Europarecht

Keine Ansprüche gegenüber der VW AG bei vom Abgasskandal betroffenem Fahrzeug (hier: Audi Q3 2.0 TDI)

Aktenzeichen  35 O 1482/17

Datum:
18.1.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 25602
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Memmingen
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 31, § 823 Abs. 2, § 826
StGB § 263
EG-FGV § 6, § 25 Abs. 2, Abs. 3 Nr. 1, § 27 Abs. 1
StVZO § 19 Abs. 2 S. 2 Nr. 3, Abs. 7

 

Leitsatz

1. Ein Geständnis der VW AG, welches einen Gesetzesverstoß in den Vereinigten Staaten von Amerika eingesteht, sagt nichts darüber aus, dass ein solcher Gesetzesverstoß auch nach deutschem Recht vorliegt. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Umstand, dass Tatsachen außerhalb des Wahrnehmungsbereichs der darlegungs- und beweisbelasteten Partei liegen, berechtigt diese nicht, ohne greifbare Anhaltspunkte und damit willkürlich Behauptungen ins Blaue hinein aufzustellen und diese unter Beweis zu stellen; eine sekundäre Darlegungs- und Beweislast des Gegners wird hierdurch nicht begründet. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein Widerruf der Typgenehmigung mit Wirkung für alle Fahrzeuge des betreffenden Typs droht nicht, wenn das Kraftfahrbundesamt als zuständige Behörde das ihm zustehende Ermessen gerade nicht dahingehend ausübt, eine Entziehung der Typgenehmigung in die Wege zu leiten, sondern stattdessen gem. § 25 Abs. 2 EG-FGV vorgeht. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
4. Selbst wenn man unterstellt, dass die eingebaute Software gegen öffentlich-rechtliche Abgasvorschriften verstößt, ist hierin noch kein sittenwidriges Handeln gegenüber dem Käufer zu erblicken, da sich aus der Verordnung des EU-Rechts (VO (EG) Nr. 715 2007) als Verhaltensnorm mit allgemein schützendem öffentlich-rechtlichem Charakter ein Gebot der guten Sitten mit individuellem Schutzzweck gerade im Verhältnis zu den Käufern nicht ableiten lässt. (Rn. 42) (redaktioneller Leitsatz)
5. In den entscheidungstragenden Punkten abweichend nachfolgend OLG München, BeckRS 2019, 25424. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 30.990,00 € festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Klage erweist sich als unbegründet, so dass sie vollumfänglich abzuweisen war.
A.
Die Klage ist zulässig. Das Landgericht Memmingen ist das örtlich gem. § 32 ZPO bzw. zumindest auf Grund rügelosen Einlassens gem. § 39 ZPO und sachlich gem. § 1 ZPO i.V.m. §§ 23 Nr. 1, 71 Abs. 1 GVG zuständige Gericht.
B.
Die Klage ist unbegründet. Die Klagepartei hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrages.
I.
Die Beklagte ist hinsichtlich materieller Ansprüche des Klägers bereits nicht passivlegitimiert. Hersteller des streitgegenständlichen Fahrzeuges war im vorliegenden Fall die AUDI AG und gerade nicht die Beklagte Volkswagen AG.
Bei der AUDI AG handelt es sich aber um eine von der Beklagten unabhängige juristische Person, die eigenständig Trägerin von Rechten und Pflichten sein kann. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass beide Gesellschaften eng miteinander wirtschaftlich verflochten sind. Allein die Herstellung des streitgegenständlichen Motors durch die Beklagte macht diese nicht zur Herstellerin des Fahrzeuges.
II.
Ein Anspruch folgt aber auch insbesondere nicht aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB, §§ 823 Abs. 2, 31 BGB i.V.m. §§ 6, 27 EG-FGV oder § 826 i.V.m. § 31 BGB.
1. § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB
a) Ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB besteht schon deshalb nicht, weil der Vortrag zu den vermeintlichen Täuschungshandlungen der Beklagten als nicht ausreichend substantiiert angesehen werden muss.
aa) Es fehlt von Klageparteiseite an substantiiertem Vortrag, wer konkret auf Seiten der Beklagten wie über welche Tatsachen getäuscht haben soll und wie dies zu einem Vermögensschaden geführt haben könnte. Pauschale Bezugnahmen auf Presseberichte oder laufende Ermittlungsverfahren können in einem Zivilprozess konkrete, auf den jeweiligen Fall bezogene Tatsachenbehauptungen nicht ersetzen. Das Gericht sieht sehr wohl, dass es der Klagepartei (derzeit) nicht möglich ist, mehr Details über konzerninterne Vorgänge vorzutragen als dies durch die Benennung von Personen, welche in dem Zeitraum zwischen 2004 und 2014 im Vorstand oder der Entwicklungsabteilung der Beklagten tätig waren, bereits erfolgt ist. Soll die erhobene Schadensersatzforderung erfolgreich sein, ist aber genau das erforderlich. Spekulationen oder Mutmaßungen können dagegen die Regeln des Bürgerlichen Gesetzbuches und der Zivilprozessordnung nicht außer Kraft setzen. Soweit ersichtlich, sind die Behörden, insbesondere die Strafverfolgungsbehörden in Deutschland erst mitten in der Aufarbeitung des sog. „Dieselskandals“. Solange es aber – zum Beispiel durch strafgerichtliche Verurteilungen – nicht feststeht, wer ganz konkret für welche Täuschungen verantwortlich ist, ist es für Kläger immer schwierig, konkrete (insbesondere konzerninterne) Tatsachen vorzutragen. Im vorliegenden Fall gilt insofern nichts anderes als in anderen vergleichbaren Fällen (zum Beispiel bei Anlegerverfahren im Bereich des sog. „Grauen Kapitalmarktes“, vgl. OLG München, Beschluss vom 25.07.2017 – 13 U 566/17).
Auch aus dem Vortrag der Klagepartei zu den Geschehnissen in den Vereinigten Staaten von Amerika lassen sich keine Rückschlüsse auf Abläufe ziehen, die für den vorliegenden Rechtsstreit relevant wären. Weder die Rechtslage in den Vereinigten Staaten von Amerika, noch die technische Ausführung der dort von der Beklagten vertriebenen Motoren sind der Rechtslage oder technischen Ausführung in der Bundesrepublik Deutschland bzw. der Europäischen Union vergleichbar. Ein Geständnis der Beklagten, welches einen Gesetzesverstoß in den Vereinigten Staaten von Amerika eingesteht, sagt noch nichts darüber aus, dass ein solcher Gesetzesverstoß auch nach deutschem Recht vorliegt.
Eine Beweiserhebung war damit auf der von der Klagepartei vorgetragenen Grundlage nicht veranlasst.
bb) Zu einem weiteren als dem bisher erfolgten Vortrag bezüglich der internen Abläufe im Hinblick auf die Entwicklung der streitgegenständlichen Softwarefunktionen ist die Beklagte auch nicht im Rahmen einer sekundären Darlegungs- und Beweislast verpflichtet. Es kann damit dahinstehen, ob die Beklagte überhaupt eine sekundäre Darlegungs- und Beweislast trifft. Hieran bestehen allerdings Zweifel, weil der Umstand, dass Tatsachen außerhalb des Wahrnehmungsbereichs des darlegungs- und beweisbelasteten Partei liegen, eine Partei nicht berechtigt, ohne greifbare Anhaltspunkte und damit willkürlich Behauptungen ins Blaue hinein aufzustellen und diese unter Beweis zu stellen (vgl. Pfeiffer, ZIP 2017, 2077, 2078). Selbst wenn man aber eine Darlegungs- und Beweislast der Beklagten annehmen wollte, so könnte von der Beklagten nicht mehr Vortrag verlangt werden, als bisher erfolgt. Im Rahmen einer sekundären Darlegungs- und Beweislast kann die nicht beweisbelastete Partei nur dazu verpflichtet werden, Tatsachen vorzutragen. Hieraus ergibt sich, dass die nicht beweisbelastete Partei die nach ihren internen Ermittlungsergebnissen möglichen Geschehensabläufe oder Anhaltspunkte für mögliche Geschehensabläufe, nicht aber Schlussfolgerungen aus bloßen Indizien oder sonstige Tatsachenbewertungen vortragen muss (vgl. Pfeiffer, a.a.O.). Vorliegend steht das Wissen ehemaliger Organmitglieder über ein bestimmtes Fehlverhalten von Mitarbeitern bzw. ein etwaiges Fehlverhalten von ehemaligen Organmitgliedern selbst in Streit. Zur Aufarbeitung dieser Abläufe, ist es für die Beklagte erforderlich, selbst innerbetriebliche Ermittlungen vorzunehmen. Die Beklagte trägt vorliegend vor, sie habe einen umfangreichen Aufarbeitungsprozess angestoßen. Nach ihren internen Ermittlungsergebnissen stehe aber bislang weder eine Kenntnis des Herrn Martin Winterkorn noch eine Kenntnis des Herrn Rupert Stadler von der Entwicklung oder der Implementierung der streitgegenständlichen Software fest. Ein weiterer Vortrag, als die bisherigen Ergebnisse des Aufarbeitungsprozesses darzulegen, ist der Beklagten nicht zumutbar.
b) Die Klagepartei hat überdies nicht hinreichend dargelegt, dass ein etwaiger Irrtum über die Verwendung der streitgegenständlichen Software durch die Beklagte kausal zu einer Vermögensverfügung der Klagepartei in Form des Abschlusses des streitgegenständlichen Kaufvertrages geführt hat. Zur Überzeugung des Gerichts steht nicht fest, dass die Implementierung der streitgegenständlichen Software eine unzutreffende Mitteilung über die Abgaswerte durch die Beklagte oder hierzu durchgeführten Maßnahmen tatsächlich Einfluss auf die Kaufentscheidung der Klagepartei gehabt hatte.
Die Klagepartei trägt lediglich pauschal vor, dass sie sich insbesondere deshalb zum Kauf des streitgegenständlichen Fahrzeugs entschieden habe, weil es ihr wichtig gewesen sei, dass der Fahrzeugtyp die von der Beklagten beworbenen Umweltstandards und Schadstoffklassen (hier Euro 5) einhalte. Es liege auf der Hand, dass niemand ein Fahrzeug erwerben würde, welches die Einordnung in eine Schadstoffklasse nicht unter Einhaltung der zugrundeliegenden europarechtlichen Vorschriften erlangt habe.
aa) Was das Kaufargument der Umweltfreundlichkeit angeht, so spielt für die Einstufung in Schadstoffklassen nicht nur der streitgegenständliche Stickoxidausstoß, sondern insbesondere auch der Ausstoß von Kohlenstoffmonoxid und der Partikelausstoß eine Rolle. Es widerspricht nach Auffassung des Gerichts der allgemeinen Lebenserfahrung, dass bei der Kaufentscheidung der Klagepartei ausgerechnet der Stickoxidausstoß das Hauptkriterium bei Erwerb des streitgegenständlichen Fahrzeugs dargestellt haben soll.
bb) Ferner besteht und bestand keine Gefahr des Entzuges der Zulassung. Das Fahrzeug der Klagepartei unterfällt der für den Typ bestehenden Typgenehmigung. Diese ist weder kraft Gesetzes erloschen, noch ist ein Widerruf zu befürchten (vgl. hierzu LG Braunschweig, Urteil vom 16.10.2017 – 11 O 4092/16).
(1) Die Typgenehmigung für das streitgegenständliche Fahrzeug ist nicht gem. § 19 Abs. 7, Abs. 2 S. 2 Nr. 3 StVZO erloschen, da diese Vorschrift nicht für Abweichungen vom genehmigten Typ vor Inverkehrbringen gilt. § 19 Abs. 7, Abs. 2 S. 2 Nr. 3 StVZO sieht ein – automatisches – Erlöschen der Typgenehmigung nur für den Fall vor, dass an einem Fahrzeug Veränderungen vorgenommen werden. Als § 19 Abs. 2 StVZO neu gefasst wurde, stellte der Gesetzgeber klar, dass diese Vorschrift nur für bereits im Verkehr befindliche Fahrzeuge gilt (vgl. BR-Drs. 629/93, 15 f.). Anderenfalls würde auch die später in Kraft getretene Vorschrift des § 25 Abs. 3 Nr. 1 EG-FGV leer laufen, die den Widerruf (nicht etwa das automatische Erlöschen) der Typgenehmigung erst dann ermöglicht, wenn von dem Fahrzeug ein erhebliches Risiko für die Verkehrssicherheit ausgeht, wobei diese Entscheidung zudem in das Ermessen der Behörde gestellt ist.
(2) Die Typgenehmigung ist auch nicht § 19 Abs. 7, Abs. 2 S. 2 Nr. 3 StVZO erloschen. Es besteht keine planwidrige Regelungslücke, sondern § 25 Abs. 3 Nr. 1 EG-FGV stellt die Ermessensvorschrift dar, nach der eine Typgenehmigung ganz oder teilweise widerrufen werden kann, wenn es an der Übereinstimmung eines Fahrzeugs mit dem genehmigten Typ fehlt.
(3) Es drohte auch kein Widerruf der Typgenehmigung mit Wirkung für alle Fahrzeuge des streitgegenständlichen Typs. Das Kraftfahrbundesamt als zuständige Behörde hat das ihm zustehende Ermessen gerade nicht dahingehend ausgeübt, eine Entziehung der Typgenehmigung in die Wege zu leiten. Das Kraftfahrbundesamt ist stattdessen gem. § 25 Abs. 2 EG-FGV vorgegangen.
Das Gericht ist ferner der Überzeugung, dass es der Klagepartei nach allgemeiner Lebenserfahrung maßgeblich darauf ankam, dass das streitgegenständliche Fahrzeug die geforderte EU-Typengenehmigung besaß und nicht, ob diese (wirksame) EU-Typengenehmigung unter Einhaltung der zugrundeliegenden europarechtlichen Vorschriften erlangt wurde.
c) Es bestehen daneben erhebliche Bedenken im Hinblick auf das Vorliegen eines Schädigungsvorsatzes der Beklagten.
aa) Die Klagepartei trägt auch für die Erfüllung des subjektiven Tatbestands die Darlegungs- und Beweislast. Sie hat also darzulegen, wer aus dem VW-Konzern für die Entwicklung und den Einsatz der fraglichen Software verantwortlich war und wer hiervon vor Vertragsschluss der Klagepartei Kenntnis hatte. Nur in einem solchen Fall können aber auch die Voraussetzungen für eine etwaige Haftung der Beklagten gemäß § 31 BGB vertreten durch den Vorstand bzw. dessen Repräsentanten festgestellt werden. Der Vortrag der Klagepartei hierzu enthält (wie oben bei der Täuschungshandlung ausgeführt) Vermutungen ins Blaue hinein, die sich auf andere Vermutungen aus der Presse stützten und damit nicht geeignet sind, eine Beweisaufnahme anzustoßen.
bb) Im Rahmen des subjektiven Tatbestands gem. § 263 StGB fehlt es außerdem an der erforderlichen Stoffgleichheit des Schadens. Es ist nicht substantiiert vorgetragen, dass gerade durch eine von Beklagtenseite erfolgte Täuschung zu einer Schädigung der Klagepartei geführt hätte, die auf der anderen Seite zu einem ebensolchen Vermögensvorteil der Beklagten geführt hätte.
2. §§ 823 Abs. 2, 31 BGB i.V.m. § 27 EG-FGV
Der Klagepartei steht auch kein Anspruch auf Schadensersatz gegen die Beklagte gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 27 Abs. 1 EG-FGV aufgrund des von der Klagepartei behaupteten Umstandes zu, dass die Beklagte ein Fahrzeug in den Verkehr gebracht habe, welches nicht mit einer gültigen Übereinstimmungsbescheinigung ausgestattet gewesen sei. § 27 Abs. 1 EG-FGV stellt kein Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB dar, das den von dem Klagepartei geltend gemachten Schaden betrifft (vgl. LG Hagen, Urteil v. 16.06.2017 – 8 O 218/16).
Sofern ein nationales Gesetz als Umsetzung einer europarechtlichen Richtlinie erlassen wurde, ist für die Frage, ob dieses Gesetz als Schutzgesetz Schadenersatzansprüche auslösen kann, der europarechtlichen Auslegung zu unterziehen. Ein Schadenersatzanspruch ist in diesem Fall denkbar, sofern die der nationalen Norm vorausgehende Richtlinie nach ihrem Sinn und Zweck dem Schutz bestimmter Personenkreise dient (vgl. BGH, Beschluss vom 09.04.2015 – Az. VII ZR 36/14). Im vorliegenden Fall stellt § 27 Abs. 1 EG-FGV kein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB dar, der den hier geltend gemachten Schaden betrifft. Dem Anhang IX der Richtlinie 2007/46/EG, welche die europarechtliche Grundlage des § 27 EG-FGV darstellt, wurde mit der Verordnung 385/2009/EG eine Funktionsbeschreibung beigefügt. Aus dieser Funktionsbeschreibung ergibt sich nach dem Wortlaut, dass die Übereinstimmungsbescheinigung, die für das Inverkehrbringen eines neuen Fahrzeugs erforderlich ist, eine Garantieerklärung gegenüber dem Fahrzeugerwerber bzgl. der Einhaltung der zugrundeliegenden europarechtlichen Vorschriften zukommt. Diese Formulierung führt im Ergebnis aber nicht dazu, dass der Fahrzeugerwerber jeglichen Schaden in Bezug auf die Verletzung europarechtlicher Vorschriften ersetzt verlangen kann. Die Übereinstimmungsbescheinigung stellt lediglich eine Erklärung des Herstellers dar, dass die formellen Anforderungen für das Inverkehrbringen des Fahrzeugs eingehalten wurden, indem die Übereinstimmungserklärung die Erklärung enthält, dass ein Fahrzeugmodell, das überprüft wurde und die erforderliche Typengenehmigung erhalten hat im Ergebnis dem individuell produzierten Fahrzeug entspricht. Einen weiteren Erklärungsgehalt der Übereinstimmungsbescheinigung dahingehend, dass sie selbst eine weitere eigene Erklärung des Herstellers darstellt, dass die materiellen Zulassungsvoraussetzungen vorliegen, ist nicht erkennbar. Letztlich soll die Garantieerklärung daher verhindern, dass die jeweiligen Endkunden ein Fahrzeug nicht zum Verkehr zulassen können, welches der Hersteller angeboten hat. Nur in dieser Konstellation, also nur dann, wenn der Endkunde das Fahrzeug nicht oder nur mit erhöhtem Aufwand zum Verkehr zulassen kann, soll dem Endkunden über die Garantieerklärung, in Verbindung mit § 27 EG-FGV, gemäß § 823 Abs. 2 BGB ein Schadenersatzanspruch zuteilwerden können.
3. § 826 i.V.m. § 31 BGB
Auch auf einen Anspruch aus sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung nach § 826 BGB kann die Klagepartei ihre Klageanträge nicht stützen.
a) Die Klagepartei ist auch insoweit für sämtliche Tatbestandsmerkmale darlegungs- und beweisbelastet. Selbst wenn man hier einen Schaden der Klagepartei durch Kauf des streitbefangenen Pkws unterstellen würde, woran aber bereits erhebliche Zweifel bestehen (s.o.), so hat die Klagepartei nicht hinreichend dargelegt, dass eine etwaige Schädigung ihrer Person sittenwidrig wäre. Aus dem Vortrag der Klagepartei ist nicht ersichtlich und auch nicht schlüssig dargelegt, dass die Beklagte mit dem Vorsatz gehandelt hätte, die Klagepartei sittenwidrig zu schädigen. Die Beklagte könnte allerdings nur dann ein haftungsbegründender Vorwurf der sittenwidrigen Schädigung gemacht werden, wenn die Klagepartei gerade deswegen den Vertrag abgeschlossen hätte, weil sie hierzu sittenwidrig veranlasst worden ist. Es ist nicht ersichtlich, dass die Kaufentscheidung der Klagepartei durch das Abgasverhalten des Fahrzeugs im Hinblick auf die Labor- und Alltagsbedingungen beeinflusst wurde.
b) Selbst unterstellt, dass die eingebaute Software gegen öffentlich-rechtliche Abgasvorschriften verstößt, ist hierin per se noch kein sittenwidriges Handeln mangels der erforderlichen besonderen Verwerflichkeit zu erblicken. Soweit nämlich die Überprüfung der Abgaswerte durch öffentliche Prüfstellen vorgenommen wird, so führt dies nicht explizit gerade zu einer Sittenwidrigkeit im Verhältnis zur Klagepartei selbst. Die entsprechende Verordnung des EU-Rechts (VO (EG) Nr. 715 2007) dient zumindest vorrangig der Verbesserung der Luftqualität. Hierbei handelt es sich jedoch um eine Verhaltensnorm mit allgemein schützendem öffentlich-rechtlichen Charakter. Ein Gebot der guten Sitten gerade im Verhältnis zur Klagepartei mit individuellem Schutzzweck lässt sich aus der Verordnung nicht ableiten (vgl. LG Ellwangen/Jagst, Urteil vom 10.06.2016 – 5 O 385/15; LG Memmingen Urteil vom 17.05.2018 – 34 O 725/17).
Selbst wenn man hier einen Schaden der Klagepartei durch Erwerb eines von dem sog. „Abgasskandal“ betroffenen Fahrzeugs bejahen wollte, so hat die Klagepartei dennoch ein voll funktionsfähiges und fahrbereites Fahrzeug erworben.
c) Auch der Schädigungsvorsatz auf Seiten der Beklagten ist nach Auffassung des Gerichts nicht schlüssig dargelegt. Die Klagepartei hat schon nicht substantiiert vorgetragen, dass relevante Vertreter der Beklagten, deren Wissen ihr zuzurechnen wäre, von den Unregelmäßigkeiten vor Vertragsschluss Kenntnis erlangt haben (s.o.) und insbesondere mit dem Ziel gehandelt hätten, der Klagepartei sittenwidrig Schaden zuzufügen.
C.
Die geltend gemachten Nebenforderungen teilen das Schicksal der nicht bestehenden Hauptforderung.
D.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO.
E.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 S. 1, S. 2 ZPO.
F.
Der Streitwert wurde nach §§ 63, 39 ff. GKG, 3 ff. ZPO festgesetzt. Dem Antrag auf Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten kommt neben dem auf eine Zug-um-Zug-Verurteilung gerichteten Antrag zu Ziffer I. keine eigenständige wirtschaftliche Bedeutung zu (BGH, Beschluss vom 09.05.2017 – XI ZR 484/15).


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