässig ist.
II.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
Die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.


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