Europarecht

Kein Elterngeld für Konsulatsbedienstete

Aktenzeichen  S 5 EG 24/16

Datum:
25.8.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 154890
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
BEEG § 1 Abs. 1 S. 1, Abs. 7
AufenthG § 17, § 18 Abs. 2, § 23 Abs. 1
Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen Art. 48 Abs. 1

 

Leitsatz

1 Nach Art. 48 Abs. 1 des Wiener Übereinkommens über konsularische Beziehungen Konsulatsbediensteter und deren Angehörige sind diese grundsätzlich von der Anwendung sämtlicher sozialrechtlicher Vorschriften des Empfangsstaates und damit auch derjenigen des BEEG ausgeschlossen. (redaktioneller Leitsatz)
2 Entsprechend dem für die diplomatischen und konsularischen Einrichtungen in sachlicher und persönlicher Hinsicht geltenden Exterritorialitätsprinzip, sind die Angehörigen diplomatischer Missionen und Konsulatsangehörigen und ihre im gemeinsamen Haushalt lebenden Ehegatten grundsätzlich von dem gesamten sozialen System des Empfangsstaats ausgeklammert.  (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage gegen den Bescheid vom 8. Januar 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. Juli 2016 wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.
Die gemäß §§ 87, 90, 92 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht erhobene Klage zum sachlich und örtlich zuständigen Sozialgericht Augsburg (§§ 8, 51 Abs. 1 Nr. 10, 57 SGG, 13 Abs. 1 Satz 1 BEEG) ist zwar zulässig.
Die Klage ist jedoch nicht begründet. Der Bescheid vom 08.01.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04.07.2016 ist rechtlich nicht zu beanstanden. Zutreffend hat es der Beklagte abgelehnt, der Klägerin Elterngeld für den 1. bis 12. Lebensmonat ihres am 2015 geborenen Kindes A. zu gewähren.
Hinsichtlich der Begründung macht sich das Gericht die zutreffenden Ausführungen des Beklagten in den streitbefangenen Bescheiden zu eigen, § 136 Abs. 3 SGG. Ergänzend merkt es Folgendes an:
Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 BEEG hat Anspruch auf Elterngeld, wer einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat, mit seinem Kind in einem Haushalt lebt, dieses Kind selbst betreut und erzieht und keine oder keine volle Erwerbstätigkeit ausübt.
Grundsätzlich sind alle Eltern in Deutschland unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit für das Elterngeld berechtigt, wenn sie die allgemeinen Anspruchsvoraussetzungen des § 1 Abs. 1 BEEG erfüllen. Eine Ausnahme gilt nach § 1 Abs. 7 BEEG für nicht freizügigkeitsberechtigte Ausländer. Nach dieser Vorschrift ist ein nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer oder eine nicht freizügigkeitsberechtigte Ausländerin nur anspruchsberechtigt, wenn diese Person
1. eine Niederlassungserlaubnis besitzt
2. eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, die zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigt oder berechtigt hat, es sei denn, die Aufenthaltserlaubnis wurde
a) nach § 16 oder § 17 des AufenthG erteilt,
b) nach § 18 Abs. 2 des AufenthG erteilt und die Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit darf nach der Beschäftigungsverordnung nur für einen bestimmten Höchstzeitraum erteilt werden,
c) nach § 23 Abs. 1 des AufenthG wegen eines Krieges in ihrem Heimatland oder nach den §§ 23a, 24, 25 Abs. 3 bis 5 des AufenthG erteilt,
d) nach § 104a des AufenthG erteilt oder
3. eine in Nr. 2 Buchstabe c genannte Aufenthaltserlaubnis besitzt und a) sich seit mindestens drei Jahren rechtmäßig, gestattet oder geduldet im Bundesgebiet aufhält und b) im Bundesgebiet berechtigt erwerbstätig ist, laufende Geldleistungen nach dem SGB III bezieht oder Elternzeit in Anspruch nimmt.
Zu unterscheiden ist somit zwischen freizügigkeitsberechtigten und nicht freizügigkeitsberechtigten Ausländern in Deutschland. Erstere haben die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates der Europäischen Union oder eines der Vertragsstaaten des Europäischen Wirtschaftsraums (EU/EWR-Bürger) oder der Schweiz und sind mit den Deutschen beim Elterngeld grundsätzlich gleichberechtigt (Lenz in Rancke, Mutterschutz, Betreuungsgeld, Elterngeld, Elternzeit, Handkommentar, 3. Aufl., § 1 BEEG Rdnr. 22). Denn gemäß § 21 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV – vgl. vormals Art. 18 Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft – EGV) hat jeder Unionsbürger grundsätzlich das Recht, sich im Hoheitsgebiet der anderen Mitgliedsstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten. Entsprechendes gilt für Angehörige der assoziierten Staaten.
Die Klägerin gehörte als türkische Staatsangehörige nicht zu dem Personenkreis, welcher in Deutschland freizügigkeitsberechtigt ist. Demzufolge hätte sie nur dann einen Anspruch auf Elterngeld, wenn sie die weiteren Voraussetzungen des § 1 Abs. 7 BEEG erfüllen wür-de. Diese Voraussetzungen erfüllt die Klägerin, da sie im Besitz einer Niederlassungserlaubnis ist.
Gleichwohl steht der Klägerin kein Elterngeld zu. Denn als sog. Ortskraft ist sie vom elterngeldberechtigten Personenkreis ausgeschlossen.
Art. 48 des Wiener Übereinkommens über konsularische Beziehungen hält folgende Regelung bereit:
Art. 48 Befreiung vom System der sozialen Sicherheit
1. Vorbehaltlich der Ziffer 3 sind die Mitglieder des konsularischen Postens in Bezug auf ihre Dienste für den Entsendestaat und die mit ihnen im gemeinsamen Haushalt lebenden Familienangehörigen von den im Empfangsstaat geltenden Vorschriften über soziale Sicherheit befreit.
2. Die in Ziffer 1 vorgesehene Befreiung gilt auch für die Mitglieder des Privatpersonals, die ausschließlich bei Mitgliedern des konsularischen Postens beschäftigt sind, sofern sie
a. weder Angehörige des Empfangsstaats noch dort ständig ansässig sind und b. den im Entsendestaat oder in einem dritten Staat geltenden Vorschriften über soziale Sicherheit unterstehen.
3. Beschäftigen Mitglieder des konsularischen Postens Personen, auf welche die in Ziffer 2 vorgesehene Befreiung keine Anwendung findet, so haben sie die Verpflichtungen zu beachten, welche die Vorschriften über soziale Sicherheit im Empfangsstaat den Arbeitgebern auferlegen.
4. Die in den Ziffern 1 und 2 vorgesehene Befreiung schließt die freiwillige Beteiligung am System der sozialen Sicherheit des Empfangsstaates nicht aus, sofern dieser eine solche Beteiligung zulässt.
Auf die in Art. 48 Abs. 1 des Wiener Übereinkommens über konsularische Beziehungen aufgeführten Personen finden nicht nur diejenigen Vorschriften des deutschen Rechts keine Anwendung, die bei einem Nichtmitglied einer konsularischen Vertretung Sozialversicherungspflicht oder andere an ein Beschäftigungsverhältnis anknüpfende Sozialrechtsverhältnisse auslösen würden. Vielmehr sind nach Art. 48 Abs. 1 des Wiener Übereinkommens über konsularische Beziehungen Konsulatsbedienstete und deren Angehörige grundsätzlich von der Anwendung sämtlicher sozialrechtlicher Vorschriften des Empfangsstaates und damit auch derjenigen des BEEG ausgeschlossen (vgl. für das BErzGG Bundessozialgericht – BSG -, Urteil vom 29.01.2002, B 10/14 EG 1/00 R). Die Regelungen des Art. 48 Abs. 1 des Wiener Übereinkommens über konsularische Beziehungen und der Parallelvorschrift des Art. 33 des Wiener Übereinkommens über diplomatische Beziehungen lassen erkennen, dass es für die Anwendbarkeit der sozialrechtlichen Vorschriften des Empfangsstaates auf Exterritoriale weitergehender Anknüpfungspunkte an das im Empfangsstaat geltende Sozialrechtssystem bedarf als der Tätigkeit für den Entsendestaat und des damit notwendig verbundenen Aufenthalts im Empfangsstaat. Der diesen Vorschriften somit zu entnehmende Grundsatz der umfassenden Ausklammerung der Angehörigen diplomatischer Missionen und Konsulatsangehörigen und ihrer im gemeinsamen Haushalt lebenden Ehegatten von dem gesamten sozialen System des Empfangsstaats entspricht dem für die diplomatischen und konsularischen Einrichtungen in sachlicher und persönlicher Hinsicht geltenden Exterritorialitätsprinzip, wie es auch in sonstigen Vorschriften des Wiener Übereinkommens über diplomatische Beziehungen und des Wiener Übereinkommens über konsularische Beziehungen zum Ausdruck kommt. Er entspricht auch dem regelmäßigen Interesse des Entsendestaats, sich den sozialen Schutz der in seinen diplomatischen und konsularischen Vertretungen tätigen Personen und ihrer Familienangehörigen grundsätzlich selbst vorzubehalten (vgl. BSG, Urteil vom 29.01.2002, B 10/14 EG 1/00 R).
Als sog. „Ortskraft“ zählt die Klägerin zu dem Kreis der Mitglieder der konsularischen Vertretung im Sinne von Art. 48 Abs. 1 des Wiener Übereinkommens über konsularische Beziehungen. Insoweit nimmt das Gericht auf die Ausführungen des BSG im Urteil vom 29.01.2002, B 10/14 EG 1/00 R, welche auch auf das BEEG Anwendung finden, Bezug.
Der Ausnahmefall des Art. 48 Abs. 4 des Wiener Übereinkommens über konsularische Beziehungen – „freiwillige Beteiligung“ am System der sozialen Sicherheit des Empfangsstaats – liegt nach den Feststellungen des Landessozialgerichts (LSG) nicht vor. Dazu bedürfte es einer nach deutschen Rechtsvorschriften zulässigen freiwilligen Zugehörigkeit der Klägerin oder ihres Ehemannes zu einem deutschen Sozialleistungssystem, d.h. zumindest zu einem Zweig der gesetzlichen Sozialversicherung, etwa einer freiwilligen Rentenversicherung (vgl. dazu BSGE 58, 233 = SozR 1200 § 30 Nr. 9) oder einer freiwilligen Weiterversicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung (vgl. dazu § 9 SGB V). Dass in der Person der Klägerin derartige freiwillige Beteiligungen am deutschen Sozialrechtssystem vorgelegen hätten, ist nicht festzustellen.
Die Anwendung des Art. 48 Abs. 1 Wiener Übereinkommens über konsularische Beziehungen ist nicht durch internationale oder supranationale Sonderbestimmungen, die im Verhältnis zur Türkei gelten, ausgeschlossen. Das gilt zunächst für das Abkommen vom 30. April 1964 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Türkei über soziale Sicherheit (BGBl II 1965, 1169), zuletzt geändert am 11. Dezember 1986 (BGBl II 1986, 1038). Dieses Abkommen geht in seinen Art. 8 bis 9 ebenfalls von dem Grundsatz aus, dass Beschäftigte der amtlichen Vertretungen einer Vertragspartei grundsätzlich (nur) deren Rechtsvorschriften unterliegen. Dass die Klägerin fristgerecht durch Erklärung ihrem Arbeitgeber gegenüber die Anwendung der Rechtsvorschriften des Beschäftigungslandes (Deutschland) „gewählt“ hätten (vgl. Art. 8 Abs. 2 und Art. 8a des Abkommens), ist nicht festzustellen; es ergibt sich für eine derartige Sachlage auch kein Anhaltspunkt.
Ein Anspruch auf BEEG ergibt sich auch nicht nach den Vorschriften des „Abkommens zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei“ vom 12.09.1963 (ABl. L 217 vom 29.12.1964) i.V.m. dem Beschluss des Assoziationsrats (ARB) Nr. 3/80 „über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit der Mitgliedsstaaten der Europäischen Gemeinschaften auf die türkischen Arbeitnehmer und auf deren Familienangehörige“ vom 19.09.1980 (ABl 1983 C 110/60). Insbesondere kommt nicht Art. 16 der Verordnung des Rats der Europäischen Gemeinschaften (EWGV) Nr. 1408/71 „über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern“ vom 14. Juni 1971 (EWGV 1408/71 – Abl Nr. L 149/2 i.d.F. der seitherigen Änderungen – zuletzt durch die VO Nr. 1399/ 1999 des Rats vom 29.04.1999 ) zur Anwendung, weil die Türkei nicht Mitglied der Europäischen Union ist und der ARB 3/80 unter Titel II Art. 9 nicht auf Art. 16 EWGV 1408/71 verweist. Auch aus dem zum Kindergeldanspruch ergangenen Urteil „Sürül“ des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vom 4. Mai 1999 (Rechtssache C-262/96 vgl. EuGHE 1999 I-2685 RdNr. 85 f) folgt nichts anderes.
Zusammenfassend ist daher festzustellen, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Elterngeld hat. Die Klage konnte daher keinen Erfolg haben und war als unbegründet abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.


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