Europarecht

Kein Anspruch auf Überstellung der Familienangehörigen aus Griechenland innerhalb der Überstellungsfrist

Aktenzeichen  W 2 E 17.50674

Datum:
2.11.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
Dublin III-VO Dublin III-VO Art. 9, Art. 17 Abs. 2, Art. 22 Abs. 7, Art. 29 Abs. 1
VwGO VwGO § 123 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Art. 22 Abs. 7 Dublin III-VO beschränkt die Pflicht des zur Aufnahme verpflichteten Mitgliedstaates ausdrücklich darauf, die Person in seinem Hoheitsgebiet aufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für die Ankunft zu treffen. Die Überstellung selbst fällt gem. Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO ausdrücklich in den Verantwortungsbereich des ersuchenden Mitgliedstaates.(Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Anspruch auf fristgerechte Überstellung ist der Rechtsprechung des EuGH weder ausdrücklich, noch von ihrem Sinngehalt her zu entnehmen. Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO bietet die Möglichkeit, dem Schutz von Ehe und Familie auch nach Ablauf der Überstellungsfrist im Einzelfall hinreichend Rechnung zu tragen. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
III. Der Antrag auf Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt mit seinem Antrag im einstweiligen Rechtsschutz die Mitteilung der Antragsgegnerin an die griechische Dublin-Einheit, dass seine Ehefrau und seine vier Kinder bis zum Ablauf des 4. November 2017 in die Bundesrepublik Deutschland zu überstellen sind.
Der Antragsteller, ein am … 1985 in Aleppo/Syrien geborener syrischer Staatsangehöriger, wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Flüchtlinge und Migration (Bundesamt) vom 11. Februar 2016 die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt.
Die Antragsgegnerin hat dem Übernahmegesuch der griechischen Behörden für die derzeit in Griechenland befindliche Ehefrau und die vier minderjährigen Kinder des Antragstellers im Rahmen des sog. Dublin-Verfahren am 3. Mai 2017 zugestimmt, ohne dass es bislang tatsächlich zu einer Überstellung gekommen ist.
Am 20. Oktober 2017 erhob der Antragsteller eine auf die Überstellung seiner Ehefrau und Kinder gerichteten Klage und ließ zugleich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes beantragen,
„Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der griechischen Dublin-Einheit mitzuteilen, dass die Angehörigen des Antragstellers, … (geb. … 1990), … (geb. … 2009), … … (geb. … 2011), … (geb. … 2013) und … (geb. … 2015) – Aktenzeichen der griechischen Behörde: … – bis zum Ablauf des 4. November 2017 in die Bundesrepublik Deutschland zu überstellen sind.“
Der Antrag wird im Wesentlichen wie folgt begründet: Der Antragsteller habe gegen die Antragsgegnerin aus Art. 22 Abs. 7, 29 Abs. 1 Dublin III-Verordnung i.V.m. Art. 8 Abs. 1 Dublin III-Durchführungsverordnung einen Anspruch auf Überstellung seiner Familienangehörigen innerhalb von sechs Monaten nach der Annahme des Übernahmegesuchs. Auf die rechtliche Begründung des Verwaltungsgerichts Wiesbaden im Beschluss vom 15. September 2017 – 6 L 4438/17.WI.A werde Bezug genommen.
Die Antragsgegnerin stellte im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes keinen Antrag.
Für die weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen.
II.
Der gemäß § 123 Abs. 1 VwGO zulässige Antrag ist mangels Anordnungsanspruch abzulehnen.
Entgegen der im Beschluss des Verwaltungsgerichts Wiesbadens vom 15. September 2017 (a.a.O.) ausgeführten Rechtsauffassung vermag das zur Entscheidung berufende Gericht weder den Art. 22 Abs. 7, 29 Abs. 1 Dublin-III-VO i.V.m. Art. 8 Abs. 1 Dublin III-Durchführungsverordnung, noch einer anderen – nationalen oder europarechtlichen – Rechtsgrundlage einen Anspruch auf Überstellung der Familienangehörigen innerhalb der Frist des Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO zu entnehmen.
Art. 22 Abs. 7 Dublin III-VO beschränkt die Pflicht des zur Aufnahme verpflichteten Mitgliedstaates ausdrücklich darauf, die Person (in seinem Hoheitsgebiet) aufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für die Ankunft zu treffen. Während die Überstellung selbst gem. Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO ausdrücklich in den Verantwortungsbereich des ersuchenden Mitgliedstaates fällt, der sich mit dem zur Aufnahme verpflichteten Mitgliedstaat lediglich abstimmt.
Diese eindeutige Abgrenzung der Verantwortungssphären lässt sich weder unter Hinweis auf die zur Auslegung heranzuziehende Erwägungsgründe der Verordnung noch im Hinblick auf die zur Verordnung erlassenen Durchführungsverordnung ins Gegenteil verkehren. So trifft die vom Verwaltungsgericht Wiesbaden herangezogene Rechtsprechung des Europäischen Gerichts zu den subjektiven Rechten, die die Fristen der Dublin III-VO den Antragstellern vermitteln, auch gerade den umgekehrten Fall, dass aus dem fristbedingten Zuständigkeitsübergang ein subjektiven Recht auf Durchführung des Asylverfahrens gegenüber dem die Frist versäumenden Mitgliedstaat hergeleitet wird. Ein Anspruch auf fristgerechte Überstellung ist der Rechtsprechung des EuGH weder ausdrücklich, noch von ihrem Sinngehalt her zu entnehmen. So wird dem Rechtsgedanken der effektiven Wirksamkeit gerade durch das subjektive Recht auf Durchführung des Asylverfahrens nach Fristablauf Rechnung getragen.
Auch im Hinblick auf höherrangiges Recht, das dem Schutz von Ehe und Familie sowie dem Kindeswohl der minderjährigen Kinder dient, ist ein gegen die Antragsgegnerin gerichteter Anspruch auf das Hinwirken einer Überstellung innerhalb der Überstellungsfrist im Wege der Rechtsfortbildung nicht erforderlich.
So gebietet der Schutz von Ehe und Familie und das Kindeswohl zwar im Einklang mit Art. 9 Dublin III-VO grundsätzlich die Zusammenführung der Familie als Regelfall zu normieren. Es lässt sich dem jedoch kein pauschaler Anspruch darauf entnehmen, dass die Zusammenführung innerhalb der Überstellungfrist des Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO von den Mitgliedstaaten herbeizuführen ist. Vielmehr bietet Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO hinreichend Möglichkeit, dem Schutz von Ehe und Familie auch nach Ablauf der Überstellungsfrist im Einzelfall hinreichend Rechnung zu tragen.
Der Antrag ist somit mangels Anordnungsanspruch abzulehnen.
Die Kostentragung ergibt sich aus § 154 VwGO, 83 b AsylG.


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