Europarecht

Keine PKH für mit pauschalem Bestreiten begründeten Überprüfungsantrag

Aktenzeichen  L 11 AS 812/16 B PKH

Datum:
26.1.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGG SGG § 73a Abs. 1 S. 1
ZPO ZPO § 114
SGB X SGB X § 44 Abs. 1

 

Leitsatz

Wird ein Überprüfungsantrag zu SGB-II-Leistungsbescheiden nur mit pauschalem Bestreiten begründet, ist der Sozialleistungsträger nicht verpflichtet, die Ausgangsentscheidungen inhaltlich zu prüfen. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

S 6 AS 80/16 2016-10-12 Bes SGNUERNBERG SG Nürnberg

Tenor

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Nürnberg vom 12.10.2016 wird zurückgewiesen.

Gründe

I.
Streitig ist die Überprüfung mehrerer bestandskräftiger Änderungsbescheide.
Mit vier Bescheiden vom 10.11.2014 änderte der Beklagte den Anspruch der Klägerin und ihrer mit ihr in Bedarfsgemeinschaft lebenden Tochter zu ihren Gunsten ab. Ein Mehrbedarf für Warmwasser werde für die Zeit ab Januar 2013 zusätzlich berücksichtigt.
Am 04.03.2015 beantragten die von einem Bevollmächtigten vertretenen Klägerinnen eine Überprüfung der Bescheide vom 10.11.2014 ohne jede Differenzierung. Mit Bescheid vom 10.03.2015 lehnte der Beklagte eine Überprüfung ab. Der Überprüfungsantrag sei ohne Angabe von Gründen gestellt worden. Den ebenfalls – trotz Nachfrage – nicht begründeten Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 18.12.2015 zurück.
Dagegen haben die Klägerinnen Klage zum Sozialgericht Nürnberg (SG) erhoben und auf das in Parallelverfahren dem Beklagten bereits bekannte Begehren nach höheren Heizkosten hingewiesen. Zugleich haben die Klägerinnen die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) begehrt. Mit Beschluss vom 12.10.2016 hat das SG den Antrag auf Bewilligung von PKH mangels hinreichender Erfolgsaussicht unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) abgelehnt. Werde ohne nähere Differenzierung ein Verwaltungshandeln insgesamt zur Überprüfung gestellt, löse ein solcher Antrag keine inhaltliche Prüfpflicht aus. Vorliegend habe der Beklagte auch bei objektiver Betrachtung nicht ermitteln können, welche Gesichtspunkte zur Überprüfung gestellt worden seien. Erst im Rahmen des Klageverfahrens hätten die Klägerinnen die Prüfung höherer Heizkosten begehrt.
Dagegen haben die Klägerinnen Beschwerde zum Bayer. Landessozialgericht (LSG) erhoben. Die Problematik der Heizkosten sei dem Beklagten aus parallel laufenden Verfahren bekannt gewesen. Er hätte daher bei objektiver Betrachtungsweise den Prüfungsumfang ermitteln können.
Zur Ergänzung des Sachverhaltes wird auf die beigezogenen Akten des Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) ist nicht begründet. Nach § 73a Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz iVm § 114 Zivilprozessordnung (ZPO) erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag PKH, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
Aus verfassungsrechtlichen Gründen dürfen die Anforderungen an die Erfolgsaussicht nicht überspannt werden. Es reicht für die Prüfung der Erfolgsaussicht aus, dass der Erfolg eine gewisse Wahrscheinlichkeit für sich hat (vgl. BSG, Urteil vom 17.02.1998 – B 13 RJ 83/97 R (Rn. 26) – SozR 3-1500 § 62 Nr.19). Diese gewisse Wahrscheinlichkeit ist in aller Regel dann anzunehmen, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt des Beteiligten aufgrund der Sachverhaltsschilderung und der vorgelegten Unterlagen für zutreffend oder zumindest für vertretbar hält und in tatsächlicher Hinsicht die Möglichkeit des Obsiegens des PKH- Beantragenden ebenso wahrscheinlich ist wie sein Unterliegen (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl. § 73a Rn. 7ff.).
Vorliegend bestehen keine solchen hinreichenden Erfolgsaussichten. Dabei ist auf den Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung (hier: Widerspruchsbescheid vom 18.12.2015) abzustellen (vgl dazu: BSG, Urteil vom 13.02.2014 – B 4 AS 22/13 – veröffentl. in juris). Zu diesem Zeitpunkt haben die von einem Bevollmächtigten vertretenen Klägerinnen ohne jede Differenzierung einen Antrag auf Überprüfung gemäß § 44 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) gestellt, also keine Prüfung im Einzelfall begehrt. Damit aber war der Beklagte nicht gehalten, eine inhaltliche Prüfung vorzunehmen.
Eine Entbindung von der inhaltlichen Prüfung setzt voraus, dass der Sozialleistungsträger „den Einzelfall“, also die konkreten Inhalte eines bestimmten Bescheides, die zur Überprüfung gestellt werden sollen, bei objektiver Betrachtung nicht ermitteln kann. Ein Prüfanliegen „im Einzelfall“ ist daher zu bejahen, wenn entweder eine bestimmte Fragestellung tatsächlicher oder rechtlicher Natur oder eine konkrete Verwaltungsentscheidung benannt wird. Auch bei einem Antrag nach § 44 SGB X hat die Verwaltung den Untersuchungsgrundsatz des § 20 SGB X zu beachten. Insofern kann es – je nach den konkreten Umständen der Antragstellung – erforderlich sein, dass der Träger auf eine Konkretisierung des Überprüfungsbegehrens durch den Leistungsberechtigten im Sinne des § 21 Abs. 2 Satz 1 SGB X hinwirkt. In welchem Umfang der Leistungsträger seiner Amtsermittlung nachzukommen hat, beurteilt sich jedoch nach Lage des Einzelfalls. Als Kriterium für den Umfang der Amtsermittlungspflicht des SGB II-Trägers ist beispielsweise zu berücksichtigen, ob der Leistungsberechtigte (mit juristischem Sachverstand) vertreten oder unvertreten ist oder ob sich aus vorangegangenen Kontakten zwischen ihm und der Verwaltung Anhaltspunkte für das Begehren des Antragstellers stellen. Auch kann von Bedeutung sein, in welchem Gesamtkontext ein Überprüfungsantrag gestellt wird. Wenn – jedoch wie im vorliegenden Fall – auch auf Nachfrage des SGB II-Trägers bei dem Rechtsanwalt der Antragstellerinnen keine Angaben gemacht werden, die eine Konkretisierung für den Einzelfall ermöglichen, sondern weiter pauschal auf die Überprüfung sämtlicher Bescheide verwiesen wird, ist der Sozialleistungsträger objektiv nicht in der Lage, seinen Prüfauftrag zu bestimmen (so BSG, Urteil vom 13.02.2014 aaO). Aufgrund oder aus Anlass des Antrags muss sich der Verwaltung im Einzelfall objektiv erschließen, aus welchem Grund – Rechtsfehler und/oder falsche Sachverhaltsgrundlage – nach Auffassung des Leistungsberechtigten eine Überprüfung erfolgen soll. Dazu muss der Antrag konkretisierbar sein, d. h. entweder aus dem Antrag selbst – ggf. nach Auslegung – oder aus einer Antwort des Leistungsberechtigten aufgrund konkreter Nachfrage des Sozialleistungsträgers muss der Umfang des Prüfauftrages für die Verwaltung bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens erkennbar sein (vgl. BSG, aaO, sowie Beschluss vom 04.06.2014 – B 14 AS 335/13 B – veröffentlicht in juris).
Somit genügt es – anders als die Klägerinnen meinen – vorliegend nicht, dass der Leistungsträger ggf. aus dem Vorbringen der Klägerinnen in parallel laufenden Verfahren den Gegenstand der Prüfung des vorliegenden „Einzelfalles“ vermuten kann. Vielmehr hätten die von einem Bevollmächtigten vertretenen Klägerinnen auf Nachfrage des Beklagten Angaben machen müssen. Dies haben sie erkennbar nicht getan.
Unabhängig davon lässt sich aus dem parallel laufenden Verfahren wegen höherer Heizkosten für die Zeit vom 01.10.2014 bis 31.03.2015 bzw. Heizkostenabrechnung der Fa. N. (einmaliger Bedarf im Fälligkeitsmonat September 2014) nicht eindeutig entnehmen, dass die wegen der Berücksichtigung eines Mehrbedarfes für Warmwasser zu Gunsten der Klägerinnen erlassenen Bescheide auch diesbezüglich noch einmal überprüft werden sollten, wobei einer der Bescheide vom 10.11.2014 bereits Gegenstand des Widerspruchsverfahrens gegen den Bescheid vom 18.09.2014 war (Widerspruchsbescheid vom 26.06.2015).
Nach alledem war die Beschwerde zurückzuweisen.
Dieser Beschluss ergeht kostenfrei und ist unanfechtbar (§ 177 SGG).


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