Aktenzeichen M 30 S 19.50256
AsylG § 34a Abs. 2 S. 1
Dublin III-VO Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2
EMRK Art. 3
AufenthG § 60 Abs. 5
Leitsatz
Die Unterbringungssituation in Italien hat sich seit dem Erlass des Salvini-Dekrets Ende 2018 in entscheidungserheblicher Weise verändert: Die vom EGMR in Bezug genommenen SPRAR-Unterkünfte stehen Asylsuchenden mit Ausnahme unbegleiteter Minderjähriger seit Erlass des Salvini-Dekrets nicht mehr zur Verfügung. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin (M 30 K 198.50255) gegen die Abschiebungsanordnung nach Italien in Nr. 3 des Bescheids der Antragsgegnerin vom 15. März 2019 – Gesch.Z.: … – wird angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gründe
I.
Die Antragstellerin begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen eine Abschiebungsanordnung nach Italien im Rahmen eines asylrechtlichen Dublin-Verfahrens.
Mit Bescheid vom 15. März 2019 – Gesch.Z.: … – lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) einen in der Bundesrepublik Deutschland am 12. Februar 2019 gestellten Asylantrag der Antragstellerin als unzulässig ab (Nr. 1), verneinte das Vorliegen von Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) (Nr. 2) und ordnete die Abschiebung nach Italien an (Nr. 3). Das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf sechs Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 4). Der Asylantrag sei gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG aufgrund eines bereits in Italien gestellten Asylantrags gemäß Art. 18 Abs. 1 Buchst. b Dublin III-VO unzulässig. Die Unzulässigkeit des Antrags könne auch auf dem erfolglosen Abschluss des früheren Asylverfahrens gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG beruhen. Abschiebungsverbote lägen nicht vor, da keine systemischen Mängel in Italien bestünden, welche der Vermutung entgegenstünden, dass aufgrund des normativen Vergewisserungskonzepts in Italien die Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) und der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) sichergestellt sei. Hierzu wird umfangreich ausgeführt, worauf Bezug genommen wird. Es sei daher nicht davon auszugehen, dass die Antragstellerin in Italien tatsächlich Gefahr laufe, dort wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein. Auch individuelle, außergewöhnliche humanitäre Gründe für die Ausübung eines Selbsteintrittsrechts gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO seien nicht ersichtlich. Die Schwangerschaft sowie HIV-Infektion der Antragstellerin begründeten weder einen solchen Selbsteintritt noch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Bescheidsbegründung Bezug genommen.
Am 25. März 2019 hat die Antragstellerin zur Niederschrift beim Verwaltungsgericht München Klage erhoben (M 30 K 19.50255). Zur Begründung verwies sie zunächst darauf, schwanger zu sein und Ende Mai/Anfang Juni ein Kind zu erwarten. Hierzu legte sie eine Kopie ihres Mutterpasses sowie ärztliche Unterlagen u.a. in Bezug auf eine HIV-Infektion vor. Eine Rückkehr nach Italien sei ihr deshalb nicht zumutbar. Nachdem sich der Prozessbevollmächtigte für die Antragstellerin bestellt hat, nahm dieser mit Schreiben vom 22. November 2019, 28. November 2019 und 3. Dezember 2019 Stellung und ergänzte das bisherige Vorbringen, u.a. bezugnehmend auf die Ausführungen der Schweizer Flüchtlingshilfe vom 8. Mai 2019 zur aktuellen Situation für Asylsuchende in Italien sowie den AIDA Country Report update 2018 vom April 2019. Insbesondere durch das „Salvini-Dekret“ habe sich die Lage in Italien verschlechtert. Dies gelte auch für vulnerable Personen, somit auch für die Antragstellerin mit ihrem am 31. Mai 2019 geborenen Baby. Die Antragstellerin benötige aufgrund ihrer HIV-Infektion zudem das Medikament „Dovato“. Diesbezüglich wurde ein Attest vom 21. November 2019 in Bezug auf eine fortgeschrittene therapiebedürftige HIV-Infektion im Stadium A3 mit bereits bestehender Resistenz gegen einzelne HIV-Medikamente vorgelegt. Eine Überstellung der Antragstellerin nach Italien würde angesichts der aktuellen Lage gegen Art. 4 der Europäischen Grundrechtcharta ver-stoßen und – trotz der zumindest begründeten Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheids der Antragsgegnerin – die Hauptsache unzulässiger Weise vorwegnehmen.
Die Antragstellerin hat daher vorliegend beantragt,
Hinsichtlich der Abschiebungsanordnung nach Italien wird die aufschiebende Wirkung der Klage gemäß § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) angeordnet.
Die Antragsgegnerin verwies mit Schreiben vom 17. April 2019 zunächst auf die allgemeine Zusicherung der italienischen Behörden vom Januar 2019. Seit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vom 4. November 2014 – Tarakhel – habe sich in Italien viel getan. Daran hätten auch die jüngsten Reformen des italienischen Asylsystems („Salvini-Dekret“) nichts geändert. Hierzu wurde auf gerichtliche Bitte vom 6. November 2019 in Bezug auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 10. Oktober 2019 – 2 BvR 1380/90 – hin mit Schreiben vom 19. November 2019 sowie Schreiben vom 26. November 2019 näher ausgeführt. Im Schreiben vom 26. November 2019 wurde zudem zur gesundheitlichen Versorgungslage und Behandelbarkeit von HIV-Infektionen in Italien ausgeführt. Das Medikament „Dovato“ sei auch in Italien erhältlich.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten der Verfahren M 30 K 19.50255 und M 30 S 19.50256 sowie die – in elektronischer Form – vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der gemäß § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG i. V. m. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO zulässige Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der erhobenen Klage gegen den Bescheid vom 15. März 2019 mit der nach § 75 AsylG kraft Gesetzes sofort vollziehbaren Abschiebungsanordnung in Nr. 3 des Bescheides ist begründet.
Entfaltet ein Rechtsbehelf von Gesetzes wegen keine aufschiebende Wirkung, kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ganz oder teilweise anordnen. Das Gericht trifft dabei eine eigene Ermessensentscheidung, bei der es zwischen dem sich aus § 75 AsylG ergebenden öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfes abzuwägen hat. Insoweit sind insbesondere die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Eilverfahren gebotene summarische Prüfung, dass die Klage voraussichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid schon bei summarischer Prüfung als rechtswidrig, so besteht kein öffentliches Interesse an dessen sofortiger Vollziehung. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens nicht hinreichend absehbar, verbleibt es bei einer allgemeinen Interessenabwägung.
Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs geht die Interessensabwägung vorliegend zu Gunsten der Antragstellerin aus, da ernstlich zweifelhaft ist, dass sich die Abschiebungsanordnung der Antragstellerin nach Italien gemäß § 34a AsylG im Hauptsacheverfahren als rechtmäßig erweisen wird. Bei Annahme noch offener Erfolgsaussichten würde zudem das Interesse der Antragstellerin an der Aussetzung des Sofortvollzugs überwiegen.
Dahinstehen kann, dass das Bundesamt zutreffend von einer Zuständigkeit Italiens in Bezug auf den in der Bundesrepublik Deutschland gestellten Asylantrag der Antragstellerin ausgeht. Ob sich die Zuständigkeit dabei aus Art. 18 Abs. 1 Buchst. b Dublin III-VO oder vorliegend nicht vielmehr aus Art. 18 Abs. 1 Buchst. d Dublin III-VO ergibt, kann daher offenbleiben.
Es ist ernstlich zweifelhaft, ob die Antragsgegnerin in zutreffender Weise in Bezug auf die Antragstellerin mit ihren individuellen Umständen, insbesondere dem am 31. Mai geborenen Baby, das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK bzw. ermessensfehlerfrei einen Selbsteintritt i.S.v. Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO verneint hat oder nicht bereits i.S.v. Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO eine Überstellung nach Italien als unmöglich einstufen wäre.
Zwar wurde in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung vielfach den Ausführungen der Antragsgegnerin gefolgt, dass Italien über ein im Wesentlichen ordnungsgemäßes und richtlinienkonformes Asyl- und Aufnahmeverfahren verfüge, das prinzipiell funktionsfähig sei und sicherstelle, dass rücküberstellte Asylbewerber im Normalfall nicht mit schwerwiegenden Verstößen und Rechtsbeeinträchtigungen rechnen müssten. Dies gelte auch vor dem Hintergrund der am 4. Dezember 2018 in Kraft getretenen gesetzlichen Änderungen bezüglich Aufnahmebedingungen und Unterbringung, sog. „Salvini-Dekret“ vom 4. Oktober 2018 (vgl. VG München, B.v. 12.9.2019 – M 19 S 19.50798 – im Verfahren des Sohns der Antragstellerin mit Verweis auf VG Würzburg, B.v. 16.4.2019 – W 10 S 19.50280 – juris Rn. 31; VG Ansbach, B.v. 15.4.2019 – AN 14 S 19.50278 – juris Rn. 23; VG Trier, B.v. 5.4.2019 – 7 L 1263/19.TR – juris LS 1; VG Düsseldorf, B.v. 4.4.2019 – 15 L 3696/18.A – juris LS 3; OVG Lüneburg, B.v. 21.12.2018 – 10 LB 201/18 – juris Rn. 40). Die erfolgte völlige Neuorganisation und Umstrukturierung der Unterbringung in Italien führe nicht zu einem Mangel an Unterkunftsplätzen. Auch die medizinische Versorgung sei weiterhin gesichert. In den Erstaufnahmeeinrichtungen seien Plätze für Familien und allein reisende Frauen mit Kindern vorgesehen, auf Vulnerabilität und Familieneinheit werde geachtet (VG München, a.a.O. mit Verweis auf Länderinformationsblatt S. 6, 7). Darüber hinaus sei sichergestellt, dass die Verfahren von besonders schutzbedürftigen Personen priorisiert bearbeitet würden (VG München, a.a.O. mit Verweis auf AIDA, Country Report, Italy, April 2019, S. 68). Das Gericht im Verfahren des Sohnes der Antragstellerin ging daher auch davon aus, dass dem Kind und seinen Eltern (somit auch der Antragstellerin) zeitnah nach ihrer Rückkehr nach Italien eine geeignete Unterkunft zur Verfügung gestellt werde und ihnen weder materielle Not noch Obdachlosigkeit drohe (VG München, a.a.O. mit Verweis auf VG Würzburg, B.v. 16.4.2019 – W 10 S 19.50280 – juris Rn. 41 ff.; VG Ansbach, B.v. 15.4.2019 – AN 14 S 19.50278 – juris Rn. 31; VG Trier, B.v. 5.4.2019 – 7 L 1263/19.TR – juris LS 2; VG Düsseldorf, B.v. 4.4.2019 – 15 L 3696/18.A – juris LS 4).
Dem ist nach Ansicht des Gerichts nach der summarischen Prüfung im Eilverfahren zum nunmehr maßgeblichen Zeitpunkt jedoch nicht (mehr) zu folgen.
Das Gericht schließt sich vielmehr insoweit der Einschätzung und den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts vom 10. Oktober 2019 – 2 BvR 1380/19 – an:
„Die Überstellung von Familien mit (Klein-) Kindern nach Italien wurde von der Rechtsprechung bereits in der Vergangenheit als problematisch angesehen. Das Bundesverfassungsgericht hat zu dieser Frage ausgeführt:
„Bestehen – wie gegenwärtig im Falle Italiens – aufgrund von Berichten international anerkannter Flüchtlingsschutzorganisationen oder des Auswärtigen Amtes belastbare Anhaltspunkte für das Bestehen von Kapazitätsengpässen bei der Unterbringung rückgeführter Ausländer im sicheren Drittstaat, hat die auf deutscher Seite für die Abschiebung zuständige Behörde dem angemessen Rechnung zu tragen.
Bei Vorliegen einer solchen Auskunftslage hat das zuständige Bundesamt angesichts der hier berührten hochrangigen Grundrechte aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und Art. 6 Abs. 1 GG und der bei der Durchführung von Überstellungen nach dem Dublin-System vorrangig zu berücksichtigenden Gesichtspunkte der uneingeschränkten Achtung des Grundsatzes der Einheit der Familie und der Gewährleistung des Kindeswohls (vgl. nunmehr Erwägungsgrund 16 der neugefassten Verordnung Nr. 604/2013 vom 26. Juni 2013 – Dublin III-Verordnung) jedenfalls bei der Abschiebung von Familien mit neugeborenen (vgl. Art. 15 Abs. 1 und 2 der Dublin II-Verordnung und Art. 16 Abs. 1 der Dublin III-Verordnung) und Kleinstkindern bis zum Alter von drei Jahren in Abstimmung mit den Behörden des Zielstaats sicherzustellen, dass die Familie bei der Übergabe an diese eine gesicherte Unterkunft erhält, um erhebliche konkrete Gesundheitsgefahren in dem genannten Sinne für diese in besonderem Maße auf ihre Eltern angewiesenen Kinder auszuschließen.“
(BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 17. September 2014 – 2 BvR 732/14 -, Rn. 15 f.).
Im November 2014 hat der EGMR entschieden, dass die Dublin-Staaten vor der Überstellung von Familien mit (Klein-) Kindern nach Italien konkret-individuelle Zusicherungen bei den italienischen Behörden einzuholen hätten, aus denen hervorgehe, dass ohne Zeitverzug eine kind- und familiengerechte Unterbringung erfolgen werde (EGMR, Urteil vom 4. November 2014, Tarakhel v. Switzerland, Nr. 29217/12, Rn. 122). In Reaktion auf diese Entscheidung sicherten die italienischen Behörden mit Erklärungen vom 2. Februar 2015, 15. April 2015 und 8. Juni 2015 allgemein zu, Familien mit (Klein-) Kindern zukünftig ausschließlich in den für Familien geeigneten SPRAR-Unterkünften unterzubringen.
Unter Bezugnahme auf diese Zusicherungen und die Annahme, dass Familien mit (Klein-) Kindern grundsätzlich in SPRAR-Unterkünften untergebracht werden sollten, sah der EGMR von dem Erfordernis der konkret-individuellen Zusicherung durch die italienischen Behörden wieder ab (vgl. EGMR, Entscheidung vom 4. Oktober 2016, Ali v. Switzerland and Italy, Nr. 30474/14 -, Rn. 34; vgl. auch: VG Berlin, Beschluss vom 15. Oktober 2018 – 3 L 371.18 A -, juris, Rn. 29 m.w.N.).
Die Situation in Italien hat sich seit dem Erlass des Salvini-Dekrets Ende 2018 jedoch erneut in entscheidungserheblicher Weise verändert: Die vom EGMR in Bezug genommenen SPRAR-Unterkünfte stehen Asylsuchenden mit Ausnahme unbegleiteter Minderjähriger seit Erlass des Salvini-Dekrets nicht mehr zur Verfügung. Dies ergibt sich auch aus den vom Beschwerdeführer inhaltlich wiedergegebenen Erkenntnismitteln (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Bericht vom 8. Mai 2019; Danish Refugee Council/Swiss Refugee Council, Bericht vom 12. Dezember 2018). Davon, dass die übrigen Unterkünfte für Asylsuchende (CAS und CARA) eine kind- und familiengerechte Unterbringung gewährleisten, kann nicht ohne Weiteres ausgegangen werden. Der Beschwerdeführer hat zu Recht zu bedenken gegeben, dass – auch unter Berücksichtigung der neuerlichen allgemeinen Zusicherung der italienischen Behörden vom 8. Januar 2019 – nach Erlass des Salvini-Dekrets nicht mehr hinreichend ersichtlich ist, wo und wie die italienischen Behörden eine dem Alter und der Situation des Beschwerdeführers angemessene Unterbringung tatsächlich ermöglichen können; dies hat er durch Verweise auf verwaltungsgerichtliche Entscheidungen belegt. Weiter hat er nachvollziehbar dargelegt, dass – selbst wenn er und seine Mutter Aussicht auf eine kind- und familiengerechte Unterkunft in den CAS- und CARA-Unterkünften hätten – nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden könne, dass sie sofort nach ihrer Ankunft in Italien Zugang zu einer angemessenen Unterkunft haben würden. Das Risiko einer vorübergehenden Obdachlosigkeit der Familie ist damit – insbesondere vor dem Hintergrund der im italienischen Verwaltungsverfahren bestehenden hohen Hürden – schlüssig dargelegt.“
(BVerfG, B.v. 10.10.2019 – 2 BvR 1380/19 – juris Rn. 20-23)
Diesen Ausführungen, bezüglich derer das Gericht mit Schreiben vom 6. November der Antragsgegnerin aufgab, zu den aktuellen tatsächlichen Verhältnissen in Italien für sog. Dublin-Rückkehrer des vulnerablen Personenkreises vorzutragen und Erkenntnismittel vorzulegen bzw. zu benennen, ist die Antragsgegnerin mit ihren Ausführungen in den Schreiben vom 19. und 26. November 2019 nicht hinreichend entgegengetreten.
Vielmehr bestätigen die antragsgegnerischen Ausführungen zu den italienischen Aufnahmebedingungen, dass auch Personen des vulnerablen Personenkreises in einer Erstaufnahmeeinrichtung untergebracht würden und somit die SPRAR bzw. nunmehr SIPROIMI bis zu einer Gewährung von internationalem Schutz nicht (mehr) in Betracht kommen. Die Antragsgegnerin führt u.a. aus, dass in den CARA-Zentren bestimmte Bereiche eingerichtet werden müssen, in denen eine Rechtsberatung und psychologische Betreuung für vulnerable Personen bereitgestellt werden. Die Zentren sollen gemeinsam mit den örtlichen Gesundheitszentren eine angemessene psychologische Unterstützung sicherstellen. Ob und inwieweit dies tatsächlich der Fall ist, hat die Antragsgegnerin nicht dargestellt. In der Darstellung des Überstellungsablaufs beschreibt die Antragsgegnerin, wenn die Vulnerablilität der Dublin-Rückkehrer bestimmte Anforderungen erfordere, werde die Verfügbarkeit einer den Anforderungen entsprechenden Unterkunft für Kleinkinder durch die italienischen Behörden infolge einer angekündigten Überstellung zu einem bestimmten Zeitpunkt geprüft. Sollte eine solche Unterkunft nicht in der Region des Zielflughafens verfügbar sein, so sei Italien gehalten, dies dem Bundesamt vor Überstellung unverzüglich mitzuteilen. Ergehe keine Rückmeldung Italiens nach Bekanntgabe des Überstellungstermins sei davon auszugehen, dass eine derart geforderte adäquate Unterbringungen und Versorgung für die zu überstellenden Personen in der Region des Zielflughafens verfügbar und die Bereitstellung durch die zuständigen Stellen Italiens sichergestellt sei.
Diese vagen Angaben genügen – jedenfalls im Eilrechtsschutzverfahren – nicht, um hinreichend darzustellen, dass die tatsächlichen Verhältnisse in Italien für Dublin-Rückkehrer des vulnerablen Personenkreises insbesondere in Bezug auf unverzügliche Obdach und adäquate Unterbringung trotz des „Salvini-Dekrets“ derart stabil sind, um Familien mit Klein(st) kindern auch ohne konkrete Zusicherung der italienischen Behörden vor dem Hintergrund von Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 der EU-Grundrechtecharta abschieben zu können (vgl. VG München, B.v. 17.12.2019 – M 2 S 19.51310 -; B.v. 12.12.2019 – M 11 S 19.50762 -; B.v. 9.12.2019 – M 22 S 18.52877 -; B.v. 5.11.2019 – M 19 S 19.51158 – jeweils nicht veröffentlicht).
Dem steht vorliegend nicht entgegen, dass gemäß der Ausführungen der Antragsgegnerin mit Schreiben vom 9. September 2010 keine längerfristige Trennung der Antragstellerin und ihm Sohn mit dem Kindsvater erfolgen soll.
Aufgrund der besonderen Schutzbedürftigkeit und Vulnerabilität der Antragstellerin mit ihrem Baby mit der Folge, dass – anders als bei gesunden Alleinstehenden – auch eine kurzzeitige vorübergehende Obdachlosigkeit in Italien und die Notwendigkeit erheblicher Eigeninitiative vor dem Hintergrund von Art. 3 EMRK nicht hinnehmbar sind, überwiegt vorliegend auch bei Annahme (nur) offener Erfolgsaussichten, das Interesse der Antragstellerin an einer Aussetzung der sofortigen Vollziehbarkeit der Abschiebungsanordnung das öffentliche Interesse am Sofortvollzug.
Dem Antrag im Eilrechtsschutzverfahren in Bezug auf die Abschiebungsandrohung ist daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben und die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen. Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 83b AsylG.
Der Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylG.