Europarecht

Keine systemischen Mängel des Asylverfahrens in Bulgarien

Aktenzeichen  M 12 K 16.50474

Datum:
27.10.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1 lit. a, § 34a
Dublin III-VO Dublin III-VO Art. 3 Abs. 2, Art. 17 Abs. 1, Art. 20 Abs. 5

 

Leitsatz

1 Angesichts der grundlegenden Veränderungen im Laufe des Jahres 2014 ist davon auszugehen, dass das bulgarische Asylsystem nicht an systemischen Mängeln im Sinne von Art. 3 Abs. 2 Dublin III-VO leidet, da derzeit ein ausreichendes Verfahren zur Aufnahme von Flüchtlingen und zur Durchführung eines effektiven Prüfungs- und Anerkennungsverfahrens gegeben ist (wie VGH München BeckRS 2015, 43834; VGH München BeckRS 2016, 54889; VGH Mannheim BeckRS 2014, 58821). (redaktioneller Leitsatz)
2 Gemäß § 31 Abs. 3 S. 1 2. Alt. AsylG ist in Entscheidungen über unzulässige Asylanträge festzustellen, ob die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG vorliegen. Das eine solche Feststellung im Tenor des Bescheids, der vor der Gesetzesänderung ergangen ist, explizit nicht vorliegt, führt nicht zur Aufhebung des Bescheids. (redaktioneller Leitsatz)
3 Die Frage, ob die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG vorliegen, lässt die Rechtmäßigkeit der Ablehnung des Asylantrags als unzulässig gem. § 29 AsylG unberührt. Das Gericht ist verpflichtet, die Streitsache in vollem Umfang spruchreif zu machen und sodann abschließend  über das Vorliegen der Voraussetzungen der zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbote zu entscheiden (wie BVerwG BeckRS 9998, 171007). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Über den Rechtsstreit konnte aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 27. Oktober 2016 entschieden werden, obwohl die Beklagte nicht erschienen ist. Denn in der Ladung zur mündlichen Verhandlung wurde darauf hingewiesen, dass auch im Fall des Nichterscheinens der Beteiligten verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 VwGO).
I.
Die Klage ist zulässig, insbesondere ist sie nicht verfristet. Ausweislich der Postzustellungsurkunde wurde dem Kläger der Bescheid vom 23. Juni 2016 am 25. Juni 2016 zugestellt. Die Klagefrist gem. § 74 Abs. 1 2. HS AsylG hätte daher mit Ablauf des 2. Juli 2016 geendet. Da es sich hierbei allerdings um einen Samstag handelte, verschiebt sich das Ende der Frist auf den nächsten Werktag, d. h. auf Montag, den 4. Juli 2016. Der am 4. Juli 2016 eingegangene Antrag ist daher fristgemäß.
Der Zulässigkeit der Klage steht auch nicht die Bestandskraft des Bescheides vom 6. Juni 2016 entgegen. Denn bei dem Bescheid vom 23. Juni 2016 handelt es sich nicht um eine wiederholende Verfügung, sondern um einen Zweitbescheid. Die Beklagte wollte ersichtlich eine neue Regelung treffen, nachdem der Kläger zwischenzeitlich einen Asylantrag gestellt hatte. Die Beklagte hat die Abschiebungsanordnung gegenüber dem Erstbescheid zum einen auf eine neue Rechtsgrundlage gestützt (§ 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG). Zum anderen sprechen die Rechtsbehelfsbelehrung sowie Form und Inhalt eines Verwaltungsakts für eine neue Sachentscheidung des Bundesamts (vgl. Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl. 2014, § 51 Rn. 58 f.).
II.
Die Klage ist jedoch unbegründet.
Der Bescheid der Beklagten vom 23. Juni 2016 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO). Es besteht auch kein Anspruch auf Feststellung von Abschiebungsverboten gem. § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG. Maßgebend ist die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Hs 2 AsylG).
1. Die Ablehnung des Asylantrags als unzulässig ist rechtmäßig.
Nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AsylG (entspricht § 27a AsylG a. F.) ist ein Asylantrag als unzulässig abzulehnen, wenn ein anderer Staat nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl L 180 vom 29.6.2013, S. 31; im Folgenden: Dublin III-VO) für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist.
Die Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens richtet sich vorliegend nach der Dublin III-VO. Die Zuständigkeitskriterien der Dublin III-VO finden nach Art. 49 Abs. 2 dieser Verordnung auf Asylanträge, die – wie hier – nach dem 1. Januar 2014 gestellt worden sind, Anwendung.
Art. 3 Abs. 1 Dublin III-VO sieht vor, dass der Asylantrag von dem Mitgliedstaat geprüft wird, der nach den Kriterien des Kapitels III der Dublin III-VO als zuständiger Staat bestimmt wird. Bei Anwendung dieser Kriterien ist Bulgarien für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig. Gemäß Art. 13 Abs. 1 Satz 1 Dublin III-VO ist der Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrages zuständig, in den der betreffende Ausländer ausweislich der in dieser Norm genannten Erkenntnismittel aus einem Drittstaat kommend illegal eingereist ist, wenn der Tag des illegalen Grenzübertritts zum maßgeblichen Zeitpunkt der erstmaligen Beantragung internationalen Schutzes in einem Mitgliedstaat (vgl. Art. 7 Abs. 2 Dublin III-VO) noch nicht länger als zwölf Monate zurückliegt. Dass der Kläger entgegen seinem Vorbringen vor der Stellung seines Asylantrags in Deutschland bereits in Bulgarien einen Asylantrag gestellt hat, ergibt sich sowohl aus dem Schreiben Bulgariens vom 14. März 2016 als auch aus dem bei einer EURODAC-Abfrage für den Kläger erzielten Treffer mit der Kennzeichnung „BG1“. Die Ziffer „1“ steht für einen Antrag auf internationalen Schutz (Art. 24 Abs. 4 der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 vom 26. Juni 2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über die Einrichtung von Eurodac für den Abgleich von Fingerabdruckdaten zum Zwecke der effektiven Anwendung der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist und über der Gefahrenabwehr und Strafverfolgung dienende Anträge der Gefahrenabwehr- und Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten und Europols auf den Abgleich mit Eurodac-Daten sowie zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1077/2011 zur Errichtung einer Europäischen Agentur für das Betriebsmanagement von IT-Großsystemen im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts (Neufassung) (EURODAC-VO)). Bulgarien hat dementsprechend auch der Rücküberstellung gem. Art. 20 Abs. 5 Dublin III-VO zugestimmt.
Eine Zuständigkeit der Beklagten ergibt sich nicht aus den vorrangigen Zuständigkeitsbestimmungen der Art. 8 ff. Dublin III-VO.
Ein Übergang der Zuständigkeit auf die Beklagte gem. Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO ist nicht erfolgt, da die Überstellungsfrist gem. Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO noch nicht abgelaufen ist. Die sechsmonatige Überstellungfrist wird durch einen zulässigen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO unterbrochen und beginnt mit Erlass des ablehnenden Beschlusses neu zu laufen (vgl. BVerwG, U. v. 26.5.2016 – 1 C 15/15 – juris).
Die Beklagte ist ferner nicht gemäß Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 3 Dublin III-VO zuständig geworden. Danach wird der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat der zuständige Mitgliedstaat, wenn keine Überstellung gemäß diesem Absatz an einen aufgrund der Kriterien des Kapitels III bestimmten Mitgliedstaat vorgenommen werden kann. Die Voraussetzungen sind nicht erfüllt, insbesondere ist kein Fall des Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO gegeben. Nach dieser Vorschrift setzt der prüfende Mitgliedstaat die Prüfung der in Kapitel III vorgesehenen Kriterien fort, wenn es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 GR-Charta mit sich bringen.
Nach dem Prinzip der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG, U. v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 – juris) bzw. dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH, U. v. 21.12.2011 – C-411/10 und C-493/10 – juris) gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat der Europäischen Union den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK) und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Grundrechtscharta) entspricht. Allerdings ist diese Vermutung nicht unwiderleglich. Vielmehr obliegt den nationalen Gerichten die Prüfung, ob es im jeweiligen Mitgliedstaat Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber gibt, welche zu einer Gefahr für den Antragsteller führen, bei Rückführung in den zuständigen Mitgliedstaat einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung i. S. v. Art. 4 Grundrechtscharta ausgesetzt zu werden (vgl. EuGH, U. v. 21.12.2011 a. a. O.). Die Vermutung ist aber nicht schon bei einzelnen einschlägigen Regelverstößen der zuständigen Mitgliedstaaten widerlegt. An die Feststellung systemischer Mängel sind vielmehr hohe Anforderungen zu stellen. Von systemischen Mängeln ist daher nur dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. BVerwG, B. v. 19.3.2014 – 10 B 6.14 – juris).
Angesichts der grundlegenden Veränderungen im Laufe des Jahres 2014 bestehen in Bezug auf Bulgarien nach aktuellem Kenntnisstand keine durchgreifenden Bedenken, dass dem Kläger im Falle seiner Rücküberstellung in dieses Land eine menschenunwürdige Behandlung im eben beschriebenen Sinn droht. In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (U. v. 29.1.2015 – 13a B 14.50039 – juris) und des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (U. v. 10.11.2014 – A 11 S 1778/14 – juris) geht das erkennende Gericht auf der Grundlage des ihm vorliegenden Erkenntnismaterials zur Situation von Asylbewerbern sowie von Dublin-Rückkehrern (vgl. UNHCR, „UNHCR Observations on the Current Situation of Asylum in Bulgaria“ vom 2.1.2014; UNHCR, „Bulgarien als Asylland – Anmerkungen zur aktuellen Asylsituation in Bulgarien“ vom April 2014; amnesty international, „Amnesty report 2015 Bulgarien“; „Amnesty report 2016 Bulgarien“; European Asylum Support Office (EASO), „Special Support Plan to Bulgaria“ vom 5.12.2014; Pro Asyl, Presseerklärung vom 23.5.2014: „Schwere Menschenrechtsverletzungen an Flüchtlingen in Bulgarien“; Pro Asyl, „Erniedrigt, misshandelt, schutzlos: Flüchtlinge in Bulgarien“ vom April 2015; Asylum Information Database (aida), „Country Report Bulgaria“, Stand: 30.9.2015; European Council on Refugees and Exiles (ECRE), „ECRE reaffirms its call for the suspension of transfers of asylum seekers to Bulgaria under the recast Dublin Regulation“ vom 7.4.2014; Auskünfte des Auswärtigen Amtes an das VG Hamburg vom 30.11.2015 und an das VG Aachen vom 27.1.2016) davon aus, dass in Bulgarien derzeit ein ausreichendes Verfahren zur Aufnahme von Flüchtlingen und zur Durchführung eines effektiven Prüfungs- und Anerkennungsverfahrens gegeben ist.
Zwar war die Situation Asylsuchender in Bulgarien nach einem Anstieg der Asylanträge zu Beginn des Jahres 2014 teilweise heftiger Kritik ausgesetzt. So ging der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) im Januar 2014 davon aus, dass in Bulgarien systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen bestünden und plädierte dafür, Abschiebungen nach Bulgarien zunächst auszusetzen (vgl. „UNHCR Observations on the Current Situation of Asylum in Bulgaria“ vom 2.1.2014). Dieser Einschätzung schlossen sich amnesty international (vgl. „Suspension of Returns of Asylum-Seekers to Bulgaria Must Continue” vom 31.3.2014), European Council on Refugees and Exiles (vgl. „ECRE reaffirms its call for the suspension of transfers of asylum seekers to Bulgaria under the recast Dublin Regulation” vom 7.4.2014) und Pro Asyl an. Auch in der Stellungnahme von Pro Asyl vom 30. Mai 2014 wird auf die von UNHCR Anfang 2014 festgestellten Mängel im bulgarischen Asylsystem Bezug genommen und eine Aussetzung von Dublin-Überstellungen nach Bulgarien gefordert. In seiner aktualisierten Bestandaufnahme vom April 2014 („Bulgarien als Asylland – Anmerkungen zur aktuellen Asylsituation in Bulgarien“, Seite 2 und 17) hält UNHCR ungeachtet fortbestehender ernsthafter Mängel einen generellen Aufschub aller Dublin-Überstellungen nach Bulgarien jedoch nicht länger für gerechtfertigt, sondern empfiehlt nur bei Personen mit besonderen Bedürfnissen oder besonderer Schutzwürdigkeit – zu denen der Kläger nicht gehört – von einer Überstellung abzusehen. Dem Bericht vom April 2014 zufolge haben sich die Aufnahmebedingungen im Vergleich zur Situation im Dezember 2013, die der Stellungnahme vom 2. Januar 2014 zugrunde lag, erheblich verbessert (vgl. auch VGH BW, U. v. 10.11. 2014 – A 11 S 1778/14 – Rn. 49). Auch amnesty international sieht im Jahresbericht 2015 und 2016 trotz weiterhin erhobener Kritik insbesondere an der mangelhaften Integration anerkannter Asylbewerber davon ab, ein Rücküberstellungsverbot zu fordern.
Nach aktueller Erkenntnislage sind die in der Vergangenheit festgestellten Mängel in Bezug auf das Prüfverfahren und die Entscheidungen über die Gewährung internationalen Schutzes zwar nicht gänzlich ausgeräumt; allerdings sind weitgehende positive Veränderungen erkennbar, die der Annahme durchgreifender Mängel des bulgarischen Asylsystems entgegenstehen. So sind die Kapazitäten aufgrund einer technischen und personellen Aufrüstung als auch einer gezielten Ausbildung neuer Kräfte signifikant gestiegen. Damit ist mittlerweile sowohl eine ordnungsgemäße Registrierung einschließlich der notwendigen Information der Asylbewerber über den Zugang zum Verfahren gewährleistet als auch eine regelgerechte Durchführung der Asylverfahren. Die eingereisten Flüchtlinge können bei der Registrierung mit der ersten Befragung ihr Asylbegehren vorbringen; sie haben Zugang zu Dolmetschern. Haft ist für Asylbewerber während des laufenden Asylverfahrens gesetzlich nicht mehr vorgesehen. Der Zugang zu regionalen Gerichten ist eröffnet (vgl. BayVGH, B. v. 29.1.15 – 13a B 14.50039 – juris Rn. 41 m. w. N.).
Hinsichtlich der Situation von Dublin-Rückkehrer lässt sich dem aktuellen aida-Länderbericht zu Bulgarien (Stand: 30.9.2015, S. 27 ff.) und der Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 27. Januar 2016 an das VG Aachen entnehmen, dass derzeit grundsätzlich keine Hindernisse beim Zugang zum Asylverfahren für Dublin-Rückkehrer bestehen. Dublin-Rückkehrer erhalten die gleichen Rechte wie andere Antragsteller im Erstverfahren und werden im Anschluss an die Rückkehr üblicherweise in einer Aufnahmeeinrichtung untergebracht. Das ausgesetzte Verfahren ist wiederzueröffnen und in der Sache zu prüfen. Festnahmen erfolgen in diesem Fall nicht.
Auch im Hinblick auf die Aufnahmebedingungen von Asylsuchenden in Bulgarien ist derzeit nicht von systemischen Mängeln im Sinne von Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO auszugehen. Die früher bestehenden Missstände in den Aufnahmeeinrichtungen sind in baulicher wie auch in personeller Hinsicht im Wesentlichen behoben worden. Bereits im Februar 2014 hat das Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen (European Asylum Support Office – EASO) die Aufnahmezentren im Wesentlichen in einem vernünftigen Zustand vorgefunden. Die Unterkünfte wurden renoviert und die Sanitärbereiche erneuert. Nachdem UNHCR im April 2014 noch berichtet hatte, dass in zwei von sieben Zentren ungeeignete Rahmenbedingungen vorhanden seien, und aida im April 2014 sowie die Bundesregierung im Mai 2014 von einer Aufnahmekapazität von ca. 4.150 Plätzen bei einer Belegungsrate von 82% ausgegangen waren, stellte EASO im Dezember 2014 fest, dass die Kapazitäten signifikant auf nunmehr 6000 Plätze angestiegen und die dortigen Lebensbedingungen deutlich verbessert worden seien. Die Verpflegung sei mit entsprechenden neuen Küchen und Personal mit täglich zwei warmen Mahlzeiten sichergestellt; in vier Zentren gebe es Gemeinschaftsküchen. Zusätzliche Mitarbeiter, auch Sozialarbeiter, seien eingearbeitet worden. Da jeder Asylantragsteller krankenversichert wird und eine kostenlose medizinische Behandlung im gleichen Umfang wie ein bulgarischer Staatsbürger erhält, ist die medizinische Versorgung ebenfalls gewährleistet (vgl. BayVGH, B. v. 29.1.15 – 13a B 14.50039 – juris Rn. 41 m. w. N.).
Die Verbesserung der Aufnahmebedingungen wird auch in aktuellen Auskünften des Auswärtigen Amtes an das VG Hamburg vom 30. November 2015 und an das VG Aachen vom 27. Januar 2016 bestätigt. Aus den beiden Stellungnahmen geht hervor, dass die Kapazitäten in den bulgarischen Aufnahmezentren trotz eines Wiederanstiegs der Asylbewerberzahlen gegenwärtig ausreichend sind, um alle im Anerkennungsverfahren befindlichen Schutzsuchenden unterzubringen. Mit Stand 23. September 2015 befanden sich laut UNHCR 2.581 Flüchtlinge in sechs Aufnahmezentren. Die Belegungsrate lag bei 50% (vgl. Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 30. November 2015). Mit Stand 24. Dezember 2015 befanden sich nach Angaben von UNHCR 612 Flüchtlinge in sechs Aufnahmezentren, die insgesamt eine Kapazität von 5.130 Plätzen aufweisen (vgl. Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 27. Januar 2016). Nach dem Eindruck des Auswärtigen Amtes hat sich die Situation in den Aufnahmezentren immer weiter verbessert und ist als insgesamt akzeptabel zu bewerten. Die EU habe beträchtliche zusätzliche Mittel zur Verfügung gestellt, um umfassende Renovierungsarbeiten in allen Flüchtlingszentren zu Ende zu bringen, auch die Öffnung weiterer Flüchtlingszentren sei geplant. Die Verpflegung der Flüchtlinge ist nach Kenntnis des Auswärtigen Amtes derzeit gesichert. Die medizinische Grundversorgung Asylsuchender ist in allen Aufnahmezentren ebenfalls gewährleistet. Jedoch könnten Personen mit besonderen medizinischen Bedürfnissen nicht immer angemessen versorgt werden. Dies betreffe in Bulgarien jedoch nicht nur Schutzsuchende, sondern auch einen Großteil der Allgemeinbevölkerung. Eine ausreichende Zahl von Dolmetschern sei vorhanden. Fehlendes Personal, auch in der Verwaltung, werde derzeit eingestellt.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Bericht von Pro Asyl „Erniedrigt, misshandelt, schutzlos: Flüchtlinge in Bulgarien“ vom April 2015. Soweit darin ein Überstellungsstopp gefordert wird, beruht dies auf Berichten von Einzelschicksalen aus den Jahren 2012 bis Anfang 2014. Die dort geschilderten Zustände sind jedoch aufgrund der neueren Entwicklungen überholt. Zudem lässt sich daraus nicht der Schluss ziehen, dass systemische Schwachstellen vorlägen, welche mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine konkrete Gefährdung von Dublin-Rückkehrern zur Folge hätten. Die Bulgarien vorgeworfenen Verstöße gegen das Refoulement-Verbot durch Zurückschiebungen an der bulgarisch-türkischen Grenze (vgl. Seite 27 f. des Berichts) betreffen den Kläger nicht, weil dieser sich bereits auf Unionsgebiet befindet. Anhaltspunkte dafür, dass Bulgarien in Bezug auf Dublin-Rückkehrer gegen das Refoulement-Verbot verstößt, lassen sich dem Bericht von Pro Asyl nicht entnehmen.
Auch der Umstand, dass sich die Situation in Bulgarien deutlich schlechter darstellen mag als in der Bundesrepublik Deutschland, begründet für sich keinen systemischen Mangel. Art. 3 EMRK verpflichtet die Konventionsstaaten nicht dazu, Schutzberechtigte finanziell zu unterstützen, um ihnen einen gewissen Lebensstandard einschließlich bestimmter Standards medizinischer Versorgung zu ermöglichen (vgl. EGMR, U. v. 21. 1.2011 – 30969/09 – juris Rn. 249); auch reicht die drohende Zurückweisung in ein Land, in dem die eigene wirtschaftliche Situation schlechter sein wird als in dem ausweisenden Vertragsstaat nicht aus, die Schwelle der unmenschlichen Behandlung, wie sie von Art. 3 EMRK verboten wird, zu überschreiten (vgl. EGMR, B. v. 2.4.2013 – 27725/10 – juris). Art. 3 EMRK ist im Kern ein Abwehrrecht gegen unwürdiges Staatsverhalten im Sinne eines strukturellen Versagens bei dem durch ihn zu gewährenden angemessenen materiellen Mindestniveaus und weniger ein individuelles Leistungsrecht einzelner Antragsteller auf bestimmte materielle Lebens- und Sozialbedingungen selbst (vgl. VG Ansbach, U. v. 10.7.2015 – AN 14 K 15.50050 – juris Rn. 31; VG Düsseldorf, B. v. 15. 4.2013 – 17 L 660/13.A – juris Rn. 43 m. w. N.; OVG Nordrhein-Westfalen, B. v. 29.1.2015 – 14 A 134/15.A).
Die Situation anerkannter Schutzberechtigter in Bulgarien, die z. B. Pro Asyl in seinem o.g. Bericht vom April 2015 kritisch beleuchtet, ist nicht geeignet, systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in Bulgarien aufzuzeigen. Denn hiervon ist der Kläger aktuell nicht betroffen. Auch wenn letztlich die Zuerkennung eines Schutzstatus Ziel des Asylverfahrens ist, kann für die Beurteilung der Frage, ob systemische Mängel im Asylverfahren vorliegen, nicht auf die tatsächliche und rechtliche Situation, die für anerkannte Schutzsuchende festzustellen ist, abgestellt werden. Zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ist nämlich noch nicht absehbar, ob der Kläger nach Durchlaufen des bulgarischen Asylverfahrens zu der Personengruppe der anerkannten Schutzsuchenden gehören wird oder nicht (vgl. etwa VG Düsseldorf, B. v. 17.6.2016 – 22 L 1913/16.A – juris; VG des Saarlandes, B. v. 13.5.2016 – 6 L 351/16 – juris).
Bei einer Gesamtwürdigung der dargestellten Erkenntnisse erreichen die noch bestehenden Mängel des Asyl- und Aufnahmesystems nicht die Qualität systemischer Mängel. Soweit die Bedingungen in einzelnen Aufnahmeeinrichtungen noch verbesserungswürdig sind, ist darauf hinzuweisen, dass einzelne Missstände, die in bestimmten Aufnahmeeinrichtungen auftreten, das Asyl- und Aufnahmesystem nicht insgesamt tangieren.
Der Kläger kann auch keine Verpflichtung der Beklagten zum Selbsteintritt nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO beanspruchen. Nach dieser Vorschrift kann jeder Mitgliedstaat einen Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den in der Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist. Bei Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO handelt es sich um eine restriktiv zu handhabende Ausnahmebestimmung. Dass die Beklagte von ihrem Selbsteintrittsrecht unter Hinweis darauf, dass außergewöhnliche humanitäre Gründe nicht ersichtlich seien, vorliegend keinen Gebrauch gemacht, ist nicht zu beanstanden. Der Kläger ist ein gesunder junger Mann, der nicht zu den Personen mit besonderen Bedürfnissen oder besonderer Schutzwürdigkeit gehört.
2. Gemäß § 31 Abs. 3 Satz 1 2. Alt. AsylG n. F. ist in Entscheidungen über unzulässige Asylanträge festzustellen, ob die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG vorliegen. Diese Feststellung zu den Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG liegt hier aufgrund des Erlasses des Bescheids vor der ergangenen Gesetzesänderung zwar im Bescheidstenor explizit nicht vor. Dies führt jedoch nicht zur Aufhebung des Bescheids. Die Frage, ob die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG vorliegen, lässt die Rechtmäßigkeit der Ablehnung des Asylantrags als unzulässig gem. § 29 AsylG unberührt. Vielmehr spricht das Gericht im Falle der – hier vorliegenden – Unterlassung eines Verwaltungsakts eine entsprechende Verpflichtung der Beklagten aus, wenn die Sache spruchreif ist und die Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Dies wäre nur dann der Fall, wenn Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG tatsächlich vorliegen.
Das Gericht ist nicht gehindert, über das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG selbst zu entscheiden. Es ist vielmehr verpflichtet, die Streitsache in vollem Umfang spruchreif zu machen und sodann abschließend in der Sache zu entscheiden (vgl. BVerwG, U. v. 10.2.1998 – 9 C 28/97 – juris; B. v. 8.12.2000 – 9 B 426/00 – juris). Auch beim Fehlen der Feststellung nach § 31 Abs. 3 Satz 1 2. Alt AsylG n. F. im Tenor ist daher der Verwaltungsakt im Hauptsacheverfahren nicht aufzuheben und an die Beklagte zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO). Dies käme nur dann in Betracht, wenn es auf die besondere Sachkunde der Beklagten ankommen würde und diese mit der Sache noch nicht befasst gewesen wäre. Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Denn es bestand bereits vor Einführung des § 31 Abs. 3 Satz 1 2. Alt AsylG n. F. die Verpflichtung der Beklagten, im Hinblick auf den Wortlaut des § 34a AsylG a. F., nach dem das Bundesamt die Abschiebung anordnet, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann, – abweichend von der übrigen Aufgabenverteilung zwischen Bundesamt und Ausländerbehörde – zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote und auch Duldungsgründe zu prüfen (vgl. BayVGH, B. v. 12.3.2014 – 10 CE 14.427 – juris, Rn. 4, B. v. 28.10.2013 – 10 CE 13.2257 – juris, Rn. 4; OVG Lüneburg, U. v. 4.7.2012 – 2 LB 163/10 – InfAuslR 2012, 383; OVG Berlin-Brandenburg, B. v. 1.2.2012 – OVG 2 S 6.12 – juris, Rn. 4; VGH Mannheim, B. v. 31.5.2011 – A 11 S 1523/11 – InfAuslR 2011, 310), auch wenn im Tenor hierzu keine Feststellungen getroffen wurden. Der Erlass der Abschiebungsanordnung durch die Beklagte ist als das abschließende und rechtsmittelfähige Ergebnis der Befassung mit der Prüfung von Abschiebungshindernissen zu bewerten. Für eine nochmalige Prüfung durch die Beklagte im Rahmen einer Zurückverweisung besteht demnach kein Raum. Das Gericht hat somit über das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG gemäß § 31 Abs. 3 AsylG n. F. selbst zu entscheiden (vgl. zum Ganzen VG Schwerin, U. v. 26.9.2016 – 16 A 1757/15 As SN – juris).
Ein gemäß § 31 Abs. 3 AsylG Satz 1 2. Alt. AsylG n. F. zu prüfendes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG ist vorliegend nicht gegeben.
Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) vom 4. November 1950 ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Nach Art. 2 Abs. 1 Satz 1 EMRK ist das Recht jedes Menschen auf Leben gesetzlich geschützt. Nach Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlichen Behandlung unterworfen werden. Die Annahme eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG setzt jedoch voraus, dass ernsthafte Gründe für die Annahme bestehen, dass der Abgeschobene im aufnehmenden Land einer solchen verbotenen Behandlung unterworfen wird (vgl. BVerwG, U. v. 17.10.1995 – 9 C 15/95 – NVwZ 1996, 476). Insoweit ergibt sich bereits aus den obigen Ausführungen zum Asylverfahren und den Aufnahmebedingungen in Bulgasrien, dass keine beachtliche Wahrscheinlichkeit für den Kläger besteht, im Falle einer Rückkehr nach Bulgarien einer solchen menschenrechtswidrigen Behandlung ausgesetzt zu werden.
Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist ebenfalls zu verneinen, da für den Kläger als jungen, gesunden Mann bei einer Rückkehr nach Bulgarien keine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit im Sinne dieser Vorschrift besteht.
3. Die Abschiebungsanordnung beruht auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG. Die rechtliche und tatsächliche Durchführbarkeit der Abschiebung des Klägers nach Bulgarien begegnet keinen Bedenken. Inlands- oder zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse liegen nicht vor. Die bulgarischen Behörden haben der Rückführung des Klägers mit Schreiben vom 14. März 2016 ausdrücklich zugestimmt.
4. Die im Bescheid unter Nr. 3 gem. § 11 Abs. 2 Satz 1 AufenthG ausgesprochene Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf sechs Monate ist nach Maßgabe des § 114 VwGO nicht zu beanstanden. Über die Länge der Frist wird gem. § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nach Ermessen entschieden, wobei die Befristung im Regelfall fünf Jahre nicht überschreiten darf. Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Ermessensausübung sind nicht erkennbar. Die von der Beklagten festgesetzte Frist hält sich im unteren Bereich der zulässigen Befristungsdauer. Gründe für einen noch kürzeren Befristungszeitraum sind weder vorgetragen worden noch ersichtlich.
5. Die Kostenentscheidung ergibt sich hinsichtlich der zurückgenommenen Streitgegenstände aus § 155 Abs. 2 VwGO, im Übrigen aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.
6. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.


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