Europarecht

Keine drohende Todesstrafe – Auslieferung in die Vereinigten Staaten von Amerika

Aktenzeichen  1 AR 403/18

Datum:
5.6.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 15725
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
StGB § 211, § 212
IRG § 73
GG Art. 1 Abs. 1, Art. 25

 

Leitsatz

1. Nach dem zweiten Zusatzvertrag zum AuslV D-USA ist sichergestellt, dass dem Verfolgten im Fall seiner Auslieferung in die Vereinigten Staaten von Amerika keine Vollstreckung der Todesstrafe droht, falls die Bewilligung der Auslieferung unter die Bedingung gestellt würde, dass die Todesstrafe, falls sie gegen den Verfolgten verhängt wird, nicht vollstreckt wird. (Rn. 16 – 18) (redaktioneller Leitsatz)
2. Dem ersuchenden Staat ist im Auslieferungsverkehr hinsichtlich der Einhaltung der Grundsätze des unabdingbar gebotenen Grundrechtsschutzes sowie des Völkerrechts grundsätzlich Vertrauen entgegenzubringen. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
3. Der der deutschen Rechtsordnung entspricht Grundsatz des Rechtsstaatsprinzips ist im Kernbereich nicht schon dann betroffen, wenn eine Strafe, die dem Verfolgten im ersuchenden Staat erwartet, unter Anlegung der Maßstäbe der deutschen Rechtsordnung von maß- und sinnvollen Strafen als zu hart angesehen wird. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
4. Es gehört zu den Voraussetzungen eines menschenwürdigen Strafvollzugs, dass dem zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilten grundsätzlich eine Chance verbleibt, je wieder der Freiheit teilhaftig zu werden. Es wäre mit der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) unvereinbar, wenn der Verurteilte ungeachtet der Entwicklung seiner Persönlichkeit jegliche Hoffnung, seine Freiheit wiederzuerlangen, aufgeben müsste. Dies gilt auch im Falle einer Verurteilung zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe unter Feststellung der besonderen Schwere der Schuld, wobei im Einzelfall – verfassungsrechtlich unbedenklich – die lebenslange Freiheitsstrafe tatsächlich auch bis zum Lebensende vollstreckt werden kann. (Rn. 19 – 24) (redaktioneller Leitsatz)
5. Eine die Auslieferung hindernde Gefahr menschenrechtswidriger Behandlungen kann nur angenommen werden, wenn stichhaltige Gründe vorgetragen sind, nach denen gerade im konkreten Einzelfall eine beachtliche Wahrscheinlichkeit besteht, dass der Verfolgte in dem ersuchenden Staat Opfer von Folter oder anderer grausamer, erniedrigender oder sonst unmenschlicher Behandlung werde, es sei denn, in dem ersuchenden Staat herrsche eine ständige Praxis grober, offenkundiger oder massenhafter Verletzungen der Menschenrechte. (Rn. 25 – 30) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Gegen den . . und . . Staatsangehörigen S. M., geboren am . . in California, wird zur Sicherung der Auslieferung an die USamerikanischen Behörden zur Strafverfolgung die Fortdauer der Auslieferungshaft angeordnet.
2. Dem Auslieferungshaftbefehl wird weiterhin der Haftbefehl des Van Nuys Courthouse of the Los Angeles Superior Court vom 29.10.2018, Gz.: …, zugrunde gelegt.
3. Die Auslieferung des Verfolgten an die USamerikanischen Behörden zur Strafverfolgung wegen der im Haftbefehl des Van Nuys Courthouse of the Los Angeles Superior Court vom 29.10.2018, Gz.: zugrunde gelegten Straftaten wird für zulässig erklärt.

Gründe

I.
Hinsichtlich des bisherigen Verfahrensganges wird Bezug genommen auf die Senatsentscheidungen vom 15.11.2018, 06.12.2018, 27.12.2018, 08.02.2019, 01.03.2019, 1 AR 403/18 – Seite 2 22.03.2019 und 17.04.2019. Mit diesen hatte der Senat gegen den Verfolgten die vorläufige Auslieferungshaft angeordnet, dem Auslieferungshaftbefehl den Haftbefehl des Van Nuys Courthouse of the Los Angeles Superior Court vom 29.10.2018, Gz.: ., zugrunde gelegt, die Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung zurückgestellt und die USamerikanischen Behörden – unter Gewährung von Fristverlängerung – gebeten, eine verbindliche Erklärung zu den Fragen der Möglichkeit der Wiedererlangung der Freiheit bei Verurteilung zu lebenslanger Haft in Kalifornien, zu den Haftbedingungen in Kalifornien sowie dazu, dass beim Verfolgten im Fall seiner Auslieferung die Todesstrafe nicht vollstreckt werden wird, abzugeben.
Mit Verbalnote Nr. 134 vom 20.03.2019 beantworteten die USamerikanischen Behörden die beiden o. g. zuerst gestellten Fragen. Mit Verbalnote Nr. 205 vom 14.05.2019 machten die USamerikanischen Behörden auch eine Zusicherung zur Problematik der drohenden Todesstrafe in Kalifornien.
Am 02.05.2019 wurde der Verfolgte zur Haftfortdauerentscheidung des Senats vom 17.04.2019 durch die Ermittlungsrichterin des Amtsgerichts . angehört. Er hat sich auch weiterhin nicht mit der vereinfachten Auslieferung einverstanden erklärt.
Hinsichtlich des dem Verfolgten zur Last liegenden Sachverhalts wird auf den Beschluss des Senats vom 15.11.2018 Bezug genommen.
Die Generalstaatsanwaltschaft München hat mit Schreiben vom 14.05.2019 beantragt, die Fortdauer der Auslieferungshaft anzuordnen und die Auslieferung des Verfolgten an die USamerikanischen Behörden zur Strafverfolgung wegen der im Haftbefehl des Van Nuys Courthouse of the Los Angeles Superior Court vom 29.10.2018, Gz.: …, aufgeführten Straftaten für zulässig zu erklären.
Der Rechtsbeistand des Verfolgten beantragte mit Schriftsatz vom 31.05.2019, eingegangen beim Oberlandesgericht München am selben Tag, die Auslieferung des Verfolgten als unzulässig abzulehnen. Bezüglich der Einzelheiten wird auf den Schriftsatz vom 31.05.2019 samt Anlagen Bezug genommen.
II.
Nachdem dem Verfolgten nunmehr das Auslieferungsersuchen und die Auslieferungsunterlagen eröffnet wurden, nachdem auch die verbindlichen Erklärungen der USamerikanischen Behörden zu den oben genannten drei Fragen durch die Verbalnoten Nr. 134 vom 20.03.2019 und die Verbalnote Nr. 205 vom 14.05.2019 eingegangen sind und der Rechtsbeistand des Verfolgten hierzu gehört wurde, war über die Zulässigkeit der Auslieferung zu entscheiden.
Insoweit wird zunächst auf den Senatsbeschluss vom 15.11.2018 Bezug genommen, die für die Zulässigkeitsentscheidung erforderlichen und dort aufgeführten Unterlagen liegen vor.
Die beiderseitige Strafbarkeit nach Art. 2 Abs. 1 AuslV D-USA liegt vor. Das dem Verfolgten angelastete Verhalten ist auch nach deutschem Recht mit Strafe bedroht gemäß §§ 211, 212 des deutschen Strafgesetzbuchs.
Die Auslieferungsfähigkeit ergibt sich aus Art. 2 AuslV D-USA in Verbindung mit Art. 1a des Zusatzvertrags vom 21.10.1986.
Der Zulässigkeit der Auslieferung stehen, soweit ersichtlich, keine Hindernisse nach §§ 2 ff. IRG, Art. 4 ff. AuslV D-USA entgegen.
Die Auslieferung des Verfolgten in die Vereinigten Staaten von Amerika war daher für zulässig zu erklären.
Die Ausführungen des Rechtsbeistands im Schriftsatz vom 31.05.2019 ändern hieran nichts.
Insbesondere wurde durch den Senat geprüft, ob vorliegend die Auslieferung des Verfolgten in die Vereinigten Staaten von Amerika zur Strafverfolgung wegen Mordes nicht gegen unabdingbare Grundsätze der deutschen verfassungsrechtlichen Ordnung verstößt, § 73 IRG.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind die deutschen Gerichte bei der Prüfung der Zulässigkeit der Auslieferung von Verfassungs wegen gehalten zu überprüfen, ob die Auslieferung und die ihr zugrundeliegenden Akte mit dem nach Artikel 25 GG in der Bundesrepublik Deutschland verbindlichen völkerrechtlichen Mindeststandard und den unabdingbaren verfassungsrechtlichen Grundsätzen ihrer öffentlichen Ordnung vereinbar sind. Auf der Ebene des einfachen Rechts nimmt § 73 IRG dieses verfassungsrechtliche Gebot auf, in dem dort die Leistung von Rechtshilfe und damit auch die Auslieferung für unzulässig erklärt wird, wenn sie wesentlichen Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung widersprechen würde (vgl. BVerfG, NVwZ 2008, Seite 71 m. w. N. der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung).
1. Die Auslieferung ist vorliegend nicht schon deshalb unzulässig, weil dem Verfolgten im Falle seiner Auslieferung in die Vereinigten Staaten von Amerika zur Strafverfolgung wegen Mordes die Verhängung und Vollstreckung der Todesstrafe droht. Nach § 190(a) des kalifornischen Strafgesetzbuches ist für Taten der vorliegenden Art des Mordes ersten Grades entweder die Todesstrafe oder lebenslängliche Inhaftierung vorgesehen.
Die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe ist weder mit dem Grundsatz der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) noch mit dem Grundrecht auf Leben (Art. 2 Absatz 2 GG) vereinbar. An diese Grundrechte sind Gerichte ebenso wie die Staatsgewalt gebunden, denn Art. 1 Absatz 3 GG unterscheidet nicht danach, ob die Wirkungen des staatlichen Handelns im Inland oder Ausland eintreten. Art. 102 GG enthält eine grundsätzliche Wertentscheidung der deutschen Rechtsordnung, deren Verwirklichung auch im Auslieferungsverkehr sicherzustellen ist. Der Gesetzgeber hat bei der das deutsche Auslieferungsgesetz ablösenden Neufassung des Auslieferungsrechts durch das IRG eine dementsprechende gleichlautende Absicht der Regelung in § 8 IRG zugrunde gelegt (vgl. BT-Dr 9/1338, S. 43). Die vom BVerfG (E 18, 112 1 AR 403/18 – Seite 4 (116), NJW 1964 S. 1783) ursprünglich vertretene Rechtsauffassung zum Anwendungsbereich des Art. 102 GG auf internationale Abkommen oder zwischenstaatliche Verträge ist inzwischen als überholt anzusehen.
Vorliegend wäre bereits durch Art. 12 des am 18.04.2006 geschlossenen zweiten Zusatzvertrags zum AuslV D-USA sichergestellt, dass dem Verfolgten im Fall seiner Auslieferung in die Vereinigten Staaten von Amerika keine Vollstreckung der Todesstrafe droht, falls die Bewilligung der Auslieferung unter die Bedingung gestellt würde, dass die Todesstrafe, falls sie gegen den Verfolgten verhängt wird, nicht vollstreckt wird. Der Senat hat jedoch, um den Grundrechtsschutz bestmöglich zu gewährleisten, im konkreten Fall die USamerikanischen Behörden aufgefordert, eine entsprechende, völkerrechtlichverbindliche Zusicherung abzugeben. Die USamerikanischen Behörden haben mit Verbalnote Nr. 205 vom 14.05.2019 versichert, dass „die Todesstrafe nicht verhängt werden darf oder wenn verhängt, nicht vollstreckt werden darf, sofern M. von Deutschland in die Vereinigten Staaten ausgeliefert wird“. Da dem ersuchenden Staat im Auslieferungsverkehr hinsichtlich der Einhaltung der Grundsätze des unabdingbar gebotenen Grundrechtsschutzes sowie des Völkerrechts grundsätzlich Vertrauen entgegenzubringen ist, kommt der Senat – auch in Kenntnis der Suarez-Entscheidung des United States Court of Appeals vom 30.06.2015 – zu der Überzeugung, dass durch die abgegebene, konkrete Zusicherung der USamerikanischen Behörden vorliegend für den Verfolgten die Gefahr der Vollstreckung der Todesstrafe bei einer Auslieferung ausgeschlossen ist.
2. Den Verfolgten kann nach seiner Auslieferung in die Vereinigten Staaten von Amerika zur Strafverfolgung wegen Mordes im Fall einer entsprechenden Verurteilung die Verhängung und Vollstreckung lebenslanger Freiheitsstrafe treffen. Zu den wesentlichen Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung zählt auch der Kernbereich der Anforderungen des Rechtsstaatsprinzips. Dieser ist jedoch nicht schon dann betroffen, wenn eine Strafe, die dem Verfolgten im ersuchenden Staat erwartet, unter Anlegung der Maßstäbe der deutschen Rechtsordnung von maß- und sinnvollen Strafen als zu hart angesehen wird. Die Auslieferung wird vielmehr erst durch eine Strafe gehindert, die unerträglich hart ist und unter jedem denkbaren Gesichtspunkt als unangemessen erscheint, oder die als solche grausam, unmenschlich oder erniedrigend ist (BVerfGE 75, Seite 1; NJW 1994, Seite 2884).
Die Auslieferung ist auch dann noch zulässig, wenn die zu vollstreckende Strafe als in hohem Maße hart anzusehen ist und bei einer strengen Beurteilung anhand deutschen Verfassungsrechts nicht mehr als angemessen erachtet werden könnte. Das Grundgesetz geht nämlich von der Eingliederung des von ihm verfassten Staates in die Völkerrechtsordnung der Staatengemeinschaft aus. Es gebietet damit zugleich, insbesondere im Rechtshilfeverkehr Strukturen und Inhalte fremder Rechtsordnungen und -anschauungen grundsätzlich zu achten, 1 AR 403/18 – Seite 5 auch wenn sie im Einzelnen nicht mit den deutschen innerstaatlichen Auffassungen übereinstimmen. Soll der im gegenseitigen Interesse bestehende zwischenstaatliche Auslieferungsverkehr erhalten und auch die außenpolitische Handlungsfreiheit der Bundesregierung unangetastet bleiben, so dürfen die Gerichte nur die Verletzung der unabdingbaren Grundsätze der deutschen verfassungsrechtlichen Ordnung als unüberwindbares Hindernis für eine Auslieferung zugrunde legen (BVerfG NJW 2005, Seite 3483 f.).
Vor diesem verfassungsrechtlichen Hintergrund ist nun Folgendes zu beachten: Auch die Auslieferung bei drohender Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe ohne – wie im Schriftsatz des Rechtsbeistands des Verfolgten vom 31.05.2019 skizziert – die Möglichkeit einer Strafaussetzung zur Bewährung und die darauf beruhende Vollziehung der Strafe könnte gegen unabdingbare Grundsätze der deutschen verfassungsrechtlichen Ordnung verstoßen.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gehört es zu den Voraussetzungen eines menschenwürdigen Strafvollzugs, dass dem zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilten grundsätzlich eine Chance verbleibt, je wieder der Freiheit teilhaftig zu werden. Es wäre mit der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) unvereinbar, wenn der Verurteilte ungeachtet der Entwicklung seiner Persönlichkeit jegliche Hoffnung, seine Freiheit wiederzuerlangen, aufgeben müsste. Dies gilt auch im Falle einer Verurteilung zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe unter Feststellung der besonderen Schwere der Schuld, wobei im Einzelfall – verfassungsrechtlich unbedenklich – die lebenslange Freiheitsstrafe tatsächlich auch bis zum Lebensende vollstreckt werden kann. Fallgestaltungen, die es auch dem innerlich gewandelten, für die Allgemeinheit ungefährlich gewordenen Gefangenen strikt verwehrten, auch nach sehr langer Strafverbüßung, selbst im hohen Lebensalter, die Freiheit wieder zu gewinnen, und ihn damit auch von vornherein zum Versterben in der Haft verurteilen, sind im Strafvollzug unter der Herrschaft des Grundgesetzes allerdings grundsätzlich fremd (BVerfG, NJW 2005, Seite 3483).
Der Senat hat, um den Grundrechtsschutz bestmöglich zu gewährleisten, im konkreten Fall die USamerikanischen Behörden aufgefordert, eine entsprechende völkerrechtlichverbindliche Zusicherung abzugeben. Die USamerikanischen Behörden haben mit Verbalnote Nr. 134 vom 20.03.2019 folgende Zusicherung abgegeben:
„In Beantwortung dieses Ersuchens darf ein Angeklagter laut Paragraf 1237 des kalifornischen Strafgesetzbuches (California Penal Code), das anwendbare Gesetz demgemäß Herr M. angeklagt wird, Berufung gegen ein rechtskräftiges Urteil, einschließlich des Strafmaßes einlegen. Nach dem kalifornischen Strafgesetzbuch hat Herr M. das Recht auf eine Anhörung zwecks Gewährung einer bedingten Entlassung nachdem er 85 Prozent seiner zulässigen Strafe verbüßt hat oder das 60. Lebensjahr erreicht hat (vorausgesetzt er hat bereits 25 Jahre seiner Strafe verbüßt), je nachdem was zuerst eintritt.“
Auch wenn der erste Teil der Zusicherung der USamerikanischen Behörden nur den normalen Instanzenzug beschreibt, ist zur Überzeugung des Senats durch den zweiten Teil hinreichend sichergestellt, dass der Verurteilte auch im Fall der rechtskräftigen Verurteilung zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe nicht der Hoffnung beraubt wird, seine Freiheit wiederzuerlangen. Vielmehr ist bereits durch das oben beschriebene Strafvollstreckungsrecht von Kalifornien ein Anhörungsrecht zwecks Gewährung einer bedingten Entlassung nach einer Mindestverbüßung vorgesehen, ohne dass auf ein etwaiges Petitions- oder Begnadigungsrecht zurückgegriffen werden müsste.
3. Schließlich begründen die im Falle der Auslieferung zu erwartenden Haftbedingungen in Kalifornien – entgegen der im Schriftsatz des Rechtsbeistands vom 31.05.2019 geäußerten Auffassung – kein Auslieferungshindernis nach § 73 IRG, da zur Überzeugung des Senats sichergestellt ist, dass die Haftbedingungen, die der Verfolgte im Falle seiner Auslieferung nach Kalifornien im dortigen Strafvollzug zu erwarten hat, den in Art. 3 MRK verankerten menschenrechtlichen Mindestanforderungen genügen. Die Anforderungen, die Art. 3 MRK normiert, gehören gemäß Art. 6 Abs. 3 EUV zu den von § 73 IRG in Bezug genommenen Grundsätzen aus Art. 6 EUV.
Die USamerikanischen Behörden haben mit Verbalnote Nr. 134 vom 20.03.2019 folgende Zusicherung abgegeben:
„Dieses Ersuchen wird von den US-Behörden als Zusicherung verstanden, Herrn M… im Fall einer Auslieferung, Verurteilung und Inhaftierung, nicht der Folter oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung bzw. Strafe auszusetzen, obwohl die Vereinigten Staaten keine Vertragspartei dieser Konvention sind.
Die Rechtsvorschriften der Vereinigten Staaten und des Bundesstaates Kalifornien schreiben vor, dass Strafgefangene keinen Misshandlungen oder unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlungen ausgesetzt werden. Mr. M. wird im staatlichen Gefängnis von Kalifornien untergebracht, das der kalifornischen Justizvollzugsanstalts- und Rehabilitationsbehörde untersteht, sollte er zu einer Freiheitsstrafe verurteilt werden. Die kalifornische Justizvollzugsanstalts- und Rehabilitationsbehörde richtet sich nach den kalifornischen Rechtsvorschriften, die mit der achten Änderung der US-Verfassung vereinbar ist, welche unter anderem vorschreibt, dass niemand einer grausamen und ungewöhnlichen Bestrafung ausgesetzt werden darf.
Die staatlichen Rechtsvorschriften von Kalifornien beinhalten beispielsweise Regelungen hinsichtlich Besuch, Ausübung von Religion, Privilegien, Post, Telefonbenutzung, Zugang zum Gericht, Befähigung zur Eheschließung, Begrenzung von Gewaltanwendung, Zuteilung von Nahrungsmitteln und Bekleidung, Besitz von persönlichen Gegenständen und für den Kunst-, Hobby- und Bastelbedarf.
Titel 15, Paragraphen 3004 und 3391(a) sind beispielsweise zwei Paragrafen der kalifornischen Staats- und Verwaltungsvorschriften (California Code of Regulations), die üblicherweise die Behandlung und Achtung gegenüber Inhaftierten innerhalb der staatlichen Justizvollzugsanstalten regulieren.
Paragraf 3004 besagt das:
(a) Inhaftierte und bedingt Entlassene haben das Recht, von allen Mitarbeitern respektvoll, unvoreingenommen und fair behandelt zu werden. Inhaftierte und vorzeitig Entlassene tragen dafür Sorge, andere genauso zu behandeln. Sofern von beiden Seiten akzeptiert, können sich Mitarbeiter und Inhaftierte im Gespräch beim Vornamen nennen.
(b) Abneigung oder Geringschätzung durch Inhaftierte, bedingt Entlassene und Mitarbeiter gegenüber anderen, die in jedweder Weise oder mit hoher Wahrscheinlichkeit darauf abzielt, den ordnungsgemäßen Ablauf innerhalb der Einrichtungen zu stören bzw. Gewalt zu schüren oder zu provozieren, darf öffentlich nicht gezeigt werden.
Paragraf 3391(a) besagt das:
(a) Mitarbeiter sollen wachsam, höflich und professionell im Umgang mit Inhaftierten, bedingt Entlassenen, Kollegen, Besuchern und der Öffentlichkeit sein. Häftlinge und bedingt Entlassene sollen mit ihrem richtigen Namen und niemals abfällig oder mit Slang-Ausdruck angesprochen werden. Gefängnisnummern werden nur zusammen mit Namen benutzt, um Häftlinge über die Lautsprecheranlage auszurufen. Mitarbeiter dürfen sich während der Dienstzeit nicht einer obszönen, beleidigenden, profanen oder ansonsten ungeeigneten Ausdrucksweise bedienen. Unverantwortliches oder unmoralisches Verhalten oder ein solches Verhalten, wodurch man sich selbst oder die Dienststelle während oder nach der Dienstzeit in Verruf bringt, muss von allen Mitarbeitern vermieden werden.
Die Bundesbezirksgerichte der Vereinigten Staaten haben, zusätzlich zu den Rechtsvorschriften, die weiterführende Aufsicht der staatlichen Justizvollzugsanstalten im Bundesstaat Kalifornien, einschließlich medizinischer Versorgung, psychischer Gesundheitsfürsorge, Bereitstellung von Unterkünften für Häftlinge mit geistigen und körperlichen Behinderungen gemäß dem Gesetz für Amerikaner mit Behinderungen (Americans with Disabilities Act) und für diejenigen Häftlinge mit Entwicklungsstörungen sowie zur Nutzung von getrennten Einheiten in unseren Sicherheitsunterkünften. Jeder dieser Bereiche wird einzeln durch äußerst genaue von den Bundesbezirksgerichten genehmigte Richtlinien und Verfahrensvorschriften verwaltet.
Die Vereinigten Staaten bekräftigen angesichts der vorstehenden Gründe, dass Herr M., falls es zu einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe für die Straftaten wegen der um seine Auslieferung ersucht wird, kommen sollte, sämtliche Rechte und Schutzbestimmungen gemäß der US-Verfassung genießen wird. Es bestehen nach den Rechtsvorschriften und Praktiken der Vereinigten Staaten und des Bundesstaates Kalifornien zudem Schutzbestimmungen, die Folter oder unmenschliche und erniedrigende Behandlung verbieten.“
Der Senat vertritt vorliegend in Anlehnung an die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Oktober 2007 (BVerfG, 2 BvR 1680/07) die Auffassung, „dass eine die Auslieferung hindernde Gefahr menschenrechtswidriger Behandlungen nur angenommen werden kann, wenn stichhaltige Gründe vorgetragen sind, nach denen gerade im konkreten Einzelfall eine beachtliche Wahrscheinlichkeit besteht, dass der Verfolgte in dem ersuchenden Staat Opfer von Folter oder anderer grausamer, erniedrigender oder sonst unmenschlicher Behandlung werde, es sei denn, in dem ersuchenden Staat herrsche eine ständige Praxis grober, offenkundiger oder massenhafter Verletzungen der Menschenrechte (vgl. BVerfG NVwZ 2008, Seite 71, 72; BVerfE 108, 129, 138, NVwZ 2003, Seite 1499)”. Aufgrund der konkreten Zusicherung der USamerikanischen Behörden ist der Senat überzeugt, dass dem Verfolgten im Fall seiner Auslieferung während der Inhaftierung in den Vereinigten Staaten von Amerika alle Schutzbestimmungen gemäß der US-Verfassung und des Bundesstaates Kalifornien gewährt werden und die dortigen Haftbedingungen dadurch den in Art. 3 MRK verankerten menschenrechtlichen Mindestanforderungen genügen.
Vor diesem Hintergrund ist anzunehmen, dass ein Verstoß gegen diese völkerrechtlich verbindliche Zusicherung das in der gegenseitigen Auslieferungsverpflichtung des AuslV D-USA zum Ausdruck kommende Vertrauen der Vertragspartner enttäuschen und damit die weitere Zusammenarbeit im Bereich der Rechtshilfe nachhaltig stören würde (vgl. hierzu auch BVerfG, Beschluss vom 20. Dezember 2007, 2 BvR 1996/07).
Es kann grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass ein Staat, mit dem die Bundesrepublik Deutschland einen völkerrechtlichen Vertrag über den Auslieferungsverkehr geschlossen hat, die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und des Menschenrechtsschutzes einhält. Dies hat das BVerfG für die Mitgliedstaaten der Europäischen Union so entschieden (BVerfG, NJW 2004, Seite 1858). Der Senat hat keine Zweifel daran, dass dieser Grundsatz auch auf die Vereinigten Staaten von Amerika zu übertragen ist. Konkrete Umstände, die ein rechtsstaatswidriges Vorgehen gegen den Verfolgten besorgen lassen, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
Soweit der Rechtsbeistand in seinem Schriftsatz vom 31.05.2019 die Haftbedingungen in Kalifornien als „menschenunwürdig“ qualifiziert, kann der Senat auch unter Berücksichtigung dieses Vortrags für den vorliegenden Fall kein konkretes Auslieferungshindernis sehen. Denn zum einen beschreiben die vom Rechtsbeistand darin exemplarisch vorgetragenen Haftbedingungen schon länger zurückliegende und gerade nicht aktuelle Zustände in kalifornischen Gefängnissen. Zum anderen ist gerade durch obige, konkrete Zusicherung der USamerikanischen Behörden sichergestellt, dass der Verfolgte im Fall seiner Auslieferung keinen menschenunwürdigen Haftbedingungen ausgesetzt wird.
Dem Auslieferungshaftbefehl war weiterhin der Haftbefehl des Van Nuys Courthouse of the Los Angeles Superior Court vom 29.10.2018, Gz.: … zugrunde zu legen.
Nachdem sich hinsichtlich der Haftgründe keine Veränderungen zu Gunsten des Verfolgten ergeben haben, war die Fortdauer der Auslieferungshaft anzuordnen. Für eine Außervollzugsetzung des Auslieferungshaftbefehls fehlt es weiterhin an der erforderlichen Vertrauensgrundlage. Beim Verfolgten besteht weiterhin der Haftgrund der Fluchtgefahr. Insoweit wird auf die Ausführungen im Senatsbeschluss vom 15.11.2018 verwiesen.
Die Fortdauer der vorläufigen Auslieferungshaft ist nach wie vor erforderlich und angesichts des Tatvorwurfs auch verhältnismäßig.


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